Base Ursel und der Pfarrer suchen den verschwundenen Konrad

Zwei Stunden später wanderten Base Ursel und der Pfarrer bereits tief im Walde, den Creek aufwärts, auf dem schmalen Indianerpfad, der zugleich der Pfad der Büffel und Hirsche war. Aber nicht die Fährte der Büffel und Hirsche verfolgte Pluto, vor den Wandernden her, die breite Nase tief auf dem Boden, und die lange Rute rastlos bewegend, denn mehr als einmal bog er jäh von der frischen Spur ab in den Wald hinein, um jedesmal nach kurzer Zeit wieder in den Pfad einzulenken.

„Seht Ihr nun, Pfarrer, wie gut es ist, dass ich umgekehrt bin, den Hund zu holen?“ sagte Base Ursel bei einer solchen Gelegenheit. „Ihr wart ungeduldig über die versäumte Zeit; er bringt sie uns reichlich ein.“
„Es war nicht der Säumnis wegen,“ erwiderte der Pfarrer; „ich fürchtete, man möchte trotz des großen Umweges, den wir gemacht haben, unsere Absicht erraten. Der Lambert und die Katharine sahen uns so schon mit Blicken an, aus denen ich herausgelesen: wir wissen, was Ihr vorhabt.“


„Nichts wissen sie,“ sagte Base Ursel. „Ihr musstet zurück, das verstand sich von selbst. Und weshalb sollte ich mir den Hund nicht zu meiner und meines Alten größeren Sicherheit ausbitten?“

„Weil Euch eine solche Regung von Furchtsamkeit Niemand im Ernst zutrauen wird“; erwiderte der Pfarrer.

„Ach was,“ sagte Base Ursel ärgerlich; „mögen sie denken, was sie wollen. Ohne den Hund ging es nicht, und damit basta!“

„Ich bin nicht ganz sicher, ob wir auch so zu unserem Ziele kommen, Base Ursel.“

„Seid Ihr schon müde?“

„Ich ermüde nicht so leicht. Wißt Ihr, noch dazu in einer solchen Sache; aber wer steht uns dafür, dass Konrad in seinem Zorn und seiner Verzweiflung nicht so weit gelaufen ist, wie ihn seine Füße tragen, was am Ende doch etwas weiter sein dürfte, als wir beim besten Willen kommen können; und dann: es ist noch eine andere Möglichkeit, an die ich allerdings nur schaudernd denke.“

„Mein Junge ist zu ihnen übergegangen?“ rief Base Ursel sich so schnell umwendend, dass der Pfarrer, welcher ihr auf dem Fuße folgte, einen Schritt zurückprallte. „Meint Ihr das?“

„Da sei Gott vor!“ erwiderte der Pfarrer, unwillig über Base Ursels Zumutung, und dass sie ihm durch ihre Heftigkeit beinahe die geöffnete Dose aus der Hand geschlagen. „Aber wer die Hand an seinen Bruder legt, wie es Konrad getan, legt auch wohl Hand an sich selbst. Und, wie ich Konrad kenne, wird ihm das Letztere mindestens ebenso leicht werden, wie das Erstere.“

„Ihr kennt aber meinen Jungen nicht,“ sagte Base Ursel heftig; und fuhr dann in ruhigerem Tone fort: „Seht, Pfarrer, ich gebe Euch zu, dass der Junge in diesem Augenblick sein Leben nicht einen Tannenzapfen wert hält, und dennoch, das schwöre ich Euch, wird er es teuer verkaufen. Und wer es bezahlen soll? die Franzosen und ihre schuftigen Indianer. Darauf verlasst Euch. Und seht, Pfarrer, das ist auch der Grund, weshalb ich festiglich überzeugt bin: er ist nicht so weit gelaufen, wie ihn seine Füße tragen, sondern ist im Gegentheil hier noch irgendwo in der Nähe, und hält scharfe Wacht über seiner Eltern Haus, dessen Schwelle er nicht wieder betreten will. Nun, er mag sein Wort halten; aber, Pfarrer, seid versichert. Wenn die Feinde bis dahin kommen, dann kommen sie über seine Leiche.“

Base Ursel schwieg in tiefer Erregung; der Pfarrer, wenn er auch nicht ganz überzeugt war, hielt es doch für geratener, seiner Meinung keinen Ausdruck zu geben.

So ging es eine Zeit lang schweigend weiter: der Hund immer eine Strecke voraus, hin und her flankierend, einen Moment stehen bleibend und in die Luft hineinschnobbernd, dann wieder eifrig die Fährte verfolgend; sodann Base Ursel, jede Bewegung des Tieres scharfen, kundigen Auges beobachtend, und nur manchmal ein leises: such, Pluto! — so recht, Pluto! mehr für sich, als für den Hund sprechend, der keiner Aufmunterung bedurfte; zuletzt der Pfarrer, welcher den Blick unverwandt auf Base Ursels breiten Rücken geheftet hielt, wenn der Weg nicht seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

Das war nun freilich oft genug der Fall, und bald konnte von einem Wege überhaupt nicht mehr die Rede sein, selbst für die unverwöhnten Füße der Ansiedler. Immer rauer und steiler wurde der Anstieg über das Wurzelgestrüpp der Urwaldtannen, immer wilder brauste der Creek durch zackiges Felsengestein, bis er endlich in einer tiefen Schlucht unter überhängendem Strauchwerk ganz den Blicken der Wanderer entschwand, die sich jetzt, dem vorauespürenden Hunde folgend, rechts ab in den Wald wandten, und, mühsam aufsteigend, nach einigen hundert Schritten die Höhe des Plateaus erreichten.

Hier hätte der Pfarrer, dessen Kraft nahezu erschöpft war, gern für ein Paar Minuten gerastet, aber Base Ursel deutete mit vielsagendem Blick auf den Hund, der in großen Sprüngen, wie ausgelassen vor Freude, eine Tanne umkreiste, welche inmitten einer kleinen Dichtung riesig aufragte.

„Dort hat er gelegen,“ sagte Base Ursel, fast atemlos von der Anstrengung und vor Freude; „hier— hier auf dieser Stelle hat er gelegen! Seht Ihr wohl, Pfarrer, das eingedrückte Moos und die zerknickten Büsche? und da ist auch ein Fetzen Papier; er hat hier seine Büchse frisch geladen. Weiter, Pfarrer, weiter! ich schwöre Euch, in weniger als einer halben Stunde haben wir ihn selbst. Weiter! weiter!“

Die energische Frau hatte ihr Gewehr, das ihr beim Bücken herabgeglitten war, fester auf die Schulter gerückt und bereits ein Paar mächtige Schritte getan, als der Hund, welcher einen Moment mit hocherhobenem Kopf regungslos gestanden und in den Wald geblickt hatte, plötzlich einen einzigen dumpfen Laut anschlug, und, mit mächtigen Sätzen durch das Gestrüpp brechend, im Walde verschwand.

„Nun, steh' uns Gott bei, was hat denn die Bestie?“ sagte der Pfarrer, der jetzt herangekeucht kam.

„Seinen Herrn!“ erwiderte Base Ursel, „still!“

Sie starrte, den Oberkörper vornüber gebeugt, mit den großen runden Augen aus das Dickicht, in welchem der Hund verschwunden war. Dem Pfarrer klopfte das Herz zum Zerspringen. Er hätte gern eine Prise genommen, wie er stets in besonders aufregenden Momenten tat, aber Base Ursel hatte ihm die Hand auf den Arm gelegt und ihre braunen Finger drückten fest und fester.

„Still.“ sagte sie noch einmal, trotzdem der Pfarrer weder sprach, noch sich regte: „hört Ihr nichts?“

„Nein,“ sagte der Pfarrer.

„Aber ich!“

Ein sonderbarer Ton, halb ein Ruf, halb ein Schluchzen kam aus ihrer Kehle; sie ließ den Arm des Pfarrern los, und eilte in derselben Richtung, welche der Hund eingeschlagen, davon; aber sie hatte den Rand der Lichtung noch nicht erreicht, als die Büsche sich auseinander taten und Konrad heraustrat, zusammen mit Pluto, der, heulend vor Freude, an seinem Herrn hinaufsprang. Base Ursel konnte oder wollte ihren Lauf nicht hemmen; sie stürzte vorwärts an Konrads Brust, der mit starken Atmen die gute Base, seine zweite Mutter, umschlang, das Gesicht auf ihre Schulter beugend, um die Tränen, die aus seinen Augen brachen, zu verbergen.

So standen die Beiden, in inniger Umarmung, und der Abendsonnenschein umspielte so lieblich das schöne Bild, dass dem guten Pfarrer die Wimpern feucht wurden. Er trat leise heran und sagte herzlich, seine beiden Hände auf Konrads und der Base Schultern legend; „Hier bedarf es meines Segens nicht, aber mich mit Euch zu freuen, müsst Ihr mir schon gestatten.“

„Grüß Gott, Pfarrer!“ sagte Konrad sich emporrichtend und dem würdigen Manne die Hand reichend; „das ist schön von Euch, dass Ihr die Base begleitet. Ich habe Euch zwar nicht erwartet, Euch Beide nicht —“

„Doch, Konrad,“ sagte Base Ursel, ihn unterbrechend; „Warum schämst Du Dich, die Wahrheit zu sagen: mich hast Du erwartet.“

„Nun ja,“ sagte Konrad.

„Und ihn habe ich mitgebracht,“ fuhr Base Ursel fort, „weil Du ihn kennst von Kindesbeinen an, und weißt, dass er ein guter und gerechter Mann ist, und in solchen Fällen ein Mann doch besser zum Manne sprechen kann, als ein armes Weib, wie ich, die den Kuckuck weiß, wie es in Euren harten Herzen aussieht.“

Konrads schönes Gesicht verfinsterte sich, während die Base also sprach. Seine Augen blitzten zornig unter den gesenkten Wimpern hervor. Doch bezwang er sich und sagte mit scheinbar ruhiger Stimme: „Ich danke Euch nochmals; aber Base, und Ihr, Pfarrer, ich bitte Euch, redet mir nicht von ihm — Ihr wisst, wen ich meine, und auch nicht von ihr! Ich kann's nicht hören, und ich will's nicht hören. Mag sein, dass ich Unrecht habe; aber ich hab's nun einmal, und muss sehen, wie ich damit fertig werde.“

„Nun,“ sagte Base Ursel, zu dem Pfarrer gewandt; „werdet Ihr auch einmal den Mund auftun? wozu habe ich Euch beim mitgebracht?“

Base Ursel war sehr zornig; sie hatte das innigste Mitleid mit Konrad und zu gleicher Zeit ein dunkles Gefühl, dass sie an seiner Stelle wahrscheinlich ebenso denken, ebenso sprechen, ebenso handeln würde. Sie konnte nichts mehr sagen in einer Sache, in welcher ihr Herz für den schuldigen Teil so leidenschaftlich Partei nahm.

Der Pfarrer hatte in seiner Aufregung eine Prise über die andere genommen. Jetzt suchte er vergeblich nach ein paar zurückgebliebenen Körnchen, steckte dann die leere Dose entschlossen ein und sagte: „Konrad, höre mir ein paar Minuten ruhig zu. Ich glaube, dass ich Dir etwas sagen kann, woran Du doch vielleicht nicht so ernstlich gedacht hast. Ob Du Deinem Bruder gegenüber und dem Mädchen, das ich heute erst kennen gelernt habe, und das ein gutes, braves Mädchen zu sein scheint, Unrecht hast, oder nicht, will ich nicht entscheiden und nicht untersuchen. Ich bin nie verheiratet gewesen, und verliebt, so viel ich weiß, auch nur einmal, und das ist lange her, und so mag es sein, dass ich mich nicht besonders auf dergleichen verstehe. Aber, Konrad, es gibt Brüder, von denen wir uns nicht lossagen können; es gibt ein Vaterhaus, das uns unter allen Umständen heilig sein muß, — das sind unsere Stammesgenossen, das ist unser Heimatland. Und gerade uns Vertriebenen, uns Ausgestoßenen, uns, die wir uns mit tausend Schmerzen und blutendem Herzen losgerissen haben von dem alten Stamm und aus der alten Heimat, uns, die wir gedrückt und gehudelt sind in der Fremde von den Fremden, uns müssen die Genossen, die uns noch geblieben, muß das Land der neuen Heimat doppelt und dreifach heilig sein. Und da ist nichts, gar nichts, Konrad, was uns von dieser Pflicht lösen und befreien könnte; kein Streit mit dem Bruder, kein Wunsch nach dem Besitze eines Weibes, kein Rechten um Mein und Dein, denn hier gibt es kein Mein und Dein, sondern nur ein Unser, wie in dem Gebet, das wir zu dem Gott empor senden, an den wir Alle glauben. Nun weiß ich wohl, Konrad, dass dies Gefühl einer heiligen Verpflichtung in Deinem Herzen nicht erstorben ist, dass Du, im Gegentheil, demselben in Deiner Weise genügen Wirst; aber, Konrad, Deine Weise ist keine gute Weise, und wärest Du auch — wie wir Alle annehmen — entschlossen, Dein Leben selbst zum Opfer zu bringen. Ich sage Dir, Konrad: Gott wird das Opfer nicht annehmen; verwerfen wird er's, wie er Kains Opfer verwarf, und nutzlos und ruhmlos wird Dein kostbares Blut im Sande verrinnen.“

Des Pfarrers tiefe Stimme hatte einen seltsam feierlichen Klang in dieser Urwaldsstille, und wie er jetzt vor innerer Erregung, die sein unschönes Gesicht herrlich verklärte, ein paar Augenblicke schwieg, rauschte es hoch her durch die Wipfel der Riesentannen, als habe nicht ein Mensch, als habe hier Gott selbst gesprochen.

So war es wenigstens der guten Base Ursel und dieselbe Empfindung mochte auch Konrad das wilde, trotzige Herz rühren. Seine breite Brust hob und senkte sich gewaltsam, sein Gesicht hatte einen eigentümlich gespannten Ausdruck, seine Augen hafteten auf dem Boden und die starken Hände, mit denen er den Lauf seiner Buchse umspannt hielt, zitterten.

Der Pfarrer begann von neuem:

„Dein kostbares Blut, sage ich, Konrad! Kostbar, wie aller Menschen Blut kostbar ist, doppelt kostbar in der Stunde der Gefahr, dreifach kostbar, wenn es in den Adern eines Mannes fließt, dem Gott Alles gab, der Schirm und Schutz seiner Nächsten zu sein. Denn, Konrad, wem viel gegeben ist, von dem wird viel gefordert werden. Wir Andern sind Alle nur wie Soldaten in Reih' und Glied, und wir brauchen uns dessen nicht zu schämen; Du aber bist zu Größerem ausersehen, und ich brauche es Dir nur zu nennen, um Dich Dir selbst wiederzugeben. Du wirst vor einer Aufgabe nicht zurückschrecken, der Du, und Du allein von uns Allen gewachsen bist. Nikolaus Herckheimer hat erfahren, dass zwischen unsern Feinden und den Oneidas Verhandlungen stattfinden, dass sie mit ihrem Angriff nur zögern, bis das Bündnis abgeschlossen ist, um dann mit unwiderstehlicher Macht über uns herfallen zu können. Du weißt, dass die Haltung der Oneidas den Ausschlag gibt für die anderen Nationen an den Seen; Du weißt, dass sie bisher unser Wall gewesen sind, hinter dem wir verhältnismäßig sicher waren. Du hast Jahre lang bei den Oneidas gelebt, Du sprichst ihre Sprache; Du stehst in hohem Ansehen bei ihnen; Du kennst den Zugang zu ihren Herzen. Nun denn, Konrad, es ist des Herckheimers, unseres Hauptmannes, Wunsch und Wille, dass Du Dich unverweilt zu ihnen begibst, und in seinem und des Gouverneurs Namen ihnen die Zusage der Erledigung aller der Punkte, über welche sie letzthin mit der Regierung gestritten haben, zu ihren Gunsten und in ihrem Sinne machst, wenn sie an dem alten Schutz- und Trutzbund, den sie mit uns abgeschlossen, festhalten, ja, wenn sie auch nur in dem bevorstehenden Kampfe nicht gegen uns Partei nehmen wollen. Du übersiehst und verstehst jedenfalls den Auftrag, ohne dass ich, ein in solchen Dingen wenig bewanderter Mann, Dir denselben auseinanderzusetzen brauche; und nun frage ich Dich, Konrad Sternberg, willst Du, wie es Deine teure Pflicht ist, dem Befehl unseres Hauptmannes nachkommen?“

„Es ist zu spät,“ sagte Konrad mit tonloser Stimme.

„Weshalb zu spät?“

„Was Ihr fürchtet, ist bereits geschehen. Die Oneidas haben sich mit den Franzosen und den Onondagas vereinigt. Heute Morgen, ja vor einer Stunde noch hätte ich unbemerkt zu ihnen gelangen und Euren Auftrag ausrichten können: jetzt ist es unmöglich.“

„Woher weißt Du es, Konrad?“ fragten der Pfarrer und Base Ursel wie aus einem Munde.

„Kommt!“ sagte Konrad.

Er hatte die Büchse über die Schulter gehängt und schritt jetzt den Beiden voran, quer durch den Wald, der mit jedem Augenblicke lichter wurde, bis die hohen Bäume nur noch vereinzelt zwischen niedrigem Gestrüpp standen. Hier ging er vorsichtig in gebückter Haltung weiter und bedeutete die Beiden durch Zeichen, seinem Beispiele zu folgen. Endlich ließ er sich auf die Knie nieder, bog ein paar Büsche langsam auseinander und winkte den Anderen, in derselben Weise heranzukommen. Sie taten es, und blickten durch die Öffnung, wie durch das Guckfensterchen einer Tür, auf ein seltsames Schauspiel.

Unmittelbar unter ihnen an dem Fuße der steil ab fallenden Felsenklippe, auf deren scharfem Rande sie sich befanden, dehnte sich ein breites Wiesenthal aus, welches gegenüber ebenfalls von schroffen, waldgekrönten Felsen begrenzt wurde, und durch dessen sanft sich neigende Länge ein Bach nach dem Creek rann. Auf dem ihnen angewandten Ufer des Baches war eine Art von Lager aus regellos durcheinander stehenden kleinen Zelten und Laubhütten. Zwischen den Zelten und Hütten brannten ein paar Dutzend Feuer, und der aus denselben aufsteigende, von der Abendsonne angeglühte Rauch, breitete sich in der Höhe zu einer dünnen Wolke aus, durch welche die Szene unten noch phantastischer erschien: eine Menge in lebhafter Bewegung begriffener Gestalten: Franzofen, zum Teil Reguläre, zum Teil Milizen, manche auch ohne alles Abzeichen, in überwiegender Anzahl aber Indianer, deren halbnackte, mit bunten Kriegsfarben geschmückte Leiber in der Sonne erglänzten. Besonders dicht standen die Gruppen am Ufer des Baches, und es hielt nicht schwer, die Ursache zu entdecken. Auf der anderen Seite mußte die Indianerschar, welche sich dort umtrieb, unlängst erst angekommen sein. Einige waren mit dem Ausrichten der Wigwams, Andere mit Anzünden der Feuer beschäftigt, die Meisten aber standen auf dem Uferbord und sprachen mit denen hüben. Der Bach hatte sich, bei mäßiger Breite, ein tiefes Bett mit scharfen Rändern in den Wiesengrund gewühlt. Man konnte ohne Brücke nicht wohl zusammenkommen, die denn auch an einer schmaleren Stelle aus Baumstämmen in aller Eile hergestellt wurde, während hier und da Mutwillige oder besonderes Eifrige hinüberschwammen, oder es mit einem Sprunge versuchten, der meistens zu kurz ausfiel. Was dann jedesmal ein lautes Schreien und Lachen der Zuschauer hervorrief.

Mit pochenden Herzen hatten Base Ursel und der Pfarrer nach einander ein Schauspiel beobachtet, welches für sie von einer so fürchterlichen Bedeutung war. Jetzt zogen sie sich, einer leisen Aufforderung Konrads folgend, vorsichtig, wie sie herangeschlichen, wieder durch die Büsche in den Wald zurück.

„Wie viel sind es?“ fragte Base Ursel.

„Vierhundert, ohne die Oneidas,“ erwiderte Konrad; „die Oneidas sind ebenso stark, wenn sie alle ihre Krieger in's Feld rücken lassen; doch habe ich eben nur zweihundertundfünfzig gezählt; jedenfalls kommen die Anderen nach; sie würden sonst keine Vorbereitungen für die Nacht treffen.“

„Sondern gleich weiter ziehen?“ fragte Base Ursel.

„Sicher, denn sie wissen, dass die Stunden kostbar sind; so werdet Ihr sie wohl morgen Mittag auf dem Halse haben.“

„Ihr?“ sagte der Pfarrer mit Betonung. „Du wolltest wir sagen, Konrad.“

Konrad antwortete nicht; er ging schweigend und ohne sich umzuwenden, am Waldessaume hin, aber weit genug vom Rande des Plateau entfernt, dass sie von unten her nicht gesehen werden konnten. So mochten sie wohl zweihundert Schritte zurückgelegt haben, als sie an einer Stelle anlangten, wo eine tiefe Spalte sich auftat, welche als eine Art von natürlicher Felsentreppe von der Höhe ins Tal führte. Wo die Treppe oben auf das Plateau mündete, war der sehr schmale, tiefeingeschnittene Pfad durch einen aus Baumstämmen, Steinen und Reisig kunstvoll aufgeführten Verbau vollständig gesperrt. Andere Steine, zum Teil von gewaltiger Größe, waren auf den Seiten des Einschnittes so hart an den Rand geschoben, dass sie durch den Druck eines Hebels, vielleicht durch einen Fußtritt sofort auf die, welche den Pfad emporklommen, hinabgeschleudert werden konnten. Es schien, als ob ein Dutzend starker Männer Tage lang mühsam hätte arbeiten müssen, ein solches Werk zu Stande zu bringen; Konrads Riesenkraft hatte es während weniger Stunden vollendet.

„Hier,“ sagte er, mit einem eigentümlichen Lächeln sich zu seinen staunenden Begleitern wendend, „wollte ich ausharren, bis der letzte Stein hinab geworfen und meine letzte Patrone verschossen war.“

„Und dann?“ fragte Base Ursel.

„Meine Büchse auf den Köpfen der Ersten, die hineindrangen, entzweischlagen.“

„Und nun?“ fragte der Pfarrer, die Hand des Wilden ergreifend; „und nun, Konrad?“

„Nun will ich den Befehl Herckheimers ausführen.“

„Um Gottes Willen,“ rief Base Ursel, „es wäre Dein offenbares Verderben; die Onondagas, Deine Feinde, werden Dich in Stücke zerreißen.“

„Schwerlich!“ erwiderte Konrad; „ die Oneidas würden es nicht zugeben; ohne Zank und Streit ginge es sicherlich nicht ab. Und damit wäre schon viel gewonnen, und ich würde sie damit länger aufhatten, als wenn ich mich ihnen hier entgegenstellte, wo ich doch in ein paar Stunden geliefert wäre. Aber ich hoffe, es soll besser kommen. Ich wäre schon heute Morgen, wo die Oneidas drüben im Walde lagerten, zu ihnen gegangen, aber ich hatte ihnen nichts zu bieten. Jetzt ist das anders. Vielleicht gelingt es mir, sie zu überreden. Ich will es wenigstens versuchen. Lebt wohl, Ihr Beide!“

Er streckte ihnen die Hände entgegen. Base Ursel stürzte sich in seine Arme, als wollte sie ihren geliebten Jungen nicht wieder von sich lassen; aber Konrad machte sich mit sanfter Gewalt los und sagte:

„Es ist keine Minute zu verlieren; ich muß einen weiten Umweg machen, um von der andern Seite ins Tal zu kommen. Und Ihr habt einen langen Marsch. Den Hund nehme ich mit; er kann Euch heimwärts doch nichts nutzen. Wirst Du den Weg auch so finden, Base? Nun denn, nochmals lebt wohl! Lebt Alle wohl!“

„Auf wiedersehen, Konrad!“ sagte der Pfarrer. Über Conrads Gesicht flog ein Zucken. „So Gott will!“ antwortete er mit dumpfer Stimme.

In der nächsten Minute waren die Beiden allein; eine kurze Zeit hörten sie noch das Knacken in den Büschen, dann war Alles still.

„Wir werden ihn nicht Wiedersehen,“ sagte Base Ursel.

„Wir werden ihn wiedersehen,“ sagte der Pfarrer, zu den rosigen Wolken aufblickend, die durch die Wipfel leuchteten; „dem Mutigen hilft Gott.“

„Dann muß er ihm helfen,“ sagte Base Ursel; „ein mutigeres Herz, als meines Jungen, schlägt in keiner Menschenbrust. Gott sei ihm gnädig!“

„Amen,“ sagte der Pfarrer. und sie wandten sich von dem Platz, den Heimweg anzutreten, bachabwärts durch den Urwald, über welchen jetzt der Abend dunkel herauszog.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche Pioniere