Bruder Conrat von Eystet

Ein Prediger hieß Bruder Conrat von Eystet und war lang unseres Klosters Pfleger; der hatte große Liebe zu ihr ob ihrer Heiligkeit. Da hatte sie die Gnade: so er die Messe sprach, es wäre ferne oder nahe, so sah sie unseres Herrn Leichnam in seinen Händen. Und was er wider Gott tat, das hob sie ihm auf, bis er zu ihr kam. Da fügte es sich einstmals, dass er herkam und betteln wollte in seines Klosters Almosenbezirk. Da kam sie mit der Bitte zu ihm, dass er ihr unsers Herrn Leib gäbe. Das war in der Zeit, wo ihn der Konvent nicht nehmen sollte. Da sprach er: „Ich kann es nicht tun; ich muß betteln gehen, ich habe mich versäumt.“ Da sprach sie: „Nun geht hin und seht, was ihr gewinnt.“ Und da er lange ging, gewann er nicht mehr, denn drei halbe Pfennig. Nun erkannte er es und bat sie, dass sie ihm vergäbe. Da sprach unser Herr zu ihr: „Ich habe ein Licht zwischen dir und ihm ausgelöscht, das sich nimmermehr entzündet.“ Von dieser Zeit an sah sie unseres Herrn Leichnam nimmer in seinen Händen und wußte auch weiterhin nicht mehr, was er täte, wenn er nicht bei ihr war.

Es war ein Prediger, der war einer Frau gar getreu. Da sagte ihm die Frau ihre Treue mit verächtlichen Worten auf. Das klagte er unserm Herrn, dieweil er ihn in seinen Händen hielt. Dessen ward Alheit im Chor inne, und sie sprach zu dieser Schwester: ,,Sei geduldig, es wird groß Leid auf dich fallen; ich habe gehört, dass der Priester unserm Herrn über dich geklagt hat, dieweil er ihn in seinen Händen gehabt.“


Eines Tages ward sie verzückt nach Bethanien, des Tages, da er Lazarus vom Tode ließ aufstehen. Dort war sie mit zu Tisch gewesen und hatte alle die Gerichte gesehen, die sie gegessen hatten. Da sprach Andreas: „Lasset die schöne Minnerin zu unserm Herrn heraufsitzen.“ Das geschah.

Es kam oft aus Gnaden eine Zeit, wo sie die schweren Bücher so gut deuten konnte als ein wohlgelehrter Pfaff. Wenn dann diese Zeit verging, so konnte sie es nicht mehr, denn sie war nicht gelehrt.

Sie war ein wohlgezierter Mensch, und es geschah ihr oft aus übergroßer Minne, dass sie viel Dinge ohne leibliche Sinne tat. Als sie einst in den Chor ging und eine der Frauen suchen sollte, wie sie da den Schrein sah, wo unseres Herrn Fronleichnam drinnen war, so sprang sie und sang und lief ihm entgegen vor übermäßigen Freuden. Wenn sie dann bei der Arbeit war, so sah man wohl, dass sie ohne alle Sinne arbeitete; denn ihre Sinne waren bei Gott. Abends, nach Tisch, wenn sie in den Garten ging und etwa von den Schwestern ein süßes Wort von unserm Herrn hörte, so kam sie wie von sich selber und sprang immer von einem Baum hin zum andern und drückte die Bäume an ihr Herz. Als man sie dann fragte, was sie damit meinte, sprach sie: „Da ist mir recht, als ob jeder Baum unser Herre Jesus Christus sei.“ Wenn sie dann in das Schlafhaus ging, sprach die immer: ,,Ach, lieber Herre Jesu Christus, gehen wir miteinander den Berg da hinauf.“

Es kam einmal vor, dass sie die Verse beider Chöre las. Da sprach die Priorin zu ihr: „Du tust wie eine Gans, sing in deinem Chor und laß den andern Chor stehen!“ Da flatterte sie mit den Armen und wähnte, sie wäre eine Gans, bis die Priorin sprach: „Du bist keine Gans.“ Da ließ die erst von dieser Ungebärdigkeit.

Einstmals sollte man Mohn messen; da saß sie in dem Maß drinnen. Als der Bruder sie herausgehen hieß, sprach sie: „Ich will nicht herausgehen; denn ich sehe meinen Herrn Jesum Christum bei mir. Willst du, so komm herein zu mir; er ist so schön, du siehst ihn so gern wie ich.“ Er wartete wieder eine Weile und sprach doch: „Ich muß das Maß haben.“ Da sprach sie: „Conrad, laß deinen Zorn fahren; ich komm nicht heraus, so lang ich ihn hier drinnen habe. Willst du, so geh herein zu uns. Ich weiß wohl, wäre es dir so wohl als mir, du kämest nicht heraus.“ Da ward der Bruder so sehr von Minne entzündet, dass er in Weinen und Schreien ausbrach und zum Tor hinauslief. Also blieb die in dieser Gnade noch eine gute Weile und ging dann hinaus.

Sie hatte einen Bruder und eine Schwägerin, die trug öfter tote Kinder aus. Da sandte sie nach ihnen beiden und sprach zu ihm: „Siehe, Bruder, weißt du nicht, dass Gottes Rache auf dir liegt? Nun weißt du wohl, dass du deine Schwiegermutter beschlafen hast; dadurch sterben alle deine Kinder vor der Geburt. Darum erkenne dich und werde ein Geistlicher und sie auch, oder Gott legt größere Rache auf euch.“ Darin folgten die ihr und er wurde ein Deutschherr und sie kam in unser Kloster. So kam es oft, dass sie der Leute Guttaten und ihre Gebresten wohl wußte durch unsern Herrn.

Da die Zeit kam, dass ihr heiliges Leben ein Ende nehmen sollte, sandte sie nach etlichen Schwestern und tat ihnen ihren Tod kund. Da sprachen sie hinwider: „Liebe Alheit was hast du damit gemeint, dass du zu dieser Sankt Peters-Messe von uns Urlaub nehmen wollest und dass du sprachst: ,Und erleb ich Sankt Peters Tag, so sterbe ich nicht in diesem Jahr.‘„ Da sprach sie hinwider: „Es ist heute nun dreißig Jahre seit dem Tag, da unser Herre zu mir sprach: „Ich will dich ziehen über den Myrrhenberg und will dich dann mit Ehren krönen. In der Zeit, so die Lerche singt, singst du vor meiner heiligen Dreifaltigkeit.‘ Da sprach ich hinwider: ,Lieber Herre, wann singt die Lerche?‘ Da sprach er: ,Zu Sankt Peters Tag, Kathedra.‘ Darum habe ich mein Leben immer nach diesem Tag gezählt, wo mein Leben also ein Ende haben soll.“

Da war noch eine andre Schwester, die glaubte nicht, dass sie (Alheit) sterben werde. Da ging diese zu ihr und sprach: „Bereite dich; denn du stirbst eher denn ich.“ Und das geschah.

Diese heilige Schwester starb an einem Freitag, zu Mittag, vor Sankt Peters Abend, wie sie öffentlich so manches Mal gesprochen: „Freu dich, Seele mein, freue dich! Am nächsten Sonntag bist du in den ewigen Freuden.“ Als sie nun tot war, da war sie schöner und minniglicher, als sie je gewesen.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Nonnenleben