Einleitung

Die Zeit des XIV. und XV. Jahrhunderts hat in Deutschland nur wenige großartig gedachte und angelegte Baudenkmäler aufzuweisen. Die imposanten Dombauten des romanischen und gotischen Stiles, die schönen Klosterkirchen wie die mächtigen Reichspaläste gehören einer früheren Epoche an; aber mögen die Kunstformen auch gegen Ausgang des Mittelalters weniger vollendet sein, so ist doch eine viel größere Mannigfaltigkeit der künstlerischen Aufgaben jetzt dem Architekten zu lösen vorbehalten.

Die kirchliche Kunst tritt mehr und mehr in den Hintergrund; an Stelle der Kathedralen baut man jetzt hauptsächlich Pfarrkirchen, anstatt der Klöster der alten vornehmen Mönchsorden solche für Bettelmönche. Aber in allen größeren Städten entstehen Rathäuser und legen von dem Reichtum, von dem Kunstgeschmack der Gemeinde, die sie erbauten, Zeugnis ab. Kaufhäuser und alle die Gebäude, deren ein entwickeltes Gemeindeleben bedarf, werden errichtet.


Die Wohnhäuser der Bürger werden immer stattlicher und entbehren auch nicht des architektonischen Schmuckes, der künstlerischen inneren Ausstattung. Die Kunst wird Allgemeingut; wenn sie auch an Feinheit und Schönheit verliert, so gewinnt sie dadurch wieder an Vielseitigkeit, und manches Denkmal entsteht selbst in der Spätzeit, zumal auf dem Gebiete des Kunsthandwerks, dem auch wir unsere Bewunderung nicht zu versagen vermögen.

Die Werke der Plastik tragen zwar nicht mehr jenen idealen Charakter an sich, welcher die hervorragenderen Arbeiten des XIII. Jahrhunderts so vorteilhaft auszeichnet, doch ist im XIV. Jahrhundert wohl zuweilen noch ein Nachklang derselben zu bemerken, und wenn die mehr naturalistischen Leistungen des ausgehenden Mittelalters auch das Auge oftmals weniger befriedigen, so kann es doch nicht verkannt werden, dass gerade diese Art der Kunstbestrebungen erforderlich war, sollte die spätere Zeit, auch technisch in jeder Hinsicht ausgerüstet, die ihr gestellten Aufgaben in vollkommener Form zu lösen im Stande sein. Wie die Malerei erst seit der zweiten Hälfte des XIV. Jahrhunderts ihrer Vollendung entgegengeht, wie Holzschnitt und Kupferstich den Sinn für die Schöpfungen der Kunst ebenso verbreitete, als dies die Buchdruckerkunst mit den Werken des Geistes, der Gelehrsamkeit tat, das auszuführen erscheint überflüssig.

Gewiss die meisten Erzeugnisse der späteren mittelalterlichen Kunst sind Handwerkerarbeiten, entbehren, wenige rühmliche Ausnahmen abgerechnet, einer höheren idealen Schönheit und Tiefe der Erfindung, aber gerade dadurch waren sie wieder geeignet, auf die Menge des Volkes zu wirken, in der Tat volkstümlich zu werden. So erscheint dieser ganze Zeitabschnitt, dessen Leben kennen zu lernen hier unsere Aufgabe bildet, durchaus nicht so uninteressant, wie man auf den ersten Blick hin dies glauben möchte. Es ist ein mächtiges Streben erkennbar; auf allen Gebieten der Wissenschaft beginnt es sich zu regen; große, für die Folgezeit hochwichtige Erfindungen und Entdeckungen werden gemacht; der Gesichtskreis des Volkes erweitert sich zusehends; schon beginnt man zu prüfen, was man in früheren Jahrhunderten gläubig hingenommen, und, was immerhin zu beachten, die Hussiten gewinnen sich mit bewaffneter Hand Anerkennung ihrer Glaubenssätze. Bald werden auch soziale Bewegungen bemerkbar; eine Änderung der Eigentumsverhältnisse, zunächst der Verhältnisse des Guts- und Grundherrn zum zinspflichtigen Bauer wird angestrebt, und schließlich erstickt man diese Bewegungen für einige Zeit mit blutiger Gewalt. Aber auch die mittelalterliche Form der öffentlichen Verwaltung ändert sich. Gelehrte Juristen treten an Stelle der Volksrichter, eine Verbesserung der so mangelhaften Reichsverfassung erscheint geboten und wird wenigstens zum Teil doch allmählich erreicht. Das Kriegswesen bekommt durch die Verwendung des Schießpulvers eine ganz andere Gestaltung. Bald überwiegen die Söldnertruppen die aus den Landeskindern gebildeten, zur Kriegsfolge verpflichteten Heere: es bildet sich ein Berufssoldatenstand aus, ohne den die großen Kriege des XVI. und XVII. Jahrhunderts nicht denkbar gewesen wären.

Allein alle diese soeben berührten Erscheinungen sind schon längst von berufenerer Hand geschildert worden, dagegen hat man das tägliche Leben jener Zeit immer nur flüchtig dargestellt, einzelne, oft aus dem Zusammenhang herausgerissene Notizen zu kulturgeschichtlich bedeutsamen Tatsachen stempelnd. Und doch verdiente auch das bunte mannigfache Leben am Schlusse des Mittelalters wohl eine eingehendere Betrachtung, als es dieselbe bis jetzt gefunden hat. Dass die hier gebotene Darstellung durchaus nicht den Anspruch erhebt, etwas Vollständiges, in sich Abgerundetes zu bieten, ist in der Vorrede schon ausgesprochen worden. Auch bei dieser Arbeit war es das Hauptziel des Verfassers, zunächst die für den Kunsthistoriker, für den Altertumsforscher wichtigen Fragen anzuregen, vor Allem die Kostümgeschichte, die ja für die Kunststudien von so hoher Bedeutung ist, genau darzustellen, im Übrigen aber nur die bunte Außenseite des damaligen Lebens zu schildern, ein tieferes Eingehen in die verschiedenartigen Fragen aber Anderen zu überlassen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Leben im XIV. und XV. Jahrhundert. Band 1
Fig. 36. Münster zu Ulm in seiner früheren Gestalt. (Nach Pressel.)

Fig. 36. Münster zu Ulm in seiner früheren Gestalt. (Nach Pressel.)

Fig. 37. Münster zu Ulm nach seiner jetzigen Vollendung (Nach Pressel.)

Fig. 37. Münster zu Ulm nach seiner jetzigen Vollendung (Nach Pressel.)

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