Fortsetzung (1)

Ihren Anfang hat sie mit dem „Wandervogel" genommen, später kam die „Freideutsche Jugend" hinzu, die selbst wieder einen Sammelnamen für eine Reihe von Bünden darstellt, wie die „Freischar", die „Vortruppjugend", die „Monistische Jugend", die „Freien Schulgemeinden", den „Anfang", später den „Aufbruchkreis" und ihrer Tendenz nach auch die meisten Gruppen der akademischen Freistudentenschaften. Da nun diese Art Jugendvereinigung der jugendlichen Wesensart bedeutend natürlicher war als die Jugendpflege, so bildete die deutsche Jugendbewegung ihr gegenüber ein starkes Gegengewicht. Dass sie aber nicht irgendwie militaristisch sein konnte, dürfte aus dem wenigen klar hervor gehen, was über Entstehungsursachen und Ziele gesagt werden konnte. Man dachte auch hier „deutsch", aber es war ein Deutschtum im kulturellen, manchmal völkischen Sinne, und man hielt sich, ohne Ausnahme darf mit Stolz gesagt werden, von jedem nationalistischen Chauvinismus ferne. Fragen wir nach der Stellung und der Vorbereitung dieser Jugend auf den Krieg, so kann gesagt werden, dass sie durch ihre innere Oberzeugung gegen den Krieg arbeitete, muss aber zugeben, dass sie bei alledem die verhängnisvolle Unterlassungssünde beging, zu übersehen, dass man außer politischem Movens, auch politisches Motum sein kann, und sie infolgedessen eines Augenblicks überrumpelt werden und in ein Netz geraten konnte, aus dem es einen Ausweg nicht mehr gab. In ihrem ganzen Leben dem Schönen zugewandt und in allem Politischen nur das Hässliche sehend, hatte sie es versäumt, sich die nötigen politischen Kenntnisse zu verschaffen, und darum mangelte ihr das soziale Gewissen, das ihr mit schneidender Stimme hätte befehlen müssen, ihre Ideale und Überzeugungen auch ins öffentliche Leben hinauszutragen. Zum Teil mangelte ihr die Stoßkraft, zum größeren Teile die politische Schulung um zu erkennen, dass es dabei ohne gewisse Härten nicht abgehen konnte, und dass dieser Zustand einer passiven Resistenz ihr Gefahr bringen musste, wenn nicht heute, so morgen. Und das Morgen kam.

Es waren heiße Sommertage des Jahres 1914. Die deutsche Jugend genoss — wie ihre Brüder jenseits der Grenze — in vollen Zügen die Freiheit ihrer Ferien. Sie durchwanderte die Welt und schweifte in die Ferne . . . Die Ernte reifte, der Himmel blaute . . .


Da kam der Krieg!

Die deutsche Jugend handelte in diesem Augenblicke eben so und nicht anders, als sie handeln konnte. Das heißt, entsprechend der Erziehung, die sie genossen, und entsprechend den für sie typischen Merkmalen höchster Intensität der Gefühlswerte, wie fehlenden Urteils.

Es ist also letztlich nicht zu verwundern, dass der Krieg von der ganzen in der Schule oder gar noch in der Jugendpflege militaristisch erzogenen Jugend mit einer Art Jubelruf empfangen wurde. War ihr doch seit Jahren als der feierlichste und erhabenste Augen blick dargestellt worden, wenn es „Ernst würde" und es gelte, „das Vaterland zu verteidigen". Es war der Augenblick, wo man „Held" werden konnte, wo man sich die bisher versagte (siehe Erziehungssystem) Männlichkeit erwerben konnte durch seine „Taten". Von den Jammern des Krieges hatte man keine Ahnung, konnte man unter dieser Jugend keine Ahnung haben. Es kam so weit, dass die Angehörigen der „vaterländischen" Jugendpflege in ihren Pfadfinderuniformen nicht nur zu ihren militärischen Übungen gingen, sondern auch ins Feld hinaus zogen, und mindestens hinter der Front und in der Etappe einige Wochen lang regelrechten Militär dienst unter Benutzung scharfer Waffen taten. *)

*) Nach Bekanntwerden stellte der Generalstab diesen Missstand ab.

Die sozialistische Jugend Deutschlands blieb vom ersten Augenblick an konsequent und hat wohl von allen Organisationen Deutschlands überhaupt den Kopf am wenigsten verloren. Sie arbeitete gegen den Krieg, protestierte aktiv gegen die Beschränkungen der öffentlichen und persönlichen Freiheit und trat vom ersten Augenblick des Krieges an — für den Frieden ein. An Stelle der sozialpatriotisch gewordenen Arbeiterjugend wurden zwei prinzipiengetreue Jugendblätter, die Proletarierjagend und das süddeutsche Morgenrot, gegründet und Hand in Hand damit ging ein wertvoller Schritt vorwärts zu den Tendenzen der Jugendbewegung, insoferne man die Erwachsenen mehr und mehr aus den Leitungen zu entfernen begann und sie durch jugendliche Kräfte ersetzte. Die sozialistische Jugend beginnt sich unabhängig zu machen. Da obendrein Teile der Partei diese Tendenzen unterstützen und zu gleich dafür eintreten, der Jugend nicht einseitig das sozialistische Dogma nach dem Prinzipe „ôtetoi de là que je m'y mette" bei zubringen, sondern für eine politische Bildung mit späterer Selbstentscheidung der Jugend arbeiten, sind hier wertvolle Perspektiven geöffnet.

Was geschah nun zum dritten mit der Jugend der deutschen Jugendbewegung? Auch sie handelte natürlich nicht anders, als sie handeln konnte. Sie zog in hellen Scharen hinaus aufs Land, um den Bauern bei der Arbeit zu helfen, und um die Ernte zu sichern. Sie tat Friedensarbeit im Kriege. Soweit sie ins Feld hinaus musste, folgte sie dem Rufe wie einer unkritisierbaren Pflicht. Nur ein kleiner Teil dieser Jugend verhielt sich schon damals zu Beginn des Krieges — nun, sagen wir: sehr zurück haltend. Auf ihn wird im folgenden sofort näher einzugehen sein. Die Presse der deutschen Jugendbewegung *) ist auch während des Krieges durchaus würdig geblieben. Aufrichtig gesagt: ich habe keinen gehässigen Artikel oder gehässige Berichte und Briefe finden können. Man trägt alles als unumgängliche notwendige Pflicht, für die man wenig Begeisterung, dafür um so mehr Ausdauer aufbringt, von Hass aber keine Spur. Im Gegenteil habe ich gerade unter diesen Teilen immer und immer wieder das Menschliche betont gesehen. Viele Aufsätze verraten ungenügende politische Schulung, fast jeder aber Menschlichkeit.

*) Etliche 30 verschiedene Monats-Gaublätter etc.

Der Krieg, selbst nur möglich durch die auf die Höhe getriebene Militarisierung, brachte als erstes die Militarisierung alles noch Militarisierbaren.

Während die ersten Schlachten geschlagen wurden, und während die Jugend noch bei den Bauern die Ernte retten half, wurden im Binnenlande durch eine Unzahl kurz aufeinanderfolgender Er lasse der verschiedenen Ministerien Jugendkompagnien über Jugendkompagnien gegründet. Der für jene Zeit typische, fast krank hafte Drang, sich irgendwie patriotisch zu „betätigen", zeigte sich fast nirgends in gleichem Maße wie bei der Einrichtung dieser militärischen Jugendvorbereitung. Schulen, Militärs, Eltern, Lehrer, Berufene, Unberufene, und noch mehr solche, die sich berufen fühlten, wandten ihre ganzen schriftstellerischen und organisatorischen Fähigkeiten daran, der militärischen Jugenderziehung Verbreitung zu schaffen. Auf Gemeindekosten oder durch Privatstiftungen wurden Uniformen für die „Jungmannen" beschafft, Sonn- und freie Schulnachmittage wurden für die Übungen mit Beschlag belegt, man exerzierte, hob Schützengräben aus, hielt Gelände, Ziel, Terrain und Scharfschießübungen; jeder Jungmann bekam sein eigenes Gewehr. *) Man grüßte und lebte militärisch, stand unter Offiziers und Unteroffizierskommando, markierte Angriffe und kam bei alledem so weit — wofür wir die Belege dem verdienten Professor Dr. Nicolai an der Berliner Universität verdanken — dass sich die jungen Leute bei einem „Nahkampf" ernstlich zu Leibe rückten und sich mit den Kolben die Köpfe blutig schlugen. **)

Trotz alledem: im Anfange war der Erfolg unter der Jugend selbst ein sehr, sehr großer. Vor allem natürlich deshalb, weil die ganzen Gruppen der Jugendpflege mit fliegenden Fahnen zu den Jugendkompagnien übergingen. Diese Begeisterung unter der Jugend aber dauerte, wie jedes derartige, auf Augenblicksaffekte begründete Strohfeuer, nur eine ganz kurze Weile, und schon wenige Wochen später begann der katastrophale Rückstrom aus den Jugendkompagnien. Sie gingen innerhalb kurzer Zeit auf ein Fünftel, ja ein Sechstel ihrer Anfangsbestände zurück.

*) Vgl. die militaristischste aller Jugendzeitschriften: Eiserne Jugend, Verlag der Militärischen Vorbereitung der Jugend, und die Kundgebungen des eigens geschaffenen Generalkommissariats des M. V. d. J.
**) Eine nicht dementierte Nachricht besagt, dass bei Unruhen in Düsseldorf das Militär sich weigerte, gegen die Massen vorzugehen, die Jugendwehr aber diese jämmerliche Pflicht mit Hurra übernahm.


Das war die unzweideutige Antwort, die die deutsche Jugend denen gab, die sie vom 14. und 15. Lebensjahre ab zu militarisieren versuchten. Diese Antwort verwunderte den wirklichen Pädagogen nicht, der wusste, was der jugendlichen Psyche entspricht und was ihr widerstrebt. Aber sie entfachte verständlicher weise die laute Entrüstung derer, die sich zuerst um die Schaffung der Jugendkompagnien „verdient" gemacht hatten. Anstatt aber den einzig richtigen und logischen Schluss aus dieser Tatsache zu ziehen, dass diese militärische Jugendvorbereitung eben durch und durch unjugendlich ist und daher von der Jugend abgelehnt wurde, anstatt dessen verlangte man an Stelle der bisherigen Freiwilligkeit den gesetzlichen Zwang der Teilnahme.

Auf die Argumente, die benutzt wurden, diesen Gedanken populär zu machen, braucht im Einzelnen nicht eingegangen zu werden. Man stellte das „soziale" Moment in den Vordergrund, sprach von einer Gesundung des Volkes, von einem sozialen Ausgleich und einer sittlichen und körperlichen Festigung der Jugend. All diese Argumente sind für die gewollte Form einer militärischen Jugendvorbereitung natürlich hinfällig. Denn es ist ein alter Satz, dass die Gesundung eines Volkes ganz und gar nicht durch Kommandodrill und Unteroffizierston, durch Uniform und Waffentragen erreicht wird, dass ein sozialer Ausgleich, wenn er nicht bloß eine Vermischung bleiben soll, niemals zwangsweise herbeigeführt werden kann, und dass man über die Moral und Sittlichkeit einer Erziehung, die einem Kinde Gewehr, Schwert und andere Mordwaffen in die Hand drückt, sehr verschiedener Ansicht sein kann. Das aber würde dieses Gesetz bedeuten: Stellung der ganzen deutschen Jugend unter Kommandodrill und Unteroffizierston und unmittelbare geistige Hinerziehung zum Kriege, für den man die psychologischen Voraussetzungen in den Herzen der Jugend schafft.

Dagegen wehrte sich der beste Teil der deutschen Jugend. Denn ihm ist nicht verborgen geblieben, was der wirkliche Grund dieses militärischen Jugendvorbereitungsgesetzes ist. Der aber ist kein sozialer, auch kein militärischer, sondern ein rein politischer. Was erreicht werden soll ist dieses: die heutige Generation in Deutschland ist dem bisherigen, alldeutschen, politischen System — mögen die Zeitungen dieser Parteien immerhin auch das Gegen teil behaupten, wer die deutschen Verhältnisse kennt, glaubt ihnen ja doch nicht — nachdem sie drei und ein halbes Jahr in den Schützengräben gelegen hat und die fürchterlichen Schrecken des Krieges über sie hingebraust sind, durch und durch feind und ab hold geworden. Dieser fundamentale Stimmungswechsel innerhalb des deutschen Volkes, vor allem der Armee, ist der Reaktion nicht unbekannt geblieben. Um nun dennoch — und gegen das Volksempfinden — ihren berüchtigten „alten Geist" weiterpflegen zu können, wendet sie sich an die Jugend. Darum auch soll das Jugendwehrgesetz geschaffen werden. Einige seiner Hauptvorkämpfer (die Allzugeschäftigen!!) haben diesem Gedanken laut Ausdruck gegeben. Sagt doch der Abgeordnete Müller-Meiningen in seiner Schrift: Wir brauchen ein Reichsjugendwehrgesetz die bezeichnenden Worte: „Sie (die militärische Jugendvorbereitung) ist eine Forderung der Staatsklugheit . . ." Und der Wirkliche Geheime Oberregierungsrat Herr Adolf Matthias verrät in seinem Buche Deutsche Wehrkraft und kommendes Geschlecht, aus unserer deutschen Jugend müsse werden „ein Riese an Wehrkraft, vor dem unseren Feinden schon im Frieden Hören und Sehen vergeht".

Was tat dagegen die deutsche Jugend?

Wir wissen, dass z. B. die Berliner Freistudentenschaft eine mutige Resolution erließ, des Inhalts, dass sie bereit sei, gegen die für den Frieden geplante militärische Jugendvorbereitung anzukämpfen. Wir wissen aber vielleicht nicht alle, zu welchen „Schwierigkeiten" es daraufhin gegen die Freistudentenschaft und ihre einzelnen Anhänger kam und welcher „Apparat" in Szene gesetzt wurde. Dies geschah besonders auf Betreiben des damaligen Rektors, Exzellenz v. Wilamowitz Möllendorf. Desselben, der kurz vorher einen der tüchtigsten Berliner Studenten, Ernst Joel, von der Universität relegiert hatte, weil er sich gegen den militärischen Geist in seinem Organ „Der Aufbruch“ vergangen hatte.

Es kann an dieser Stelle besonders betont werden, dass überhaupt fast die ganze Arbeit gegen die Militarisierung der Jugend — abgesehen von der Arbeiterjugend, die durch ihre Zentralstelle theoretisch und praktisch den Krieg gegen diese Bestrebungen erklären ließ — von jungen akademischen Kräften geleistet wird. So erschienen in der geradezu vorbildlich tapferen freistudentischen Zeitschrift Die Neue Hochschule bereits verschiedene sehr energische Aufsätze. Die Akademische Rundschau kämpft Hand in

Hand mit ihr im gleichen Sinne. In den Hauptstädten und in der Provinz wurde von Seiten dieser Jugend an die Presse heran getreten und unter anderem erreicht, dass im Berliner Tageblatt ein maßgebender Aufsatz von Professor Fr. W. Foerster erschien, der den Titel „Die militärische Jugendvorbereitung vom pädagogischen Standpunkt“ trug. Ihm folgte ein weiterer, W. Heines. Als in Sachsen-Koburg das Gesetzblatt einen Jugendwehrgesetzentwurf brachte, wurden alle möglichen Schritte getan, durch genaue Information der Abgeordneten und durch Artikelserien in der dortigen Presse das Gesetz zum Scheitern zu bringen. Im übrigen wurde darauf hingearbeitet, möglichst viele Zeitungen und Zeitschriften für den eigenen Standpunkt zu gewinnen. So erschienen auch in der Schaubühne etliche Aufsätze. In den Schriften zur Jugendbewegung veröffentlichte der Göttinger Privatdozent Leonard Nelson seinen Appell Erziehung zur Tapferkeit. Noch eine ganze Reihe anderer Zeitschriften fanden sich bereit, im gleichen Sinne zu arbeiten, wie die Tat, die Weißen Blätter, die Aktion, die Neue Generation etc. Aber umsonst schrie die deutsche Jugend: „Sir, gebt uns Gedankenfreiheit." Die wertvollsten Manuskripte müssen unbenützt liegen bleiben, da ihre Veröffentlichung nicht möglich ist. Eine größere Broschüre mit Beiträgen von Leopold v. Wiese, Baron Gleichen-Russwurm, Professor Foerster, Professor Nicolai wurde zuerst im Manuskript beschlagnahmt, dann wieder freigegeben, im Drucke aber wieder aufgehalten und verzögert. Ende 1915 begonnen, ist sie unter dem Titel Das Reichsjugendwehrgesetz im Sommer 1917 — von Professor Foerster als Herausgeber gezeichnet — erschienen. Die Jugend selbst ist darin mit verschiedenen Arbeiten (Karl Vetter, Max Hodann, Rudolf Leonhard, *) der Verfasser) vertreten. Durch persönliche Fühlungnahme gelang es auch, eine Reihe einflussreicher Persönlichkeiten zu gewinnen, ihren Einfluss gegen die Militarisierung aufzuwenden. Wie weit dadurch ein praktischer Erfolg erreicht worden ist, lässt sich natürlich kaum sagen, immerhin ist es nahezu ausschließlich durch diesen energischen Kampf der deutschen Jugend gelungen, zu erreichen, dass der Gesetzentwurf bis heute in den ministeriellen Schränken liegen geblieben ist. Und je länger er dort bleibt, desto sicherer wird seine Verwerfung, denn die Arbeit geht von Tag zu Tag weiter und verliert nicht, sondern gewinnt immer mehr an Intensität.

*) Vgl. von diesem auch Bemerkungen zum Reichsjugendwehrgesetz, Verlag Neue Jugend, eine ebenfalls gegnerische Stellungnahme.

Im ersten Teile dieser Arbeit wurde aufgezeigt, wie in kriegerischem Sinne vorbereitet die deutsche Jugend im Jahre 1914 der Katastrophe gegenübertrat, in sich wesentlich gespalten nach Jugend pflege, sozialistischer Jugendorganisation und Jugendbewegung. Wir haben die Kontraste dieser Stellungnahme kennen gelernt, und zum Ende gesehen, wie sich bei der Frage der militärischen Jugendvorbereitung bereits ein bedeutender Widerstand und eine erfolgreiche Gegenaktion aus den Reihen der Jugend erhob.

Es gab aber außer dieser Frage der Militarisierung für die deutsche Jugend auch noch andere von Bedeutung. Die Arbeiterjugend wurde besonders betroffen von der Verfügung des Sparzwanges für Jugendliche. Mag er im einzelnen Falle selbst segensreich gewesen sein, als Prinzip bleibt er ein unberechtigter Eingriff in das persönliche Verfügungsrecht. So fasste ihn auch der größte Teil der betroffenen Jugend auf, und es kam zu recht heftigen Auseinandersetzungen, wobei in zahlreichen Fällen die Jugend Herr der Situation geblieben ist, was einem kommandierenden General gegenüber in der Jetztzeit nicht eben eine kleine Aufgabe ist. Am bekanntesten dürfte allgemein der „Jugendaufstand" in Braunschweig sein, bei dem etwa dreitausend Jugendliche außerhalb der Stadt eine große Demonstration veranstalteten, und die zur Folge hatte, dass der Sparzwang innerhalb weniger als achtundvierzig Stunden wieder verschwand. Das ist nicht der einzige Fall; wer näheres Interesse gerade für dieses Thema und diesen Kampf der Jugend hat, der findet das Material dazu zum Teil in der Hamburger Proletarier jagend, andererseits und besser noch in der in Zürich erscheinenden Jugendinternationale.

Für die akademische Jugend Deutschlands brachte der Krieg ebenfalls schwere Kämpfe, vor allem den Kampf um die Obernationalität der Wissenschaft. Die deutsche akademische Jugend musste mit Bedauern sehen, dass ein großer Teil ihrer Lehrkräfte trotz aller früherer Behauptungen und Beteuerungen vom Strudel der Kriegspsychose ganz und gar mitgerissen wurde. Ich brauche nicht auf die bedauerlichen Erklärungen der „93“ oder die Tätigkeit eines Mannes wie Dietrich Schäfer hinzuweisen. Die akademische Jugend musste sehen, wie die Universität die Forderungen ganz und gar nicht erfüllte, die man an sie als höchst entwickelte Pflegestätte der übernationalen Wissenschaft zu stellen das Recht zu haben glaubte. *) Maßgebend für exklusive Hochschulpolitik gegenüber Angehörigen „feindlicher" Staaten (nach dem Kriege!!) ist die Eingabe des Ausschusses der Berliner Studentenschaft an das Kultusministerium. Sie zielte auf zahlenmäßige und finanzielle Beschränkungen der Ausländer hin, und erreichte in manchen Punkten geradezu den Charakter von Schikanen, wie z. B. in der Frage des Nachweises der „Mittel zu einem standesgemäßen Leben". Die Eingabe dürfte im allgemeinen bekannt sein, da sie auch in der ausländischen Presse, z. B. der Neuen Zürcher Zeitung aus zugsweise wiedergegeben wurde. Es ist selbstverständlich, dass diese Richtung — die allerdings unter der Studentenschaft selbst die weiteste Unterstützung der sogenannten Korporierten hat — nicht unwidersprochen bleiben konnte. Es kam zum Wiederaufleben des „Internationalen Studentenvereins" in Berlin, der unter den augenblicklichen Verhältnissen verständlicherweise fast nur aus Deutschen bestand. Er wurde von der reaktionären Presse aufs schamloseste angegriffen und verdächtigt, ließ sich aber dadurch in seinem Ziele, eine Gegeneingabe der Berliner Studentenschaft anderer Anschauung an das Kultusministerium zu richten, nicht einschüchtern. Darin wird die rechtliche Gleichstellung der Ausländer gefordert. Um der Eingabe ein größeres Gewicht zu geben, und den gehässigen Angriffen der alldeutschen Presse zu begegnen, wurden ca. hundert Exemplare dieses Entwurfes an bedeutende Gelehrte, Staatsmänner, Politiker des In und Auslandes gegeben und Kritiken und Stellungnahme erbeten. Es gelang in der Tat, ca. achtzig Antworten — fast durchweg zustimmenden Inhalts — zu bekommen.

*) Aus dieser Erkenntnis heraus setzte auch während der Kriegszeit — doch insoferne nur unmittelbar mit dem Kriege in Zusammenhang — eine immer stärker werdende Hochschulreformbewegung unter der akademischen Jugend ein. Vergl. dazu die ganz prächtig redigierte Zeitschrift für Hochschulreform und Heft I, 4 der Schriften zur Jugendbewegung speziell über „Hochschulfragen". Außerdem sind von Bedeutung Ernst Joels bei Eugen Diederichs erschienene Wartende Hochschule und der universitätsrevolutionäre Artikel R. Leonhards in Kurt Hillers Ziel (Georg Müller, München 1916), der eine „Sezession der Universität" fordert und das Ideal einer Hochschule aufstellt, in der die jungen Akademiker zu durchgebildeten Menschen, und nicht allein zu willenlos ergebenen Staatssklaven und -beamten erzogen werden.

