Von der seligen Schwester Adelheid von Lindau

Wir hatten auch eine selige Laienschwester, sie hieß Adelheid von Lindau und war wohl hundert Jahre alt, als sie starb, und war schon gänzlich erblindet und lag wohl drei Jahre vor ihrem Tod in solcher Geduldigkeit zu Bett, dass ihre Pflegerin von ihr sagte, sie habe sie nicht ein einziges Mal ungeduldig gesehen; und sie betete so gar emsiglich, dass ihre Pflegerin sie beinahe immer betend fand, Tag und Nacht, und war so fröhlich, dass sie oft wohlgemut hübsche Liedlein von unserem Herrn sang. Etwann redete sie auch so gar minniglich mit Gott, als wenn er in Gegenwärtigkeit vor ihr säße. Etwann sprach sie:

„Ach, lieber Herr, du bist mein Vater und mein Mutter


und mein Schwester und mein Bruder;

ach Herr, du bist mir alles, das ich will,

und dein Mutter ist mein Gespiel.“

Unser Herr war ihr auch gar vertraulich mit seinen besonderen Gnaden, so dass sie selber erzählte, dass sie etwann unsern Herrn und die Heiligen sähe. Besonders einmal sah sie gar fröhlich aus, als ihre Dienerin nach der Mette zu ihr kam, so dass es diese Wunder nahm, was ihr geschehen wäre, und sie darum fragte. Da sprach sie gar wohlgemut: „Was sollte mir mehr sein? Unser Herr und unsere Frau waren bei mir und haben mich getröstet, dass ich nimmer von ihnen scheiden soll.“

Eine andre Schwester lag auch einst bei ihr in demselben Siechenhaus, wo sie lag; sie hörte, dass sie einmal mit lauter Stimme rief und sprach: „Ist jemand hier, der stehe schnell auf! Unser Herr und unsere Frau und alles himmlische Heer sind hie gegenwärtig!“ Dies musste sie mit geistlichen Augen sehen, denn sie sah mit den leiblichen ja nicht.

Sie lehrte auch zu einem Male eine andre Laienschwester die Antiphone Ave Stella matutina und sprach dabei zu ihr: „Nun lern sie desto lieber, denn unsere Frau hat sie mich selber gelehrt.“ Und dies sollen wir billig glauben; denn sie tat auch sonderlich zu unserer Frauen, der milden Königin, manch großes und andächtiges Gebet. Danach, als unser Herr sie ihres getreuen, langen Dienstes mit sich selber lohnen wollte und sie mit einem heiligen Ende aus diesem Elend geschieden war, da erschien sie einer Schwester im Schlaf und sprach mit einer fröhlichen Stimme den Vers: „Quam magna multitudo dulcedinis tue, domine!“ O Herr, wie ist die Mannigfaltigkeit deiner Süßigkeit so groß, die du hast vorbehalten denen, die dich fürchten! Da sprach die Schwester zu ihr: „Verstehst du auch, was das bedeutet?“ Da sprach sie begierlich: „Ja, denn ich bin da, wo ich das alles erfahren habe.“

Dahin helf uns Gott allen! Amen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben