Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen

Nebst einem Beitrag zur Geschichte der deutschen Wasserheilkunde mit 159 Abbildungen nach alten Holzschnitten und Kupferstichen
Autor: Martin, Alfred, Erscheinungsjahr: 1906
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Deutsches Badewesen, Badekultur, Badewesen, Sittengeschichte, Wasserbad, Heilbad, Ostseebad
Tacitus berichtet uns in seiner Germania, „daß die Germanen gleich nach dem Schlafe, den sie meistens bis in den Tag hinein ausdehnen, sich öfters baden in warmem Wasser, weil bei ihnen die meiste Zeit über Winter ist“.1) Welcher Art das warme Bad war, können wir nur vermuten. Vielleicht handelte es sich um ein Wasserbad, das durch Hineinwerfen von heißen Steinen erhitzt wurde, eine Methode, der sich Mitte des 19. Jahrhunderts die Tiroler an der Val-Sinistra-Quelle in Graubünden noch bedienten, während die Einheimischen längst mitgebrachte Kessel benutzten.2) Die Sprachwissenschaft hat uns jedoch gezeigt, daß das Wort Stube, das erst in späterer Zeit für ein heizbares Zimmer gebraucht wird, mit dem althochdeutschen stiuban, stioban - stieben und stoup - Staub, auch stiebendes Wasser zusammenhängt und ursprünglich eine einfache Vorrichtung zur Erzeugung von Wasserdampf bezeichnete. Dann ging der Name auf das Badehaus über. Die Deutschheit und ursprüngliche Bedeutung dieses gemein germanischen Wortes, das nur gotisch nicht überliefert ist (aber altnordisch, angelsächsisch, althochdeutsch vorkommt), ist völlig sicher, sagt Moritz Heyne.3) Durch Goten und Langobarden kam der Name nach Italien (stufa) und wurde auch von den Slaven übernommen stuba, altslav. istuba) und damit auch die Einrichtung der Badestube. Die erste Erwähnung findet die Badestube in den alten germanischen Volksrechten, der noch zur Merovingerzeit entstandenen Lex Alemannorum wird die Brandstiftung an der Stube mit der an Schaf- und Schweineställen verglichen, und die Lex Bajuvariorum führt als Gebäude für sich neben Küche, Backhaus und anderen kleineren Baulichkeiten den balnearius* auf. Die Badestube war demnach ein leicht gebautes, selbständiges Gebäude. Ihre Einrichtung und Benutzung kennen wir jedoch nicht.

*) Der balnearius ist ein Gebäude und nicht, wie öfters übersetzt wurde, der Bademeister. Dieser tritt erst später auf.
Inhaltsverzeichnis
  1. Das deutsche Bad von der Urzeit bis zur Zeit der Karolinger
  2. Badebräuche, die dem Urgermanentum entstammen
  3. Baden und Schwimmen unter freiem Himmel
  4. Die ehehaften Badestuben und das Badergewerbe
  5. Die privaten Bäder
  6. Die Vorgänge in den öffentlichen Badestuben
  7. Badeleben im späteren Mittelalter und in nachmittelalterlicher Zeit
  8. Rückgang und Aufhören der öffentlichen Badestuben, Ersatz derselben in der Neuzeit
  9. Die deutschen Mineralbäder im Mittelalter und die aus diesem in die Neuzeit hinübergenommenen Badegebräuche
  10. Die Gesundbrunnen in nachmittelalterlicher Zeit bis zum Dreißigjährigen Kriege
  11. Die deutschen Mineralbäder seit dem Dreißigjährigen Kriege.
  12. Die Wasserheilkunde
  13. Nachtrag
  14. Literatur
  15. Verzeichnis der Abbildungen
  16. Namenregister
  17. Ortsregister
Dagegen haben wir eine Schilderung der ähnlich gebauten slavischen Bäder aus älterer Zeit Der jüdische Arzt Ibrahim-ibn-Jakub, der 973 mit einer Gesandtschaft des Kalifen von Corduwa bei Otto I. in Merseburg weilte, besuchte von dort aus slavische Länder, Mecklenburg und Böhmen. Wo er beobachtete, sagt er nicht, sondern hält sich im allgemeinen. Sein Bericht lautet: „Bäder haben die Slaven nicht, aber sie machen ein Gemach von Holz, dessen Ritzen sie zustopfen mit etwas, das auf ihren Bäumen wächst und wie Wassermoos aussieht und sie moch* nennen. Sie gebrauchen das auch zu ihren Schiffen statt Pech. In einem Winkel dieses Gemachs bauen sie einen Feuerherd von Steinen und lassen darüber eine Öffnung, um den Rauch hinauszulassen. Wenn nun der Herd erhitzt ist, so verstopfen sie das Luftloch und verschließen die Tür. In dem Gemache sind Gefäße mit Wasser, woraus sie nun Wasser auf den glühenden Herd gießen, so daß der Dampf aufsteigt. Jeder hat ein Büschel Heu in der Hand, womit er die Luft bewegt und an seinen Leib treibt Dann öffnen sich die Poren und das Überflüssige vom Körper kommt heraus und läuft in Strömen von ihnen ab, so daß an keinem von ihnen mehr eine Spur von Ausschlag oder Geschwulst zu sehen ist Sie nennen einen solchen Verschlag itba“ 3; 3i2.

In Anbetracht der Ergebnisse der Sprachforschung, der Tatsache, daß in den späteren öffentlichen Bädern die Verhältnisse ähnliche waren, und nach den kurzen Angaben in den Volksrechten müssen wir uns Bauart, Einrichtung und Gebrauch der Badestuben auf den einzelnen germanischen Höfen gleich oder ähnlich vorstellen.

Dampfbäder in dieser primitiven Form bestehen heute noch in Russland, Esthland, Livland und Finnland4) (Abb. 1). Die Finnen baden Sommer und Winter, während der Erntezeit jeden Abend, die ganze Familie mit dem Gesinde, auch neugeborene Kinder. Selbst der arme Mann muss sein Badehaus haben, und wenn es auch noch so klein und ärmlich wäre, daß man nicht einmal darin gerade stehen oder liegen kann. Es ist ein aus Balken gebautes viereckiges Häuschen mit einem großen Ofen von Feldsteinen in der einen Ecke, sowie einem hochgelegenen, großen und breiten Hängeboden oder Bretterregal, der Schwitzbank, auf welche die Badenden hinaufklettern, um ihr Dampfbad zu nehmen. Der Dampf wird dadurch erzeugt, daß Wasser schaufel- oder eimerweise von einer Frau auf den Haufen erhitzter Steine gegossen wird. Dabei peitschen sich die Badenden mit Birkenreisern und übergießen sich von Zeit zu Zeit mit kaltem Wasser (Abb. 2).

Abb. 2. Inneres einer größeren finnischen Badestube. Holzschschnitt aus: Gusatav Retzius, Finnland. Stockholm 1881.

*) Das slavische Wort moch wird heute noch in der Gegend der Untermulde für kurzes Moos gebraucht; mochig ist dumpf, feucht.

Das finnische Dampfbad ist nach Angabe einheimischer Ethnographen von auswärts eingeführt, ob von den slavischen oder germanischen Nachbarn, bleibt zweifelhaft. Es wird im finnischen Volksepos Kalewala oft erwähnt und eingehend beschrieben, und dieses Epos entstand erst nach der Einwanderung der Finnen aus dem Innern Russlands ins heutige Finnland, also an die germanische Grenze, die um 800 n. Chr. erfolgte. Auch die Skandinavier hatten nicht näher beschriebene kleine Badehäuser auf ihren Höfen5)