Deutsche Weltmeerforschung

Aus: Das Buch für Alle. Illustrierte Familienschrift. Zeitbilder. Heft 1. 1926
Autor: Vizeadmiral a. D. A. Meurer, Erscheinungsjahr: 1926
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Weltmeere, Kanonenboot, Forschung, Wissenschaft, Expedition,
Seit einer Reihe von Monaten kreuzt das deutsche Kanonenboot „Meteor“ das Weltmeer, und die Aufmerksamkeit der ganzen Kulturwelt ist auf seine Forschungsfahrt gerichtet. Ende März dieses Jahres meldeten Kabeltelegramme aus Südafrika, dass der „Meteor“ das Verschwinden der Thompsoninsel festgestellt und durch Lotungen einen überseeischen Bergrücken entdeckt habe, der sich durch den südatlantischen Ozean zieht und an dem sich unterseeische antarktische Strömungen derart brechen, dass sie nicht in die südafrikanischen Gewässer gelangen. Über die Bedeutung und die Ziele dieser deutschen Forschungsfahrt unterrichtet unsere Leser der nachstehende Aufsatz aus berufener Feder.

*********************************************


Das Diktat von Versailles hat wie so vieles andere auch die einst so stolze deutsche Flotte bis auf einen kümmerlichen Rest hinweggefegt. Die Riesen, die England das Fürchten gelehrt, liegen seit 1919 in Scapa Flow auf dem Grunde des Meeres. Kaum dass seitdem ein deutscher kleiner Kreuzer für ein paar Monate auf dem jenseitigen Ufer des Nordatlantiks die deutsche Kriegsflagge wieder gezeigt hat, die vor dem Kriege geachtet und gefürchtet auf allen Meeren wehte. Machtpolitik, erst recht Weltpolitik, die über die Ozeane hinübergreift, ist dem deutschen Volke in seiner Wehrlosigkeit heute versagt. Aber die deutsche Forschung, die deutsche Wissenschaft, das hohe Streben, mit geistigen Waffen zu kämpfen und auf diesem Gebiet die Kraft deutschen Könnens der Welt zu zeigen, konnten weder der politische Zusammenbruch von 1918 noch das Diktat von Versailles vernichten. Nichts beleuchtet diese erfreuliche Tatsache - eine der wenigen erfreulichen, die es heute zu buchen gibt - besser als der Entschluss der deutschen Reichsregierung, eine wissenschaftliche Expedition unter der Kriegsflagge auf das Weltmeer hinauszusenden, um im ehrlichen Wettstreit mit anderen Kulturvölkern deutsche Forschungsarbeit in der Welt erneut zur Geltung zu bringen.

Die heutige zusammengeschmolzene deutsche Marine knüpft damit bewusst an die Überlieferung aus den besseren Tagen unmittelbar nach der glorreichen Einigung Deutschlands 1870/71 an. Auch damals war die deutsche Flotte, verglichen mit den Flotten der Seemächte, klein und unbedeutend. Zu ihrer Wertschätzung in der ganzen Welt trug in der Mitte der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts nicht wenig die zwei jährige wissenschaftliche Forschungsreise und Weltumsegelung der Fregatte „Gazelle“ unter dem Befehl des Kapitäns zur See Freiherrn v. Schleinitz bei, die höchst wertvolle Ergebnisse der Meereserforschung mit nach Hause brachte. Später folgten Sonderforschungen und Tiefseemessungen, vor allem im Stillen und Indischen Ozean, durch die hierfür besonders eingerichteten Vermessungsschiffe der deutschen Marine. An diese Vorgänge reihte sich eine Expedition an, die im Frühjahr 1925 auf dem eigens für seinen Sonderzweck umgebauten Kanonenboot „Meteor“ unter Führung von Fregattenkapitän Spieß die Heimat verlassen hat, um in den nächsten zwei Jahren sich wissenschaftlichen Meeresforschungen besonders im südlichen Atlantischen Ozean zu widmen. Jeder Deutsche darf mit Stolz auf diesen Entschluss der Reichsregierung blicken, der wesentlich auch dadurch ermöglicht wurde, dass die nach dem Kriege gegründete „Notgemeinschaft deutscher Wissenschaft“ die Mittel für die kostspielige Ausrüstung der Expedition mit den erforderlichen Instrumenten hergab und außerdem aus ihrer Mitte den Gelehrtenstab für die Forschungsreise stellte, deren wissenschaftliche Führung dem leider inzwischen in Südamerika verstorbenen Leiter des Instituts für Meereskunde in Berlin, Prof. Dr. Merz, anvertraut wurde.

Der südatlantische Ozean gehört in seiner mächtigen, nach Süden ausladenden Breite noch zu den wenigst erforschten Meeresgebieten. Zwar sind die Meerestiefen wenigstens in großen Zügen bekannt, aber die Wasserbewegung an der Oberfläche, also die genaue Richtung und Stärke der Strömungen auf dem hohen Meer, sowie die sogenannte Zirkulation des Meereswassers vom Boden des Ozeans bis zur Oberfläche ist noch wenig erforscht. Dazu kommen Aufgaben der Meeresbiologie: es soll in diesen Breiten das „Leben des Meeres“, pflanzliches wie tierisches, genau erforscht, frühere Beobachtungen sollen mit besseren Hilfsmitteln nachgeprüft, neue Gebiete erschlossen werden. Diese biologische Aufgabe steht mit der vorgenannten meteorologischen in engem Zusammenhange, denn durch die auf und absteigende Bewegung des Seewassers werden Stärke und Verteilung des sogenannten Planktons im Meere bedingt, unter welchem Sammelnamen die zahllosen in allen Tiefen schwimmenden, mikroskopisch kleinen Lebewesen zusammengefasst werden, die ganz wesentlich die Ernährung und damit die Lebensmöglichkeit zahlreicher Meerestiere, insbesondere der Tiefseefauna, gewährleisten. Schließlich tritt zu diesen Aufgaben der eigentlichen Meeresforschung noch die Lösung zahlreicher Fragen der Hydrographie und der Meteorologie, wie die Erforschung der Wassertemperaturen in allen Tiefen, der herrschenden Winde in allen mit Drachen erreichbaren Höhen des Luftmeeres und anderes mehr. Für jedes dieser umfangreichen Gebiete der „Wissenschaft vom Meere“ sind Spezialforscher eingeschifft, an deren Arbeiten sich die für diesen Dienstzweig sorgfältig ausgebildeten Offiziere des Schiffes beteiligen werden. Das Ganze umfasst eine Riesenaufgabe; ihre befriedigende Lösung wird eine nationale Tat bedeuten, geeignet, den deutschen Namen, den man jahrelang in der ganzen Welt maßlos beschimpft hat, wieder zu Ehren zu bringen und zu zeigen, dass die deutsche Wissenschaft mit keiner anderen den Vergleich zu scheuen braucht.

Das schmucke Forschungsschiff mit dem stolzen Namen, das zwei glorreiche Vorgänger aufweist – 1870 zwang das Kanonenboot „Meteor“ einen größeren französischen Aviso vor Havanna zur Flucht; 1916 vollführte ein Hilfskreuzer gleichen Namens eine glänzende Kriegsfahrt bis zum nördlichen Eismeer hinauf-, ist für seine schwierige Aufgabe mustergültig umgebaut und eingerichtet worden. Das Bild auf Seite 389 zeigt seine heutige Gestalt vor der Ausreise im Kieler Hafen. Als Kanonenboot während des Krieges erbaut, hat es durch Einziehen eines Wohndecks unter Wegfall der Oberdecksgeschütze Raum für den zahlreichen wissenschaftlichen Stab sowie für die notwendigen biologischen und chemischen Laboratorien gewonnen. Seine Wasserverdrängung beträgt ungefähr 1050 Tonnen, ein starkes Kohlenfassungsvermögen wird dem Schiffe gestatten, volle 6000 Seemeilen ( 1Seemeile = 1850 Meter) ohne Ergänzung des Brennstoffs bei sparsamer Fahrt zurückzulegen; eine leichte Takelage mit vollgetakeltem Fockmast soll bei schlechtem Wetter zur Stütze, bei günstigem Winde zur Ersparnis von Kohlen dienen. Für die reichliche Ausstattung mit nautischen Instrumenten, Tiefseenetzen, Registrierapparaten und so weiter sind selbstverständlich die neuesten Erfahrungen herangezogen. So ist zum Beispiel eine Einrichtung vorhanden, die es ermöglicht, das Schiff auf hoher See in Meerestiefen bis zu sechstausend Meter zur Durchführung von Tiefseeforschungen mit Fangnetzen zu verankern, während man unter normalen Verhältnissen bisher nur auf Wassertiefen von wenig über hundert Meter ankern konnte. Für die Tiefenmessungen wird die neue Methode des akustischen Lotes angewendet, wobei durch die genau bekannte Geschwindigkeit des Schalles im Wasser die Tiefe des Meeres bestimmt wird (das elektrisch arbeitende so genannte Echolot, eine Erfindung des deutschen Forschers Dr. Behm). Um diese und andere zum Teil ganz neuartige Einrichtungen der technischen Ausrüstung vor Antritt der eigentlichen Forschungsexpedition gründlich zu erproben, hat der „Meteor“ im Winter 1924/25 eine Reise nach den Azoren und Kanarien im Nordatlantik unternommen und dabei wertvolle Erfahrungen gesammelt. Am 16. April v. J. ist das Schiff aus Wilhelmshaven für seine große Reise in See gegangen, hat Buenos Aires angelaufen, wo der wissenschaftliche Leiter, Prof. Merz, leider erkrankte und ausgeschifft werden musste, und sodann begonnen, eine Reihe von „Querprofilen“ über den Südatlantik, von der amerikanischen zur afrikanischen Küste, zu legen, die nach und nach bis zum 20. Grad Nordbreite ausgedehnt werden sollen. Im südlichen Eismeer soll das Schiff im dortigen Sommer bis an die Grenzen der Antarktis vorstoßen und unter anderem auch die Insel Bouvet erforschen, die 1739 entdeckt, dann nicht wieder gesehen worden war, bis die deutsche Tiefsee-Expedition an Bord der „Valdivia“ sie im Jahre 1898 nach langem Suchen in Eis vergraben wiederfand.

So harrt ein gewaltiges Arbeitspensum des kleinen Schiffes. Aber abgesehen davon erwächst ihm auch die ehrenvolle Aufgabe, die deutsche Flagge in Gebieten wieder zu zeigen, in denen man seit über 10 Jahren kein deutsches Kriegsschiff mehr gesehen hat. Die traurigen Zeiten unmittelbar nach Kriegsende, als in der Wehrmacht zu Wasser und zu Lande die Bande der Manneszucht gelockert und der militärische Gehorsam zum Spott geworden war, sind heute vorbei. Die Besatzung des Schiffes hat überall, wo sie an Land erschien, gezeigt, dass der deutsche Seemann durch sein Auftreten und seine Leistung die Ehre der Flagge zu wahren versteht! Die erste Probe hat sie schon beim Aufenthalt des Schiffes in den argentinischen Gewässern bestanden, wo die Erinnerung an den heldenhaftesten Untergang des deutschen Kreuzergeschwaders in der Schlacht bei den Falklandsinseln 1915 noch frisch in aller Gedächtnis lebt, ebenso in Kapstadt, dem ersten englischen Hafen, den ein deutsches Kriegsschiff nach dem Kriege wieder angelaufen und wo die Aufnahme besonders herzlich sich gestaltet hat. Bisher ist sehr rüstig gearbeitet worden, und das Schiff hat bis zum Jahresende 1925 bereits vier „Profilo“ wie man in der wissenschaftlichen Welt den Querschnitt von der Oberfläche zum Meeresboden nennt von Südamerika nach Südafrika und zurückgelegt. Dabei ist auf der jüngsten Fahrt mitten im tiefen Ozean auf 48 Grad Südbreite und 8 Grad Ostlänge ein bisher völlig unbekannter, mächtiger, flacher Rücken, die „Meteorbank“, als wertvollste ozeanographische Entdeckung durch das Echolot festgestellt worden.

Als der „Meteor“, begleitet von den guten Wünschen der Garnison und Bevölkerung von Wilhelmshaven, die Molen des Reichskriegshafens zur Fahrt nach dem Süden hinter sich ließ, wehte auf der Signalstation als Abschiedsgruß ein Spruch, der in wenigen markigen Worten Ziel und Aufgabe für Schiff und Mannschaft auf dieser Reise im Dienste des Deutschtums und der deutschen Forschung umschreibt und der der Vergessenheit entrissen zu werden verdient: „Gedenke allezeit deiner ruhmreichen Vorgänger; grüße die Kameraden von Falkland, mehre das Ansehen Deutschlands; kehre zurück glücklich und erfolgreich!“

Die Weltmeerforschungsfahrt des deutschen Kanonenboots „Meteor“
Das deutsche Kanonenboot „Meteor“, das sich auf einer Weltmeerforschungsreise befindet

Die Weltmeerforschungsfahrt des deutsche Kanonenboots Meteor

Die Weltmeerforschungsfahrt des deutsche Kanonenboots Meteor

Das deutsche Kanonenboot Meteor, das sich auf einer Weltmeerforschungsreise befindet

Das deutsche Kanonenboot Meteor, das sich auf einer Weltmeerforschungsreise befindet