Lambert verliebt sich in Katharine

Als aber Lambert am anderen Tage aus tiefem Schlaf, zu dem er sich in der Morgenfrühe an Konrads Seite hingestreckt, ziemlich spät erwachte, fand er den Bruder nicht mehr, der schon vor Sonnenaufgang das Blockhaus verlassen hatte. Katharina war bereite auf und am Herde beschäftigt gewesen, als Konrad leise die Treppe herabgekommen war. Er hatte es sehr eilig gehabt und selbst die Morgensuppe, die sie ihm bot, ausgeschlagen. Er werde schwerlich vor Einbruch der Nacht zurück sein. Dann habe er Büchse und Jagdtasche umgehängt, und sei, Pluto auf den Fersen, mit langen Schritten den Bach abwärts gegangen.

„Der wilde Junge“ sagte Lambert.


Er war sehr böse auf Konrad, aber es kam ihm nicht in den Sinn, dass dieser ihm geflissentlich habe ausweichen wollen. Konrad war gestern Abend wunderlich genug gewesen, aber der ältere Bruder hatte sich längst an die Unberechenbarkeit, an die krausen, oft tollen Launen des jüngeren gewöhnt. Weshalb sollte Konrad heute eine Jagd aufgeben, die er vielleicht mit den Gefährten verabredet? Er wird sich schon zu Mittag mit einem feisten Wilbpret und echtem Waidmannshunger einfinden.

So sagte Lambert, während er, an dem Herde stehend, sein Morgenbrot einnahm. Er sagte aber nicht, dass er Alles in Allem, über des Bruders Abwesenheit gar nicht so ungehalten war; dass er die süße Gewohnheit, mit Katharinen allein zu sein, und frei mit ihr Plaudern zu können, nur ungern entbehrt hätte.

Aber es wollte heute Morgen zu dem behaglichen plaudern nicht kommen. Katharine war still, und, wie Lambert jetzt sah, bleich und ihre sonst so strahlenden braunen Augen wie verschleiert. Sie meinte, dass sie nun, da sie das Ziel der Reise erreicht, doch fühle, wie groß die Anstrengung gewesen sei; „aber,“ fügte sie lächelnd schnell hinzu: „Du brauchst deshalb nicht zu sorgen; das ist in ein paar Tagen, vielleicht Stunden, Alles überwunden. Ich will nicht prahlen, aber ich habe noch immer Schaffen können, was Andere schafften, und manchmal sogar ein wenig mehr; und wenn Du nicht ein gar zu strenger Herr bist, sollst Du mit Deiner Magd zufrieden sein.“

Lambert war, als ob die Sonne sich plötzlich verhüllte. Er setzte mit zitternden Händen den Napf hin, den er noch nicht vollständig geleert: „Du bist nicht meine Magd, Katharine,“ sagte er leise.

„Doch, Lambert,“ erwiderte das junge Mädchen; „doch! wenn Du auch meinen Schuldbrief großmütig zerrissen hast. Ich bin Dir darum nicht weniger verpflichtet; ja ich bin es jetzt doppelt. Du weißt es wohl; und doch ist es gut, dass ich es sage. Ich wollte Dir eine treue, gute Magd sein, Dir und den Deinen. Ich glaubte nicht anders, als dass Deine Eltern noch lebten, ich habe mich herzlich darauf gefreut, ihnen dienen zu dürfen. Du hast von Deinen Eltern nicht gesprochen; ich denke, um mir das Herz nicht schwer zu machen. Nun sind Deine Eltern tot, wie die meinen, und Du lebst hier allein mit Deinem Bruder, so bin ich Deine Magd und Deines Bruders.“

Lambert machte eine Bewegung, als ob er etwas erwidern wollte; aber die halb erhobenen Arme fielen machtlos herab und die schon geöffneten Lippen schlossen sich wieder. Er hatte sagen wollen: ich liebe Dich, Katharine, siehst Du es denn nicht! Wie sollte er das jetzt sagen?

Katharine fuhr fort:

„.Ich wollte Dich recht schön bitten, Lambert, dass Du auch in diesem Sinne mit Deinem Bruder redetest. Wenn Du es noch nicht getan hast! Du bist der Ältere und kennst mich schon besser; er ist jung und ungestüm, wie es scheint, und sieht mich jetzt zum ersten Male. Und nun, Lambert, hast Du gewiss Besseres zu tun, als hier zu stehen, und mit mir zu schmatzen; ich habe hier noch ein wenig aufzuräumen, und komme nach, wenn Du nicht weit gehst, und wenn es Dir recht ist. Ich möchte doch nun auch Alles sehen und von Allem Bescheid Wissen.“

Sie hatte sich zu ihm gewendet und reichte ihm die Hand. „Ist es Dir recht?“ wiederholte sie lächelnd.

„Allee, Alles,“ wiederholte Lambert. Die Tränen standen ihm in den Augen; aber das geliebte Mädchen wollte es so, und das war genug. „Ich will zuerst nach dem Hofe,“ sagte er, „und hernach in den Wald; am Nachmittag wollte ich zum Ohm Dittmar; vielleicht begleitest Du mich da?“

Er ging eilig hinaus; Katharine schaute ihm mit wehmütigem Lächeln nach. „Du Guter, Lieber,“ sagte sie vor sich hin; „Du bester Mann, es ist nicht meine Schuld, wenn ich Dich quäle; aber ich muss eben an uns Alle denken, für uns Alle denken. Der Tollkopf, nun wird er ja wohl zufrieden sein.“

Katharine fühlte sich doch jetzt ein wenig erleichtert von dem Druck, der nach einer sonderbaren Szene heute Morgen mit Konrad aus ihrer Seele gelegen hatte. Unwillkürlich musste sie immer daran denken: wie erschrocken der Konrad gewesen war, als er, die schmale, steile Stiege leise herabkommend, sie schon am Herde gefunden; wie er dann an sie herangetreten, und sie mit seinen großen, funkelnden Augen angestarrt, und endlich gesagt hatte: „seid Ihr Mann und Frau, oder seid Ihr es nicht?“ und ehe sie noch Zeit hatte, etwas zu erwidern: „seid Ihr es, so soll es mir recht sein, wenn ich mir auch vielleicht eine Kugel durch den Kopf jage; aber lügt nicht, um Gottes willen lügt nicht, sonst schieße ich mich wahrscheinlich auch noch tot, aber ganz gewiss Euch Beide vorher.“ Und dann, als Katharine vor dem Ungestümen zurückgewichen war, hatte er an zu lachen gefangen und gesagt: „Nun, man schießt nicht leicht einen solchen Bruder tot, der so gut ist, dass er nicht besser sein kann, und ein Mädchen, das so schön ist, so wunderschön; und was mich selbst angeht, so brauche ich um das Totgeschossenwerden nicht zu sorgen. Das kann mir jeden Tag passieren. Pluto! Bestie, glotzest Du sie schon wieder an? Wart, ich will Dich Mores lehren.“ Damit war er fortgestürzt, und draußen hatte Pluto kurz und schmerzlich aufgeheult, als wollte er Katharinen belehren, dass sein Herr nicht vergebens zu drohen pflege.

„Nun wird er ja wohl zufrieden sein,“ sagte Katharine noch ein paar Mal, während sie das Frühstück wegräumte und die Vorbereitungen für das einfache Mittagsmahl traf. Die Arbeit ging ihr leicht von der Hand. Sie musste heute nicht mehr wie gestern Abend, wessen sie bedurfte, mühsam zusammensuchen; heute war Alles zur Hand, und Alles blickte sie vertraut an, als hätte sie es schon von Jugend auf gekannt. Und sie summte leise ihr Lieblingslieb vor sich hin: „ Wär' ich ein wilder Falke, ich wollt' mich schwingen auf“ und unterbrach sich dann, und sagte:

,Ich bin ein Kind gewesen, mich so zu ängstigen. Er liebt ihn ja, das sieht man klar; er hat ihn ja den besten Bruder genannt, und er selbst ist gewiss im Grunde seinem Herzens gut, wenn seine Augen auch noch so wild blitzen. Vor blitzenden Augen, die so schön sind, braucht man sich nicht zu fürchten; aber Lamberts Augen sind doch noch schöner.“

Katharine trat vor die Tür; der wundervollste Frühlingsmorgen strahlte ihr entgegen. Kleine, weiße Wölkchen zogen friedlich an dem lichtblauen Himmel; goldene Sterne tanzten aus dem Bach; in dem üppigen Gras der Wiesen funkelten die Tautropfen; in smaragdgrünem Glanze hier, in tiefblauem Schatten da blickten die Wälder still hernieder, die rings umher die Hügel bekränzten. Über einer Felsenhöhe, die schroff aus dem Walde ragte, schwebte auf weit gespannten Schwingen ein mächtiger Adler, wie im sanften Spiel mit der himmlischen Luft, die durch das Tal atmete, und von der jeder Hauch mit Balsamduft erfüllt war.

Katharine faltete die Hände und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Ihr war, als stände sie wieder in der kleinen Kirche ihres Heimatdorfes und sie hörte des Vaters milde Stimme den Segen über die Gemeinde sprechen: Der Herr lasse sein Antlitz leuchten über Dir und gebe Dir Frieden.

Der letzte Rest von Unruhe war von ihr gewichen; und heiteren Sinnes ging sie, Lambert aufzusuchen, den sie bei den Gebäuden vermutete, welche sie jetzt, als sie um das Blockhaus herumkam, waldwärts in einiger Entfernung liegen sah.

Sie traf ihn, wie er eben an einer Umzäunung arbeitete, die ein Stück Feld umschloss, auf welchem die lanzenförmigen, glänzenden Blätter des indianischen Kornes im Morgenwinde nickten. Junge, rotblühende Apfelbäume, deren Stamme man mit Dornen sorgsam umflochten hatte, waren rings um das Feld gepflanzt.

„Das haben heute Nacht die Hirsche getan,“ sagte Lambert, auf die schadhafte Stelle zeigend; „hier sind die frischen Spuren; Konrad weiß sie sonst in Respekt zu halten; aber in den acht Tagen, dass auch er fort gewesen, sind sie wieder dreister geworden.“

„Ich will Dir helfen,“ sagte Katharine, nachdem Sie ein paar Minuten zugesehen, wie Lambert die schlanken Zweige, die aus einem Haufen daneben lagen, durch die ausgenagelten Latten flocht.

„Das ist keine Arbeit für Dich,“ sagte Lambert, emporblickend.

„So darfst Du ein für alle Mal nicht sprechen,“ erwiderte Katharine heiter; „wenn Du eine Prinzessin in Deinem Hause brauchst, musst Du mich nur gleich wieder fortschicken. Ich eigne mich schlecht dazu.“

Lambert lächelte glückselig, als er sah, mit welchem Geschick Katharine die Sache angriff, und wie gut ihr die Arbeit stand. Und er sah jetzt auch zum ersten Male, dass die Rosen wieder aufgeblüht waren auf ihren so bleichen Wangen, und wie sie nun, ihm helfend, sich hinüber und herüber bog, erfüllte ihn das anmutige Spiel der Linien ihres schlanken, jungfräulichen Leibes mit schauderndem Entzücken.

„Du musst aber auch nicht müßig sein,“ sagte Katharine.

Der junge Mann wurde über und über rot und wandte sich mit verdoppeltem Eifer zur Arbeit, die dann bald beendet war.

„Was kommt nun an die Reihe?“ fragte Katharine.

„Ich wollte hinauf in den Wald, nach meinen Tannen sehen; da wird es wohl mehr zu tun geben, als hier, wo der gute Ohm Alles so brav in Ordnung gehalten hat; aber von der Waldwirtschaft versteht er wenig oder nichts, und Konrad kümmert sich nur um die Jägerei. Da ist es ein Glück, dass ich die Hauptarbeit noch habe tun können, bevor ich im Frühjahr wegreiste.

Er hing das Gewehr, welches neben ihm an dem Zaun gelehnt hatte, über die Schulter, und blickte Katharinen an.

„Wenn Du mich begleiten willst,“ sagte er zögernd; „es ist nicht weit.“

„Das ist ein wahres Glück,“ sagte Katharine, „Du weißt, ich scheue die weiten Wege. Willst Du nicht lieber den Hans satteln?“

Sie rief dem Pferde, das in der Koppel nebenbei zusammen mit einer kleinen Herde schwarzwolliger Schafe behaglich in dem kurzen, saftigen Grase weidete. Es spitzte die Ohren, kam schweifwedelnd langsam heran und steckte den Kopf über das Gatter.

„Du guter Hans,“ sagte Katharina, dem Tiere das dicke Stirnhaar aus den Augen streichend, „ich habe Dir viel Mühe gemacht auf der langen Reise?

„Die Mühe wird wohl nicht so groß gewesen sein. Nicht wahr, alter Hans?“ sagte Lambert

Hans mochte meinen, dass auf eine so müßige Frage keine Antwort nötig sei, und kaute ruhig den letzten Bissen Gras zu Ende. Die jungen Leute standen dabei und sahen zu, und streichelten den Kopf und den Hals des Tieres, während über ihnen in den Zweigen des blühenden Apfelbaumes ein Rotkehlchen sang. Ihre Hände berührten sich; Lamberts große Augen nahmen einen starren Ausdruck an und hoben sich dann mit einem innigen Blick zu dem errötenden Antlitz des Mädchens.

„Nun musst Du mir auch den Hof zeigen,“ sagte Katharine.

„Gern,“ sagte Lambert.

Sie traten in den Wirtschaftshof, der ebenso wie das Wohnhaus mit einer mannshohen Mauer aus Feldsteinen umgeben war, und mehrere niedrige Gebäude, aus Balken wohl gefügt, enthielt. Zuerst das Viehhaus, in welchem sich im Winter und bei Unwetter der Hans, die Kühe und die Schafe friedlich zusammenfanden, und das jetzt leer war, bis auf ein Paar halbwüchsige Schweine, die in einem Verschlage grunzten, und eine große Schar Hühner und Puter, welche vergnüglich in dem Stroh gescharrt hatten, und nun, über die unliebsame Störung erschrocken, mit Geschrei und Geflatter auseinander- und zur offenen Tür hinausstoben. Dann den Schuppen, in welchem Lambert zur Winterszeit arbeitete, und wo neben sorgsam aufgeschichtetem herrlichen Nutzholz und Geräten aller Art, angefangene und fertige Fässer standen, die dem geschicktesten Böttcher Ehre gemacht haben würden.

„Die kommen alle im Herbst mit Teer und Schiffsharz gefüllt nach Albany,“ sagte Lambert, „und reichen noch lange nicht; ich werde mich seht daran halten müssen, und Ohm Dittmar, von dem ich die Böttcherei gelernt habe, wird wohl helfen müssen, und Konrad, obgleich er diese Art Arbeit gar nicht liebt. Aber er kann Alles, was er will, und macht es dann besser, als Einer, der sein Leben dabei zubringt.“

Katharine hörte es gern, dass Lambert so stolz auf seinen jungen Bruder war; dennoch machte sie die Erwähnung desselben still; es war, als ob ein dunkler Schatten über ihr Gemüt zog, das eben noch so sonnig gewesen, wie die goldige Frühlingslandschaft rings umher.

Sie verließen den Wirtschaftshof und erreichten, allmälig aufsteigend, bald den Rand des Waldes, der hier weiter aus der Ebene zurückwich, so dass, als sie sich umwandten, das Tal ganz wie eine große Wiese im Walde erschien, in deren Mitte auf dem Hügel das Blockhaus lag. Selbst der Bach war jetzt hinter dem Röhricht, das seine Ufer umkränzte, verschwunden. Tiefster Frieden lag in seliger Stille über der morgenfrischen Erde; aber in den Lüften bereitete sich ein seltsames Schauspiel. Zu dem Adler, den Katharine vorhin beobachtete, hatte sich ein zweiter gefunden. Sie schwebten gerade über dem Hause und schlangen ihre Kreise in einander, schneller und immer schneller, bis sie plötzlich mit hellem Getön gegen einander prallten, und die mächtigen Flügel schlagend, um einander herumwirbelten, aneinander geklammert herunterfielen, wie ein Stein, sich dann wieder losließen, aufschwangen, wieder aneinander prallten, die der eine endlich nach dem Walde zu die Flucht ergriff, von dem anderen verfolgt.

„Ein hässlicher Anblick,“ sagte Katharine, „die bösen Tiere!“

„Wir sind daran gewöhnt,“ sagte Lambert.

Katharine hatte die Kampfesszene sonderbar berührt; sie hatte unwillkürlich wieder an Konrad denken müssen.

„Du liebst Deinen Bruder recht?“ fragte sie, als sie sich jetzt in den Wald wandten.

„Und er mich,“ sagte Lambert.

„Und er ist noch so jung,“ begann Katharine von Neuem.

„Zehn Jahre jünger als ich; ich bin zweiunddreißig. Unsere Mutter starb bei seiner Geburt; die gute Base Dittmar, die unserer seligen Mutter Schwester ist, hat sich seiner angenommen, denn der Vater und ich armer Junge wussten uns natürlich nicht zu raten. Als er ein paar Jahre alt war, kam er wieder zu uns, obgleich die Base ihn gern behalten hätte, aber der Vater stand nicht all zu gut mit dem Ohm, und war eifersüchtig, und fürchtete, dass ihm das Kind gar entfremdet würde. Da habe ich denn den kleinen verwaisten Schelm gewartet und gehegt nach besten Kräften, und wusste mir nicht wenig, als er so gedieh, dass Wohl jede Mutter stolz auf den Buben gewesen wäre. Dann, als ich ihn nicht mehr tragen konnte, habe ich mit ihm gespielt, und ihn das Bisschen gelehrt, was ich selber gelernt, und so sind wir zusammen gewesen Tag und Nacht, und es hat kein böses Wort zwischen uns gegeben, ob er gleich wild und unbändig war, wie ein junger Bär. Da hatte er nun freilich dem Vater gegenüber einen schweren Stand, der selbst sehr heftig und manchmal jähzornig war, und als sie sich einmal wieder veruneinigt und der Vater sogar die Hand erhoben gegen den elfjährigen Buhen, der tapfer und stolz war, wie ein Mann, ist er fortgelaufen in den Wald, und nicht wieder gekommen, dass wir glaubten, er habe sich das Leben genommen, oder sei von den Bären zerrissen. Derweilen steckte mein Musjö hinten am Oneida-See bei den Indianern, und ließ nichts von sich sehen und hören drei volle Jahre lang, bis ein paar Tage nach des Vaters Tode er plötzlich in das Blockhaus trat, wo ich einsam und traurig saß. Ich erkannte ihn erst gar nicht, denn er war ein paar Köpfe größer geworden, und trug die indianische Tracht; aber er fiel mir um den Hals und weinte bitterlich und sagte: er habe durch einen Zufall gehört, dass der Vater auf den Tod liege, und sei drei Tage und drei Nächte immerfort gelaufen, um ihn noch einmal zu sehen; und mitten in seinem Weinen richtete er sich jäh empor und warf den Kopf in den Nacken und rief mit blitzenden Augen; Aber glaub' nur nicht, ich habe ihm vergeben, dass er mich schlug, und es tue mir leid, dass ich fortgelaufen bin. — So kam er wieder, wie er gegangen war: wild und stolz und im nächsten Augenblick weich und gut.“

Lambert schwieg und sagte dann nach einer kleinen Pause: „Ich wollte, ich hätte Dir das Alles schon früher erzählt. Du würdest dann gestern weniger erschrocken gewesen sein.“

„Und heute Morgen,“ sagte Katharine für sich.

„Sie nennen ihn hier nur den Indianer,“ fuhr Lambert fort; „und in mehr als einer Beziehung passt ja der Name; wenigstens dürfte es wohl kein Indianer mit ihm aufnehmen in dem, worauf sie sich am meisten zu gute tun: Konrad schlägt sie in allen ihren Künsten; und dann liebt er die Jagd und den Wald und das schweifende Wesen, wie nur eine Rothhaut es kann. Aber sein Herz ist treu. Wie lauter Gold, und darin ist er keine Rothhaut, die alle falsch sind wie das Irrlicht auf dem Sumpf. Und deshalb lieben sie ihn auch alle Alt und jung, hier bei uns und am Mohawk und am Schoharie, und wo nur Deutsche angesiedelt sind, denn überall kommt er hin auf seinen Zügen und überall ist er willkommen, und die Leute schlafen ruhig, wenn er da ist, denn sie wissen, dass die beste Büchse in den Kolonien sie beschützt.“

Lamberts Augen leuchteten, als er so über den Bruder sprach. Plötzlich umwölkte sich seine Stirn.

„Wer weiß,“ fuhr er fort, „wie ganz andere es im vorigen Jahre gekommen wäre, hätten wir ihn hier gehabt Aber als Belletre losbrach mit den teuflischen Indianern und seinen Franzosen, die noch viel schlimmere Teufel sind, waren wir ganz unvorbereitet; wir hatten dem Indianer, der uns die Kunde brachte, nicht glauben wollen; Konrad würde wohl gewusst haben, was daran war und es bald herausgebracht haben; aber er steckte oben zwischen den Seen auf der Jagd, so fehlte uns sein Arm und seine Büchse! Und nun hat ein sonderbarer Zufall gewollt, dass sie hierher an den Canada-Creek gar nicht gekommen und unsere Häuser von der Zerstörung verschont geblieben sind. Das hat hernach böses Blut gegeben; und man hat gar von Verräterei gemunkelt, trotzdem wir Alle auf den ersten Lärm hingeeilt waren und redlich das Unsere getan haben. Ja, Konrad hat den Krieg auf seine eigene Faust fortgesetzt, er spricht nie darüber, aber ich denke, mancher Indianer, der am Morgen auf die Jagd zog, mag wohl am Abend vergebens am Lagerfeuer erwartet sein und ist bis heute nicht in seinen Wigwam zurückgekehrt.“

Katharine überlief ein Schauder. Wie hatte der wilde Mensch heute Morgen gesagt? „was mich betrifft, ich brauche für das Totgeschossenwerden nicht zu sorgen!“ — Entsetzlich! aber hatten sie nicht, als sie durch das Mohawk-Tal kamen, die Brandstätte mehr als eines Hauses gesehen, das nicht wieder aufgebaut wurde, weil sämtliche Bewohner von den erbarmungslosen Feinden niedergemacht waren? Und wie manches einfache Holzkreuz mitten in der grünen Saat, am Wege, am Waldrande, hatte die Stelle bezeichnet, wo man den friedlichen Ackersmann, ein wehrloses Weib, ein spielendes Kind ruchlos erschlagen! Nein! nein! es war ein ehrlicher Kampf für Haus und Hof, für Leib und Leben! derselbe Kampf in anderer Form, der ihren alten guten Vater mit seiner ganzen Gemeinde aus Deutschland vertrieben! Da hatten sie sich ihrer grausamen, scham- und zuchtlosen Dränger nicht zu erwehren gewusst, als durch die Flucht übers Meer in diese Wildnis im fernsten Westen. Wohin jetzt noch fliehen, wenn derselbe Feind den armen Vertriebenen auch hier Leben und Freiheit nicht gönnte? Hier konnte man nicht mehr sagen: so lasst uns unsere Hütten abbrechen, und den Staub von unseren Füßen schütteln; hier hieß es: ausharren und kämpfen und siegen oder sterben! und nicht als leere Drohung trug der Landmann, wenn er an seine friedliche Arbeit ging, das Gewehr auf der Schulter.

„Ich wollte, ich wüsste auch mit der Büchse umzugehen,“ sagte Katharine.

„Wie Base Ursel,“ sagte Lambert lächelnd; „sie schießt so gut wie einer von uns, Konrad natürlich ausgenommen; und sie lässt ihre Büchse nie zu Hause! Da sind wir bei meinen Tannen.“

Sie waren an einem Hochwald angelangt, dergleichen Katharine selbst auf der langen Reise noch nicht gesehen hatte. Wie die Säulen eines Domes schossen die Stämme machtvoll in die Höhe, und flochten oben ihre mächtigen Wipfel zu einein Gewölbe zusammen, durch dessen dunkle Bogen nur hier und da die roten Sonnenstrahlen blitzten. Und durch die weiten Hallen zog der Morgenwind, der sich jetzt stärker erhoben hatte, leise anschwellend und in den Kronen verbrausend wie Meeresrauschen.

„Das ist, als stände es so seit dem ersten Schöpfungstage,“ sagte Katharine.

„Und doch sind seine Tage gezählt,“ sagte Lambert; „in ein paar Jahren wird von ihm wenig mehr zu sehen sein. Mir selbst tut es leid um die schönen Bäume und jetzt doppelt leid, da Du sie so bewunderst; aber da ist nun freilich keine Rettung mehr. Sieh, hier fängt meine Arbeit an!“

Eine kleine Senkung, durch die ein Wässerchen nach dem Creek plätscherte, trennte diesen Wald von einem andern, der bereits im zweiten Jahre zur Teerbereitung bewirtschaftet war. Lambert zeigte und erklärte seiner Begleiterin, wie jeder Baum in vier den Himmelsgegenden entsprechende Viertel geteilt war; wie man im Frühling, sobald der Saft in die Höhe gestiegen, am nördlichen Viertel, da wo die Sonne die geringste Kraft hat, den Terpentin herauszuziehen, zwei Fuß lang abschält; und im Herbste, ehe der Saft wieder abnimmt, das südliche Viertel, im nächsten Frühjahr das östliche, im folgenden Herbst das übrigbleibende, und wie dann der von Terpentin gesättigte obere Teil des Baumes abgehauen und in Stücke gespalten wird, um behufs Zubereitung des Teers, in eigens dazu konstruierten Öfen, die er ihr später einmal zeigen wollte, verbrannt zu werden.

„Das sieht freilich nicht schön aus,“ sagte Lambert; „und gar weiterhin, wohin ich Dich nicht führen mag, wo die armen kahlen Stümpfe stehen, die nun so verdorren müssen. Das ist nicht anders. Man will leben, und wir hier, am Canada-Creek, haben nichts Anderes, oder doch kaum etwas Anderes, denn unser bisschen Ackerwirtschaft ist nur für den notwendigsten Bedarf und ebenso unser Viehstand, obgleich wir fruchtbaren Ackerboden und fettes Weideland die Fülle haben. Aber, was soll man tun, wenn man jeden Augenblick in Gefahr ist, die Felder verwüstet, die Herde weggetrieben zu sehen? Unsere Tannen müssen sie uns schon stehen lassen, und unsere Öfen sind bald wieder aufgebaut; für die verbrannten Fässer und sonstigen Utensilien machen wir uns neue. Da war es denn für uns eine Lebensfrage, als in diesem Winter Mr. Albert Livingstone uns auf das Tal einschränken wollte und die Wälder auf den Höhen für sich beanspruchte, trotzdem wir doch Tal und Wald erst von den Indianern und hernach von der Regierung noch einmal gekauft hatten. Aber das Alles habe ich Dir ja auf der Reise oft genug erzählt und Du hast geduldig genug zugehört und Dich gefreut, dass der Handel jetzt zu unsern Gunsten geschlichtet ist, Gott sei Dank!“

„Und Deiner treuen Sorge,“ sagte Katharine. „Du hast es Dir sauer genug werden lassen müssen auf der langen beschwerlichen Reise, und damit Du doch nicht leer zurückgingst, nachdem Du die alte Sorge los geworden, mit mir armem, hilflosen Mädchen gleich eine neue aufgeladen.“

„Soll ich es leugnen?“ erwiderte Lambert; „ja, Katharine, es ist mir mit Dir eine neue Sorge gekommen. Du weißt, welche ich meine: ob ich nicht unrecht tat, Dich mit hierher zu führen, wo das Leben eines Jeden in täglicher, ja stündlicher Gefahr ist. Das habe ich Dir freilich nicht verheimlicht. Weil ich wohl fühlte, dass Du davor nicht zurückschrecken würdest; aber —“

„Dann quäle Dich nicht weiter darüber,“ sagte Katharine; „oder glaubst Du, dass Du Dich in mir getäuscht hast?“

„Nein,“ erwiderte Lambert; „nur ist mir, seitdem wir nun wirklich hier sind, als hätte ich es Dir doch noch dringender vorstellen sollen. So mache ich mir auch einen Vorwurf darauf, dass ich Konrad heute Morgen weggelassen habe, ohne ihn vorher über die Kunde, die er sicher vom Feinde hat, näher auszufragen. Er ist zu sorglos, um sich dergleichen zu Herzen zu nehmen; ich sollte verständiger sein.“

„Verständiger, oder nicht weniger mutvoll,“ sagte Katharine; „und müsste ich wirklich glauben, dass meine Gegenwart Dir den frischen Mut raubte, wie könnte ich es mir je vergeben, mit Dir gezogen zu sein! Nein, Lambert, so unrecht darfst Du mir nicht tun; ich werde auch die Büchse führen lernen, wie Base Ursel. Warum lachst Du?“

„Ich kann mir Dich und die gute Alte nicht zusammen denken, ohne zu lachen,“ sagte Lambert.

„Vielleicht werde ich auch einmal alt, und hoffentlich auch gut,“ sagte Katharine, „da würde ich es den bösen, jungen Leuten sehr übel nehmen. Wenn sie über mich lachen wollten.“

„Du, alt!“ sagte Lambert und schüttelte den Kopf; „Du, alt! das kann ich mir so wenig vorstellen, als wie der Bach es anfangen müsste, wollte er hier die Felsen hinauf fließen.“

Sie waren eben zwischen den Stammen hervor an den Creek gelangt, und schritten an dem Rande hin, wo in den braunen Schlamm des Ufers Bisons und Hirsche ihre mächtigen Fährten eingedrückt hatten. Es war dem Bache nicht so leicht gemacht hier im Walde, wie unten in der Ebene. Bald hemmte ein mit jahrhundertaltem Moose übersponnener Felsblock seinen Lauf, bald ein gewaltiger Baumstamm, der quer darüber gefallen war und sein dürres Gezweig in das braune Wasser streckte. Eine kleine Strecke weiter hinauf hatte er sich sogar einen Weg durch die Felsen bahnen müssen, über die er jetzt in unzähligen, weißschäumenden Kaskaden herabhüpfte. Von der Stelle, wo die Beiden standen, sah man noch eben ein Stück des Falls, wie die flatternden Zipfel eines weißen Gewandes: auch das Brausen war durch die Entfernung gemildert und klang wundervoll zusammen mit dem Rauschen des Morgenwindes in den majestätischen Wipfeln. Sonst schwermütige Urwaldstille rings umher, die das gelegentliche Vorüberflattern einer Schar von Tauben, das Hacken des Baumspechts, das Krächzen eines Raben, das Zirpen eines Vögelchens hoch oben in den Zweigen oder das Pfeifen eines Eichkätzchens nur noch stiller zu machen schien. Weiche duftige Schatten füllten rings den Wald, aber in der Halle über dem Bache floss eine goldige Dämmerung, aus Licht und Schatten zauberhaft gewoben, und wie verklärt erschien in diesem Zauberlicht dem Liebenden die Geliebte. Er konnte den Blick nicht von ihr wenden, wie er jetzt halb zu ihren Füssen im weichen Moose saß. Ihr reiches, dunkles Haar, das wie ein Kranz den edelgeformten Kopf umgab, die schön geschweiften Brauen, die langen seidenen Wimpern, das süße Gesicht, die himmlische Gestalt — ach, es hatte sich das ja Alles auf der langen Reise so fest eingeprägt, und jetzt war ihm, als habe er nie gewusst, als sähe er jetzt zum ersten Male, dass sie so schön sei, so wunderschön! und auch ihre dunklen Wimpern hoben sich und ihr Blick streifte die blauen Augen, die ihr nie so tief, so leuchtend geglänzt hatten und wandte sich schüchtern ab und kehrte kühner wieder und wieder, und konnte sich nicht mehr losmachen, denn aus der blauen Tiefe leuchtete es und glänzte es so wunderbar, dass ihr das Herz still stand in der Brust, und sie sich plötzlich erhob, um es wieder schlagen zu fühlen an dem Herzen des geliebten Mannes, der sie in seinen Armen umschlungen hielt.

Und dann ließen sie sich los, und griffen wieder Einer nach des Andern Händen, und sanken sich wieder in die Arme, und tauschten heiße Küsse und heiße Schwüre, und lachten und weinten, und sagten, dass sie einander geliebt hatten vom ersten Augenblick, und dass sie einander lieben wollten bis zum letzten.

Plötzlich bebte Katharine zurück: „Und Konrad!“ rief sie, „O mein Gott, Lambert, was fangen wir an!“

„Was hast Du, mein Mädchen?“ fragte Lambert, indem er die Geliebte wieder an sich zu ziehen versuchte.

„Nein, nein,“ sagte Katharine; „das muss erst geschlichtet sein; o, warum habe ich es Dir nicht gesagt! aber wie konnte ich das. Wie konnte ich Dir vorher davon sagen! nun freilich muss ich sprechen. Wenn es auch zu spät ist.“

Und sie erzählte Lambert, ohne Zaudern, und doch beklommen, die sonderbaren Reden, welche Konrad heute Morgen geführt, und wie wunderlich sein Betragen und wie drohend sein Aussehen gewesen. „Ich glaube sein Lachen noch immer zu hören,“ sagte sie zuletzt; „großer Gott, da ist er!“

Und sie deutete mit zitternder Hand den Bach aufwärts, nach der Stelle, wo zwischen dem dunklen Unterholz der Schaumstreifen des Wasserfalls flatterte.

„Wer?“ fragte Lambert.

„Konrad, mir däucht, ich habe ihn eben durch die Stämme schlüpfen sehen.“

Lambert schüttelte den Kopf.

„So würde er noch da sein,“ sagte er; „es war ein Hirsch, der zur Quelle wollte. — Wahrlich, Du ängstigst Dich umsonst. Ich glaube wohl, dass der Junge mein schönes Mädchen schön findet; aber lieben, wie ich Dich liebe, das kann er nicht; und hernach wird er glücklich sein, wenn er mich glücklich sieht.“

„Aber jetzt habe ich sicher eine Menschenstimme gehört,“ rief Katharine.

„Diesmal auch ich,“ sagte Lambert; „aber das kam von dorther, den Creek herauf. Horch!“

„He, holla, holla! he, ho!“ klang es jetzt; Katharine konnte noch nicht unterscheiden, ob die laute Stimme einem Manne oder einer Frau gehörte.

„Das ist Base Ursel!“ sagte Lambert, „wie kommt die jetzt hierher?“

Ein dunkler Schatten flog über sein gutes Gesicht, der aber sofort schwand, als Katharine ihm einen herzlichen Kuss auf die Lippe drückte und sagte: „Schnell, Lambert, und nun wollen wir der Base entgegengehen und lass Dir nichts merken, Lambert, hörst Du?“

„Da ist sie schon,“ sagte Lambert, halb ärgerlich, halb lachend, als jetzt eine große Gestalt, deren Kleidung das seltsamste Gemisch aus Frauenkleidung und Männeranzug war, und die eine Büchse jägerartig auf der Schulter trug, sich durch die Büsche arbeitete und schnell auf das Paar zukam.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche Pioniere