Schwester Sophie von Neitstein

Sie hatte eine Bruderstochter, die hieß Sophie von Neitstein, die starb vor ihr und war um vierundzwanzig Jahre und war ein unüberwundener Mensch. Als die nun auf dem Totenbett lag, da ward sie verzückt. Wie sie wieder zu sich selber kam, sprach die: „Ich bin in jener Welt gewesen, und habe gesehen und gehört — sollt ich noch fünfhundert Jahr leben, ich könnte es nie zu Ende sagen, was ich weiß. Weil ich mich nun zum Sterben rüste, will ich etwas davon sagen.“ Da hub sie einen Gesang an, den verstund niemand, nur das letzte Wort, das hieß „Maria“, und dann sprach sie: „Ich bin inne worden, dass ich der erlösten Menschen einer bin; das wusste ich vorher nicht.“ Danach starb die, den zweiten Tag darauf. Als die den letzten Atemzug tat, da hub die an das „Salve regina: Gegrüßt seist du, Königin“, und sang es mit einer süßen Stimme. Als sie nun tot war, kam sie einer verlässlichen Schwester herwider. Der sagte sie: als die das „Salve regina“ angehoben hatte, ging unsere Fraue Maria herein in einem violfarbenen Mantel, und es gingen mit ihr Sankt Agnes und viele Jungfrauen. Da hob unsere Frau den Mantel gegen die Feinde, da flohen die alle hinweg. Diese Gnade hatte die durch einen Psalter verdient, den sie an einem Tag stehend gelesen hatte; hiebei war sie dreimal dazwischen niedergefallen, weil sie den Tod in sich hatte. Und sie starb den achten Tag danach, an unserer Frauen Maria Tag.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben