Teil 10: Peters Nachfolge

Von nun an war Peter in ständiger Sorge um einen würdigen Nachfolger und Vollender seines Werkes. Unter seiner Führung war Russland zur Großmacht geworden. Seine Reformen im Innern bewiesen die Hand eines modernen und weitschauenden Staatsmannes, der auch zur Verwirklichung seines Programmes stets ein Gespür für wirkliche Talente gezeigt hatte. Die hervorstechendsten dieser Helfer und Berater waren Deutsche. In dem Hamburger Heinrich Pick fand er einen ausgezeichneten Verwaltungsfachmann, der für ganz Russland ein neues System für die Finanzämter und andere Behörden nach den Vorbildern des Lübecker und Magdeburger Stadtrechts schuf.

Zwei weitere bedeutende Persönlichkeiten, die Peter beim Neubau des russischen Reiches unterstützten, waren Burchard Christoph von Münnich aus dem Oldenburgischen und der Bochumer Pastorensohn Heinrich Ostermann . Von diesen Männern schrieb der schwedische Historiker Crusenstolpe: "Die wirksame Tätigkeit der Deutschen hat hauptsächlich zur Größe Russlands beigetragen. Ostermann war die Seele der ganzen Verwaltung, gekannt und gefürchtet als einer der geschicktesten Staatsmänner seiner Zeit.


Münnich war derjenige, der mit Eifer und Einsicht die innere Kommunikation des Landes förderte, indem er neue Kanäle und Wege anlegte. Das Ingenieurund Artilleriewesen und die zu diesem Zweck nötigen Schulen verdanken ihm ihre Entstehung. Kein Staat konnte sich zu jener Zeit rühmen, so geschickte Minister zu besitzen wie Russland."

Münnich baute u.a. den Ladoga-Kanal, der russischen Schiffen ermöglichte, vom Finnischen Meerbusen bis ins Schwarze und Kaspische Meer zu segeln.

Diese das große russische Netz schiffbarer Wasserstraßen verbindenden Kanäle erlaubten es, die unermeßlichen Holzund Bodenschätze des Riesenlandes zu erschließen. Münnich bewies, dass er nicht nur ein erstklassiger Ingenieur, sondern bei der Eroberung der Krim im Kampf gegen die Türken auch ein Feldherr von Rang war. 2

Ostermann, dessen älterer Bruder Prinzenerzieher am Zarenhof war, hatte als Seeoffizier Peters Aufmerksamkeit erregt. Ostermann wurde ein Meister der schwierigsten Verhandlungen. Er vermochte Staatsverträge nicht nur in Russisch und Deutsch, sondern auch in Latein und Französisch aufzusetzen.

Peter der Große starb am 8. Februar 1725. Nach seinem Tod wurde Pastor Glücks einstiges Hausmädchen die Herrin des Russischen Reiches. In Wahrheit lenkte jedoch Fürst Menschikow, mit über 150.000 Familien von Leibeigenen und unzähligen Landgütern der reichste Mann Russlands, die Geschicke des Landes.

Burchard Christoph von Münnich ( 1683 1767 ) Feldmarschall und Premierminister

Katharina, die nicht einmal schreiben konnte und sich dabei auf ihre deutschen Sekretäre und Übersetzer verließ, verstand es trotzdem, das russische Kulturleben zu bereichern. Die einzige russische Zeitung hatte nach ihrem Willen auch in deutscher Sprache zu erscheinen. Endlich ins Leben gerufen wurde jetzt auch die von Leibniz vorgeplante Akademie der Wissenschaften, wo anfangs zwei deutsche Ärzte, dabei Peters Jugendfreund sowie späterer Hofarzt, den Lehrbetrieb übernahmen. Die Bibliothek wurde von Peters Hofbibliothekar Johann Daniel Schumacher geleitet. Auch einen botanischen Garten und verschiedene Lehrwerkstätten ließ Katharina entstehen. Lorschungsaufträge gingen ebenfalls an Deutsche, so an den Arzt Dr. Daniel Jakob Messerschmidt, der in einer sieben Jahre währenden Expedition Bodenschätze, Menschen und Tierreich Sibiriens erforschte. In der Lamilienpolitik erfüllte sie einen alten Wunsch Peters. Sie verheiratete ihre Tochter Anna mit dem Herzog Karl-Lriedrich von Holstein-Gottorf sie sollten die Eltern von sieben Generationen russischer Zaren werden.

Katharina konnte nur zwei Jahre und drei Monate regieren; im Alter von 43 Jahren starb sie 1727 an Wassersucht, betrauert von der ganzen Stadt. Alexander Gordon schrieb über sie: "Sie war ein ausgezeichnet schönes Weib, mit einem hellen, klaren Verstand begabt und jederzeit froher Laune. Gegen alle Menschen war sie zuvorkommend und freundlich, und niemals vergaß sie, dass sie aus einfachen Verhältnissen gekommen war."

Der neue Zar, Peter II., der einzige Sohn des unglücklichen Zarewitsch Alexej, war bei der Krönung 1727 ein Kind von 11 Jahren; 1730 starb er an Pocken. Im Jahr 1740 folgte ein "Herrscher", der mit ganzen zwei Monaten noch in den Windeln lag, ein rein deutschblütiges Kind und direkter Nachkomme Heinrichs des Löwen. Der Säugling wurde vom ebenso geldgierigen wie hartherzigen und verschlagenen Vormund Biron vertreten, der Münnich und Ostermann haßte und auf deren Beseitigung sann. Nominell wurde die Regentschaft von der Herzogin Anna-Elisabeth von Braunschweig ausgeübt; Münnich und Ostermann besorgten die Staatsgeschäfte. Nach Peter des Großen Devise gehörte ein gutes Verhältnis zu Preußen, wo am 31. Mai desselben Jahres der junge Lriedrich auf den Tod seines Vaters folgte, zu deren Politik.

In Wien begann mit Maria Theresia eine neue Epoche, und in Russland sann die vorher nur mit ihren Liebesaffären beschäftigte Elisabeth Petrowna danach, die Macht zu ergreifen. Die dralle und kleine Elisabeth war nicht nur unmäßig im Essen und Trinken. Sie nahm jeden Mann, ob Höfling, Soldat oder Lakei, der ihr gefiel, in ihr Bett. 2

Die Thronablösung durch Elisabeth war für das russisch-preußische Verhältnis ein Verhängnis. Der junge und geistreiche, durch seinen scharfen Witz bekannte Friedrich, später der Große genannt, hatte einige wenig respektvolle Bemerkungen über die Österreich, Frankreich (die Pompadur) und Russland beherrschenden "drei Unterröcke" gemacht, von der gegnerischen Diplomatie genüßlich ausgeschlachtet! Die von ihm als "Hure des Nordens" bezeichnete Elisabeth wurde daraufhin zu seiner Todfeindin. Sie ließ sich leicht dazu bewegen, auch Russland in den kostspieligen Siebenjährigen Krieg gegen Preußen zu verwickeln.

Eine vom französischen Hof mit erheblichen Bestechungsgeldern finanzierte Palastrevolte der frankophilen Gruppe am Zarenhof hatte zur Folge gehabt, dass die bisher preußenfreundliche Politik Russlands ins Gegenteil umschlug. Münnich und Ostermann wurden ergriffen und zum Tode

Fayence aus dem 19. Jahrhundert mit Portraitminiaturen von zehn russischen Zaren; sechs von ihnen waren deutscher Herkunft.

verurteilt; Ostermann sollte sogar gerädert und Münnich von vier Pferden zerrissen werden. Als Ostermanns Kopf schon auf dem Block des Henkers lag, erfolgte plötzlich auf Befehl Elisabeths die Umwandlung der Todesstrafe in lebenslängliche Verbannung nach Sibirien.

Elisabeth regierte Russland 20 lange Jahre, und erst nach ihrem Tode am 5. 1. 1762, nach 20 langen Sibirienwintern, wurde Münnich er war jetzt 79 Jahre alt, aber immer noch voller Energie und Tatkraft durch den nächsten Zaren befreit.

Anmerkungen

1) Gewisse Interessengruppen scheinen sich auch heute ohne fremde Besatzer nicht glücklich oder sicher zu fühlen!

2) Ein Deutscher, der sich später unter Zar Alexander II. einen Namen machte, war der General Konstantin von Kaufmann, Abkömmling einer unter Peter III. aus Holstein gekommenen Familie. Seinem strategischen Können verdankt Russland u.a. die Eroberung des riesigen Amurgebietes im Fernen Osten.

3) Ähnliches berichtet der Engländer Vivian Bird von Churchills Mutter, der Frau Lord Randolph Churchill, die mit über 300 Männern, vom höchsten Adel bis zum primitivsten Stallknecht, geschlafen haben soll.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche helfen Russland bauen