Schwester Kunigund von Vilsek

Eine Schwester hieß Kunigund von Vilsek und war des Kaplans Ulschalks Tochter und war eine getreue Dienerin Gottes, wohl achtzig Jahre, und war eine rechtschaffene Frau, und sie hat der Papst selber geehrt. Nun hätte der Konvent sie gern zu einer Priorin genommen, und die klagten oft und sprachen: „O weh, dass dich Gott nicht gesund werden läßt, dass du um recht nützlich wärst im Amte.“ Da sprach sie: „Ich will eher siech sein bis an mein Ende, ehe ich Priorin sein wollte.“ Dies Verlangen sah unser Herr an und ließ sie allweg siech sein. Nun hatte sie eine heilige Gespielin, die diente ihr gar minniglich. Als diese starb, da empfahl man sie einer Magd, die war gar hart zu ihr. Eines Tages hatte sie sie ohne Essen lassen, so dass ihr all ihre Kraft vergangen war. Da kamen zwei Engel gegangen in zweier schöner Jünglinge Gestalt und hatten durchsichtig weiße Gewänder an und trug der eine ein Tischtuch um seinen Hals und eine große, schöne Schüssel mit Fischen und ein schönes Brot. Der andre trug ein Kännlein mit gutem Wein und half ihr sich aufrichten und bereitete ihr das Tischlein; und dann legten sie sie wieder nieder und verschwanden. Da kam die Magd mit großer Härtigkeit und sprach: „Richtet euch auf und esset.“ Da sprach sie: „Ich hab' genug gegessen.“ Das wollte sie ihr nicht glauben. Nun lag eine Laienschwester im nächsten Bett, die hieß Elisabet, und die sprach: „Laß sie in Ruhe, denn sie hat gegessen.“ Weil sie es wohl gesehen und gehört hatte. Da ließ die Magd davon.

Diese sogenannte Elisa, die war der gehorsamsten Menschen einer, die je ins Kloster kamen; wie schwer ihr auch ein Ding war, das man sie tun hieß, so tat sie es ohne alle Widerrede.


Einmal war sie nach einer Christmette im Refektorium bei ihrem Gebet. Da lief ein ganz kleines Kindlein um sie herum. Da sprach sie: „Liebes Kind, hast du eine Mutter?“ Da sprach's: „Ja.“ „Hast du einen Vater?“ Da sprach's: „Ja, mein Vater, der ist ewig.“ Da sprach sie: „So bist du unser Herre Jesus Christus.“ Da verschwand es.

Zu einem andern Mal stand sie in der Kapelle, und da kam unser Herre und trug ein grünes Kränzlein in der Hand. Da bat sie ihn um das Kränzlein. Da sprach er: „Ich geh' es dir jetzund nicht. Hernach, so geb' ich dir's.“

Am Ostertag nach der Mette ist's Gewohnheit, dass viele Schwestern im Kreuzgang beten. Da neigte sie sich in der Fensternische, wo unseres Herrn Gericht drin steht. Da ward sie verzückt und sah unsern Herrn auf einem Thron sitzen in seiner Majestät und die Zwölfboten bei ihm und alle Welt unter ihm und ging ein glänzender Schein von seinem Antlitz, der war so klar, als wenn tausend Sonnen von ihm schienen; und stund der Himmel offen über ihm und kam je über eine Weile eine große Schar Engel und die Heiligen. Als sie dann wieder zu sich selber kam, da sah sie, daß der Kreuzgang voller Kindlein war, die liefen und klatschten in die Hände vor Freuden über die Auferstehung unseres Herrn und sprachen: „Gebt uns auch, gebt uns auch!“ Sie hielt dafür, es wären Seelen, und sie meinten die Frauen, die da den Psalter lasen. Dann hörte sie drei Tage die Engel singen.

An einem Tag wurde sie mit göttlichen Gnaden übergossen, und als sie zu ihrem Bett hingehen wollte, da wurde sie zu Boden geschlagen wie ein Mensch, dessen Leben jetzund enden will. Da lag sie lang danieder, so dass die Frauen wähnten, sie werde sterben. Ihr erschien Sankt Martin in eines Bischofs Gestalt und sprach zu ihr: „Man soll mir meine Mette nicht abbrechen.“

Eines Tages vor ihrem Tode war sie abermals in der Kapelle. Da erschien ihr unser Herre, wie er war um zehn Jahre, und trug einen Kranz in der Hand und setzte ihn jeder der Frauen, die in der Kapelle waren, auf und nahm ihn wieder; und zulegt setzte er ihn ihr auf und ließ ihn ihr. Da verstand sie wohl, dass er sie von dieser Welt wollte nehmen. Sechs Tage vor ihrem Tode, da hörte eine Schwester das allersüßeste Saitenspiel, das je gehört ward, außen an dem Fensterlein, wo sie nach Komplet lag. Und als das lange gewährt hatte, bis tief in die Nacht, da kehrte es sich gegen das Kaplanhaus zu; dort wahrte das Saitenspiel auch so lang. Und es starb Herr Friderich, Kaplan, über zehn Wochen danach.

Dieser heilige Kaplan war ein göttlicher Mann in all seinem Tun. Wenn er bei den Leuten weilte, so war er so minnesam, dass es alle wundernahm; und wenn er dann in seinem Gebet war, so entflammte er so heiß, dass es alles Maß überstieg. Er war mit allen Tugenden geziert. Als es nun dazu kam, dass ihm unser Herr seine Arbeit lohnen wollte, da dankte er unserm Herrn mit großem Fleiß und sprach: „Herre, sei mir gnädig und gedenk daran, dass mir seit meinen kindlichen Tagen alle deine Werke Wohlgefallen haben.“ Da kam sein Geselle, Herr Heinrich, der Kaplan, mit großer Klage zu ihm und sprach: „Geminnter Vater und getreuer Bruder, ich danke euch für all die Treue, die ihr mir je erzeigt habt; und ihr sollt mir vergeben, wofern ihr von mir betrübt worden seid.“ Da sprach er: „Ich bin nie von euch betrübt worden. Daß ihr manchmal hart zu mir wart, das verdiente ich wohl; denn ich merkte wohl, dass euch Gott gütlicher tat und dass ihr mir das verhehltet.“ „Dies habe ich aus keiner Unminne getan.“ „Ich fürchte, ihr ärgert euch meines Lebens.“ Da sprach er: „Dessen hab' ich mich nie geärgert; ich bin allweg durch euch gebessert worden.“ Sie erzählten beide, dass sie vierzig Jahre beieinander gewesen waren und dass sie keine Unminne oder Trübsal je über Nacht gegeneinander behalten hätten.

Die Nacht, bevor er starb, sah eine bewährte Schwester in einem geistlichen Gesicht, dass die allerwonniglichste Frau, die je gesehen ward, hereinkam und eine große, prächtige Schar mit sich brachte; und sie stellte sich an die Stätte, wo er begraben wurde. Sie hielt dafür, es wäre unsere Frau, die hochgelobte Mutter unseres Herrn, mit dem himmlischen Heer.

Diese Schwester sah in der Nacht, da er sterben wollte, unsern Herrn und unsere Frau über ihm, mit dem himmlischen Heer, wie sie es zuvor gesehen hatte. Da sah eine andere Schwester in einem geistlichen Gesicht, dass die Heiligen kamen und Bündlein in der Hand trugen. Da wurde ihr zu verstehen gegeben, es wäre der große Dienst, den er den Heiligen getan hatte, dafür er nun ewigen Lohn haben sollte.

Es erfuhren drei Menschen, dass er ohne alle Vermittlung in die ewigen Freuden gefahren wäre.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben