Von der seligen Schwester Elisabeth Bechlin

Mich fasste Begierde zu unserm Herrn, wie ich ihm an seinen Freunden dienen möge. Da fügte er es mir, dass mir zu Sinn kam, von guter und seliger Schwestern Übung zu schreiben und von sonderlicher Offenbarung der Gnaden, die unser Herr tat und davon ich oft viel vor mir Tagen hörte. Und da ich eines Tages saß und von unseren seligen Schwestern schrieb, wie man in diesem Buch wohl gehört hat, da fügte es sich von ungefähr, dass die tugendhafte Schwester Elisabeth Bechlin zu mir kam. Nun hätt' ich gern etwas von ihr gewusst und brachte es mit bedachten Worten dazu, dass sie mir erzählte.

Als sie nicht mehr als acht Jahre alt war, da war ihr im Schlaf, als sähe sie unsere liebe Frau vor sich und sie ging behend zu ihr; da empfing sie die reine Magd unser ihrem Mantel so zärtlich, wie eine Mutter ihr herzliebes Kind und sprach zu ihr: „Sieh, aus diesem Mantel will ich dich nimmer lassen.“ Da ward ihr kindliches Herz so gestärkt mit Gnaden, dass sie, wenn sie danach etwas Wildigkeit ankam, wie es solchen Kindern von Natur aus geht, sogleich gedachte: „Ach, willst du unserer Frauen aus dem Mantel fliehen?“ Später, als sie zehn Jahre alt war, da dünkte sie, dass ihr Vater sie der Welt geben wollte. Da ging sie ganz kecklich zu ihm und sprach: „Vater, du sollst wissen: und gibst du mich zu der Welt, so will ich's am jüngsten Tag über dich ausschreien!“


Danach, als sie elf Jahre alt war, kam sie in dieses Kloster und diente Gott so fröhlich und williglich, dass sie wohl an zweiundsechzig Jahre in diesem Kloster war, als sie mir das sagte, und nie zuviel Armut und Mühsal erlitt, als dass ihr je ein reuiger Gedanke in ihr Herz gekommen wäre, lieber irgendwo anders zu sein. Als sie mir das gesagt, bat ich sie sehr ernstlich und wollte ihr's nicht erlassen, dass sie mir weiteres sage. Da sprach sie ganz einfältiglich: „Kannst du mir irgend sagen, wozu es gut sei?“ Ich sprach: „Ja. Es beginnt jetzt die göttliche Minne an vielen Stätten in der Menschen Herzen zu verlöschen; und könnte doch ein Mensch nach langen Zeiten etwas hören, dass er gedächte: ,Wie lebst du doch so! Nun willst du doch auch zu Himmelreich; warum trachtest du nicht danach, dass auch dir Gott seine Gnade gäbe?‘“

Da sprach sie: „So will ich es Gott zu einem Lob sagen, wenn du es verschweigst, dieweil ich lebe. Ich war einmal gar siech; da ward zu mir gesprochen: ,Weil du mehr leiblichen Trost gehabt hast als Schwester Margret Finkin, so musst du diese Mühsal leiden.‘ Hiemit ward mir zu verstehen gegeben, dass ich ihr an Lohn sollte gleich werden. In dieser Zeit wurde ich so unsinnig, dass man mich mit viel Mühe in großer Hut halten musste; und als mir der Verstand wieder kam, da war es ziemlich lange Zeit, dass ich nicht gut Bescheid wusste, wann ich recht oder unrecht tat, und das war mir ein so peinvolles Leiden. Hievon erlöste mich Gott und gab mir solchen Trost, dass es lange Zeit war, dass mich kein Ding betrüben konnte. Hienach war ich wohl vierzehn Tage abermals in dem vorgenannten Leiden. Und zu derselben Zeit nahm der Konvent unsern Herrn und als ich unsern Herrn empfangen hatte und in unseren Stuhl kam, da gedachte ich an ein Wort, das mich der gute Leutpriester von Bichlensee gelehrt hatte zu sprechen, wenn ich nicht Gnaden hätte, und das war also: ,Herr, ich gemahne dich, dass deine Hände und dein Herz gegen mich offen stehen und dass du mir deine Gnade nicht versagen kannst.‘ Sogleich, als ich dies gesprochen, hörte ich, dass eine Stimme deutlich in mir sprach: ,Was willst du, dass ich dir tue?‘ Da sprach ich, dass er mir selber gebe zu sprechen: ,O Herr, ich will, dass du dich nimmer von mir scheidest‘ Da sprach er: ,Das will ich tun; ich will mich nimmer von dir scheiden.‘ Da ward mein Herz und mein Leib von seinen Gnaden also gestärkt, dass mich das Leiden seither nie mehr berührt hat. Mir verhieß damals niemand, dass ich am Leben bleibe. Nun bin ich auf dreiundsiebzig Jahre gekommen und das hab' ich durch seine Gnaden; denn mir gebrach seitdem nie des Trostes. Wenn mir doch manchmal etwas geschah, kaum hatte ich mich zu ihm gekehrt, so war es hinweg.“

Als sie mir das gesagt, hätte ich gern etwas mehr gewusst. Da sprach sie: „Ich kann dir nicht mehr sagen: mich dünkt, dass ich so viel und so genug hatte, dass ich seither nichts solches je bitten wollte.“ Doch sagte sie mir danach, dass es sie einst dünkte, sie sähe unsern Herrn, wie er als Kindlein war, vom Altar herabgehen und hatte ein seiden Röcklein an, in der Farbe wie ein brauner Sammet, und ging zu ihr gar heimlich und setzte sich auf die Bank, die vor ihr stand. Da sprang sie voll Begier auf, wie ein Mensch, der außer sich gekommen, und riss ihn an sich und nahm ihn auf ihren Schoß und setzte sich an die Stelle, wo er gesessen war, und tat ihm immer mehr Gütlichstes kund, nur dass sie sich nicht getraute, ihn zu küssen. Da sprach sie in herzlicher Minne: „Ach, Herztraut, wag' ich's, dich zu küssen?“ Da sprach er: „Ja, nach deines Herzens Gierd, so viel du willst.“

Sie war auch einmal krank und es dünkte sie, unsere Frau käme zu ihr, brachte ihr aber ihr Kind nicht mit. Da sprach sie: „Ach Frau, wo ist dein Kind? Geh doch und bring es mir!“ Danach im Advent dünkte es sie abermals, unsere Frau käme und brächte ihr ihr liebes Kind und gäbe es in ihre Arme und spräche: „Nun nimm ihn und tu ihm so gütlich du immer willst.“ Und dies war ein minniglicher Anblick, aber besonders war sein Hälslein unter dem Kinn so zart und so minniglich. Da wurde sie gefragt, ob sie ihn wohl geküsst, wie da früher geschrieben steht. Da sprach sie: „Ja freilich, er hat es mir doch erlaubt!“ Dies erzählte sie als einen Traum; aber es ist glaublich, dass sie in Gott entschlafen wäre.

Was ihr unser Herr Liebes erzeigte mit solcherlei Dingen, das empfing sie dankbarlich; aber sie strebte nicht viel durch Gebet danach; denn sie sprach: „Der sicherste Weg, den ein Mensch haben mag, ist, dass er sich vor Sünden hüte und sich in Tugenden übe.“ Einmal, wie das große Kruzifix auf den Stufen lag und unserm Herrn die Augen zugetan waren und der ganze Konvent Gloria in excelsis Deo sang und als sie Gratias agimus sangen, da war es ihr, als täte er seine Augen auf und sähe zu jedem Chor hin und spräche mit einer ernsthaften Stimme: „Warum neigt ihr euch nicht und lobt und danket mir für die viele Mühsal, die ich für euch und durch euch erlitten habe?“ und neigte da sein Haupt gegen ihr Haupt und da ging sie der Schmerz im Haupt an, wie zuvor geschrieben ist.

Desselben Jahres hatte der Konvent großen Mangel an Wein und an Korn und sie hielt dafür, dass dies wegen Undankbarkeit geschehen wäre. Einst, als sie Kellermeisterin war, starb ihr Bruder. Nun hätte sie seiner Seele gern kräftig geholfen. Da ward sie an einem Bein krank, so dass sie nicht mehr Kellerin sein konnte. Da war ihr, wie wenn ihr Bruder käme und sie zum Tor gehen hieße und spräche: „Ich hab' dir einen Arzt gebracht.“ Und als sie hinkam, stand ein Jüngling da in schneeweißem Kleid und trug eine Büchse bei sich mit einer edlen Salbe und salbte sie recht gut, und sie ward alsbald gesund, so dass sie noch viele Jahre Kellerin war. Also gedachte sie, dass der Jüngling ihres Bruders Engel gewesen und seiner Seele der Gehorsam nützlich wäre, mit dem sie ihr Kelleramt tat.

Sie hatte auch den guten Herrn Sankt Blasius sonderlich lieb und es war ihr einmal, wie sie vor seinen Altar ging, als wäre er hier, und sie sah ihn vor dem Altar stehen in bischöflichem Kleid und die Füße waren ihm bloß, und sie fiel alsbald vor ihn nieder und küsste ihm die Füße und stand dann wieder auf. Da sprach er zu ihr: „Knie nieder und empfang den Segen!“ und sprach dann zu ihr: „Nun hab allwegen Sehnsucht und Begier nach den Dingen, darzu du geschaffen bist:.“ Da sprach sie: „O Herr, ich wäre von ganzem Herzen gern dort.“ Da sprach er: „Das sollst du Gott überlassen, wann er das tun will, und sollst aber allwegen Jammer und Begierd danach haben.“

Diese selige Schwester hatte vor allen Dingen sonderlich ein friedsames, minnereiches Herz gegen Gott und gegen die Leute; und was sie Gutes tat, das tat sie freiweg Gott zu Lob und sprach: „O Herr mein, was ich tu, das gib wem du willst, und sei mir nur hold; daran hab ich ganz genug.“ Sie hatte auch besonders die Übung, dass die sie vierzig Tage lang, die unser Herr in der Wüste war, täglich mit ihrer Andacht zu ihm ging und mit sonderlichem Gebet; und nahm dann seine Füße in geistlicher Betrachtung in ihren Schoß und durchwärmte sie ihm recht wohl. Hievon empfing sie viel Gnaden und Andacht. Und zu einem Mal saßen ihrer viele Schwestern beieinander und redeten auch davon, dass unser Herr in der Wüste war. Da sprach eine Schwester: „Ich kann so wenig mit ihm in der Wüste.“

Da sprach die selige Schwester Elisabeth Bechlin: „Ich kann dort gar wohl mit ihm: ich nehme ihm da seine Hände und seine Füße und wärme sie ihm in meinem Schoß. Dem Haupt kann ich nichts tun; das Haar ist ihm so verworren, dass ich ihm keinen Rat weiß.“ Sie sprach auch: „Unser Herr hat sich mir mit seinen Gnaden oft freundlich erzeigt; aber minniglicher und begierlicher wurde er mir nie, als in der Wüste. Er gab mir von seinen Gnaden, als ich mir einst in der Betrachtung die große Demütigkeit vor Augen hielt, die er aus Liebe zu uns in der Stunde bezeigte, als er von dem bösen Geist versucht werden wollte. Und er zeigte mir die Steine, mit denen ihn der böse Geist versuchte, als er sprach: „Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass die Steine Brot werden,“ und gab mir zu empfinden das Leiden und die Not, die er aus Hunger hatte. Da ward ich empfindlich seiner väterlichen Güte inne.“

Eine Schwester klagte ihr einmal, dass sie nicht so viel Trostes von ihren Verwandten habe, wie sie gern gehabt hätte und manchmal auch notdürftig gewesen wäre. Da redete sie gar tröstlich mit ihr, so dass sie wohl dadurch getröstet wurde, und riet ihr gar ernstlich, dass sie damit zu unserm Herren kommen solle; und unser anderer Rede sagte sie ihr, dass sie auch einmal mit solchem Leiden versucht worden war; da ging sie zu unserm Herrn und bat den mit Ernst, dass er ihr darin zu Hilfe käme. Das gewährte ihr allzuhand unser lieber Herr, und sie ward durch seine Gnade im Herzen wohl getröstet; und er sandte ihr den Gedanken zu Hilfe, wie er zu Levi sprach: „Begib dich deines Vaters Erbes und weltlichen Gutes; ich will selber dein sein.“ Und da begab sie sich willig um Gott alles Überflusses und unser Herr ließ ihr's danach an ihrer Notdurft nie gebrechen.

Da nun die selige Schwester Elisabeth Bechlin lange Zeit andächtiglich Gott gedient hatte, schied sie von dieser Welt mit einem seligen Ende.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben