Schwester Margret Willin

Der milde Gott, der seine Güte mannigfaltiglich darin bezeiget, dass er seine Gnade niemandem versagen kann, der die mit rechtem Ernst sucht hat das sonderlich an einer unterer Schwestern bewiesen, die hieß Schwester Margret Willin und war in ihren jungen Tagen von so erleuchtetem und ernsthaftem Leben, dass man sprach, keine im Kloster wäre ihr gleich. Und als die noch bei guter Jugend war, gab ihr unter Herr die Gnade, dass die ihr bisheriges Leben allzumal verschmähte und sich gänzlich zu Gott kehrte; und das geschah in so kurzer Zeit, dass die Schwestern in Verwunderung darüber gerieten, und fing ein so strenges Leben an, dass keine im Kloster ihr zu gleichen vermochte.

Ihr genügte nicht die Strenge der Ordensregel, die sie fleißig einhielt: die plagte sich noch viel gewaltiger, so dass wir gar nicht alles in Worte bringen können. Aller Gesellschaft gab die einen freiwilligen Abschied. Des Redefensters und aller auswärtigen Menschen achtete die nicht und sogar gegen ihren eigenen Bruder, den die in unserm Orden hatte, hielt die sich fremd. Sie schwieg fast allwegen, so dass die kaum ein Wort redete. Sie hatte ein Kopfkissen aus Weidengeflecht und eine harte Reisighürde mit einer alten Decke zum Lager. Und so viel Steine, als man zu einem Estrich auflegt, waren ihr Bett, worauf sie ruhte. Sie trug ein härenes Hemd mit gräulichen Knöpfen und eine starke eiserne Kette um ihren Leib. Sie nahm zwischen Tag und Nacht drei Bußübungen vor mit einer Geißel, die sie dazu gemacht hatte. Sie aß wenig Speise und trank selten Wein; so sie aber etwa Wein trank, den vermischte sie, so dass er wenig Kraft hatte. Sie wachte auch so emsiglich, dass man schätzte, sie schliefe kaum eine Vigilie lang.


Und einstmals, da hatte sie ein Gesicht, in dem ihr dünkte, unser Herr werde durch das Schlafgemach geschleppt, so wie ihm die Juden getan, da er gefangen wurde. Und dies war ein so jammervolles Gesicht, dass es ihr so tief zu Herzen ging, dass sie um diese Stunde nie mehr schlafen wollte, und wenn man zu Abend sang, ging sie zu Bett und stand dann aus dem ersten Schlaf auf, wenn etliche Schwestern sich noch nicht niedergelegt hatten, und betete dann im Schlafgemach, bis man den Kirchenchor aufschloss und blieb dann nach der Mette für sich in dem Chor. Und wenn es kalt war, nahm sie ihre Bettdecke um sich und ging nicht aus dem Chor. Manchmal setzte sie des Mantels Kapuze auf und legte den Schleier darüber und also ging sie oft den ganzen Tag fast immer verhangen bis auf die Augen. Ein einziges Mal war sie vor der Primzeit (Morgenandacht) zu Bett gegangen, und da es zur Prim ward, da stand unser Herr vor ihr und sprach: „Zu dieser Zeit stand ich vor Gericht; und du liegst hier und schläfst.“ Wenn man zur Arbeit läutete, so ging sie schnell in das Werkhaus und spann dann fleißig; und was dann immer geschehen mochte, sie kehrte ihre Augen nicht danach; und es rannen ihr vor großer Andacht die Tränen recht reichlich über ihre Wangen. Und gleich, wenn sie die Glocken hörte, ging sie geschwind wieder in den Chor. Im Sommer nach dem Tischsegen warf sie sich vor jedem Bild im Chor zu Boden, legte sich dann auf ihr Reisigbett und ruhte bis zur Non. Sie übte sich auch darin, dass sie zu keinem Fenster hinaussah. Zuweilen versuchten sie die jungen Schwestern und taten, als ob sie was Wunders sahen, doch kehrte sie nie ihre Augen dahin.

Dieses strenge Leben übte sie ohne den besonderen Trost, dass sie sich etwa selber ein Ziel gesetzt und gedacht hatte: „Halt nur noch bis morgen aus!“ Wenn man sie manchmal um ihres harten Lebens willen schalt, so sprach sie: „Ich muss es tun; denn ließe ich irgend etwas aus, so würde ich bald nachlassen.“ Da sie nun nicht leiblichen Trost hatte, tröstete sie unser Herr doch oft süß mit ihm selbst und sonderlich mit seiner lieblichen Gegenwart, da er ja in dem Chor stets bei uns ist als Gott und Mensch. Darum war es ihre Gewohnheit, im Chor zu bleiben, außer sie sollte im Kloster sein.

Einmal vernahm sie, dass man unsern Herrn in die Kirche übertragen wollte, damit er allzeit dort sein sollte. Da wurde ihre Klage und ihr Jammer so groß, dass sie tat, als wollt ihr das Herz im Leibe brechen und die Schwestern ob ihrer großen Klage herzlich weinen mussten. Sie hatte auch eine besondere Andacht zu einem Bild, wo unser Herr vor Gericht stand; und da bat sie ihn denn gar inniglich, dass sie beim jüngsten Gericht gnädig gerichtet würde. Und da sie einst in diesem Gebet war, wurde ihr von Gott gar gütig geantwortet: „Du bist jetzt gerichtet, wie du gerichtet werden sollst.“

Sie betete auch gewöhnlich in der Kapelle vor unserer Frauen Bild, da die drei Könige stehen. Und als sie da einst gar andächtig betete, da tröstete sie unsere Frau gar süß und sprach minniglich zu ihr: „Mein Kind, du sollst wissen, dass du von mir nimmer geschieden sollst werden.“

Man hatte einst einer kranken Schwester unsern Herrn gegeben. Da gab ihn diese mit andern greulichen Dingen von sich; und da bewies sie ihres Herzens Begierde, indem sie es so behende austrank, als wäre es der beste Klävner Wein gewesen.

Ihr strenges und heiliges Leben brachte sie an ihr Ende. Und da die Zeit kam, dass unser Herr sie zu sich nehmen wollte und man ihr unerschrocken sagte, dass sie sterben müsse, da lachte sie gütlich, schlug an ihr Herz und sprach wohlgemut: „Das ist das herrlichste Leben, das je war!“ Und also schied sie seliglich von dieser Welt. In der selben Nacht, da war es einem auswärtigen Menschen, der von ihren Übungen nichts wusste, im Traume, als fahre sie auf einem Reisigbett auf dem lautersten Wasser von hinnen; und es ist zu glauben, dass ihre Seele geradewegs zu Gott fuhr.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben