Deutsches Leben im XIV. und XV. Jahrhundert. Band 1
Eine allen Ansprüchen genügende Darstellung, wie sich das Leben unseres Volkes im XIV. und XV. Jahrhundert gestaltet, zu entwerfen, ist zur Zeit noch unmöglich. Erst muss in den Städten aus den Archiven zusammengestellt werden, was über das Leben und Treiben der Bürger Auskunft gibt, es müssen die Materialien für einzelne Städte, dann für größere und kleinere Landstriche gesammelt und veröffentlicht werden. Vor mehr als hundert Jahren hat Samuel Benjamin Klose aus den Breslauer Urkunden solche Excerpte aneinandergereiht, welche erst 1847 unter dem Titel: „Darstellung der inneren Verhältnisse der Stadt Breslau von den Jahren 1458 bis zum Jahre 1526“ als dritter Band der „Scriptores rerum Silesiticarum“ veröffentlicht wurden ist. Leider hat Kloses Beispiel nicht zur Nachahmung angeregt. Neben diesen wichtigen Urkundenexcerpten sind zumal die Städtechroniken der beiden letzten Jahrhunderte des Mittelalters von Bedeutung, doch auch von diesen Werken ist erst der kleinere Teil gedruckt, nur der geringste in den Musterausgaben der „Deutschen Städtechroniken“ veröffentlicht. Ebenso sind nur vereinzelte Sammlungen der Stadtrechte und Polizeiordnungen bisher bekannt gemacht worden. Auch den Poesien des XIV. und XV. Jahrhunderts hat man noch lange nicht genügende Aufmerksamkeit geschenkt, und viele Gedichte, wie z. B. die für die Sittengeschichte so bedeutenden Werke des Teichners sind noch nicht vollständig herausgegeben worden. Dass auch die deutschen Wörterbücher meist im Stiche lassen, sobald man die Erklärung eines selteneren Ausdrucks, der in den Schriften jener Zeit uns begegnet, in ihnen sucht, ist ja auch nicht in Abrede zu stellen.
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Alle diese Umstände lassen es zwar ratsam erscheinen, mit der Darstellung des deutschen Lebens im XIV. und XV. Jahrhundert so lange zu warten, bis jene geschilderten unerlässlichen Vorbedingungen erfüllt sind; indessen ist es doch auch berechtigt, die Aufmerksamkeit auf diese so interessante Zeit zu richten, anzuregen, dass auch ihr die Teilnahme zugewendet wird, welche der früheren Zeit, zumal der Periode, in der die große Zahl von Heldengedichten, von Liebesliedern in Deutschland wie in Frankreich entstanden, in so reichem Maße geschenkt worden ist. Dass diese Schilderung, die ich hier zu geben versuche, nicht auf Grund des gesamten Materiales entworfen ist, weiß ich sehr wohl; es ist mir auch wohlbekannt, dass manche Veröffentlichungen, die für die Arbeit zu benützen ersprießlich gewesen wäre, nicht herangezogen worden sind, weil es hier nicht möglich war, sie zu beschaffen, aber dennoch hoffe ich, wird meine Schilderung nicht ohne Nutzen sein, einmal, indem sie zu ähnlichen Studien anregt, Gelegenheit bietet, die erkannten Lücken meiner Darstellung zu ergänzen, dann aber auch, weil sie dank dem freundlichen Entgegenkommen des Verlegers mit einer solchen Fülle von Illustrationen ausgestattet ist, Abbildungen, die zum größeren Teile bisher gar nicht oder nur in schwer zugänglichen Werken veröffentlicht worden sind.
Auf diese Abbildungen möchte ich das Hauptgewicht legen. Abgesehen von den wenigen Bildern, die schon früher bekannt gemacht worden sind, wurden besonders Kupferstiche des XV. Jahrhunderts benutzt. Die dankenswerteste Unterstützung wurde mir durch das wohlwollende Entgegenkommen der k. k. Kupferstichsammlung zu Wien und durch die freundliche Teilahme des schon verstorbenen Custos Dr. Franz Schestag gewährt. Nicht minder fühle ich mich der Verwaltung der Kunstsammlungen Sr. k. k. Hoheit des Herrn Erzherzogs Albrecht, besonders dem Vorstand der Albertina, Herrn Schünbrunner, zu Danke verpflichtet, wie auch die Kupferstichsammlung des k. Museums zu Berlin und deren Director Herr Dr. Fritz Lippmann mir die Nachbildung einiger Stiche und Handzeichnungen entgegenkommend gewährte. Andere Beihilfe bot die Sammlung des Städel'schen Institutes zu Frankfurt a. M. und stets bereit hat mein lieber Freund, Herr Adalbert R. von Lanna zu Prag, mich durch Darleihen aus seinen erlesenen Kunstschätzen unterstützt. Von den Handzeichnungen wurden außer den aus den Berliner, Frankfurter, Prager Sammlungen vor Allem die der Universität Erlangen benützt, deren Nachbildung der Vorstand, Herr Prof. Dr. Zucker, mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit gestattete. Aus der Ambraser Sammlung konnten mehrere Miniaturen kopiert werden. Herrn Regierungsrat Dr. Ilg danke ich für die freundliche Unterstützung. Die Vorstände des Germanischen Museums, Herr A. von Essenwein wie Herr Hans Bosch, haben auch diesmal wiederum ihre freundliche Hilfe mir, wie schon so oft, nicht versagt. Die Göttinger Universitätsbibliothek überließ leihweise mir auf längere Zeit kostbare Bilderhandschriften; das Gleiche wurde mir auf meine Bitte wiederholt von der Münchener Hof- und Staatsbibliothek gewährt. Auch aus den Bibliotheken von Krakau, Innsbruck und Weimar habe ich Miniaturmanuscripte erhalten, und die k. Privatbibliothek zu Stuttgart sandte auf meine Bitte sogar mehrere wichtige und wertvolle Manuscripte. Ich danke hiermit aufs Herzlichste den Vorständen dieser Sammlungen, den Herren Professoren Dziatzko, Laubmann, Estreicher, Hörmann, Huber, Reinh, Köhler, Zeller. Nicht minder wurde mir bei meinen Studien auf der Landesbibliothek zu Kassel jede Förderung zu Teil. Endlich danke ich meinem verehrten Kollegen Herrn Prof. Dr. Gindely, durch dessen freundliche Vermittlung mir die Benützung einiger wichtigen Bilderhandschriften aus der Bibliothek des Herrn Fürsten Lobkowitz gestattet wurde.
Nur ein Teil der Miniaturen ist von tüchtigen Künstlern kopiert worden. Von Fahrnbauer in Wien rühren die trefflichen Nachbildungen der Handschriften aus der Ambraser-Sammlung her (Taf. I, IV, V, X, 1, 2; XII — XVIII); im Germanischen Museum wurden die farbigen Kopien nach der Göttinger Handschrift des Bellifortis (Taf. XIX — XXIII und XXVI, 2) angefertigt, die größere Zahl von Miniaturen (z. B. Taf. III, 3; VI, VII, VIII, IX, X, 3; XI, XXIV, XXV, XXVII, XXVIII, XXX, 2, 3; XXXI, XXXII) habe ich selbst nach Durchzeichnungen kopiert, auch mancherlei andere Kunstwerke, die gerade zur Illustration des Buches passend erschienen, gezeichnet, mehr auf die Wiedergabe des für den bestimmten Zweck in Betracht kommenden Details als auf eine exakte Reproduktion der ganzen künstlerischen Erscheinung Gewicht legend.
Durch die Bekanntmachung so vieler bisher wenig beachteter Kunstdenkmäler glaube ich auch die Kenntnis der Kunstgeschichte des Mittelalters einigermaßen gefördert zu haben. Zugleich lag es mir daran, zu zeigen, wie die Denkmäler der Kunst für die Erforschung der Sittengeschichte nutzbar gemacht werden können, und dass die Kunstgeschichte auch für die Lösung solcher Fragen von hervorragender Bedeutung sich erweisen kann.
Die Anfertigung der Buntdrucke verzögerte die Herausgabe des Buches ganz erheblich, und die mehr als zweijährige Dauer der Drucklegung trug auch dazu bei, dass manche für dies Werk eigens angefertigte Abbildungen von Anderen früher und oft auch besser veröffentlicht werden konnten. So sind die Miniaturen der Krakauer Bilderhandschrift des Balth. Behem von Br. Bucher inzwischen in Lichtdrucken bekannt gemacht worden, die natürlich meine Zeichnungen als ungenügend erscheinen lassen müssen.
Es soll, wie schon der Titel des Buches besagt, eine deutsche Sittengeschichte des XIV. und XV. Jahrhunderts gegeben werden, doch erschien es ersprießlich, die Schilderung nicht präzis mit dem Beginn des Jahres 1500 abzubrechen, sondern dieselbe bis zum Tode des Kaisers Maximilian (1519) fortzuführen. Die Gründe für diese Anordnung liegen auf der Hand; ich wollte aber, da mir in einer Besprechung des ersten Halbbandes der Vorwurf gemacht wurde, dass ich die selbstgesteckten Grenzen willkürlich überschritten habe, hier nochmals hervorheben, dass dies mit Vorbedacht und, wie ich glaube, auch mit vollem Recht geschehen ist.
In der hier vorliegenden Familienausgabe wurden alle Abbildungen und Ausdrücke, welche irgend Anstoß erregen konnten, und die in der großen Ausgabe nicht zu vermeiden waren, entfernt, auch manche Kürzung der Darstellung teils von dem Verfasser selbst vorgenommen, teils ohne dessen Beiwirkung von der Verlagsbuchhandlung angeordnet. So weit es möglich war, sind die Quellenschriften wörtlich angeführt worden. Das Deutsch des XIV. und XV. Jahrhunderts ist ja auch für die Jetztzeit nicht schwer zu verstehen, besonders wenn man sich erinnert, dass aw oder ow wie au, ew wie eu ausgesprochen werden. Schwierige Worte sind immer erklärt worden.
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Es schien geboten, bei der Schilderung des Lebens im XIV. und XV. Jahrhundert nicht den Versuch zu wagen, das Treiben der europäischen Kulturvölker als ein Ganzes vorzuführen, sondern sich darauf zu beschränken, nur eine einzige Nation ins Auge zu fassen. Im XII. und XIII. Jahrhundert war der Unterschied in Sitte und Gewohnheit zwischen den Völkern, so weit wir das zu beurteilen vermögen, noch weniger scharf ausgeprägt, oder richtiger gesagt: bei der Dürftigkeit der Quellenüberlieferung ist er für uns minder wahrnehmbar; aber für das spätere Mittelalter tritt er um so deutlicher hervor, und deshalb ist es geboten, dass zunächst das Leben der einzelnen Völker untersucht wird; dann später wird man mit Leichtigkeit die Züge feststellen können, welche den zivilisierten Nationen Europas in gewisser Zeit gemeinsam waren. Ja es ist nicht zu verhehlen, dass selbst in Deutschland schon in den letzten beiden Jahrhunderten des Mittelalters sich gewisse Unterschiede in Sitten und Lebensweise der verschiedenen Landstriche ausgebildet hatten, auf die Rücksicht zu nehmen nur die zur Zeit noch fehlende Veröffentlichung des Quellenmaterials verbietet, die aber jedenfalls im Auge behalten werden muss. Bereits Sigmund von Herberstein bemerkt, als er auf einer Reise nach Dänemark 1516 die Grenze von Norddeutschland überschreitet: „da befanndt ich ain große Veränderung der Speis unnd des Landwesens“, und Sebastian Franck von Wörth, der die Verhältnisse seiner Zeit so genau kannte, sagt in seinem Weltbuche von Deutschland: „und hat schier ein jede Provintz yr eygen sitten nach dem sprüchwort: lentlich sittlich“.
Es ist also nicht zulässig, die Berichte eines Landstriches zur Charakterisierung der allgemeinen Verhältnisse zu verwenden, wenigstens ist eine gewisse Vorsicht geboten. Wenn diese Warnung in dem vorliegenden Buche nicht immer buchstäblich befolgt worden ist, so war die Dürftigkeit des vorhandenen Quellenmaterials daran schuld. Dass die Materialien in reicherem Masse für die spätere Zeit als für den Beginn des XIV. Jahrhunderts zur Verfügung standen, hat auch auf die Schilderung wesentlich eingewirkt. Dass die Äußerungen der Sittenprediger, die oft von so großer Bedeutung sind, nicht immer gar zu wörtlich zu nehmen sind, brauche ich wohl nicht zu betonen; ich habe auch in der Darstellung hin und wieder darauf hingewiesen, möchte aber noch einmal hervorheben, wie gerade diese Strafpredigten wohl vorhandene Übelstände rügen, aber die Sünden auch, damit sie den Hörern recht klar und verabscheuenswert erscheinen, schwärzer ausmalen, als sie in Wirklichkeit gewesen sind.
Schultz, Alwin Deutsches Leben im XIV. und XV. Jahrhundert 1892
Fig. 10. Teil der Marburg. (Nach Mitteilungen der k. k. Zentral-Kommission.)
Fig. 11. Dietz im Lahntal. (Nach Mitteilungen der k. k. Zentral-Kommission.)
Fig. 13. Kronenburg in der Eifel. (Nach Matth. Merian.)
Fig. 18. Die Marienburg. (Nach einer Photographie von Fademrecht in Marienburg)
Fig. 19. Feste Koburg. (Nach einer Photographie von Sophus Williams in Berlin.)
Fig. 25. Mauerturm in Andernach (Nach Mitteilungen der k. k. Zentral-Kommission.)
Fig. 47. Der Römer in Frankfurt a. M. (Nach einer Photographie von Sophus Williams in Berlin.)
Fig. 48. Stralsund, Die Nikolaikirche mit dem Rathaus (Nach einer Photographie von Sophus Williams in Berlin.)
Fig. 63. Der Markt zu Halle a. S. (Nach einer Photographie von Sophus Williams in Berlin.)
Fig. 32. Landshut. (Nach M. Merian in Zeilers Topographie.)
Fig. 33. Simmern. (Nach M. Merian in Zeilers Topographie.)
Fig. 43. Berginenhaus in Brügge. (Navh „Le Tour du Monde“.)
Fig. 29. Stendal, Uenglinger-Tor.