Der Gehorsam ist die Klostertugend

Im engsten Zusammenhang mit der leiblichen, geht die geistige Ichvernichtung, die Brechung des Eigenwillens, die ihren obersten Ausdrucke im Gehorsam findet. Der Gehorsam ist die Klostertugend. Aber die Mystik sieht in ihm anderes als den sog. „Kadavergehorsam“, dessen Begriff am schärfsten Ignatius von Loyala umrissen hat. Zwar ist in beiden Fällen das Wesen des Gehorsams Hintansetzen, ja Aufgeben des eigenen Willens. Doch im ignatianischen Sinn wird der Gehorsame Werkzeug und Mittel zur Erreichung eines von einem andern (dem Obern oder der Kirche) gewollten Zwecks, während die mystische Auffassung den Schwerpunkt der Bedeutung von der Person des Befehlenden und dem Zweck des Befehls weg lediglich in die Seele des Gehorchenden verlegt, die durch die Willensaufgabe „leer“ und d. i. nach dem bereits dargelegten Schema des mystischen Denkens für Gott „empfänglich“ wird. So spricht Meister Eckehart: „Wo immer der Mensch in Gehorsam aus sich ausgeht, in denselben muss Gott mit Notwendigkeit eingehen: denn, so einer für sich selber nichts will, für den muss Gott gleicherweise wie für sich selber wollen. Wenn ich mich meines Willens in die Hand meines Obern begeben habe und mir selber nichts mehr will, dann muß Gott für mich wollen“ (Pfeiffer, S. 545). Aus demselben Geiste heraus handelte die alte Beli von Winterthur, die, ab ihr ein mühseliges Amt befohlen wurde, sich zur Hilfe ein Brieflein an ihren Ärmel heftete, darauf stand: „So viel der Mensch aus seinem eigenen Willen ausgeht, so viel nimmt er an vollkommenem Leben zu, und nicht mehr“ (Töß, S. 175). „Mit Gehorsam findest du mich und mit Gehorsam verliert mich niemand,“ sagt der Herr zu Geri Heimburgin und heißt sie so dem Tischläuten folgeleisten (Katharinental, S. 161). „Und wie klein die Dinge auch waren, daran sie ihren Willen brach und leiblichen Trost ließ um Gott, so war es doch Gott gar genehm“ (Oetenbach, S. 266). Diese Unbedingtheit des Gehorsams in allen großen und kleinen Angelegenheiten, verbunden mit Schnelligkeit und Freudigkeit, ist eine der Hauptzierden des ordensmäßigen Menschen. Aus Gehorsam geht die Nonne von der Arbeit weg zum Gebet, wie vom Gebet weg zur Arbeit. Selbst aus Vision und Verzückung reißt sie sich dem Gehorsam zuliebe; und die „minnesieche“ Mechtild von Stans „erwehrt“ sich auf den Befehl ihres Ordensprovinzials der übermächtigen „Gnaden“, die sie auf ein monatelanges Krankenlager geworfen haben. Aus Gehorsam schreibt die Verfasserin der Engeltaler Chronik ihr Büchlein von der Gnaden Überlast. Aus Gehorsam wird das verschmähte und das Ehrenamt gleich willig auf sich genommen. Und Gehorsam findet seine Verherrlichung in zahllosen Berichten von Visionen, in denen das Jesuskindlein die Gehorchende mit minniglichem Spiel belohnt, oder der Gekreuzigte sich liebreich vom Kruzifix zu ihr niederbeugt oder ein wunderbares Leuchten sie umgibt.

Die Gebärde des Loslassens, die dem Gehorsam eignet, kommt ebenso in der Ordenstugend der Armut zur Auswirkung, die wiederum in der Armut Christi ihr Vorbild findet. Arm sein an Speise und Gewand, jedes, auch das geringfügigste Freundesgeschenk der „Gemeine zu Nutz geben“ (d. h. der Konventsgemeinschaft), jeden erworbenen Pfennig alsbald wieder andern mitteilen, auf dass nach dem Tode auch nicht der kleinste Besitz im Nachlaß gefunden werde, ist für die Nonne Ehrensache.


Diese zwar beständig geübte, aber doch nur immer fallweise Hingabe seiner Güter in Armut und seiner selbst in Gehorsam, findet ihre Vollendung in der Kardinaltugend der Mystik: dem Ledig- oder Gelassensein, dem willensmäßigen Einswerden mit allem äußeren und inneren Geschehen, Liebes oder Leides, Ehre oder Schmach, Menschenminne oder Verlassenheit, geistlichem Trost oder Untrost. Denn Gott ist in allem, wirkt in allem, bewirkt durch alles die Seele, die sich ihm schrankenlos überlässt. So empfängt Mechtild Tuschelin ( Adelhausen) vor dem Tabernakel das Wort: „Wenn du so inhaltslos und leer wirst aller Dinge wie diese Büchse ledig ist aller Dinge außer Gott, so will ich in dir wohnen, wie in dieser Büchse!“ Und zu Ita von Hutwil wird gesprochen: „Du sollst dein Herz scheiden von allen zergänglichen Dingen und es auf keinem Ding lassen haften und in keinen Dingen nichts suchen denn lauter Gott“ (Oetenbach, S. 555). Elsbeth von Beggenhofen begehrt, „dass ihr Gott alle Dinge benehme und er sich selber ihr gebe . . . Und so sie essen oder trinken sollte, gedachte sie: ,Was willst du tun? Du bedarfst dessen nicht!‘“ (Oetenbach, S. 266). Anna von Klingnau „hütet sich eifrig vor Beschäftigung und Kummer mit vergänglichen Dingen“ und fühlt sofort Schmerz und heftiges Beichtbedürfnis, wie sie sich einmal eine Konventangelegenheit zu sehr zu Herzen nimmt (Töß, S. 171). Ihren Gipfel erreicht die Gottergebenheit in jenen seltenen Frauen, die wie Jüzi Schulthasin, nicht nur bereit waren, alles Irdische, sondern auch das Himmlische selber, Gnade, Gottnähe, Verzückung, klaglos zu entbehren, wenn es ihnen plötzlich entzogen wurde; in der Erkenntnis, daß sie auch darin „nichts als ihren Trost und ihren Nutzen“ gesucht, nicht aber „wahre Minne und Gottes Lob“ (Töß, S. 255).

Auf solche völlige Wunschentrücktheit zielen mehr oder weniger alle übrigen Tugenden und Übungen des Nonnenlebens. So der Kampf gegen Eitelkeit und Weltlust, wie er sich z. B. in der Jesusvision und der darauf folgenden Teufelsversuchung Alheit von Trochaus naiv widerspiegelt (Engeltal, S. 279). Die Unterdrückung der Neugierde, die bei einigen so weit geht, dass sie niemals einen Blick zum Fenster hinaus tun. Die Freiheit von „zergänglicher Minne“, von Menschendank und -trost, die Liebe zu Demut, Verschmähtheit und Verborgensein, die oft übermenschliche Geduld und Freudigkeit in Krankheit und Todeskampf. Bei unfreien, hemmungsreichen Naturen führen derartige Übungen zuweilen zu befremdender Verkrampfung; aus Leidwilligkeit wird Leidenssucht, aus Menschenunabhängigkeit Menschenscheu, aus Gewissenhaftigkeit Zwangsvorstellungen und -handlungen. Wir haben aber auch ebenso viel Beispiele für die Entwicklung zu überströmender Güte und Hilfsbereitschaft, zur Taternüchterung und Ratweisheit, die keinen Trostbedürftigen, sei es Nonne oder „auswärtigen Menschen“, je unerquickt entließ. So Adelheit Pefferhartin, von der erzählt wird, dass sie „ein mitleidend Herz mit allen denen, die in Leiden waren, Herzens oder Leibes,“ hatte und ihnen „oft zu Hilfe kam mit Worten und mit Werken“ (Katharinental, S. 151); Mechthild die Ritterin, die, ,,wann immer eine Schwerer ihrer bedurfte, allweg bereit war, Tag und Nacht, mit allem, was sie konnte und vermochte,“ und die zur Pflegerin zu haben jeder Siechen der beste Trost war, weil sie ein „so minnesames Herz“ hatte (Katharinental, S. 178, 179); Elsbeth von Beggenhofen, die man, kaum nachdem sie ihr Gelübde abgelegt, alsbald mit Ämtern belastete und die, wenn sie deren entledigt ward, den Kranken diente, und „denen am allerliebsten, die am allerverschmähtesten und unlustigsten waren“ (Oetenbach, S. 260); Margret Finkin, deren Trostworte so süß und sicher waren, dass man glaubte, „Gott hatte es ihr kundgetan“ (Töß, S. 165). Gertrud von Winterthur, die eine „Mutter der Armen“ genannt wurde und sich alles Eigentums so gänzlich entblößte, dass es die Mitschwestern oft dünkte, „ihr gebräche das Notdürftigste“ (Töß, S. 186); Adelheid von Frauenberg, die sich zu jedem Werke, sei es für die Gemeinschaft oder für irgendeine Schwerer im besondern „demütig, begierlich und fröhlich“ erbot (Töß, S. 190). Gerade das Tößer Buch ist reich an Zügen tiefsten Mitfühlens und selbstloser Hingabe an alle, während uns im Engeltaler Buch ein anmutiger Blick in Nonnenfreundschaft und persönliche Treue gewährt wird (Engeltat, S. 288 und 297). Daß dem helfenden Liebesdrang der Schwerem weder durch die Grenzen des Klosters noch durch die der Erde Einhalt getan wurde und ihre inbrünstige Fürbitte Lebende und Tote gleich warm umfasste, braucht in einer so gebetsstarken Zeit kaum wundernehmen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben