Von der seligen Schwester Anna von Klingnau

Wir hatten eine vorzüglich selige Schwester, die hieß Schwester Anna von Klingnau und war so recht ein leuchtendes Licht an hohem Leben, so dass ihre heilige Gegenwart allen Schwestern gemeinsam ein besonderer Trost war. Ihr heiliges Leben fing sie in ihrer Jugend an und hatte großen Fleiß in allen Dingen, durch die sie zum Allerhöchsten gelangen mochte. Sie war ein treuer, vertrauter Freund auserwählter, guter Leute. Sie hütete sich eifrig vor Beschäftigung und Kummer mit vergänglichen Dingen. Andächtiges und emsiges Gebet, Lesen und Lateinlehren und wie sie die Ordensregel andächtig einhielte: um das bekümmerte sie sich fleißig. Sie war auch in ihren jungen Tagen von der göttlichen Liebe so entzündet, dass es ihr so begierlich war, von Gott zu reden, dass sie manchmal im Winter in den Baumgarten ging, und sie saß da so lang und redete mit irgendeiner Schwester, dass ihnen, als sie aufstehen wollten, das Gewand gefroren war.

Später legte ihr unser Herr großes Leiden auf, so dass sie bis an ihren Tod nie gefund ward. Und ob ihr auch in der Krankheit keine Erleichterung ward, so war sie doch fleißig im Chor; und wenn sie nicht liehen konnte, so saß sie in ihrem Stuhl und sang. Sie hatte auch großen Eifer in der gemeinsamen Arbeit, so dass sie auch im Bett fast immer spann und an ihre Kunkel hatte sie diese Worte geschrieben:


Je siecher du bist, je lieber du mir bist.

Je verschmähter du bist, je näher du mir bist.

Je ärmer du bist, je gleicher du mir bist.

Diese Worte sprach sie oft begierlich und sie sagte, dass dies Gott zu einem Menschen spreche. Aber wir glauben bestimmt, dass sie dieser Mensch war.

Die Schwestern sagten auch sämtlich, dass sie emsig geschwiegen und selten ein nichtig Wort geredet habe, sondern Gott gab ihr die Gnade, dass sie so recht dahinfloss von übersüßen Worten; und das war so gut zu hören, dass die Herzen davon in rechte Bewegung kamen; denn ihre Worte flossen aus einem vollen Herzen, wie geschrieben steht: Aus dem Überfließen des Herzens redet der Mund. Und weil die Schwestern zu allen Zeiten Gott bei ihr fanden, so waren sie gar oft bei ihr, jung und alt. Und so etwa eine ein ausgelassenes Wort hereinbrachte, sprach sie: „Ach, nun bist du das Ferkel, durch das Gottes Wort zerstört wird!“

Sie redete auch sonderlich gern von der Heiligen Leben und ihrer Marter und wenn sie irgendwo war, wo man nicht von Gott redete, da wurde es ihr unleidig. So hatte sie die Gewohnheit, dass sie Gottes Wort so schicklich anbrachte, dass andre Rede recht bald zum Schweigen gebracht wurde. Sie war auch eine getreue Nachfolgerin ihres heiligen Vaters Sankt Dominico, besonders in der ausgezeichneten Tugend, dass sie ein treuliches Mitleid mit allen Menschen hatte. Denn das sagten die Schwestern gerne von ihr: wenn sie mit irgendeiner Betrübnis, leiblich oder geistlich, zu ihr kamen, dass sie allzeit getröstet von ihr gingen. Es konnte auch niemand sie so betrüben, dass, wäre derselbe Mensch auf der Stelle zu ihr gekommen um Trost des Leibes oder der Seele, sie nicht so bekümmert mit ihm zusammen gewesen wäre, als ob er ihr nie was getan hatte. Mit folgenden vier Dingen vertrieb sie fast nur ihre Zeit: mit Gebet, dann von Gott reden, dann Lesen der Heiligen Leben und dass sie betrübte Herzen tröstete.

Wie mannigfach ihre heilige Übung war, das können wir nicht in Worte bringen. Denn als wir dies schrieben, war ihr heiliger Leumund so groß, als ob sie erst kürzlich von hinnen geschieden wäre, und war doch schon an achtunddreißig Jahre. Und da wir von ihrem vollkommenen Leben hörten, hätten wir auch gern irgendwelche besondere Offenbarung über die Dinge gewußt, die Gott an ihr getan. Da hörten wir von den Schwestern große Klage, dass sie ihnen bei ihrem Tod nichts sagen wollte; es kam das aus einer besonderen Ursache; denn sie sagte ihnen nur, sie sei versichert, dass sie von Gott nimmer sollte geschieden sein. Doch vernahmen wir dennoch ein wenig, wie sich ihr unser Herr zuweilen bezeigt hat.

Dem Konvent war einmal Schaden geschehen, und sie nahm sich das zu Herzen; und dann ward die betrübt, dass sie sich zu viel darob bekümmert hatte und ging in den Chor und dachte, dass sie gern ihren Beichtvater da gehabt hatte. Und da sah sie unsern Herrn vor sie hintreten, und er war in der Gestalt, wie sie von Veronikas Bild gehört hatte, und sah sie mit einem ernsthaften Gesicht an und sprach: „Nun bin ich doch der, von dem alles abhängt.“ Einst waren die Schwestern in sonderlichen Sorgen. Da sprach sie fröhlich: „Gehabt euch wohl, euch soll nichts geschehen. Mir hat geträumt, wie der allerschönste Herr vor dem Altar stand, und er kehrte sich gegen den Konvent und gab ihm seinen Segen und tröstete mich, dass uns nichts geschehen sollte. Da sprach ich: ,Ach, lieber Herr, wer seid ihr?' Da sprach er: ,Ich heiße Reparator‘, das heißt auf deutsch: ein Wiederbringer.“

Ein gutes Schwesterlein hieß Luki, das kam oft von Klingnau her zu ihr. Und da sie einmal unterwegs war, da kam ein großes, ungestümes Wetter, so dass die Hirten von dem Felde flohen. Und sie rief sogleich unsern Herrn an und mahnte ihn an die Minne, die er zu der seligen Schwester Anna hatte. Und so gingen sie und ein Kind, das mit ihr war, von Bullach bis hieher auf der Straße, ohne dass sie irgend nässer wurden. Da sprach das Kind: „Siehst du nicht, wie stark hat es geregnet und uns ist nichts geschehen?“

Diese Schwester Anna hatte auch die Gewohnheit, dass sie sich täglich unserm Herrn befahl und auf diese drei Weisen: zum ersten in die Minne und in den Frieden, den unser Herr auf die Erde brachte; zum zweiten, wie er Sankt Johannes seiner Mutter befahl, zum dritten, wie er Sankt Peter die Christenheit befahl. Da ward einmal zu ihr gesprochen: ,,Du sollst bitten, so wie die Dreifaltigkeit ein Ding ist, dass du so ein Ding werdest mit uns.“ Es dünkte sie einst, dass ihr Engel sie in das Fegefeuer führte; da hatte sie ob der Strafen, die sie dort sah, so großes Erbarmen mit den Seelen, dass es unsagbar ist. Und der Engel sprach zu ihr: „Nun dünket dich dies großes Leid, und doch, solange du hier bist, verdienest du dir keinen Lohn.“ Und da vergaß sie alles Leides, das da war, darüber, dass ihr um diese Stunde nicht Lohnes werden sollte.

Sie hatte auch die Gewohnheit, dass sie sich immer gern in ihrer Andacht übte, je nachdem die Zeit war. Und einmal, in den Weihnachten, saß sie im Chor und gedachte an unsres Herrn Kindheit und da sah sie das allerminniglichste Kindlein über den Altar gehen und war sein Härlein wie Gold und wenn es auftrat, schüttelten sich seine Löcklein, und es brach ein strahlender Glanz aus seinen Augen, so dass es sie dünkte, der ganze Chor werde erleuchtet. Und sie wäre gern zu ihm gegangen; doch war sie so durchgossen mit Andacht, dass sie vor Überfülle nimmer hingehen konnte. Und da sie in dieser Begierde war, da hob sich das Kindlein auf und ging durch die Luft, in der Höhe, wie der Altar war, und kam zu ihr und setzte sich auf ihr Gewand, das um sie gebreitet lag. Und da sie es in ihrer großen Begier umfangen wollte, da sah sie es nicht mehr.

Es war auch eine gute Klausnerin bei Klingnau, die hieß von Endingen; die hatte sie nie gesehen; und doch gab sie ihr unser Herr geistlich zu erkennen, so dass sie Bruder Berchtold, ihrem Beichtvater, alle Werke jener Klausnerin sagen konnte; und sie sagte ihm, dass sie sie geistlich im Spiegel der Gottheit gesehen habe und dass ihr höchster Lohn werden sollte im Himmelreich. Sie erzählte auch einem gar guten, heiligen Menschen, dem sie sonderlich vertraut war, Schwester Willi von Konstanz, dass die zuweilen ins Innerste verzückt wurde; und wenn man ein Heerhorn neben ihren Ohren geblasen hatte, sie hätte es nicht gehört. Da bedenke ein jeder Mensch, wie fern sie aus allen leiblichen Sinnen gezogen und in die grundlose Gottheit gesenkt sein musste! Da sie solche Wunder schaute, die man mit keinen Worten aussprechen kann, mochte sie wohl mit dem seligen Sankt Paulo sprechen: „Ob ich in dem Leib war oder nicht, das weiß ich nicht: Gott weiß es wohl.“

Als nun die Zeit kam, wo Gott ihre Seele zu stetem, ewigem Bleiben dorthin versetzen wollte, wo sie so oft mit herzlicher Begierde geweilt hatte, da gab er ihr einen gar strengen Tod. Nun wollte er sie seinem eingebornen Sohn verähnlichen und entzog ihr auch seinen inwendigen Trost. Und sie mahnte unsern Herrn gar oft an sein Leiden. Da sprach eine Schwester zu ihr: „Schwester Anna, du gemahnst unsern Herrn so oft an sein Leiden; und die Schwestern wähnen, es sei aus Ungeduld.“ Da sprach sie: „O weh, es ist mir so weh, dass mich dünkt, als ob mich in jeglichem Glied tausend Messer schnitten.“ Da sprach jene: „Gedenkst du nicht, wie du Gott oft gebeten hast, dass er dir bei deinem Tod das Leiden zu empfinden gebe, das er bei seinem Tod hatte?“ Da schwieg sie. Und über eine Weile kehrte sie sich recht mutig um und sprach: „Omnis spiritus laudet dominum,“ und lag dann gar sanft, bis sie verschied.

Nun hatte die selige Schwester Elli von Elgau, die Laienschwester, sie gebeten, dass sie nach ihrem Tode sie wissen ließe, wie es um sie stünde. Und da sie sieben Tage hernach auf der Kemenate nach ihrer Gewohnheit betete, da kam ein so herrliches Licht über sie, dass sie dünkte: hätte sie es angesehen, es wäre ihr Tod gewesen, und sie floh schnell zu ihrem Bett. Es lag auch einst eine Schwester in starkem Fieber; und mit großem Glauben trank sie aus ihrem Totenschädel und ward ihres Fiebers alsbald geheilt.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben