Orden und Ämter

Die Dominikaner waren wie die Franziskaner ein Prediger- und Bettelorden. Doch während diese vornehmlich als Volksprediger durch die praktische christliche Willensethik wirkten, suchten die Jünger des heiligen Dominikus jene Seelensphäre zu durchdringen und durchklären, in der sie die oberste und edelste aller Gemütskräfte erblickten: die Erkenntnis; tatsächlich auch der einzige Weg, auf dem sich der nicht mehr naive, der seiner selbst, der Welt und der Tragik beider bewußt gewordene Mensch seines Lebens zu bemächtigen vermag, indem er seinen blinden Willen in jenen höchsten Zweck und Sinn einspannt, den die sehende Vernunft erkennt und gebietet. Und gerade damals begann die Naivität des Lebens in weiten Kreisen zu wanken, der ruhig abgeschlossene romanische Dom des festgeglaubten Kirchendogmas löste sich in gotische Unruhe und Sehnsucht auf und suchte in zahllosen Einzelseelen und -strebungen den Himmel und seine Gottgewissheit zu stürmen. Die vielen Sektenbildungen Waldenser, Katharer, Brüder vom freien Geiste u. a. — geben davon Zeugnis. Aber auch im einzelnen Menschen beginnt die Seele Problem zu werden; nicht die unsterbliche Seele, das Lichtding „im“ Leibe, die wird von den meisten noch jahrhundertelang in dieser Vorstellungsform weiter hingenommen; doch das seelische Leben selbst mit seinen Leere- und Füllezuständen, Erwartungen, Lösungen, Ängsten und Freuden, Schuld- und Befreiungsgefühlen wird Gegenstand der Beachtung, wie es bisher vorwiegend „äußere“ Dinge, Ereignisse usf. gewesen waren. Der moderne Mensch, der seine Ich-Bewusstheit gern als Errungenschaft der legten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts anzusehen geneigt ist, kann in den mystischen Schriften eines Eckehart, Tauler u. a. Beispiele einer geradezu unheimlichen Selbstbeobachtung finden. Doch auch unsere Nonnenbücher (namentlich das Tößer Buch) reden deutlich von dieser Ruckwendung des Blicks auf sich selbst, die vielleicht von tieferer geschichtlicher Reichweite ist als alle Kreuz- und Kriegszüge jener Zeit zusammen genommen. Dieser veränderten Bewusstseinshaltung mit ihren neuen Nöten und Glückmöglichkeiten, ihrem geistlichen Hungern und Dürsten, ihren Verheißungen und Gefahren kam die Dominikanerseelsorge in einzigartiger Weise entgegen, so dass einerseits jeder Sonderseele der breiteste Spielraum gewiesen wurde: dem Denken das Gotterkennen, dem Wollen und Fühlen die Gotteinigung selbst. Anderseits aber bewahrte die Dominikanermystik durch die Gelassenheit, mit der sie auch in ihren kühnsten Geistern der Kirche willig weiterdiente und sie zum minderen niemals antastete — denn die durch den Papst verurteilten Sätze Meister Eckeharts sind wohl ohne jegliche Kampfleidenschaft oder Reformationsabsicht, lediglich aus der Logik seiner Weltstruktur heraus gesprochen — bewahrte sie also den suchenden Seelen die einigende und vor Zersplitterung schützende Kirche und der Kirche wiederum die innigsten, in ihrer Art heißgläubigsten Seelen. So bedeutet wahrhaftig „die Entstehung dieser Genossenschaft einen Übergang von der alten zur neuen Zeit“ (Denifle).

Wenn dem Orden auch die alte sog. Regel des heiligen Augustin zugrunde liegt, so ist das vollkommen Neue die Bewusstheit, mit der hier zum erstenmal Seelenpflege vom Grund auf betrieben wird. Und dieser rein geistigen Arbeit und ihrer ersten Vorausfetzung: dem Studium, wird hier ein Vorrang über alle sonstigen Ordensverpflichtungen eingeräumt, der bisher unerhört war. Die körperliche Arbeit erscheint aus die fem Grunde ganz ausgeschaltet und das Betteln somit eine Notwendigkeit. Selbst das Chorgebet erfährt nötigenfalls Einschränkungen. Mit dieser inneren und äußeren Missionstätigkeit des Ordens, „der die ganze Welt als Arbeitsfeld besaß“ (Denifle), hängt auch seine Beweglichkeit und rasche Ausbreitung zusammen, das Wandern der Prediger von Ort zu Ort, von Konvent zu Konvent, das Preger der Erscheinung der fahrenden Minnesänger vergleicht, nur dass es die Gottesminne ist, die da als heiligstes Gut durch alle Länder getragen wird.


Anders als bei den Männern lag es naturgemäß bei den Frauen desselben Ordens. Sollten jene gleich rastlosen Lichtströmen die ganze Erde überfluten, so sollten diese wie stille Seen die Lauterkeit der Himmelslehre durch ihr ganz Ruhe gewordenes Wesen widerspiegeln. An Stelle der Predigt und Seelsorge trat hier innigste Pflege des Chorgebetes und der schweigenden Beschauung, Handarbeit, geistige Beschäftigung (Schreiben, Lernen, Unterrichten der Novizinnen usf.), doch meist nur insofern, als es dem tieferen Verständnis des lateinischen Chorgebetes oder sonst irgendwie der allgemeinen Erbauung diente. Auf Schweigen und Fasten wurde auch besonderes Gewicht gelegt. Gemeinsam mit allen Männer- und Frauenorden waren die drei „Stücke, darauf unser Orden und jegliches vollkommene Leben gegründet ist; das sind: willige Armut und vollkommener Gehorsam und rechte Lauterkeit“, wie E. Stagel (Töß, S. 155) schreibt und dabei noch insbesondere die freiwillige Armut hervorhebt, die alle „so begierlich lieb hatten, dass die sich mit allem Fleiß hüteten, irgend etwas Überflüssiges an Gewand oder andern Dingen zu haben. So einer etwas von ihren Freunden gesendet wurde, gab die es zum allgemeinen Besten“. Diese Armut bezog sich nur auf die einzelnen Nonnen; das Kloster selbst hatte oft reiche Besitztümer, namentlich in späteren Jahrhunderten. Durch die mit dem Keuschheitsgelübde zusammenhängende strenge Klausur, das ist Abschließung auf das Weichbild des Klosters, war den weiblichen Konventen ja das ordensmäßige Betteln unmöglich gemacht.

An der Spitze des Frauenkonvents stand die von den Konventsmitgliedern gewählte Priorin. Eine größere Anzahl von Männer- und Frauenkonventen bildete eine Ordensprovinz unter einem ebenfalls gewählten Provinzial und die Leitung aller Provinzen lag in den Händen eines vom Papst betätigten Großmeisters.

„Bei der Gewalt, die man übernimmt, toll große Furcht liegen; denn wenn man zu dir spricht: du bist unser Prior! oder: du bist unsere Priorin! weiß Gott, mein Freund, damit ist große Versuchung verbunden. Darum sollst du mit großer Demut deine Büßung machen, gehe sogleich an dein Gebet und lasse dann Gott dich trösten. Mit der Würde sollst du auch dein Herz verwandeln in der heiligen Gottesliebe, so dass du jeden Bruder, jede Schwerer, die dir befohlen sind, besonders minnest in all ihren Nöten.“ Die Auffassung vom Priorinnenamt, die sich in diesen Worten Mechtilds von Magdeburg (nach Greith, S. 19) ausspricht, scheint auch in manchen unterer Nonnen gelebt zu haben. Bei den geistig Hochstehenden wie einer Ita von Wezzinkon (Töß, S. 141), vielleicht auch Kunigund von Vilsek (Engeltal, S. 318) mag es ehrliche Angst: vor der Würde und der damit verbundenen Gefährdung ihrer Demut und Verborgenheit sein, bei kleineren Geistern wohl lediglich Bangen vor der Arbeits- und Verantwortungslast, besonders aber vor Anfeindung und Verdruss, die diesem Amt häufig genug entsprangen (Engeltal, S. 274). Nicht minder sauer ist mancher das Amt der Subpriorin (Unterpriorin) geworden, z. B. der Elsbeth von Beggenhofen, bei der es „die Schwestern härtiglich aufnahmen“, wenn die etliche strafte oder „so sie zu gemeinem Nutz arbeitete, ihr das dann zum ärgsten ausgelegt ward“. Man sieht, so ganz himmlisch sanft, wie manches Werk heutiger allzu süßlicher Erbauungsliteratur das damalige Nonnenleben darstellt, ist es nicht immer zugegangen. Empfindlichkeit und Ränkesucht fehlten ebenso wenig als Fälle von Lieblosigkeit, ja Roheit, namentlich gegen Schwestern, die durch Krankheiten entstellt waren und oft niemanden fanden, der bei ihnen bleiben mochte (Töß, S. 142); oder gegen solche, die einer verachteten Krankheit auch nur geziehen wurden, wie z. B. Adelheid Langmann im Gebet so bitter klagt: „Herre, was habe ich ihnen getan, den Frauen allen, dass sie mir so jämmerlich und so schmählich tun?“ (A. Langmann, S. 61.) Doch sind solche Schatten nicht mehr als natürlich, verleihen dem Bild Plastik und Glaublichkeit und den Erwählten, die sich darüber hinaus erheben, eine um so adeligere Bewährtheit.

An sonstigen Ämtern werden genannt: die Sangmeisterin (Engeltal, S. 271), der die Einübung und Leitung des täglichen und festlichen Chorgesanges oblag; die Novizenmeisterin, unter deren Zucht und Lehre die Kinder und Novizinnen standen; die Siechmeisterin, welche die Oberaufsicht über die Kranken hatte, während sich in deren besondere Wartung und Pflege wohl auch andere Schwestern abwechselnd teilten (Töß, S. 260). Schwerkranken ward meist eine bestimmte Pflegerin, oft; die Lieblingsgespielin oder leibliche Schwester zugeteilt (Engeltal, S. 512). Die Pförtnerin versah den Dienst am Tor, die Fenstrerin die Überwachung des sog. Redefensters, durch das besuchende Fremde und Verwandte die Nonnen sehen und sprechen durften. Es war ein zerstreuender Dienst und wohl nicht jeder gelang dabei die innere Unberührtheit einer Mechtild von Stans (Töß, S. 206). Nicht sehr beliebt scheint das Amt der Kellerin (Schaffnerin) gewesen zu sein. Die eine hatte in der Dunkelheit des Kellers durch die Bedrohungen des Teufels zu leiden, andre wieder mussten erst durch die gütliche Zusprache des Herrn selbst im Gehorsam dieses Dienstes bestärkt werden (Engeltal, S. 502 und Töß, 145).

Den Laienschwestern fielen die gröberen körperlichen Arbeiten in Haus, Küche und Wirtschaftshof zu. Wie lieb sie den eigentlichen Ordenschwestern waren und wie anhänglich die dem Konvent dienten, zeigen ihre Lebensbeschreibungen, die im Tößer und Engeltaler Buch gleichwertig unter die andern eingereiht sind (Engeltal, S. 522; Töß, S. 255).


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben