Von der seligen Schwester Beli von Sure

Die göttliche Minne ist eine Zier aller Tugenden; und wo das Feuer der göttlichen Minne brennt, da kann es nicht verborgen sein. Dies hat sich so recht bewährt an der übersüßen Schwester Beli von Sure, die Gott sonderlich damit geziert hat, dass sie allzeit ein so süßes, minnereiches Herz hatte, so dass ihr Wandel und Wort völlig zeigte: sie brannte in göttlicher Liebe. Und darum mochte sie andern Trost nicht leiden; denn unser Herr hatte sie mit seinem zarten Trost so lieblich verwöhnt, dass sie fremder Trost herb und hart dünkte. Und wenn ihr deshalb etwas geschah, das sie betrübt haben konnte, so klagte sie es niemand, sondern ging zu ihrem einzigen Lieb, von dem sie in Lieb und Leid ergebt ward. Alles, was sie von Ordens ' wegen tun musste, das tat sie so begierig und so fröhlich, dass sich an ihr völlig bewahrheitete, dass die Minne nicht Mühsal schafft, wie oft sie auch kranken Leibes die Ordensregel in allen Dingen strenge hielt; denn freie Minne hat das Vorrecht, dass sie mit leichtem Mute schwere Bürde trägt. Sie war auch fast allerwege so wohlgemut, so sie recht dahinging, als fliege sie. Und besonders wenn sie zu Chor gehen sollte, war ihr das so begierlich, dass sie oft kaum völlig auf Erde und Boden trat.

Mit wie großer, besonderer Süßigkeit Gott in ihr wirkte, das ist unsäglich; denn ihr Leben war recht überfließend von Minne und Süße. Etwann weinte sie so herzlich und wenn man sie dann fragte, was ihr wäre, so war es nichts andres als Sehnsucht nach Gott. Sie sagte auch einer Schwester, dass nichts sie verdrieße und ihr's allerwege an Zeit noch gebreche. Dieser selben Schwester gab sie die Lehre und sprach: „Hab Gott lieb und dien' ihm mit Ernst und wisse, dass ein Mensch Gott in einem Jahr durch Minne und Ernst so nah kommen kann, dass ihm Gott den Lohn gibt, um den er sonst vielleicht dreißig Jahre leben und seines Angesichts entbehren müsste. Und das ward an ihr selbst sichtbarlich bewährt.


Sie lag vor ihrem Tode wohl anderthalb Jahr darnieder, so dass man sie tragen musste, und war bei alledem so fröhlich und redete so voll Süße von Gott und es erglühte ihr Antlitz recht wie eine Rose. Und wie sie in solchem Liebesschmachten lag, da sprach eine Schwester zu ihr: „Du bist recht minnekrank.“ Da sprach sie aus vollem Herzen: „Das wäre mir leid, wär es andre Minne als unser Herr.“ Sie hatte auch so große Begierde nach dem Tod. Nun lag zu derselben Zeit eine andre Schwester an dem Tod, die auch gar begehrlich von dem Tod redete. Da weinte sie herzlich und sprach: „Soll ich nicht weinen, dass Sebach vor mir zu Himmelreich will?“ Als sie in diesem Siechtum lag, recht als wenn sie keinen Schmerz verspüre, da führte man einen guten Arzt zu ihr. Da sprach er, sie hätte keine andre Krankheit, als dass ihr Herz von einer übermäßigen Liebe ergriffen wäre, von einer Sehnsucht, wer weiß wonach, so dass es über ihre Kraft wäre und es ihr Tod sein müsse. Sie mochte wohl sprechen:

In Christi amore langueo volenti dolore.

(Ich sieche in der Minne meines Herrn Jesu Christi mit willigem Schmerz.)

Da nun die Zeit kam, wo unser Herr ihre Begierde erfüllen wollte und sie schier zum Sterben war, da lag sie, als empfände sie keinen Schmerz. Und es sagte uns die Schwester, die bei ihr war, dass sie so sanft verschied, als lächle sie; und das war nur begreiflich; da ihr Leben beinahe ein Sterben gewesen war und ganz Sehnsucht nach dem einen Gut, so dass ihr dann die ersehnte Stunde, in der sie mit ihm vereint werden sollte, in eine Freude gewandelt wurde. Denn die göttliche Minne ist stärker denn der Tod.

Dieser auserwählte Mensch war wohl an die dreißig Jahre, da er starb und hatte seine blühende Jugend in göttlicher Innerlichkeit verzehrt.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben