Schwester Reichgart

Eine Schwester hieß Reichgart und war der Stifterin Schwester und kam zu unterer Gesellschaft. Sie war eine schwarze Nonne (Benediktinerin) und konnte große Künste. Als sie nun in unser Kloster kam, da unterwand sie sich des Chores mit großem Fleiße und ging dreißig Jahre emsiglich zum Chor, so dass sie nie einen ganzen Tag versäumte. Und war auch die dreißig Jahre ohne Fleisch und kam selten in ein Bad und fastete emsiglich und wachte alle Nacht nach der Mette und sprach nicht mehr denn drei Ave Maria von großer Andacht wegen. Das erste Ave Maria, das sprach sie dem Kloster und allen guten Leuten, das andere Ave Maria allen Sündern, das dritte Ave Maria den Seelen im Fegefeuer. Sie war ein gerechter Mensch in ihrem ganzen Leben, und unser Herr tat ihr nie eine besondere Gnade bis zur Zeit, da ihr Leben ein Ende nehmen wollte. Da lag sie nach einer Mette in einer langen Venie vor dem Altar im Chorraum. Da kam unsere Frau gegangen und führte ihren Sohn Jesum Christum an ihrer Hand; und er war wie ein Kind um zehn Jahre und sprach zu ihr: „Richte dich auf, du geminnte Reichgart!“ Und als sie sich nun aufgerichtet, griff ihr unser Herr an das Kinn und sprach: „Die Zeit ist kommen, bereite dich; dein Bruder und deine Schwester harren dein mit großer Begierde. Du bist geladen zum ewigen Gastmahl, da will ich dir all das lohnen, darin du mir gedient hast.“ An derselben Stelle kam sie der Tod an und die starb eines heiligen Todes. Wenig Tage danach kam sie wieder und sprach, die wäre nicht ohne Aufenthalt zum Himmel gefahren, ihr Fegefeuer wäre auf einer grünen Wiese gewesen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben