Schwester Kunigunt von Eystet

Eine Schwester hatten wir, die hieß Kunigunt von Eystet, und die war der Stifterin Enkelkind. Die ging nach einer Mette aus dem Chor, als es sagte; da hörte die den Kaplan Messe lesen. Sie stand bei der Tür, wo die steinerne Stiege in die Kirche geht, und sah zur Stelle, wo jetzt unsere Küche steht. Da stand eine große, schöne Linde; die hatte alle ihre Blätter in Morgensterne verwandelt, die waren zu unterst am größten und allerschönsten. Das währte so bis an die Mitte; dort verwandelten sich die Sterne und wurden hinaufzu je höher desto kleiner. Und wo es in den Wipfel überging, da wurden die umwindend wie der Mond, der abnimmt. Sie hingen alle in ihrer eigenen Kraft, und wenn je einer verschwand, so kam ein andrer an seiner Stelle. Als die natürliche Sonne aufging, warf sie ihren Schein in die Sterne; da ward ein so schöner Glast, dass es über alle Menschlichen Sinne ging. Nun ließ sie des Kaplans Messe fahren und ging unter den Baum; da sah sie auf den untersten Ästen zwei Vögel, die waren so groß wie die welschen Tauben und hatten auch deren Gestalt und waren so lauter wie ein Spiegelglas und gleich einem klaren Edelstein, darinnen man sich erblickt. Dieses Gesicht währte, bis man das zweite Zeichen zur Prim läutete; da verschwanden die Sterne und gewann der Baum seine natürlichen Blätter wieder. Nun ging sie zur Prim und konnte dieses großen Gesichtes nicht vergessen. Als die stille Messe kam, sprach eine Stimme zu ihr: „Wüsstest du etwa gern, was dieses Gesicht bedeutet?“ Da sprach sie: „Ja, ich wüßt' es gar gern.“ „Es bedeutet dies, dass am ersten Anfang dieses Klosters die heiligsten Leute waren und die gnadenreichsten, die man finden konnte. Unser Herre, der weiß alle Dinge in seiner Voraussichtigkeit; wenn dies Kloster an großer göttlicher Gnade seine Mitte erreicht, so wird die Gnade gemindert, aber die verschwindet nicht. Es will unser Herre allweg jemand hier herinnen haben, an dem er besondere Gnade tun will, so lange das Kloster steht. Die will er selber hier versammeln, denen er seine Gnaden gibt. Und dessen hab ein Wahrzeichen, damit du meinen Worten glaubest: die zwei Vögel, die du gesehen hast, die bedeuten, dass die zwei heiligsten Menschen, die das Kloster hat in kurzem von euch fahren werden.“ Es dauerte nicht länger als bis nach der Messe; als sie da zur Arbeit gehen wollte, sagte man ihr, Alheit von Igelstat wolle sterben. Und ihre Dienerin, die auch ein heiliger Mensch war, starb auch kurz nach ihr.

Nun will ich euch kundtun von dieser heiligen Alheiden von Igelstat, wie ihr Leben war. Sie kam zu uns und war vorher eine Begine gewesen; nun hielt sie ihre Ordensregel so streng in allen Dingen und sonderlich im Schweigen, dass sie ihr Schweigen an keiner verbotenen Stätte je brach, und wenn sie so im Chore stand, so merkte man ihr wohl an, dass sie dann immer nur sprach: „Jesus Christus, Jesus Christus.“ Wenn sie bei den Leuten war, so war sie mit ihnen so minniglich, dass alle durch sie gebessert wurden, die bei ihr waren. Da verhängte der Herr über sie, dass man sie bezichtigte, sie gehöre zu den Aussätzigen, und dass man sie vom Konvent absonderte. Da sprach unser Herr zu ihr: „Sei nicht betrübt, dass man dich von den Leuten sondert! Ich will selber dein Hauswirt sein.“ Das vollbrachte er auch an ihr. Sie nahm sich des allerheiligsten Lebens an, wie es von wenig Menschen je gesehen ward. Sie aß weiter nichts als Erbsenwasser und nahm alle Tage eine Bußübung vor und wachte alle Nacht vor der Mette. Als man dann zu ihr sprach, warum sie vor der Mette wachte und nicht hernach, sprach die: „Dann hat er vor der Mette niemand, der ihm dient; hernach aber hat er ihrer viel.“ Als sie nun unserm Herrn ziemlich viel Jahre in so heiligem Leben gelebt hatte, da erschien ihr unser Herr selber und tat ihr kund, er wolle sie in die ewige Freude nehmen. Nun hatte sie eine Gespielin, die hieß Mehthilt Krumpsitin; der erschien unser Herr auch zur selben Nacht und sprach zu ihr: „Ich will deine Freundin zu mir nehmen.“ Als sie des Morgens zueinander kamen, taten die es beide einander kund. Da sprach Alheit zu Mehthilden: „Es scheint wohl, dass du eine lautere Seele hast; er hat mit dir gerade so geredet wie mit mir.“


Eines Nachts lasen beide die Mette miteinander; da lasen sie so andächtig, dass sie nimmer aufsahen. Da kehrte sich Alheit um und sah Mehthilden gar ernst: an. Das war dieser ganz ungewöhnlich. Des Morgens fragte sie sie: „Warum hast du mich nachts so ernst angesehen? Da sprach sie: „Damals empfand ich unseres Herrn Gegenwart wirklich und es däuchte mich, er täte dir gütlicher denn mir; darum konnte ich mich nicht enthalten, dich so ernst: anzusehen.“

Als diese Alheit an ihren Tod kam, sprach sie: „Ich liege recht wie in einem kühlen Tau.“ Und redete die allerzartesten Worte und die süßesten, so dass alle Herzen, die zu ihr kamen, durch sie brennend wurden. Nun hieß sie ihre Gespielin heimlich zu sich kommen und dankte ihr mit großer Andacht „alles des Dienstes, den du mir je getan hast: und dass du mich nie verschmäht hast in meinem Leiden und dass du mir so minniglich gedient hast. Nun sollst du mir sagen, was du von Gott begehrst; denn er hat mir die Gabe geben: was ich ihn bitt' bei meinem Tod, das will er mir gewähren.“ Da sprach sie hinwider: „So begehr ich anders nicht, als dass du ihn bittest, dass ich ein vollkommener Mensch werde.“ Da sprach jene hinwider: „Ich tu dir das kund, dass du nicht hier stirbst: Du wirst nach Aurach zu einer Priorin erwählt und dort wirst du begraben.

Nun will ich euch kundtun von dieser Mehthilden Krumpsitin.

Da sie im vierzehnten Jahre war, lag sie vor einem Altar und zwang ihre Sinne so sehr, dass ihr das Blut zum Munde, zur Nase und zu den Ohren herausdrang. Und sie sprach, dass sie fürder nimmermehr weniger nach Gott als nach einer Arbeit trachten wolle. Das bezeigte sie auch: wenn sie den ganzen Tag beim Werke saß, so spann sie doch gar wenig. Wenn sie dann des Nachts ein kleines Schläfchen getan, so stand sie auf und trachtete immer mehr nach unserm Herrn. Sie war ein gerechter Mensch; darum litt sie viel. Sie war in ihrem ganzen Leben recht wie eine Leuchte. Als sie unsere Priorin war, da gewannen auch die Außenleute so große Liebe zu ihrem heiligen Leben und zu dem Wandel, den sie hatte. Sie vollbrachte das mit großem Ernst.

Da nun die Zeit kam, dass unser Herr sein Werk vollbringen wollte, wie er zuvor geoffenbart hatte, ward sie nach Aurach gewählt. Als sie nun dahin kam, konnte sie die große Andacht in ihrem Herzen nicht stillen. Sie war eines Nachts vor ihrem Bette im Gebet; da kam sie von sich. Da kam eine Laienschwester, die war ihre Gastmeisterin, dreimal zu ihr und sprach, dass sie zu den Gästen hinabgehen solle. Doch sie besann sich nicht auf diese Welt vor göttlichen Gnaden. Da ging die Laienschwester hinunter und sprach von der Priorin: „Sie ist unter den Augen rot wie eine Rose; sie mag wohl Wein getrunken haben.“ Dieser Rede ward die Priorin im Geist inne und sandte des Morgens nach ihrer leiblichen Schwester und sprach zu ihr: „Ihr sollt meine Wahrheit vernehmen; wenn ich bei meinem Gebet und nicht wohl bei Sinnen wäre, so sollt ihr das Amt für mich tun. Es hat sich nächtens die Laienschwester an mir verfehlt, die da übel von mir geredet hat. Merket diesen Tag! von heut über ein Jahr geht sie aus diesem Orden und kommt nimmermehr darein.“

Als diese Frau ihr Leben löblich vollbracht hatte, denn die war eine Minnerin des Ordens und aller Gerechtigkeit, da erschien ihr unser Herre und gelobte ihr, er wolle sie von hinnen nehmen in die ewigen Freuden. Da sandte sie nach ihren leiblichen Schwestern und tat ihnen das kund. Da weinten sie gar sehr und baten sie, dass die unsern Herrn bitte, er möge sie länger hier lassen. Da sprach sie hingegen: „Das will ich nicht tun. Mein Herz hat so großes Sehnen nach ihm, ich mag sein nicht länger entbehren.“ Kurz darauf kam sie der Tod an. Als die nun mit der letzten Wegzehrung versehen war, sprach sie zu ihren Schwestern: „Mir ist nirgends weh. Ließ ich es nicht wegen der Leute, ich ginge, wohin ich wollte. Sperret die Kammer zu, so will ich es euch sehen lassen.“ Und sie stand auf und ging so leichtlich, wie die je getan hatte.

Als ihre heilige Seele von ihrem Leib scheiden wollte, da sah eine Schwester im Geist, dass ihre Seele allen Gliedern dankte, jeglichem einzeln, dass die Gott so wohl gedient hatten.

Es war ein Kind in einem Dorf zu Entenberg, welches viel künftige Dinge sagte; das war bei einer Begine. Es sprach: „Muhme, ich habe den Himmel offen gesehen und wie die Priorin von Aurach jetzt und in den Himmel gefahren ist.“ Da sprach jene dagegen: „Du hast wohl nicht recht.“ Da sprach das Kind: „Nun geh hin und besieh es!“ Das tat die Frau und erfuhr: sie war zu derselben Zeit gestorben, als das Kind gesprochen hatte.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben