Bau und Wohnstätte

Die fromme Legende schreibt die Wahl der Stätte gerne dem himmlischen Wirken zu, das sich in Träumen und Gesichten offenbart. Schneeweiße Lämmer im Grase an einem öden Ufer des Rheins, Vögel, die sich auf eine Wiese am Züricher See niederlassen, schöne brennende Lichter über der rauchenden Töß bezeichnen den Ort, wo nachmals die Klöster Katharinental, Alt Oetenbach, Töß erwachsen. Der erste Bau ist oft ein Holzhäuschen mit Kapelle, in dem die Schwestern dürftig leben, bis das eigentliche steinerne Klostergebäude ersteht. Rührend liest sich in der Oetenbacher Chronik, wie die armen Schwestern keine Knechte dingen konnten und daher sich selbst „wie Rinder“ an den Karren spannten und Steine zum Bau herbeischleppten. Und „also machten si kor und reventer und dormiter und kapitel haus und andre ding, des is bedorften in guter maß“ (Oetenbach, S. 226).

Es ist bezeichnend, dass hier in dieser Aufzählung der neuerbauten Räume derjenige an die Spitze gestellt ist, der so recht im Brennpunkt klösterlicher Andacht und Liebe steht: der Chorraum. Von der Laienkirche häufig durch eine Querbühne getrennt, enthielt er den Hochaltar und die Betstühle der Schwestern. In Töß und wohl auch in andern Dominikaner Frauenklöstern, z. B. Klingental, Oetenbach, Katharinental, nahm er etwa zwei Drittel der gesamten Kirchenlänge ein, welche ansehnliche Größe sich aus der Menge der Schwestern (bis zu l00, 120) erklärt. Daß er in Töß aus diesem Grunde erweitert worden, läßt sich aus der Stelle schließen, wo es Schwester Ita von Sulz so bitter weh geschieht, dass sie, wie einst Raummangel im Chor herrscht, ihren Platz statt im Stuhle, hinter dem Altar einnehmen muss. Soviel wir aus den spärlich erhaltenen Ansichten der Tößer Kirche entnehmen, waren Chor und Kirche einschiffig, mit flacher Holzdiele gedeckt und in der geradlinigen Schlusswand des Chores durch ein hohes Spitzbogenfenster verschönt. Die Kirche enthielt außer dem Hochaltar vier Altäre. An den Chor stieß die etwas niedrigere, vielleicht ältere Kapelle (nach J. R. Rahn, Das Dominikanerkloster Töß, seine Bauten und Wandgemälde). Dieser Chorraum nun ist es, der in allen unseren Klosterchroniken eine so bedeutsame Rolle spielt. Hier versammeln sich die Schwestern bei Tag und bei Nacht, zu Stundengebet und Messe, Predigt und Hochamt. „Sie ging auch gar emsiglich zu Chor“ heißt es in zahlreichen Lebensbeschreibungen. Sieche, ja Todkranke schleppten sich hin. Die uralte blinde und taube Elsbeth von Cellinkon läßt nicht von ihrem täglichen Chorgang, ob sie sich unterwegs auch verirrt und anstößt (Töß, S. 256). „Da er ja in dem Chor stets bei uns ist, als Gott und Mensch,“ erklärt Elsbeth Stagel (Töß, S. 154) dieses tiefe, allen gemeinsame Herzensbedürfnis. Hier steht der Altar, zu dem die Laienschwester Elli von Elgau mitten unter der Hausarbeit in freien Augenblicken hinläuft und ihre Hand drauflegt, um ihrem lieben Herrn nur noch näher zu sein (Töß, S. 241). Hier das Allerheiligste, um das Margret Willin so herzzerbrechend weint, als es vom Chor in die Kirche übertragen werden soll. Hier die Bilder Christi und der Heiligen, die dem beschränkten Gemüt das Unvorstellbare vorstellbar und lieblich naherücken, dem reichbegabten Geist den äußeren Ausgangspunkt zu innerlichster Konzentration auf göttliche Gnadengeheimnisse bieten und sich unvermerkt als Rüstzeug und Ausstattung in die Bildwelt der Visionen einschleichen. Diese Bilder werden zuweilen von den Schwestern selbst gestiftet, so durch die arme Elsbeth von Cellinkon, die ihr einziges, mühselig durch Schreiben verdientes Geld an die Schmückung des Chores mit Bildwerken aufwendet, „damit der Konvent gemeinsam dadurch getröstet werde“. Auch ein großes Kruzifix, in dem 30 Stück Reliquien liegen und das ihr viel Sorge und Beschwerde bereitet hat, ist ihre Stiftung (Töß, S. 254). Besonders erwähnt werden in unsern Chroniken die Bilder: „Da unser Herr an der Säule stand“ (Geißelung; Katharinental, S. 162), „Da unser Herr vor Gericht stand“ (Töß, S. 154), ,,Da Sant Johannes ruhte an unseres Herrn Herzen“ (zweimal erwähnt; Katharinental, S. 176), „Sant Maria Magdalena, als sie zu unsers Herrn Fußen fiel“ (Katharinental, S. 176), „Eine Anbetung der drei Könige“ (Töß, S. 154) u. a. Welch tröstende und befeuernde Rolle solche Bildwerke in Gebet und Vision der Schwestern spielen, wird an anderer Stelle weiter unten behandelt. Wie alle diese Gestalten zu leben beginnen, Maria ihr Kindlein der minneverzückten Nonne darreicht, der Heiland sich vom Kreuze zu der leidvoll Betenden niederneigt, wie der dämmernde Chorraum sich mit Himmelsduft und Engelfang füllt, die Heiligen selber hier grüßend und neigend aus- und eingehen: das wird von den beseligten Frauen so leibhaftig erschaut und von der Schreiberin so hold und treuherzig dargestellt, dass wahrhaft nur unrettbare Rationalisten daran Ärgernis nehmen können. Auch der Kreuzgang, eine mit Kreuzgewölbe gedeckte, nach dem viereckigen Hof geöffnete Halle, ist mit seinen Bildern und stillen Nischen eine beliebte Stätte zur Betrachtung. Von den andern vorerwähnten Sälen dient das Refektorium (refenter) den gemeinsamen Mahlzeiten, sowie Vorlesungen und Gebeten; das Dormitorium (dormiter), der Schlafsaal, als gemeinsame Schlaffstätte; doch schliefen in vielen Klöstern die Nonnen auch einzeln in kleinen Zellen; das Kapitelhaus oder der Kapitelsaal, meist neben der Kapelle gelegen, ist der feierliche Versammlungsort der Nonnen, wo die Konventsangelegenheiten besprochen, die Wahl der Priorin vollzogen und andere Entscheide von allgemeiner Wichtigkeit getroffen wurden. Große Kruzifixe hingen meist in diesen Sälen; vor dem Kapitelhaus zu Töß war ein Antlitz Christi und darunter das Gebet „Salva summe deitatis“ (Töß, S. 185). öfter genannt werden auch das „Schreibhaus“, das „Werkhaus“, wo die Schwestern regelmäßig zusammen arbeiteten, das „Siechhaus“ oder Krankenhaus, doch sind darunter nicht immer Häuser, sondern meist nur Zimmer und Abteilungen zu verstehen. In Engeltal ist auch von einem Kaplanhaus die Rede (S. 520). Wirtschaftlichen Zwecken, denen bei dem oft umfangreichen Grundbesitz der Klöster große Bedeutung zukam, dienten Scheunen, Stallungen, Bäckereien, Mühlen, Brauhäuser. All diese Bauten lagen mehr oder weniger geschlossen um den Wirtschaftshof und waren ihrerseits wieder von der starken Klostermauer mit dem oft mächtigen Torbau umhegt. Innerhalb dieser lag auch der Baumgarten, dessen die Nonnenbücher öfter gedenken; namentlich die mailiche Schönheit der Obstblüte scheint den Frauen das Herz bewegt zu haben. An die große Engeltaler Klosterlinde vor der steinernen Kirchentreppe knüpft sich eine prophetische Morgenvision, die das Kloster mit all seinen Insassen umfasst und der göttlichen Gnade versichert.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben