Türme und Torbauten

Die meisten deutschen Städte waren noch am Ende des XV. Jahrhunderts nach alter Art befestigt, d. h. man hatte der neuen Taktik der Feuerwaffen in den seltensten Fällen Rechnung getragen. Dies geschieht erst mehr im XVI. Jahrhundert, nachdem die Feldzüge Kaiser Maximilians die zerstörende Wirkung des Belagerungsgeschützes auch an größeren Städten erwiesen hatten. So sehen wir also einen Mauerring, der in Bogenschussweite von bald runden, bald viereckigen Türmen verstärkt wurde (Fig. 25 und 26). Diese Mauertürme wurden in Friedenszeiten vermietet oder an arme Bürger als Wohnungen abgegeben.

Auf Schönheit hatten die Festungsbaumeister auch hier selten Rücksicht genommen, nur die Torbauten waren zuweilen mit größerer Zierlichkeit durchgeführt, seltener in den Ländern, in denen die Schnittsteinarchitektur vorherrscht (Fig. 27 und 28), häufiger in den Gegenden, die auf den Backsteinbau angewiesen waren.*) Es ist aber nicht so leicht, diese Frage bestimmt zu entscheiden, da im Süden und Westen Deutschlands die Torbauten oft den neuen Fortifikationsbedürfnissen entsprechend umgebaut, später wieder, als die Städte aufhörten, feste Plätze zu sein, abgebrochen wurden, im Osten und Norden dagegen die wenigen Reste mittelalterlicher Baukunst durchschnittlich besser konserviert wurden. Interessant erscheint das Spahlentor zu Basel, das von zwei Türmen flankiert wird; malerisch nicht uninteressant ist auch das Rheintor zu Andernach. Geschmackvoll sind die Backsteintorbauten Norddeutschlands, zum großen Teil aus Formziegeln aufgebaut, welche durch Glasur eine verschiedene Farbe, grün, schwarz, weiß, erhalten haben.


Die bekanntesten Denkmäler dieser Art sind die Tortürme von Stendal, das Tangermünder, wie das Uenglinger Tor (Fig. 29), das Stargarder Tor in Neubrandenburg, das Pyritzer Tor in Stargard, der Torturm von Pasewalk. Weniger fein gegliedert, aber durch seine gewaltige Backsteinmasse imposant ist das Holstentor in Lübeck, nach Detmar 1376, nach Hermann Corner 1377 erbaut. Das Tor selbst war nur vermittelst der Zugbrücke zugänglich; wurde dieselbe aufgezogen, so konnte niemand zum Eingang der Stadt gelangen. War nach einem Ausfall aus der belagerten Stadt die Mannschaft zurückgeschlagen und drohte der Feind zugleich mit der fliehenden Besatzung in die Stadt zu dringen, so machte man von dem Fallgatter Gebrauch, das schon von der Römer Zeiten her seine Nützlichkeit erprobt hatte.

Dieses eiserne oder aus starken Holzpfosten gezimmerte Gitter hing in einem Falz hinter dem ersten Torbogen, konnte mit Winden emporgehoben werden und fiel, sobald man die Riegel zurückschob, mit großer Gewalt herab, wodurch der Eingang geschlossen wurde. Selten ist es, dass das Tor noch durch ein besonderes Außenwerk gedeckt wird.

*) Die Tore oder Ausgänge der Städte sind durch hohe Türme geschmückt, auf denen bei Tage Wächter die Ankunft von Reitern durch Trompetenstöße ankündigen, damit die, welche unten die Tore bewachen, aufmerksam werden und sie um so wirksamer beschützen.“ Joan. Boemus, Omnium gentium mores etc. Ludg. 1535, 204.

Ein interessantes Beispiel einer solchen Torbefestigung ist noch in Krakau in dem Florianitor (1498) erhalten (Fig. 30); es ist das alte System der Barbacana, das schon im XII. Jahrhundert bei der Erbauung des Schlosses zu Carcassonne zur Anwendung gebracht worden war.

Wenn Gefahr drohte, rüstete man die Ringmauer noch mit hölzernen Schutzbauten aus, den Verteidigern zum Schirm, wie zur Erhöhung der Widerstandsfähigkeit.

Die Mehrzahl der deutschen Städte hat längst diesen unbequemen, bedrückenden Panzer abgelegt, und nur Bruchstücke der alten Furtifikationen sind uns erhalten, die uns einen Begriff davon geben, wie stattlich sich eine solche feste Stadt ehedem präsentierte (Fig. 31). Wir müssen hier zu Zeilers Topographie unsere Zuflucht nehmen; da hat uns der alte Matthäus Merian in seinen Prospekten noch manch köstliches Architekturbild alter Zeit erhalten (Fig. 32, 33).
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Leben im XIV. und XV. Jahrhundert. Band 1
Fig. 25. Mauerturm in Andernach (Nach Mitteilungen der k. k. Zentral-Kommission.)

Fig. 25. Mauerturm in Andernach (Nach Mitteilungen der k. k. Zentral-Kommission.)

Fig. 26. Mauerturm in Quedlinburg (Nach Mitteilungen der k. k. Zentral-Kommission.)

Fig. 26. Mauerturm in Quedlinburg (Nach Mitteilungen der k. k. Zentral-Kommission.)

Fig. 27. Pulverturm in Prag (nach der Restaurierung).

Fig. 27. Pulverturm in Prag (nach der Restaurierung).

Fig. 28. Das alte Nicolai-Tor zu Breslau. (Nach der Natur gezeichnet im Jahre 1810 von J. Rösel.)

Fig. 28. Das alte Nicolai-Tor zu Breslau. (Nach der Natur gezeichnet im Jahre 1810 von J. Rösel.)

Fig. 29. Stendal, Uenglinger-Tor.

Fig. 29. Stendal, Uenglinger-Tor.

Fig. 30. Florianitor in Krakau (Nach Essenwein. – Mitteilungen der k. k. Zentral-Kommission.)

Fig. 30. Florianitor in Krakau (Nach Essenwein. – Mitteilungen der k. k. Zentral-Kommission.)

Fig. 31. Aus den Randzeichnungen zu Kaiser Maximilians Gebetbuche. (München, Hof- und Staatsbibliothek.)

Fig. 31. Aus den Randzeichnungen zu Kaiser Maximilians Gebetbuche. (München, Hof- und Staatsbibliothek.)

Fig. 32. Landshut. (Nach M. Merian in Zeilers Topographie.)

Fig. 32. Landshut. (Nach M. Merian in Zeilers Topographie.)

Fig. 33. Simmern. (Nach M. Merian in Zeilers Topographie.)

Fig. 33. Simmern. (Nach M. Merian in Zeilers Topographie.)

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