Von der seligen Schwester Beli von Winterthur

Wir hatten auch eine gar selige Schwester, die hieß Beli von Winterthur und war der sehr alten Schwestern eine und gar ordensmäßig und so strengen Lebens, dass sie beständig die Regelfasten fastete. Und ob man damals auch nur zweimal in der Woche Wein gab, so wollte sie doch ihres alten Leibes nicht schonen; denn man konnte nicht merken, dass sie nur ein einzig Mal im Siechenhaus gewesen wäre. Außer andern heiligen Übungen las sie gewöhnlich alle Tage nach der Frühmesse einen Psalter. Ihr genügte nicht die übliche Disziplin, so dass sie sich auch mit Wacholder schlug. Sie hatte auch die Gewohnheit, dass sie nie in den Baumgarten ging; und wenn auch die Bäume noch so schön blühten, so konnte man doch nicht bemerken, dass sie ihre Augen je danach kehrte.

Wegen ihres heiligen Lebens waren ihr die Schwestern so zugetan, dass sie wohl zwanzig Jahre Subpriorin war. Und wenn etwa eine Schwester aus dem Arbeitshaus weggehen wollte und benedicite nahm, so sprach sie gar gütig zu ihr: „Benedicite, das heißt: wohl sprechen, und darum sollst du nichts reden, als was gut ist. Und so du getan, wessen du bedarfst, so komme wieder herein.“


Da die nun dieses Amtes entledigt wurde, da befahl man ihr, dass sie Gesellin werde und dies wollte ihr etwas wider den Sinn gehen; denn sie hätte sich gern zur Ruhe gesetzt. Und doch war sie gehorsam. Und sich selber zur Hilfe heftete sie ein Brieflein an ihren Ärmel, darauf stand: „So viel der Mensch aus seinem eigenen Willen ausgeht, so viel nimmt er an vollkommenem Leben zu, und nicht mehr.“

Und weil ihr Leben so heilig war, so ist es glaublich, dass unser Herr viel an ihr wirkte. Besonders einmal, als sie nach der Mette in ihrem Gebet war, sah eine andre selige Schwester, dass sie von einem wonniglichen Licht umgeben war und dass der göttliche Geist alle ihre Kräfte so in sich gezogen hatte, dass ihr heiliger Leib in dem Licht und in der Luft schwebte. Sie las gewöhnlich auch alle Jahre dem heiligen David einen Psalter, damit ihr Ende süß wurde.

Und als sie an ihrem Tode lag, da lag sie, als ob sie keines Schmerzes empfinde. Und wie sie jetzt sterben sollte, sprach eine Schwester: „Sie ziehet hin.“ Da sprach sie: „Wer ziehet?“ Da sprach die Schwester: „Das tut ihr.“ Und sie lachte auf und sprach: „Des muß ich lachen!“ Und gleich, als der Konvent gekommen war, verschied sie sänftiglich und gut.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben