I. Neanders Stellung und Verhältnis zu den deutschen Sprichwörtern.

Neanders Name gehört der deutschen Literatur im engeren Sinne nicht an; wohl aber sind nach den Mitteilungen Havemanns und Raumers neben seinen vielfachen lateinischen Lehrbüchern auch einzelne deutsche Schriften, wie sein Menschen-Spiegel, sein Bedenken, wie ein Knabe zu leiten und zu unterweisen in sachlicher Hinsicht und wegen der trefflichen Gesinnung, die sich in ihnen ausprägt, noch heute aller Beachtung wert. Aber hätte auch Neander kein einziges Werk in der Muttersprache abgefasst, so würde doch seine gesammte Schriftstellerei die Liebe zur Heimath und ihrer Sprache und insbesondere zum deutschen Sprichwort ausreichend bekunden.

So erwähnt Raumer, dass Neander in seinem geographischen Lehrbuch Orbis terrae partium succincta explicatio nicht selten gute deutsche Reimsprüche mitteile und führt namentlich den schönen, auch für unsere Tage hoffentlich vorbedeutenden Spruch an (er fehlt bei Wander):


Welcher im Krieg will Unglück han,
Der fang es mit den Deutschen an.

Ein ähnliches Beispiel kann ich aus seinem Compendium der Dialectik beibringen. Hier begleitet er den Fehlschluss: „Johannes hat eine reichhaltige Bibliothek; er wird demnach ein gelehrter Mann werden“ ohne Weiteres mit dem aus Agricola (Nr. 251) bekannten Sprichworte: Es gehört mehr zum Tanze denn rothe Schuh.*)

Noch näher lag ihm die Beziehung auf deutsche Sprichwörter in seiner Ethice vetus. Ich teile die hier angezogenen Sprüche nachstehend vollständig mit; sie erklären einerseits schon, wie Neander zu einer eigenen Sammlung deutscher Sprichwörter geführt werden konnte; andererseits aber haben sie auch, insbesondere die zu den leoninischen Versen beigefügten deutschen Worte, an und für sich und durch ihre Umgebung so vielen sachlichen Werth, dass ihre Wiederholung an diesem Orte völlig berechtigt ist.

*) In dem mir vorliegenden Drucke Compendium Dialecticae ac Rhetoricae Melanchtonis [ita] Isleb. 1581 (Schweriner Gymnasial-Bibliothek) lautet die Stelle Bl. 30 b genau: Ex causis non sufficientibus (rei alicui) non valet consequentia, ut: Johannes habet instructam bibliothecam. Ergo vir doctue evadet. Es gehöret mehr darzu, denn rothe Schuhe zum Dantze.

Der erste Theil der Ethik enthält jedoch nur ein deutsches Sprichwort.

Ungleich mehr Beispiele bietet der zweite, sowie insbesondere der dritte Teil der Ethik. In jenem, der die dichterischen Aussprüche des classischen Roms und seiner Nacheiferer verzeichnet, finden sich folgende Stellen. ...


Zu den leoninischen Versen, hat Neander folgende deutsche Sprüche gesellt:

Bursa carens aere nequit in taberna sedere.
Bezeite Juncker, vnd spete Knecht.

Cattorum nati sunt mures prendere nati.
Catzen Kinder mausen gerne.

Mehr noch als diese gelegentlichen Vergleichungen beweist der Titel, den Neander seiner deutschen Sammlung gegeben, wie hoch er den Werth des vaterländischen Sprichwortes anschlug. Und wenn er nicht zu gering dachte, es der Philosophie des Plato und aller Weisheit des Altertums getrost an die Seite zu stellen, so mag er dabei zumeist freilich an die tiefen und sinnigen Aussprüche religiöser Gesinnung gedacht haben; aber auch ohnedem stand das Sprichwort ihm hoch genug, und er wusste es an dem geeignetsten Orte, im Mund des Volkes selbst aufzuspüren. ...

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche Sprichwörter.