Katharine lernt Lamberts Bruder Konrad kennen

Durch die offene Tür war, als Lambert drinnen hantierte, ein heller Schein gefallen; Katharine sah jetzt, dass derselbe von einem gewaltigen Kienspan herrührte, welcher in einer eisernen Vorrichtung neben einem großen steinernen Herde in der Ecke des Raumes brannte. Der Raum war, wie ihn das junge Mädchen in mehr als einer der Farmerwohnungen, in welchen sie aus ihrer Wanderschaft Rast gemacht, kennen gelernt hatte: halb Küche und Vorratskammer, halb Wohnstube, mit allerlei Gerätschaften ausgestattet, die an den Wänden, selbst an der Decke, hingen, in den Ecken standen, auf dem Fußboden lagen; um den Herd herum ein Paar rohe Stühle aus Tannenholz, unmittelbar neben dem Herde an der Wand ein großer viereckiger Tisch, der als Anrichte- und auch wohl als Esstisch diente, denn es standen noch in ein Paar irdenen Gefäßen die Reste einer Mahlzeit daraus, zu welcher ein Bärenschinken, der nicht wieder an seinen Haken gehängt war, den hauptsächlichen Beitrag geliefert zu haben schien. Die ganze Einrichtung war nur auf das einfachste Bedürfnis berechnet; keine Spur eines Strebens nach Anmut oder Schönheit, nicht einmal Behaglichkeit, und diese Beobachtung, die das junge Mädchen mit dem ersten Blicke machte, den sie durch den Raum gleiten ließ, fiel ihr schwerer auf das Herz, all die Stille des leeren Hauses. Das Haus musste sich ja füllen, wenn die jetzt Abwesenden zurückkamen, aber würde sie sich der Kommenden freuen, die hier hausten, die dies ihr Heim nannten?

„Ich muss nach dem Pferde sehen,“ sagte Lambert, „und nach dem Andern. Du bereitest uns unterdessen wohl das Abendbrot — es wird sich ja noch etwas finden. Hernach wollen wir an Deine Schlafstelle denken. ES sieht hier sehr wüst aus-, aber Konrad weiß nichts von Ordnung. Indessen, Du kannst eine Kammer oben haben, ich schlafe unten. Ich gehe nicht weit und bin bald wieder zurück, ängstige Dich nicht!“


Er sagte dies Alles sehr hastig und abgerissen, während er hier und da in den Ecken kramte, so dass sie ihn kaum verstand. Dann verließ er schnell das Haus und sie hörte, wie er draußen das Pferd losband und sich mit demselben entfernte.

„Ängstige Dich nicht! Nun wahrlich, ein Wunder wäre es nicht, wenn ich es täte! Wie sonderbar ist dies Alles! Aber er ist ja so himmlisch gut zu mir armem Mädchen gewesen, und meint es gewiss noch brav und treu wie immer. Wo sie nur sein mögen? bei einem „Nachbar gewiß; ich sah den Bach abwärts ein paar Dächer in der Ferne. Ob er sie noch zurückerwartet? Nun, ich will tun, was einer guten Magd zukommt, die ihre Herrschaft erwartet.

„Womit fange ich nur an? Ja, das ist es! Da wird es gleich behaglich werden!“

Sie wandte sich zum Herd und hatte nach wenigen Minuten aus dem trockenen Kienholz, das aufgeschichtet daneben lag, ein helles Feuer entfacht. Dann löste sie den Kessel, der mit der Kette an der Wand hing, vom Haken, füllte ihn halb mit Wasser, das sie frisch aus dem kleinen Brunnen schöpfte, welcher unmittelbar neben dem Herde stand, und suchte und fand nach einiger Zeit, wessen sie sonst zur Bereitung des Abendbrotes bedurfte. Nur über die Zahl derer, für welche sie zu sorgen haben würde, war sie im Unklaren; sie meinte endlich, dass sechs die rechte Zahl sein dürfte: Lamberts Eltern und Konrad, sein Bruder, von welchem er ein paar Mal kurz gesprochen hatte, Lambert selbst, und vielleicht fand sich noch ein Mitglied der Familie, oder man brachte einen Gast mit. Dann, als es nach dieser Seite nichts mehr zu tun gab, fing sie an, etwas Ordnung in dem Raum zu schaffen, aber nur so obenhin, und was sich gewissermaßen von selbst zurecht stellte und legte, wenn man nur ein wenig nachhalf; „denn ich habe eigentlich doch kein Recht dazu und sie mochten mir's übel nehmen,“ sagte sich das junge Mädchen.

So mochte sie wohl eine Viertelstunde still geschafft haben und war eben wieder, da sie für den Augenblick nichts weiter zu tun fand, und das Wasser zu kochen anfing, an den Herd getreten und schaute in die lodernde Flamme, denkend, es sei nun wohl Zeit, dass wenigstens Lambert zurückkomme, als sie hinter sich ein Geräusch vernahm. Sie wandte sich halb um, und erschrak heftig, als sie, anstatt Lamberts, wenige Schritte von ihr entfernt, einen Fremden stehen sah, der sie, ohne sich zu regen, mit verwunderten Blicken, als traute er seinen Augen nicht, anstarrte. Der Schein des hellflammenden Kienspans und des lodernden Feuers fiel voll auf ihn, und das war ein Glück für Katharine, denn sie sah nun in demselben Moment, dass der riesengewaltige, in sonderbare, halb bäurische, halb indianische Tracht gekleidete Mann noch sehr jung war, mit einem trotz der tiefbraunen Sonnenfarbe schönen Gesicht, aus dem die großen verwunderten Augen herrlich glänzten. und jetzt lehnte der junge Riese die Büchse, die er vorhin auf den Boden hatte gleiten lassen, an den Tisch, schlug die mächtigen Hände schallend zusammen, brach in ein überlautes Gelächter aus, warf sich in einen der Stühle, der trotz seiner derben Konstruktion erkrachte, sprang dann wieder auf, trat dicht vor das Mädchen hin, das nun doch ein wenig zurückwich, fing abermals, aber weniger laut, an zu lachen, schwieg dann plötzlich, schüttelte die kurzen braunen Locken und sagte: „Das hat der Lambert gut gemacht! Wo ist denn die Andere?“

Katharine antwortete nicht; sie wusste nicht, was die Worte des jungen Mannes heißen sollten, aber sie berührten sie hässlich, und ihr Herz fing auf einmal an heftig zu pochen.

Der junge Riese blickte umher in dem Raume, als suche er wen, der sich da versteckt habe; dann richteten sich seine Blicke wieder auf Katharine, aber jetzt war ein anderer Ausdruck in den großen Augen, die in einem tieferen Licht erglänzten. Er sagte durch die weißen Zähne:

„Du bist schön, Mädchen; so etwas Schönes habe ich nie gesehen. Wie heißt Du?“

„Katharine,“ sagte das junge Mädchen, welches fühlte, dass es sprechen müsse. „Katharine Weise. Du bist Konrad, Lamberts Bruder; ich sehe es an der Ähnlichkeit. Dein Bruder Lambert ist sehr gut gegen mich gewesen: sehr gut. Wir sind eben angekommen, er ist gegangen, das Pferd in den Stall zu bringen. Er wollte gleich wieder hier sein; mir däucht, Du hättest ihm begegnen müssen. Werden die Anderen auch bald kommen?“

„Wer soll kommen?“ fragte Konrad.

„Eure Eltern,“ sagte Katharine; sie sagte es sehr leise, die Angst, die mit jedem Augenblicke wuchs, schnürte ihr die Kehle zusammen.

Konrad zeigte seine weißen Zähne. „Unsere Eltern,“ rief er, „unsere Eltern! ei, die sind lange tot; Du musst schon mit uns Beiden vorlieb nehmen.“

„Ich will nach dem Lambert sehen,“ sagte Katharine, und sie versuchte an Konrad vorüber nach der Tür zu gelangen. Konrad vertrat ihr den Weg.

„So,“ sagte er, ärgerlich lachend, „und der Lambert hätte Dich für sich selbst mitgebracht, der Schlaukopf — und ich soll das Nachsehen haben! Nun, meinetwegen! !Ich bin der jüngere und kann schon noch ein Bisschen warten; aber einen Kuss, schöne Schwägerin, den musst Du mir geben, das ist das Wenigste.“

Und er streckte die mächtigen Hände aus, zog das Mädchen, das sich vergebens gegen die Riesenkraft des Übermütigen sträubte, an sich und küsste sie auf die erglühenden Wangen.

In diesem Momente ergoss sich das Wasser, das längst schon ungestüm gebrodelt hatte, zischend und sausend in dichtem Schwall nach allen Seiten über den Rand des Kessels in das Feuer, welches beinahe erlosch. Ein dichter grauer Dampf, durch den das Licht des Kienspans rötlich schien, wallte auf und erfüllte den Raum. Katharine riß sich los oder wurde losgerissen; sie hätte es nicht zu sagen vermocht; aber es waren jetzt zwei Gestalten da, die miteinander rangen und von denen die andere wohl Lambert sein mochte. Auch glaubte sie Lambert ihren Namen rufen zu hören, und nochmals ihren Namen, als draußen schon der Abendwind um ihre von Zorn und Scham erglühenden Wangen spielte.

Drinnen hatte sich der Dampf verzogen; Konrad fiel seinem Angreifer, den er eben mit einer gewaltsamen Anstrengung von sich abgeschüttelt hatte, lachend um den Hals.

„Lambert, lieber, bester Lambert!“

„Lass mich,“ sagte Lambert, sich hastig aus der Umarmung losmachend, „laß mich! Katharine?“

Und er blickte mit wirren, angsterfüllten Blicken in dem spärlich erleuchteten Raum umher.

„Sie ist hinausgelaufen,“ sagte Konrad; „ich will sie Dir wiederholen.“

„Nein, nein; ich will es, ich muss es;“ rief Lambert, schon an der Tür.

„So nimm mich doch wenigstens mit!“

„Ich bitte Dich, Konrad, lass mich; ich will Dir Alles hernach erklären. Katharine! um Gottes Barmherzigkeit Willen, wenn sie sich in den Creek gestützt hätte!“

„Dummes Zeug,“ sagte Konrad, der, weniger auf geregt, als sein Bruder, die falkenscharfen Augen überall hatte umherschweifen lassen: „Da sitzt sie, da! siehst Du!“

„So will ich allein zu ihr!“

„Meinetwegen! und, Lambert, höre: Du hast mir nicht auch eine Frau mitgebracht!“

Aber Lambert eilte schon mit klopfendem Herzen der Stelle zu, wo er Katharine sitzen oder liegen sah — er konnte es in der Entfernung und bei der Abenddämmerung, die jetzt stark hereinbrach, nicht unterscheiden.

Katharine war den Hügel, auf welchem das Haus lag, hinab, gerade vor sich hingerannt, bis sie plötzlich den Bach zu ihren Füßen sah. Nun lief sie an dem Rande entlang, ohne recht zu wissen, was sie wollte, wohin sie wollte, nur von dem einen schmerzlichen Gefühl getrieben, dass der Mann“ dem sie vertraut wie ihrem Gott, sie betrogen habe. Auch selbst das vermochte sie sich nicht klar zu machen. Es war ja Alles so schnell gekommen, schattenhaft an ihr vorbeigezogen im Rauch und Nebel des Herdfeuers, welches sie für eine Familie entfacht, die aus zwei mit einander kämpfenden Brüdern bestand, kämpfend um sie! und dies das Ende der langen Pilgerfahrt, welche sie so getrosten Mutes begonnen, mit einer immer wachsenden Empfindung der Sicherheit zuletzt mit einer sonderbaren Freudigkeit zurückgelegt hatte. Dies das Ende!

„O mein Gott, mein Gott!“ stöhnte das junge Mädchen, stehen bleibend und mit angstvollen Blicken in die Wildnis starrend, die sie rings in fürchterlichem Schweigen umgab, in den Abend, der finster von allen Seiten heraufzog, „O mein Gott, mein Gott!“

Ein Steg, der nur aus einem mächtigen Baumstamm bestand, führte an der Stelle, wo sie jetzt war, über den Bach. Schon hatte sie einen Fuß auf die gefährliche Brücke gesetzt, als ihr plötzlich dunkel vor den Augen wurde. Unwillkürlich wich sie wieder zurück und sank in die Knie, ihr Haupt gegen den Baumstamm lehnend, die Sinne vergingen ihr.

Da hörte sie wie aus weiter Ferne ihren Namen rufen: Katharine! und noch einmal, aber diesmal in ihrer unmittelbaren Nähe; Katharine! Sie schlug die Augen auf: dicht neben ihr im Grase kniete Lambert. Er hatte ihre kraftlosen Hände ergriffen; sein langes, schlichtes, braunes Haar flatterte in dem Abendwind wirr um sein bleichet, angstzerwühltes Gesicht.

„Katharine,“ sagte er noch einmal, „kannst Du mir verzeihen?“

Das junge Mädchen sah ihn groß an; sie wollte sagen: Warum hast Du mir das getan? aber das Herz war ihr zu voll. Zwei große Tränen rollten über ihre Wangen, denen unaufhaltsam andere und andere folgten. Sie wollte ihre Hände aus Lamberts Händen ziehen; der aber hielt sie fest wie ein Verzweifelter, und wie eines Verzweifelten klang seine Stimme: „Um Gottes Willen, Katharine, höre mich! ich habe zu gut gemeint; ich habe es Dir hundertmal sagen wollen; aber ich konnte es nicht; ich dachte, Du würdest nicht so gern mit mir gehen, wenn Du die Wahrheit erführest, ich habe eine große Angst ausgestanden, Du könntest es doch hören, als wir durch Albany kamen und durch Shenectady und durch das Mohawk-Tal, wo sie mich Alle kennen. Ich bin immer vorher in die Häuser gegangen, die Leute zu bitten, dass sie nicht zu Dir über meine Verhältnisse sprächen, und heute bin ich gar vom Wege ab durch den Wald gezogen, damit mir Niemand hier am Creek begegnete. Es war nicht recht, es war sehr töricht, es war schlecht von mir, Katharine, dass ich Dein Vertrauen nicht mit Vertrauen erwidert habe, aber ich wusste mir nicht zu helfen. Um Gotteswillen verzeihe mir, Katharine!“

Sie hatte ihm jetzt doch ihre Hände entzogen, die sie fest unter dem Busen verschränkte. Lambert war aufgestanden; er strich sich das Haar aus dem Gesicht. Er wusste vor all den Gedanken, die sich in seinem Kopf durchkreuzten, vor all den Empfindungen, die seine Brust erfüllten, nicht mehr, was er sagen sollte, was er sagte.

„Katharine, glaube mir, o, glaube mir doch: ich habe nicht daran gedacht, als ich nach New-York kam, dass ich nicht allein heimkehren würde. Ich will Dich wieder zurückbringen, will Dich bringen, wohin Du willst. Mein Ohm, der Christoph Dittmar, und seine Frau, meine Base, sind alt und kinderlos, und würden sich freuen. Dich zu haben; und Konrad und ich werden wieder leben wie vorher. Konrad ist mir immer ein guter, treuer Bruder gewesen, und es tut ihm gewiss jetzt schon herzlich leid, dass er Dich so beleidigt hat. Wir beide wollen über Dich wachen, für Euch Alle wachen, wie wir es stets getan, hier, wo wir die Vordersten sind von allen Ansiedlern. Aber wie du willst, Katharine, wie du willst.“

Sie hatte sich jetzt auch erhoben, und wie sie dastand, hoch aufgerichtet, in dem Schein des Mondes, der seit einiger Zeit über den Waldrand heraufgekommen war, glaubte Lambert das geliebte Mädchen so schön nie gesehen zu haben. Sie hatte die Hände gefaltet, und blickte nicht auf Lambert, sondern nach oben, als sie leise, aber fest sagte: „Ich will mit Dir gehen, Lambert Sternberg — trotzdem!“

Sie schritten nebeneinander nach dem Hause zurück, dem Monde entgegen, der mit glänzender Klarheit aus dem tiefblauen Himmel leuchtete. Lambert richtete von Zeit zu Zeit schüchterne Blicke auf die Geliebte; er hatte ihr noch so viel zu sagen, so sehr viel; aber er wagte nicht zu sprechen, da sie selbst nicht sprach und er doch wusste, dass sie so schön sprechen konnte, wie er sein Leben lang noch Niemand hatte sprechen hören. Nun, es war ja auch so schon gut, und er war ja auch so schon dankbar, dass die Last endlich von seiner Seele genommen war, und dass sie ihm verziehen hatte, ihm gewiss ganz verzeihen würde, wenn sie erfuhr, was er gelitten!
Katharine ihrerseits hatte es schon erfahren: an der leidenschaftlichen Heftigkeit des sonst so ruhig gefassten Mannes; sie hatte es erfahren an dem Sturm, der eben durch ihre eigene Seele gebraust war und jetzt war in ihrer Seele nach dem Sturm die Ruhe der Betäubung. was war geschehen? war Alles, was sie still gehofft, in sich genährt, gehegt, für immer vernichtet? war unter Donnertosen eine neue Welt erblüht, viel herrlicher, als sie je geträumt?

So, in die sonderbarsten Gedanken verloren, gelangten sie wieder zum Hause.

„Kommt Ihr endlich!“ sagte Konrad.

Er hatte in der Tür gestanden, die er jetzt für die Beiden weit aufriss. Dann reichte er Katharinen die Hand und seinem Bruder, als begrüßte er sie zum ersten Male. „Ihr seid mir vorhin so über den Hals gekommen,“ sagte er; „man wusste ja gar nicht, wo einem der Kopf stand. und wie hier Alles herumlag! Es war ein bisschen unordentlich geworden in den zwei Monaten, die Du fort warst, Lambert; Du weißt, ich verstehe mich schlecht auf Haushalten; und ich war auch erst vor zwei Stunden nach Hause gekommen, nachdem ich acht Tage draußen gewesen oben am Black River, hinter den Bibern her, habe aber statt der Biber nur Onondagas gefunden, die gar keine gute Miene hatten, die verdammten Schelme. und eben war ich nur nach Ohm Dittmar hingesprungen, der unterdessen unsere Kühe gehabt hat. Die Bleß hat gekalbt. Dittmar will das Kalb behalten, wenn Du es nicht selbst aufziehen willst. So, jetzt Euch hierher. Ich habe unterdessen das Abendbrot, so gut es gehen wollte, wieder in Ordnung gebracht, nachdem ich vorher dazwischen getölpelt war. Es gibt gebackenen Schinken, Lambert, Dein Leibgericht.“

Konrad war ganz außerordentlich geschäftig, während er so sprach. Er rückte die Stühle an den Tisch und rückte sie wieder ab, um sie mit seiner braunen Hand abzuwischen, und wieder heranzurücken. Er legte aber- und abermals Holz auf das Feuer, dass die Flamme hoch aufprasselte und sausend in den Schlot hinauffuhr; gab seinem Wolfshund Pluto, der jetzt hereinkam, einen Fußtritt aus keinem bestimmten Grunde, es hatte denn sein müssen, weil derselbe fortwährend mit den großen, gelben Augen Katharinen anblinzelte. Er selbst sah das fremde Mädchen nicht an, und wenn zufällig sein Blick über ihr Antlitz streifte, wurde er rot und verlegen und wandte schnell die Augen wieder ab.

So trieb er es während der ganzen Mahlzeit, in einem fort sprechend, aufstehend, sich wieder setzend, Alles ordnen wollend und Alles in Verwirrung bringend, so dass es Lambert heiß vor der Stirn wurde, und er Gott dankte, als er Katharine freundlich lächeln sah. Sie glaubte Konrads Betragen zu seinen Gunsten auslegen zu dürfen: und dass sie keinen schlimmen Eindruck auf den jungen, schönen Menschen gemacht, war ersichtlich genug. Es kostete sie jetzt keine Mühe, auf seine Reden dann und wann ein freundliches Wort zu erwidern. Ja, Lambert war erstaunt, und es klang ihm sonderbar, als sie einmal über eine der tollen Reden Konrads lachte in demselben anmutig Weichen Ton, in welchem sie sprach. Er hatte sie auf ihrer ganzen Wanderschaft niemals lachen hören.

So saß er denn still da, voll dankbarer Freude, dass sich Alles nun doch so gut anließ, nachdem er eben noch ganz verzweifelt gewesen, und doch voll heimlicher Unruhe, wie ein Mensch, der einer großen Gefahr mit genauer Not entronnen, sich dem Gefühl der Sicherheit nicht hinzugeben wagt, und den Boden unter seinen Füßen schwanken zu fühlen glaubt. Dazu drückte ihn, je mehr die Mahlzeit sich ihrem Ende nahte, schwerer und schwerer eine neue Sorge. Er hatte während der Reise in den Farmerhäusern, wo sie einkehrten und wo der Platz oft knapp genug bemessen war, mehr als einmal, zusammen mit der Farmerfamilie, zur Nacht denselben Raum mit seiner Gefährtin innegehabt; ja, zwei oder drei Nächte, Wo sie eine Menschenwohnung nicht erreichen konnten, hatten sie mitten im Walde Rast gemacht, und er hatte das geliebte Mädchen im Scheine des Lagerfeuers ruhig schlummern sehen, und, aufblickend zu den Sternen, die durch die Baumwipfel glänzten, Gott gedankt, dass er über ihren Schlummer wachen dürfe. Doch das war eben auf der Reise gewesen — eine Ausnahmezustand, der so nicht bleiben konnte und sollte. Nun befand sich im oberen Stockwerke, das sonst nur Vorratsboden war, ein kleiner Verschlag, in welchem einer der Brüder zu schlafen pflegte, während der andere seine einfache Lagerstätte in einer kleinen Abseite des unteren Raumes hatte. Die Brüder hatten diese Einrichtung im vergangenen Jahre getroffen, als der Einfall der Franzosen doppelte Wachsamkeit nötig machte, und hatten später, als die Gefahr vorüber war, bis zu Lamberts Abreise, diese Gewohnheit beibehalten. Lambert hatte Katharinen jenen Raum zugedacht; aber Konrad hatte bereits während des Mahles erzählt, wie er auf seinem achttägigen Streifzuge in Erfahrung gebracht, dass die Franzosen sich wieder rührten. Erneute Wachsamkeit sei deshalb nötig; und er, da Lambert sich gewiss von dem Marsche ermüdet fühle, würde heute Nacht die Wache übernehmen.

„So wollen wir abwechselnd Beide oben wachen,“ sagte Lambert nach einer verlegenen Pause; „Katharine nimmt für heute hier unten vorlieb, morgen werden wir besser für sie sorgen. !Ist es Dir recht, Katharine?“

„Gern,“ erwiderte das junge Mädchen; ich habe dort hinter dem Verschlag herrlich duftendes Heu gesehen, und hier die schöne, weiche Bärendecke — kümmert euch nicht um mich; ich will schon zurecht kommen. Gute Nacht.“

Sie reichte Lambert die Hand und dann Konrad, der verwundert dreinschaute, und verwundert dem Bruder, nachdem sie noch vorher die Haustüre fest verriegelt und verrammelt hatten, die enge, steile Stiege hinauf, nach oben folgte.

Katharine blickte den Beiden nach, dann atmete sie tief auf, strich mit der Hand über die Stirn und begann die Reste des Abendbrotes abzuräumen, die Gefäße zu reinigen und wegzustellen, und das Werk der Ordnung, das sie vorhin schüchtern angefangen hatte, mutiger fortzusehen. Das dauerte eine ganze Zeit; manchmal blieb sie mitten in ihrer Arbeit wie betäubt stehen, die Hand an die Stirn gedrückt. Ihr Herz war so voll, dass sie sich hätte hinsehen und recht ausweinen mögen, und in demselben Moment durchzitterte ihre Seele eine fast ausgelassene Heiterkeit, wie sie sie wohl früher als ganz junges Ding beim Pfänderspiel empfunden, wenn die Schar bunt durcheinander tollte. Dann ging sie, aus so wunderlichen Träumen erwachend, wieder still an ihre Arbeit, und schaute endlich mit einem zufriedenen Lächeln in dem Raum umher, der jetzt wirtlich ein ganz anderes Aussehen gewonnen hatte. Nun löschte sie sorgsam das Feuer aus dem Herde und suchte ihr bescheidenes Lager aus, das sie sich in der Abseite des großen Raumes bereitet hatte.

Durch die schmale Schießscharte in der dicken Bohlenwand stahl sich ein Strahl des Mondes und verbreitete eine schwache Dämmerung um sie her. Es atmete sich leicht in dem frischen Waldduft, der durch die Öffnung wehte und ihre heiße Wange umspielte. Ununterbrochen plätscherte der Bach. Von Zeit zu Zeit erhob sich ein Rauschen, erst leise, dann anschwellend und wieder verhallend, fast wie ferner Orgelton. Es war des Urwaldes feierliche Musik. Sie hatte diese Musik schon vernommen auf der Wanderschaft, wenn sie, fast schon schlummernd unter den Bäumen im zusammengerafften Moose, mit traumverschleierten, halb geöffneten Augen Lambert noch am Lagerfeuer sitzen sah. Auch jetzt hörte sie seinen Schritt, wie er eben um die Galerie die Runde machte. Es musste sein Schritt sein; Konrad wäre fester aufgetreten. Einmal stand er still, gerade ob ihrem Haupte. Spähte er in die Feme nach dem blutgierigen Feinde? oder horchte er auf des Spottvogels wundersames Lied, das sich seit einiger Zeit vom Walde her vernehmen ließ, in weichen, schluchzenden Tönen, wie die Nachtigall schlug drüben in der deutschen Heimat in dem Lindenbaum vor dem Giebel des Pfarrhauses; und nun wieder kreischte es dazwischen wie ein ärgerlicher Papagei oder lachte gar wie eine Elster. Das klang so drollig. Und dann war es gar nicht mehr des Spottvogels dämonischer Doppelgesang, sondern zwei Menschenstimmen waren es, und Lambert sprach in leidenschaftlich erregtem Tone: Katharine, kannst Du mir verzeihen? und Konrad lachte dazwischen und sagte: Katharine ist gar nicht bös; und Katharine musste lächeln und mit einem Lächeln auf den Lippen schlief sie endlich ein.

Unterdessen hielt Lambert, wie Katharine richtig geschlossen hatte, auf der Galerie langsam das Stockwerk umwandelnd, die Wache, trotzdem Konrad wiederholt versichert hatte, es habe mit der Gefahr, von der er vorhin gesprochen, für heute gar nichts auf sich, und er habe das nur so gesagt, um sich mit gutem Grunde entfernen zu können. Er war dann, als Lambert geantwortet: „ich weiß nicht, was Du meinst,“ schier zornig geworden, hatte sich in der Wachtstube auf das Lager geworfen und erklärt, dass er zu müde sei, um heute noch ein Wort zu sprechen.

Dennoch schlief er nicht, denn als Lambert nach einer Stunde etwa vor der offen stehenden Tür des Wachtzimmers leise vorüberschritt, glaubte er seinen Namen aussprechen zu hören. Er blieb stehen und schaute hinein.

„Riefst Du mich, Konrad?“

„.Ja,“ erwiderte Konrade, der sich auf den Ellbogen aufgerichtet hatte. „Ich wollte Dich etwas fragen.“

„Was?“

„Seid Ihr denn nicht verheiratet?“

„Nein; weshalb?“

„O, ich fragte nur so, gute Nacht!“

„Konrad, lieber Konrad, höre mich an. Es drückt mir das Herz ab, Dir Alles zu sagen!“

Aber Konrad war bereits wieder auf das Bärenfell zurückgesunken und schlief, oder tat doch, als ob er schlafe.

Lambert ging traurig hinaus. „Morgen,“ sprach er bei sich, „bevor wir Katharinen sehen, wird er es wissen, und er wird mir helfen, und Alles wird gut werden.“


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche Pioniere