Der Nonne von Engeltal Büchlein von der Gnaden Überlast

Ich heb' ein Büchlein hie an, darin kommt man an den Anfang des Klosters zu Engeltal und an die Menge der Gnaden Gottes, die er an den Frauen darin getan, im Anfang und seither; an die Menge seiner ausbrechenden Tugenden, die so wenig enden mögen als das Meer seiner ausfließenden Kraft. Niemand ist kommen zu großer Heiligkeit aus selbsteigener Frömmigkeit; er hat sie alle gezogen aus freier Willkür. Er ist gewaltig dazu, dass er seinen Freunden Gutes tue; denn er erkennt allein alle Dinge. Darum tut er dem einen gütlich und dem andern nicht. Das mögen unsere menschlichen Sinne nicht begreifen, ohne daran irre zu werden.

Nun wollt' ich gerne etwas schreiben von der Gnaden Überlast. Doch hab' ich leider geringen Verstand und kann auch die Schreibkunst nicht. Nur durch den Gehorsam bin ich zu diesen Dingen gezwungen.


In der Zeit, da der König von Ungarn seine heilige Tochter Elisabeth dem Landgrafen Ludwig von Hessen vermählte, da sandte er sie mit großen Ehren nach Nürnberg, wo der Brautlauf sein sollte. Er gab ihr eine Harfnerin mit auf den Weg, sie hieß Alheit, auf dass sie das Kind, wenn es weinen würde, mit dem Saitenspiel stillete. Diese Frau sagte, Elisabeth wäre sieben Jahre alt.

Da der Brautlauf endete und das heilige Kind von dannen geführt wurde, da wollte ihm die Harfnerin nicht mehr folgen; denn sie wollte fürder all ihr Leben dem minniglichen Gott ergeben und wurde eine große Büßerin und Minnerin Gottes und wohnte zu Nürnberg in einem Haus und wurde so recht eine Leuchte; denn sie war zuvor weithin bekannt gewesen ob ihres fündigen Amtes. Es war eine kleine Vereinigung von Beginen in der Stadt; dort ward gepredigt, wie großen Lohn unser Herr wollte geben um Reinheit und Gehorsam. Diese Beginen gingen nun zu Frau Alheit, der vorgenannten Harfnerin, und baten sie mit großer Begier, sie möge sich ihrer annehmen und ihre Meisterin sein, damit ihnen der himmlische Lohn würde. Sie hatten ja kein Gut dass sie ein Kloster zu stiften vermöchten. Diese heilige Bitte ward alsbald von ihr gewährt, und sie eilten in ihre Häuser und legten, eine jegliche einzeln, alles was sie hatten, vor ihre Fuße.

Der Anfang ihres gemeinsamen Lebens war also: ihre Meisterin pflag ihrer so wohl und so getreulich, als ob sie alle ihre Kinder wären, und wehrte ihnen keinerlei Ding, davon ihr Herz gegen Gott brennend wurde. Es war ihr Leben so heilig und ihr Wandel so andächtig und ihre Worte so süß als wahrhaftig und all ihr Tun so vollkommen, dass alle, die ihr Leben sahen, davon gebessert wurden. Davon wurde ihr Ruhm ausgebreitet in dem Lande und auch in andern Ländern. Da kamen die Herren aus dem ganzen Lande zu ihnen und empfingen ihren Segen, desgleichen die Pilger, die fernhin wollten wallen. Und die frommen Frauen gingen auch zu ihnen, damit sie sie beichten lehrten und wie sie Gott minnen sollten. Sie waren unter dem Gebiet des Pfarrers von Sankt Laurencen und ihm auch gehorsam als ihrem rechten Pfarrer. Sie erwählten eine Unterpriorin mit brennendem Herzen, sie war die Base Bruder Ottos von Schwabach und recht eine Leuchte ob ihnen allen; sie war um dreißig Jahre und nicht mehr. Sie lasen ihre Tagzeiten, wie sie konnten und mochten. Zur Abendandacht (Komplet) gingen sie zu ihrer Meisterin und fragten sie, wie sie den nächsten Tag verbringen sollten; das taten sie dann williglich. Wenn sie zu Tische saßen, so saß die Meisterin zu oberft. Wenn sie dann ein wenig gegessen hatte, las sie ihnen zur Mahlzeit deutsch vor. Und es war selten, dass nicht ihrer etliche bewusstlos wurden und wie die Toten dalagen, und sie waren auch wahrlich in Gott tot. Diese Gnade wurde ihnen bei der Arbeit, beim Gebet und wenn sie das Wort Gottes süßiglich hörten; nur eine, die wurde nie verzückt. Da die Leute von ihrem heiligen Leben vernahmen, gaben sie ihnen, ohne dass sie drum baten, alles was sie bedurften in sämtlichen Sachen, sonderlich die Königin von Böhmen, Frau Kunigunt, tat ihnen viel Gutes und sandte ihnen solche Kleinodien, die wir noch haben. Sie nahmen einen Bruder auf, der hieß Bruder Hermann; er diente ihnen allen, als wäre er ihr gedingter Knecht, und wenn man der heiligen Vereinigung in fremden Landen irgend etwas geben wollte, so holte er es ihnen auf eigenen Füßen.

Da sie nun zu Nürnberg einige Jahre, deren Zahl weiß ich nicht, gesessen waren, verhängte Gott in dieser Zeit, dass der Papst Kaiser Friedrich in den Bann tat. Da sprach die Meisterin zu ihrer Versammlung: „Wir können hier nicht länger sein. Ich will zum Herrn von Kunigstein, damit er uns dieweil beherberge. Und lest indessen die fünfzehn Psalmen, die mit „Deus“ anheben, bis ich zurückkomme.“ Die Bitte wurde ihnen von dem Herrn bald gewährt; er lieh ihnen einen Maierhof, damit sie sich da aufhalten könnten. Dort erprobte sie Gott, wie man's mit dem Gold im Feuer tut, und sie mussten große Arbeit haben und mussten selber ihr Korn schneiden und waschen und backen und alle dienstlichen Werke tun. Das taten sie alles mit großer Andacht und waren des geduldig. Sie bauten eine Kapelle dem Sankt Laurencen zu Ehren. Da sie hier das vierte Jahr gewohnt hatten, kam die große Sonnenfinsternis.

Es fiel sich bei ihrem Hof ein Kind zu Tod, das war das Enkelkind des von Kunigstein und hieß Ulrich. Dies Kind trugen sie hinein und pflegten es, bis es starb. Das brachte dem Herrn von Kunigstein großes Leid, denn er hatte keine Erben außer einer Tochter. Nach denselben Ostern sprach er zu ihrer Meisterin: „Komm nach Schweinach und hab du dort deine Wohnung. Da will ich dir geben eine Kapelle und Wiese und Wald, dass ihr euch wohl ernähren mögt.“ Das opferte er mit aufgehobenen Händen dem heiligen Geist und unsrer lieben Frau Maria.

In dieser Zeit kamen sieben Äbte vom grauen Orden her und baten diese heilige Vereinigung flehentlich, sie mögen sich in ihren Orden begeben, so wollten sie ihnen große Güte erweisen. Da sprach der Stifter also: er wolle es ihnen nicht gestatten, er wolle, dass sie im (gewöhnlichen) fraulichen Gewande gingen.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben