Von der seligen Schwester Beli von Liebenberg

Wir hatten auch eine gar selige Schwester, die hieß Schwester Beli von Liebenberg; die war eine Witwe, als die ins Kloster kam und war eine gar weltliche Frau gewesen, dieweil ihr Ehewirt lebte. Nun fügte es sich, als ihr Mann starb, dass für die ein großes Leiden anging; denn er war in dem Bann und man durfte ihn nicht begraben, sondern setzte ihn in das Beinhaus. Und da ging die alle Tage hin und saß alle Tage bei ihm, bis sie einen Psalter gelesen. Und sie sah, dass gar viele Würmer aus dem Sarg fielen, und das bewegte die so, stark, dass sie gedachte: „Wehe, wozu ist all deine Zuversicht geworden!“ und setzte fest in ihrem Herzen, dass sie nimmer zu der Welt wollte. Nun war ihre Mutter gar eine selige Frau und lebte zu Burgund und da fuhr sie zu ihr. Nun war dort der Predigerorden noch unbekannt. Und es kam ein Bruder her, der hieß Bruder Aquillus und war der ersten Brüder einer, die in deutsches Land kamen. Und da die ihn sahen, da wunderten die sich über ihn, zu welchen Leuten er gehöre. Und als sie vernahmen, welcher Orden es war und seine Predigt hörten, da empfingen sie ihn mit großen Ehren in ihrem Haus. Und also lauschte diese selige Schwester seinen Worten und folgte seinem Rat so, dass sie in dieses Kloster kam. Dies Kloster war damals zu bauen begonnen und die ersten Schwestern wohnten noch bei der Brücke in einem kleinen Häuslein. Also lebte sie dreißig Jahre bei diesem Kloster. Nun hatte sie ein einziges Töchterlein, das hatte sie Gott geopfert, doch der Vater hatte es wider ihren Willen der Welt gegeben. Und es kam die Mutter Belis und fünf ihrer Töchter zugleich mit dieser seligen Schwester herein und sie lebten alle tugendhaft und seliglich.

Dieser seligen Schwester war unser Herr gar nahe mit seinem sonderlichen Trost. Sie lag viele Jahre wegen Alter und Krankheit im Siechenhaus und die war doch so fleißig in Gebet und Andacht, dass sie aus Krankheit nie nachließ. Sie hatte auch die elftausend Jungfrauen sonderlich lieb. Und als einmal deren Festtag war, da war sie besonders krank; denn sie war vier Wochen immerfort gelegen. Und an jenem Tag vor der Mette war ihr, als würde zu ihr gesprochen: „Steh auf und geh zur Mette!“ Da ward ihr so wohl, dass die aufstand; und sie nahm zwei große Bücher mit sich, worin sie zur Mette las, die waren ihr ungewöhnlich schwer zu tragen. Und als man das zweite Zeichen zur Mette läutete, da sah die des Chorraums Tür aufgehen und die elftausend Jungfrauen in den Chor treten, je zwei und zwei zusammen, und sie neigten sich zu den Schwestern an jeder Seite des Chores und standen auch vor ihr und neigten sich ihr gar gütlich und trug eine jede eine grüne Palme in der Hand und leuchteten die Blätter wie leuchtende Sterne und ging ein über die Maßen süßer Geruch von den Palmen und der Glanz war so wonniglich und der süße Duft so zart, dass es unsagbar ist. Und so gingen sie im Chore hin und her, bis die Messe aus war, sich freuend mit großer Freude. Und die selige Schwester Beli ward so durchgossen mit Gnade, dass sie ganz zerfloss in reichlichen Tränen, und ihr Herz ward so voll Freuden durch die überströmende Gnade und so süß gesättigt vom göttlichen Geschmack, dass sie durch lange Zeit wenig Speise genoss.


Sie begehrte auch so innig, dass sie ein wenig Erkenntnis gewinne von der heiligen Dreifaltigkeit. Und es geschah einmal, dass es sie dünkte, sie werde auf eine wonniglich schöne Wiese geführt und es tönten darauf so minnigliche als seltsame Weisen und es standen da so zierliche Blumen und glänzten alle zusammen recht wie reines Gold. Und es war da auf der Wiese ein so wonniglich lauterer Brunnen, der war dreifaltig und floß unablässig wieder in den Ursprung zurück und das Wasser war so süß, dass es unsagbar war. Sie wäre gerne dageblieben; da wurde zu ihr gesprochen: „Es soll noch nicht sein; du musst eher viel leiden.“ Und doch verblieb ihr so viel der Süßigkeit, dass sie wohl vier Wochen wenig Speise nahm.

Sie saß einst an einem Freitag vor dem Imbiss im Arbeitshaus, und die Schwestern beteten gar andächtig; da verlangte es sie, dass sie gern gewußt hätte, wie viele Seelen dieses Morgens durch der Schwestern Gebet erlöst wären. Alsbald sah sie vier schöne Lichter, die fuhren zum Fenster hinaus. Und da ward zu ihr gesprochen: „Dies sind vier eurer Schwestern, die heute durch euer Gebet erlöst sind. Aber die Seelen, die alle Tage durch euer Gebet erlöst werden, deren sind eine unzählige Menge.“ Und es kam eine Seele, die rührte sie besonders an und sprach: „Frau, Gott dank' und lohn' euch: ich bin durch euer Gebet erlöst.“ Ihr selig Leben brachte sie zu einem guten Ende. Und als die Zeit kam, da sie sterben sollte, da erschien ihr unser Herr und unsere Frau und versprachen ihr, dass sie nimmer in keine Strafe sollte kommen. Und da versuchte der böse Geist, ob ihm irgend etwas werden möge, und kam zu ihr gar gräulich und schien so lang, dass ihm das Haupt bis an die Stubendecke ging. Sie erschrak gar heftig vor seinem gräulichen Angesicht; doch sprach sie mit kühnen Worten: „Fahr hinweg, fahr hinweg! Du kannst mir nicht schaden!“


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben