Rathaus, Ratskeller

Nächst den städtischen Kirchen war besonders das Rathaus für die Bürgerschaft ein Gegenstand der Fürsorge. Dasselbe ist gewissermaßen der Mittelpunkt des gesamten bürgerlichen Lebens: in ihm versammelt sich nicht allein die Bürgerschaft, der große und der kleine Rat, es halten auch die Schöffen und Ratsherren hier Gericht und nehmen die Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit entgegen; hier ist das Rentamt der Stadt (Fig. 44) und deren Schatzkammer. Es wird aber auch im Rathause während der Märkte feilgehalten; die niedere, besonders aber die höhere Bürgerschaft feiert hier ihre Feste, ihre Hochzeiten und Tanz-Vergnügungen.*) Es war in der Tat ein öffentliches Gebäude, das der gesamten Bürgerschaft angehörte. (Fig. 45 — 49.)

Dieser Bestimmung entsprach denn auch die Bauanlage desselben. Im Bremer und im Breslauer Rathause befindet sich im Souterrain der Ratskeller, in dem Wein oder Bier verschenkt wird; das Erdgeschoss enthält eine große weite Halle, einen Durchgang für die Bürger, einen Platz, auf dem während der Märkte Kaufleute ihre Waren ausstellen. Im oberen Geschoss endlich befindet sich wieder eine fast das ganze Gebäude durchziehende Halle. Hier versammelten sich die stimmberechtigten Bürger, wenn der Rat sie berief; hier führten die Ratsherren der Stadt Regierung, hier saßen sie zu Gericht und leiteten die inneren wie die auswärtigen Angelegenheiten des ihnen anvertrauten Gemeinwesens. Dem Andrange der Parteien vorzubeugen, hatte der Rat einen abgesonderten Raum für sich reserviert. In Nürnberg war derselbe durch das prächtige Bronzegitter, das aus der Gusshütte Meister Peter Vischers hervorging, abgeschlossen; in Breslau hatte man in einem Erker des Rathauses einen solchen Platz hergerichtet und durch Schranken abgeschlossen (Fig. 50); in Bremen war an der Ostseite des Saales das Ratsgestühl, bestehend aus vier, reich mit Schnitzereien verzierten, hochlehnigen Bänken, die, nach den vorhandenen Überresten zu schließen, mit den Chorgestühlen, wie wir sie z. B. im Münster zu Ulm finden, große Ähnlichkeit gehabt haben müssen. Wie an dem von dem älteren Georg Syrlin 1474 vollendeten Chorgestühle an den vorderen Sitzen die Bilder von sieben Philosophen (Pythagoras, Cicero, Terenz, Ptolemäus, Ouintilian, Seneca. Plinius und der sieben Sibyllen angebracht, die Rückwände aber mit den Figuren von 20 Männern und 18 Frauen des alten Testamentes geschmückt sind und jedem Bilde ein Spruchband mit einer lateinischen Sentenz beigegeben ist, so erscheinen auch an den Bänken der Bremer Ratsherren solche Bildnisse von Philosophen, von Dichtern (auch Freidank), von Geschichtsschreibern, von Autoren des Alten und des Neuen Testamentes, und alle diese Bilder haben Beischriften, hier aber nicht in lateinischer, sondern in niederdeutscher Sprache abgefasst. Alle diese Sprüche ermahnen zur Handhabung unparteiischer Gerechtigkeit.


                        Plato:

            We im rechte beschonet sinen frund,
            De is der eren und sinnen blind.


*) 1521 wird in Nürnberg das Recht, auf dem Rathause zu tanzen oder zu vom Rate veranstalteten Tanzfesten geladen zu werden, nur auf die ratsfähigen Geschlechter beschränkt. Deutsche Städtechroniken I, 216. — Es soll ouch fürbaß nymant cyniche sitzstatt .auff dem ratawse weder zu tenntzen noch sunst verfahen (vorher belegen) noch ime verfahen lassen, bey peen eyner yden fart ain phunt newer heller. Nürnberger Polizeiordnungen, 91.

                        Cato:

            Im Zorne richte nene sake,
            Hoet dy vor hetischer wrake (Rache).


                        Socrates:

            Richte nicht eines mannes word,
            De wedderrede sy den gehort
...*)

                        Frydank:

            Wer doget heft, de isz wol geborn,,
            Ane doget isz de adel gar vorlorn.
            Ein yewelick man tho scherme gaet
            Lugen vor sine missedaet.“


Die Sitte, solche Sprüche in den Gerichtssälen anzubringen, war damals eine ganz allgemeine. Murner in seiner „Narrenbeschwörung“ erwähnt:

            „So doch zuo Straßburg geschriben stat
            Mit guldin buochstaben in dem rat:
            Audiatur et altera pars.“

            „Eins manns red ist ein halbe red
            Man sul die part verhören ped


... das davon ein sprüchwort ist entstanden und zuo Nuerenberg ob der rath thür in messin buochstaben gossen, zuo Ulm imm yngang deß rathhuß gemaalt und an vil orten geschriben staat“.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsches Leben im XIV. und XV. Jahrhundert. Band 1
Fig. 44. Rathaus zu Breslau, Rentstube. (Nach Lüdecke und Schultz.)

Fig. 44. Rathaus zu Breslau, Rentstube. (Nach Lüdecke und Schultz.)

Fig. 45. Der Markt in Braunschweig (Nach einer Fotografie)

Fig. 45. Der Markt in Braunschweig (Nach einer Fotografie)

Fig. 46. Rathaus in Breslau. (Nach einer Fotografie)

Fig. 46. Rathaus in Breslau. (Nach einer Fotografie)

Fig. 47. Der Römer in Frankfurt a. M. (Nach einer Photographie von Sophus Williams in Berlin.)

Fig. 47. Der Römer in Frankfurt a. M. (Nach einer Photographie von Sophus Williams in Berlin.)

Fig. 48. Stralsund, Die Nikolaikirche mit dem Rathaus (Nach einer Photographie von Sophus Williams in Berlin.)

Fig. 48. Stralsund, Die Nikolaikirche mit dem Rathaus (Nach einer Photographie von Sophus Williams in Berlin.)

Fig. 49. Rathaus zu Tangermünde (Nach Deutschmann in Försters „Bauzeitung“.)

Fig. 49. Rathaus zu Tangermünde (Nach Deutschmann in Försters „Bauzeitung“.)

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