Schwester Kungund

Sie hatte eine Schwester, die hieß Kungund, die führte ein gar hartes Leben. Und als sie nun an ihren Gliedern lahm wurde, so musste je wer bei ihr stehen, der ihr die Geißelung gab. Wie die aber gesund war und Unterpriorin wurde, da minnte sie die Gerechtigkeit so sehr, dass sie nichts leiden mochte, was wider Gott war und wider den Orden. Da litt sie viel durch harte Worte und schwere Worte. Als dann ihre Freunde sprachen, sie solle es doch etwas gehen lassen, da lachte sie gar minniglich und sprach: „Mir ist recht, wie wenn eine Mauer vor meinem Herzen sei. Und tat man es einem andern Menschen, es täte mir übler, als es mir bei mir selbst tut.“

Als sie nun vor ihrem Tode ihrer Krankheit wegen in einem besonderen Gemach war, brachte man ihr eines Tages vom Konvent einen gesulzten Fisch. Da sie ihn aß, hatte die gern noch mehr gegessen; da kamen ihr durch die Gnade Gottes die allerschönsten Fische in ihre Schüssel, so dass sie ihr Verlangen wohl stillen konnte. Des dankte sie Gott und aß die Fische mit Freuden.


Als die Zeit kam, wo Gott ihrer Mühsal ein Ende geben wollte, da sprach sie: „Weh, wie weh mir ist!“ Da antwortete ihr eine laute göttliche Stimme: „Weh ist ein gut Wort, Weh ist ein süßes Wort, Weh ist ein gnadenreiches Wort.“ Da war ihr viel weh, und sie forderte unseres Herrn Leib. Als nun der Priester kam und ihr unteren Herrn geben wollte — es war der Konvent dabei gegenwärtig, — da sprach sie mit lauter Stimme und mit fröhlichem Antlitz: „Herr, er ist selber hie gewesen und hat mir sein minnigliches Antlitz gezeigt und hat mir große Freude gegeben und großen Trost getan. Doch will ich seinen heiligen Leichnam gern nehmen.“ Danach verschied sie mit einem heiligen Ende.

Diese zwei Schwestern hatten eine heilige Mutter, die ein über die Maßen heiliges Leben führte und den Orden so stenge einhielt, als nur ein Mensch tun soll. Sie ging emsiglich zu Chor und schwieg allweg von Tisch an bis zur Abendandacht und nahm alle Tage eine Disziplin und lebte dreißig Jahre ohne Fleisch. Als die Zeit kam, wo sie unser Herr von hinnen nehmen wollte, da tat er ihr ihren Tod kund. Er hielt ihn aber noch etliche Wochen auf; da verlangte sie so sehr nach dem Himmelreich, dass sie sprach; „Wie lang das doch ist!“ Wie dann die Zeit kam und ihr christliches Recht geschah, da setzte die sich in ihrem Bett auf, und es ging ihre Seele aus. Nach ihrem Tod kam sie wieder her und sprach, sie wäre dreißig Tage von Gott getrennt gewesen „darum, weil ich ertrug, dass man mich Fraue hieß, und weil ich betrübt wurde, wenn meine Verwandten redeten, dass es mein Wille war, wenn man mich ehrte. Ich wäre sonst ohne Unterlass gen Himmel gefahren.“ Als man ihr Grab aufgrub und einen andern Toten zu ihr legen wollte, da fand man einen Brunnen voll Öl; das sahen alle wohl, die da zum Grabe hingingen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben