Teil 11: Zar und Zarin kamen aus Deutschland

Als Thronfolger ließ Elisabeth den 17jährigen Prinzen Karl Ulrich Peter von Holstein-Gottorf aus dem fernen Schleswig-Holstein kommen, einen Enkel Peters des Großen; und sie wählte aus einer auserlesenen Schar von Anwärterinnen die junge Prinzessin Sophia von Anhalt-Zerbst ihm zur Gattin. Friedrich der Große hatte sie zuvor gemeinsam mit ihrer Mutter nach Berlin eingeladen, wo er sie als seine Tischdame auf ihre Bildung und geistigen Fähigkeiten prüfte. Mit ihren 16 Jahren war sie nicht nur eine hübsche junge Dame, sondern zudem von ungewöhnlicher Intelligenz und nicht nur mit der deutschen, sondern auch der französischen Kultur vertraut.

Doch passte dieses Traumpaar nicht so zueinander, wie man hoffte. Karls Kindheit war schwer gewesen: Mit 3 Monaten hatte er die Mutter, mit 11 Jahren den Vater verloren, die Erziehung erreichte seine Seele nicht; er blieb verspielt und linkisch. In der Verlobungszeit wurde sein Gesicht von Pocken entstellt. Während Sophie die Zeit bis zur Hochzeit nutzte, um sich zu akklimatisieren und die russische Sprache und die orthodoxe Religion zu lernen, umgab Karl sich mit Leuten aus seiner Heimat, wohin auch all sein Wünschen und Planen ging. Zudem war er in eine andere Frau verliebt, was er seiner auserwählten Braut schon bei ihrer ersten Begegnung gestanden hatte, nicht gerade zu ihrer Freude. Es wird berichtet, dass er wegen einer nicht behandelten Phimose seinen Ehepflichten nicht nachkommen konnte.


Die jungen Leute wurden auf die Namen Katharina Alexejewna und Peter III. getauft. Am 1. September 1745 wurde die Hochzeit mit großen Festlichkeiten begangen.

Für jedermann sichtbar und zum Entzücken des Hofadels und der Geistlichkeit gab Katharina sich überaus fromm, betete viel, kniete vor jedem Heiligenbild und war bei jedem Gottesdienst und jeder Prozession dabei; sie würde sich also wie die meisten ihr vorausgegangenen Frauen leicht von den maßgebenden Männern dirigieren lassen. Schon zu dieser Zeit war sie feinspürig genug, über alle sich am Hofe abspielenden Ränke und Intrigen informiert zu sein. Offensichtlich verstand sie es besser als ihr Verlobter, sich in ihrem neuen Milieu zurechtzufinden. Der war ein Spätentwickler, den sie nach und nach verachten lernte. Peters bewundertes Vorbild war indessen Friedrich der Große, mit dessen Hilfe er gedachte, einst ein modernes Russland, frei von Unterdrückung, Bestechlichkeit und Misswirtschaft aufzubauen. Friedrichs Wahlspruch "Der König ist der erste Diener seines Staates" schwebte auch Peter vor, das krasse Gegenteil der bisherigen Tyrannei russischer Herrscher! 17 Jahre dauerte es noch nach seiner Trauung, bis Peter die Krone erbte. Bis dahin umgab er sich vorwiegend mit Freunden aus Holstein, ja er baute sich eine eigens aus Holstein herbeigeholte eigene Leibgarde auf.

Indessen führte Elisabeth, wie Leo Sievers berichtet, "ihr ausschweifendes Leben weiter, ein Sauf- und Fressleben. Sie war erst knapp über 50, aber sie hatte ihr Leben schon zu Ende gelebt, weil sie nie auf den Gedanken gekommen war, etwas anderes daraus zu machen als eine permante Orgie.

Sie schwemmte auf und verfiel zugleich. Am Ende waren ihre Beine wie gewaltige Wassersäcke, und am 5. Januar 1762 starb sie. Elisabeth hinterließ eine stagnierende Wirtschaft, eine verknöcherte Verwaltung, einen bestechlichen Beamtenapparat und 15.000 Kleider. Sie hatte alles aufgekauft, was an Modeneuheiten in der Residenz angeboten wurde."

So wie sie Preußens König aus persönlichen Gründen hasste, so hatte sie auch die Fürstin Lopuchina, als die schönste Frau Russlands allgemein bewundert, öffentlich halb zu Tode peitschen, ihre Zunge herausschneiden und nach Sibirien deportieren lassen. Zu ihren mageren Errungenschaften darf die Gründung der erst unter Katharina berühmt gewordenen Petersburger Porzellan-Manufaktur durch einige Böttger-Schüler aus Meißen gezählt werden. Ferner hatte sie Russlands Postwesen von dem Schlesier Friedrich Asch ausbauen lassen, der wegen seiner Verdienste von ihr zum Baron und Reichspostdirektor ernannt wurde.

In ihrem Nachfolger, Zar Peter III., war inzwischen eine seltsame Veränderung vorgegangen. Als seine erste Tat wagte er sich ohne bewaffnete Begleitung unters Volk und verteilte Münzen an die Armen. Er verzieh seinen Feinden, war gerecht, geduldig und aufgeklärt.

Seine erste und für Friedrich den Großen so bedeutsame außenpolitische Maßnahme war der Waffenstillstand mit Preußen. Durch diesen Schritt in Peters kurzer Zarenzeit wurde Preußen gerettet und das Bild Europas bis heute gestaltet. Seinem Idol Friedrich bot er sogar ein russisches Hilfskorps unter dem General Tschernytschew an.

Eine weitreichende Amnestie holte tausende Verbannte aus Sibirien zurück, darunter den schon erwähnten Graf Münnich. Er schaffte die Tortur ab und leitete, gemäß den vielen von Friedrich dem Großen erhaltenen Anregungen, eine Staatsrechtsreform ein. In einem neuen Steuergesetz wollte er auch die Popen, die Kirchen und die Klöster zur Kasse bitten.

Das war zu viel! Zumal mit letzterer Maßnahme schuf Peter sich erbitterte Feinde. Hochadel und Geistlichkeit hatten bislang hinter dem Rücken der den Thron zierenden Frauen die Politik des Landes bestimmt. Peter III. behielt den Zarenthron nur sechs Monate und fünf Tage. Dann wurde er das Opfer einer Verschwörung, mit angeheizt und unterstützt von seiner eigenen Frau. Die für den Staatsstreich vorgeschobenen Führer waren die fünf Brüder Orlow, von denen einer der Geliebte Katharinas war. Sie waren alle schwer verschuldet, verfügten ansonsten über keine besonderen Talente. Es gelang ihnen, mehrere höhere Gardeoffiziere für ihren Plan zu gewinnen und als weitere Zar Peter der Dritte, "von Gottes Gnaden Großer Führer aller Reußen" Karl Peter Ulrich von Holstein-Gottorf Seine Begeisterung für das aufgeklärte Europa, für Preußen als modernen Rechtsstaat und die Liebe zu seiner schleswig-holsteinischen Heimat haben Europas Bild bis heute geprägt

Mitverschwörer sogar Männer aus Peters Freundeskreis. Die russische Priesterschaft stand geschlossen hinter Katharina. Die für den Putsch benötigten Gelder, für Tarnung, Bestechung und Falschmeldungen besorgte der Franzose Jean-Dominique Odart. Eines seiner Gerüchte war, dass der Zar die Zarin kahlscheren lassen und als Nonne verbannen wollte.

Jetzt zeigte die bislang für so harmlos gehaltene Katharina, aus welchem Holz sie geschnitzt war. Peter brütete in Oranienbaum noch ahnungslos über deutschen Feldzugsplänen, mit denen er sein Holstein zurückgewinnen wollte, welches zwischen Dänemark, Schweden und Russland hin- und hergeschachtert wurde. Erst im letzten Moment wurde er von einem Freund vor dem dicht bevorstehenden Putsch gewarnt. Doch während Peter zögerte und, weil er kein Blut vergießen wollte, in Untätigkeit verharrte, handelte seine Frau. Mit aufgelöstem Haar setzte sie sich an die Spitze der Garderegimenter, denen sie flammende Ansprachen hielt. Nie wollte man eine schönere Frau zu Pferde gesehen haben. Mit erhobenen Kreuzen marschierten die Regimentspopen den Truppen voraus. Katharina unterstrich wieder ihre Frömmigkeit, indem sie vor jedem Heiligenbild und jeder Kapelle kniete und betete. Unter dem Chorgesang der Priester, eingehüllt in Wogen von Weihrauch, wurde Katharina, die an Frömmigkeit all ihre Vorgängerinnen bei weitem zu übertreffen schien, zur neuen Zarin Katharina II. Alle Machtgruppen, auf die es ankam, standen hinter ihr. Peter blieb nur der offizielle Thronverzicht, was die Brüder Orlow nicht daran hinderte, ihn zu ergreifen und im Rahmen eines Saufgelages zu erdrosseln.

Im September 1762 wurde Katharina in der Uspenskij-Kathedrale noch einmal mit allem byzantinischen Pomp offiziell gekrönt. Ihre Liebhaber und deren Mitverschworene glaubten sich am Ziel Katharina hatte ihre Schuldigkeit getan. Doch sollten sie sich in dieser Annahme gewaltig geirrt haben; anders als ein Staatsoberhaupt aus unserer jüngeren Geschichte, das "schon am Visier" erkannt sein wollte, hatte sie es meisterhaft verstanden, all denen Sand in die Augen zu streuen, die sie nur als eine der rein repräsentativen Frauen angesehen hatten, die man beliebig manipulieren könnte. Katharina kannte das Geheimnis der Macht, und die würde sie mit niemandem teilen!

Friedrich der Große hatte das Unheil kommen sehen und Peter in mehreren Briefen gewarnt. Er schrieb seinem Außenminister, dem Grafen Finckenstein: "Katharina besitzt viel Verstand und unermesslichen Ehrgeiz. Der unglückliche Zar wollte es Peter dem Großen gleichtun, aber er hatte nicht dessen Genie." Ernst Johann Birno, Herzog von Kurland, drückte sich etwas drastischer aus: "Peter könnte heute noch Zar sein, wenn er etwas mehr geköpft, gerädert und geknutet hätte."

Anders als von Adel und Klerus erwartet, führte die neue Zarin Peters Reformen im Wesentlichen weiter. Zu ihren Großtaten gehört zweifellos die Ansiedlung der Wolgadeutschen. Neben den Zehntausenden schon in Russland lebenden Deutschen, darunter viele herausragende Persönlichkeiten am Hofe und in wichtigen Schlüsselämtern, holte sie nun in Scharen deutsche Bauern in ihr Reich. Den in ihrer Heimat hart ringenden Bauern erschien Katharinas Angebot wie ein Traum. Sie wies ihnen nicht nur besten Boden, wenn auch noch wild und unerschlossen, beiderseits der Wolga zu. Sie versprach den zu Hause unter schweren Fasten ihrer Landesherren Leidenden Steuerfreiheit, die ihnen so wichtige volle Religionsfreiheit und zudem noch die Befreiung vom Militärdienst. Vor allem aber sollten die Deutschen nicht Leibeigene wie die russischen Bauern sein, sondern frei auf ihrer Scholle arbeiten können!

Außerhalb dieser ersten Wolgaregion ließ Katharina noch in anderen Landesteilen deutsche Bauern siedeln, u.a. am Schwarzen Meer und weiter nördlich im Raum Saratow. Zu den Bauern gesellten sich deutsche Handwerker. So dauerte es nur wenige Jahrzehnte, und es gab in diesen Gebieten schon 3.500 deutsche Dörfer. Es waren nicht die Schlechtesten, die daheim alles verkauft und den Sprung ins Ungewisse gewagt hatten. Katharina wusste um die Tüchtigkeit ihrer Landsleute, die auch die in Russland noch unbekannte eiserne Pflugschar mitbrachten; bestes deutsches Bauernblut hatte sie angezogen. Nach nur fünf Jahren, zwischen 1763 und 1768 hatten sich fast 30.000

Deutsche an der Wolga niedergelassen. Sie gaben ihren Siedlungen deutsche Namen, errichteten deutsche Schulen und erhielten ihre Muttersprache bis in die heutige Zeit. Noch über 200 Jahre später, selbst unter der Herrschaft des Kommunismus, gaben noch 57% aller Russlanddeutschen Deutsch als ihre Muttersprache an trotz aller Russifizierungsversuche!

Auch für das öffentliche Gesundheitswesen war Katharina vorbildlich. Zu ihren Verdiensten im Erziehungswesen gehören die Errichtung einer Akademie zur Erforschung der russischen Sprache und Stipendien für das Auslandsstudium begabter Russen. Viele von ihnen gingen an deutsche Universitäten, nicht nur um Fachwissen zu erwerben, sondern um Berührung mit deutscher Kultur zu finden, die sie nach ihrer Heimkehr weiterpflegten. Auch auf dem Gebiet der Verwaltung und im Rechtswesen leistete sie Vorbildliches. Unter Katharina hatte Russland nicht nur geographisch nach Westeuropa aufgeschlossen. In Technik, Industrie und Kultur war sie bemüht gewesen, den Anschluss an ihre westlichen Nachbarn zu gewinnen. In den russischen Schulen war unter ihr eine denkende Jugend herangewachsen, die nach Wissen und Bildung förmlich hungerte. Durch ihre offensive Außenpolitik und ihre Feldzüge vergrößerte sie den russischen Raum, wie es kaum einem der vor ihr Herrschenden gelungen war. Ihre Truppen eroberten die Krim, stießen weit nach Sibirien vor und gelangten im Westen weit über Dnjepr und Düna bis nach Galizien und Neu-Ostpreußen.

Vor allem war Katharina bestrebt, den Störenfried Polen ein für allemal auszuschalten. In Polen wurden Minderheiten, die sich nicht in die katholische Staatsreligion einfügten, mit gnadenloser Brutalität verfolgt. In Verwaltung und Finanzwesen neigte das Land zu absolutem Chaos. Das polnische Reich war über die Jahrhunderte von seiner Adelskaste zusammengeraubt worden. Diese polnischen Edelleute hatten zwar bewiesen, dass sie erobern und an ihren Höfen großartig repräsentieren konnten, aber unfähig waren, ihre Beute mit Leben zu erfüllen. Am 24. Oktober 1795 erfolgte nach zwei vorausgegangenen Verstümmelungen die dritte Teilung Polens. Danach blieb von dem einmal mächtigen Reich nichts mehr übrig. Zusammen mit Preußen und Österreich hatte Katharina es durchgesetzt, dass Polen von der Landkarte verschwand, wobei sie es fertigbrachte, sich den Löwenanteil des untergegangenen Landes zu sichern.

Allgemein bekannt ist Katharina auch durch ihre zahlreichen Liebschaften. Aber obwohl sie ihre Liebhaber stets fürstlich belohnte, so gestattete sie doch niemandem, jemals Einfluss auf ihre Politik zu gewinnen. Katharina die Große verschied am 17. November 1796 nach 34 Jahren ihrer Herrschaft. Ihr Nachfolger wurde der mit einer Württembergerin verheiratete Sohn Paul II.

Zarin Katharina II. die Große. Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst. Die große Kaiserin und Reformerin
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche helfen Russland bauen