Deutsche Maler und Zeichner im Neunzehnten Jahrhundert - Die Nazarener - Alfred Rethel (*1816 - †1859)
Autor: Scheffler, Karl (1869-1951) Kunstkritiker, Erscheinungsjahr: 1823
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Kunst und Kultur, Maler, Bildhauer, Künstler, Böcklin, Joseph von Führich, Karl Philipp Fehr, Ferdinand von Oliver, Philipp Veit, Peter Cornelius, Rudolph Friedrich Wasmann, Julius Oldach, Philipp Otto Runge, Kaspar David Friedrich, Alfred Rethel, Arnold Böcklin, Max Klinger, Hans Thoma, Kunstgeschichte, Künstlerpersönlichkeiten, Hildebrand, Kunstwerk, Expressionismus, Kunstfreunde, Historienmaler,
Den gebildeten Deutschen ist der Name Alfred Rethel durchaus vertraut, doch würden viele in Verlegenheit kommen, wenn sie bestimmte Werke dieses Künstlers bezeichnen sollten. Der Name ist bekannt, aber es wird keine bestimmte Vorstellung damit verbunden. Legt man einige der besten Blätter Rethels vor, etwa den ,,Totentanz" oder Abbildungen der Karls-Fresken, so werden die Betrachter plötzlich lebendig: ,,ja, das kenne ich seit meiner Kindheit; das also ist von Rethel?" Der Künstler ist in diesem Fall hinter seinem Werk verschwunden. Die besten seiner Arbeiten haben ein wenig das Schicksal von Volksliedern oder Volkserzählungen, Ein Blatt wie ,,Der Tod im Türmerstübchen" ist der Nation ein geliebter Besitz, eben darum kümmert sie sich nicht groß darum, wer es gemacht hat. Rethels Holzschnitte sehen auch so gar nicht gemacht aus, sie haben etwas Selbstverständliches, etwas Zeitloses, etwas von dem Charakter anonymer Flugblätter. Dasselbe gilt von anderen Arbeiten, von den Zeichnungen, Kartons und Fresken. Man hat zu Rethels Erfindungen ein anderes Verhältnis wie zu den Kompositionen von Cornelius, Kaulbach und von den Nazarenern. Diese sprechen zur Bildung, zur Gesinnung, jene zur naiven Empfindung. Das Verhältnis ist sogar ein anderes als das zu den Arbeiten Schwinds oder Ludwig Richters. Diese beiden stehen körperlicher da, der eine als ein romantisch bewegter Bürger, der andere als ein poetisch verklärter Phihster. Rethel ist größer und strenger in der Gesinnung, und seine Individualität wirkt weniger erdenschwer. Man möchte sein Wesen mit einigen unserer großen musikalischen Talente vergleichen. Mit Carl Maria von Weber zum Beispiel, an dessen Grab Richard Wagner so schön sagte: ,,Du brauchtest nur zu empfinden, und du hattest das Richtige schon gefunden", und in dem dieselbe Mischung von volksliedhafter Innigkeit und symphonischer Kühnheit, von sanfter Kantilene und dramatischer Dissonanz war. Oder man mag an Franz Schubert denken, den genialen Sänger idyllisch-heroischer Lieder. Wie diese beiden deutschen Musiker ihr großes Menschengefühl scheinbar mühelos in schönen Klang und bedeutende Melodien verwandelten und wie der frühe Tod bei beiden die Fähigkeit hierzu gesteigert zu haben scheint, so mutet auch der frühe Tod Rethels wie etwas Vorbestimmtes an, das auf die Kunstform Einfluss gewonnen hat. Rethel gehört zu den jung Gestorbenen, die in der Kunstgeschichte eine eigene Rolle spielen. Auch er war, wie alle seine Schicksalsgenossen, von Raffael bis Giorgione, von Vermeer bis Watteau, der Träger einer frühreifen Begabung. Mit dreizehn Jahren schon bezog er in Düsseldorf die Akademie, mit dreiundzwanzig Jahren unterstützte er seine Familie, und vom ersten Auftreten an hatte er den Erfolg für sich. Auch er war, wie alle jung Gestorbenen in der Kunst, eine liebenswürdige, schwärmerische Natur, von zarter Konstitution, schön und schlank, mit lockigem Haar und ausdrucksvollem Profil. Auch bei ihm wollte die Natur, so scheint es, ihre Grausamkeit durch ein erhöhtes Glück des Schaffens und Gelingens gutmachen; auch bei ihm scheinen die physische Zartheit, der schnelle Puls und das feine Gefäßsystem einen Teil der Begabung auszumachen. Was ihn empfänglich für die Todeskrankheit machte, das machte ihn auch besonders produktiv, die Reizbarkeit der Nerven verbürgte die ungewöhnliche Resonanzfähigkeit. Um Rethels Gestalt und um sein Schaffen ist ein wenig der Liebreiz Raffaels. Seine Werke sind nicht qualvoll unter Geburtsnöten entstanden, sie haben sich von ihm abgelöst wie die Frucht vom Baume. Seine Kunst hat von Natur die Handschrift des Glückes, sie ist im Ursprung leicht und gefällig. Und sie ist eben darum, in der Umwelt des neunzehnten Jahrhunderts, streckenweis in glatter Schönschrift, im Konventionellen stecken geblieben. Seine harmonieselige Natur hat der unschöpferischen Zeit ihren Tribut zahlen müssen. Dieser Tribut besteht darin, dass auch Rethel nie eigentlich gewusst hat, wie ungemein begabt er war und dass er darum aus seiner seltenen Begabung nicht konsequent das Letzte herauszuholen imstande war.
Das Streben zur Schönheit, halb immer im Schulmäßigen festgehalten, ist aber nicht alles im Leben Rethels. Was ihn einzig gemacht hat, ist etwas anderes noch, das scheinbar nicht so sehr mittelbar mit seiner körperlichen Konstitution als vielmehr unmittelbar mit seiner Krankheit zusammenhängt. Der Künstler ist bekanntlich mit siebenunddreißig Jahren wahnsinnig geworden und mit dreiundvierzig Jahren gestorben. Es ist nun, als ob dieser Wahnsinn vom Jüngling schon geahnt worden sei, und als ob die Krankheit dem zum Mann Heranreifenden wie eine dunkle Drohung vor Augen gestanden hätte. So wenigstens wäre jenes Element ungezwungen zu erklären, das Rethel als etwas Neues in die Welt der nazarenischen Religionsmalerei, in die Welt der akademischen Geschichtsmalerei gebracht hat. Mit dem heiteren Schönheitsstreben verbindet sich bei Rethel eine herbe Strenge, je weiter er voranschreitet, eine Genialität voll leiser Dämonie, ein Pathos voller Schwermut. Die Linie wird unmerklich monumental, die Form ist voller Kühnheiten, und es zeigt sich eine damals unerhörte Kraft der Naturanschauung. Der Ausdruck in gewissen Zeichnungen, der nervös großzügige Strich ist so stark, dass man mit einigem Recht den Namen Van Gogh genannt hat, und dass etwas daran war, als einer unserer besten Kunstrichter den Schweizer Kodier einen neuen Rethel nannte. Rethel war seiner eingeborenen Natur nach keineswegs ein Gotiker, Seine Vorbilder waren Raffael, Tizian, Veronese und Palma. Aber er wurde Gotiker durch den Leidenszug, den die heranschleichende Krankheit in sein Leben brachte. Mitten im heiteren Schaffensglück scheint er zu erzittern, die Linie wird herb, das Italienische wird pathetisch zum Barocken hinaufgetrieben, die Naturbeobachtung bevorzugt die ausdrucksvoll heftige Form, die Romantik der Zeit wird vertieft bis zum Elementaren, und es erklingt, leise und zaghaft, aber doch vernehmbar, ein Ton von Urweltlichkeit. Um dieser Eigenschaft der Form willen hat Delacroix mit Anteil von Rethels Arbeiten gesprochen. Die Katastrophe wird in der Kunst gewissermaßen vorgeahnt; immer wieder erscheint auch der Tod. Die Folge ist, dass die Form schonungsloser aus der Natur herausgerissen wird. Es gibt Bleistiftstudien von Rethel, in denen mehr Leben und Ausdruck ist als in Bildern von Feuerbach. Und wie von selbst gewinnt die Illustration Fresko-Charakter. Es lebt jene Formenkraft darin, die monumental ist, gleichgültig ob das Format groß oder klein gegriffen wird. Und da die Gunst der Umstände dem Künstler eine Aufgabe der Wandmalerei zuerteilte, da ihm aufgetragen wurde, den Rathaussaal in Aachen mit Fresken, Szenen aus dem Leben Karls des Großen darstellend, zu schmücken, so gelang ihm das Stärkste, was die im neunzehnten Jahrhundert dahinkränkelnde Monumentalkunst in Deutschland aufzuweisen hat. Es ist freilich nur relativ stark, nicht absolut. So weit ist Rethel ein Kind seiner Zeit, ist auch er Epigone, als seine Genialität immer mehr oder weniger schüchtern bleibt, als die ursprüngliche Gewalt der Form leise um Entschuldigung zu bitten scheint. Aber das Element einer neuen strengeren Kraft ist doch da. Es ist da als Naturlaut, nicht als Programm, als Empfindung, nicht als Wissen. Und diese Natürlichkeit ist es, was Rethels illustrative Monumentalkunst und monumentale Illustrationskunst aus den Räumen der Akademie heraus und in das weite deutsche Volksleben hineingeführt hat. Mit Formen, die vom Italienischen herkommen, hat Rethel die deutscheste Empfindung ausgedrückt und vieles anklingen lassen, was später von anderen deutschen Künstlern weiter ausgeführt worden ist. Der Naturlaut in seiner Kunst hat genügt, um alles Fremde umzuschmelzen, das Menschentum Rethels, in Glück und Leid, hat der Kunstform das tief Lebendige gegeben.
Vor einigen Jahrzehnten gab es noch überall Buchläden, in deren Auslagen ständig Illustrationen und Bilderbogen zu sehen waren und vor denen die Knaben die Zeit versäumten, wenn sie auf Bestellungen ausgeschickt wurden. Da waren die Münchener Bilderbogen von Busch, die frommen Zeichnungen Ludwig Richters, die Märchenillustrationen Schwinds, die Kriegsvignetten Menzels und Stiche nach den Bildern der deutschen Religions- und Geschichtsmaler. Immer war auch von Rethel etwas dabei. Entweder etwas Biblisches, Bilder aus dem deutschen Sagenkreis, Wiedergaben der Aachener Karlsfresken in Geschichtswerken, Hannibals Zug über die Alpen, die Bekehrung Sauli, Allegorien oder die Holzschnittfolgen des Totentanzes. Die Knaben fragten nicht nach dem Künstler, sie waren ganz und gar Volk, das auch nicht nach dem Woher fragt. Aber die Stunden vor den Auslagen wurden ihnen zu Erlebnissen. Es schlug in ihnen unmerklich die deutsche Kunstform Wurzel. Während sich in ihnen Vorstellungen von Karl dem Großen, von Hannibal, von den Helden der Vorzeit und von der Gewalt des Todes bildeten, blieb auch die Form in ihrem Geist zurück, wie eine Melodie bleibt. Durch diese Form wurde das ganze Leben fortan gesehen. Wenn der Mann später von deutscher Kunst sprach, so stand ihm nicht zuletzt jenes Knabenerlebnis vor den Buchläden vor Augen.
Das Streben zur Schönheit, halb immer im Schulmäßigen festgehalten, ist aber nicht alles im Leben Rethels. Was ihn einzig gemacht hat, ist etwas anderes noch, das scheinbar nicht so sehr mittelbar mit seiner körperlichen Konstitution als vielmehr unmittelbar mit seiner Krankheit zusammenhängt. Der Künstler ist bekanntlich mit siebenunddreißig Jahren wahnsinnig geworden und mit dreiundvierzig Jahren gestorben. Es ist nun, als ob dieser Wahnsinn vom Jüngling schon geahnt worden sei, und als ob die Krankheit dem zum Mann Heranreifenden wie eine dunkle Drohung vor Augen gestanden hätte. So wenigstens wäre jenes Element ungezwungen zu erklären, das Rethel als etwas Neues in die Welt der nazarenischen Religionsmalerei, in die Welt der akademischen Geschichtsmalerei gebracht hat. Mit dem heiteren Schönheitsstreben verbindet sich bei Rethel eine herbe Strenge, je weiter er voranschreitet, eine Genialität voll leiser Dämonie, ein Pathos voller Schwermut. Die Linie wird unmerklich monumental, die Form ist voller Kühnheiten, und es zeigt sich eine damals unerhörte Kraft der Naturanschauung. Der Ausdruck in gewissen Zeichnungen, der nervös großzügige Strich ist so stark, dass man mit einigem Recht den Namen Van Gogh genannt hat, und dass etwas daran war, als einer unserer besten Kunstrichter den Schweizer Kodier einen neuen Rethel nannte. Rethel war seiner eingeborenen Natur nach keineswegs ein Gotiker, Seine Vorbilder waren Raffael, Tizian, Veronese und Palma. Aber er wurde Gotiker durch den Leidenszug, den die heranschleichende Krankheit in sein Leben brachte. Mitten im heiteren Schaffensglück scheint er zu erzittern, die Linie wird herb, das Italienische wird pathetisch zum Barocken hinaufgetrieben, die Naturbeobachtung bevorzugt die ausdrucksvoll heftige Form, die Romantik der Zeit wird vertieft bis zum Elementaren, und es erklingt, leise und zaghaft, aber doch vernehmbar, ein Ton von Urweltlichkeit. Um dieser Eigenschaft der Form willen hat Delacroix mit Anteil von Rethels Arbeiten gesprochen. Die Katastrophe wird in der Kunst gewissermaßen vorgeahnt; immer wieder erscheint auch der Tod. Die Folge ist, dass die Form schonungsloser aus der Natur herausgerissen wird. Es gibt Bleistiftstudien von Rethel, in denen mehr Leben und Ausdruck ist als in Bildern von Feuerbach. Und wie von selbst gewinnt die Illustration Fresko-Charakter. Es lebt jene Formenkraft darin, die monumental ist, gleichgültig ob das Format groß oder klein gegriffen wird. Und da die Gunst der Umstände dem Künstler eine Aufgabe der Wandmalerei zuerteilte, da ihm aufgetragen wurde, den Rathaussaal in Aachen mit Fresken, Szenen aus dem Leben Karls des Großen darstellend, zu schmücken, so gelang ihm das Stärkste, was die im neunzehnten Jahrhundert dahinkränkelnde Monumentalkunst in Deutschland aufzuweisen hat. Es ist freilich nur relativ stark, nicht absolut. So weit ist Rethel ein Kind seiner Zeit, ist auch er Epigone, als seine Genialität immer mehr oder weniger schüchtern bleibt, als die ursprüngliche Gewalt der Form leise um Entschuldigung zu bitten scheint. Aber das Element einer neuen strengeren Kraft ist doch da. Es ist da als Naturlaut, nicht als Programm, als Empfindung, nicht als Wissen. Und diese Natürlichkeit ist es, was Rethels illustrative Monumentalkunst und monumentale Illustrationskunst aus den Räumen der Akademie heraus und in das weite deutsche Volksleben hineingeführt hat. Mit Formen, die vom Italienischen herkommen, hat Rethel die deutscheste Empfindung ausgedrückt und vieles anklingen lassen, was später von anderen deutschen Künstlern weiter ausgeführt worden ist. Der Naturlaut in seiner Kunst hat genügt, um alles Fremde umzuschmelzen, das Menschentum Rethels, in Glück und Leid, hat der Kunstform das tief Lebendige gegeben.
Vor einigen Jahrzehnten gab es noch überall Buchläden, in deren Auslagen ständig Illustrationen und Bilderbogen zu sehen waren und vor denen die Knaben die Zeit versäumten, wenn sie auf Bestellungen ausgeschickt wurden. Da waren die Münchener Bilderbogen von Busch, die frommen Zeichnungen Ludwig Richters, die Märchenillustrationen Schwinds, die Kriegsvignetten Menzels und Stiche nach den Bildern der deutschen Religions- und Geschichtsmaler. Immer war auch von Rethel etwas dabei. Entweder etwas Biblisches, Bilder aus dem deutschen Sagenkreis, Wiedergaben der Aachener Karlsfresken in Geschichtswerken, Hannibals Zug über die Alpen, die Bekehrung Sauli, Allegorien oder die Holzschnittfolgen des Totentanzes. Die Knaben fragten nicht nach dem Künstler, sie waren ganz und gar Volk, das auch nicht nach dem Woher fragt. Aber die Stunden vor den Auslagen wurden ihnen zu Erlebnissen. Es schlug in ihnen unmerklich die deutsche Kunstform Wurzel. Während sich in ihnen Vorstellungen von Karl dem Großen, von Hannibal, von den Helden der Vorzeit und von der Gewalt des Todes bildeten, blieb auch die Form in ihrem Geist zurück, wie eine Melodie bleibt. Durch diese Form wurde das ganze Leben fortan gesehen. Wenn der Mann später von deutscher Kunst sprach, so stand ihm nicht zuletzt jenes Knabenerlebnis vor den Buchläden vor Augen.