Eine andere Angelegenheit, die geeignet war, die Jugend zum Kampfe aufzurufen, war der sogenannte Fall Foerster. Professor Fr. M. Foerster, der bekannte Pädagoge der Münchner Universität, hatte in der Friedenswarte einen Artikel veröffentlicht, der eine ziemlich absprechende Kritik der Bismarckschen Politik darstellt, und trug die gleichen Gedanken in seinem Kolleg an der Münchner Universität vor. Es kam zu den bekannten wütenden, meist all deutschen Kreisen entstammenden Presseangriffen, die erklärten: „Derartig schiefe und unhistorische Auffassungen. . . könnten durch die akademische Freiheit nicht mehr gedeckt werden," und der bekannten Fakultätserklärung, die einer regelrechten Unterdrückung der Lehrfreiheit gleichkam. Wie Professor Foerster mir persönlich erklärte, gab es kein besseres Mittel, Propaganda für seine Ideen zu machen. Er hatte wie im Sturme die Sympathien der Jugend für sich, mochte sie nun in allen Punkten seiner Lehre mit übereinstimmen oder nicht. Öffentliche Beifallskundgebungen vonseiten der Studentenschaft folgten, und neben einer Unmenge persönlicher Sympathiekundgebungen junger Akademiker kam es zu summarischen Kundgebungen von denen folgende, von Münchner Studenten abgefasste hier als besonders bezeichnend für die Auffassung dieses Einzelfalles, wie auch der ganzen augenblicklichen Verhältnisse durch die Jugend ist. Sie wurde am 8. Juli 1916 veröffentlicht und hatte folgenden Wortlaut:

„Da wir nach wie vor eine Beschränkung und einen Angriff auf die akademische Lehrfreiheit darin erblicken, dass eine Gruppe alldeutscher Studenten und Professoren eine andere Überzeugung als ihre Doktrinen zu unterdrücken suchen, erheben wir, die den verschiedensten geistigen Richtungen angehören, auch nicht für alle Ideen Professor Foersters Partei nehmen wollen, gegen das unwürdige Kesseltreiben gegen einen hochverdienten, in ganz Deutschland angesehenen Forscher und Menschen entschieden Protest. Wir möchten dem Mann, der den Mut hat, unbekümmert und unbeirrt von der Tagesstimmung seine Meinung zum Heile des Vaterlandes zu vertreten, der, obgleich er dabei auf unritterlichen Widerspruch gestoßen ist, sich durch keine Bedrohung in dem Bekenntnis dessen, was er für Wahrheit hält, einschüchtern ließ, unsere Bewunderung aussprechen und ihm zum Aus druck bringen, dass, wie man auch zu dem Inhalt seiner Äußerung sich stellen möge, die bei diesen ungerechten Angriffen bewiesene echte deutsche, ritterliche Gerechtigkeit das schon vorhandene große Vertrauen zu ihm als geistigem Führer der Jugend nur gesteigert und gefördert hat."

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche Jugend und Weltkrieg
1-015 Generalfeldmarschall Freiherr v. d. Goltz Gouverneur von Belgien

1-015 Generalfeldmarschall Freiherr v. d. Goltz Gouverneur von Belgien

1-016 Beispiele der ungeheuren Wirkung eines einzigen Geschosses der 42 cm Haubitze auf das Panzerfort Loncin der Festung Lüttich

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1-017 Zerstörte Drahtverhaue und Barrikaden vor dem Fort Loncin der Festung Lüttich

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1-018 Die eroberten belgischen Festungsgeschütze der Zitadelle von Lüttich

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1-019 Durch die deutschen Geschosse gesprengte und in die Luft geworfene Decken und Panzertürme des Forts Loncin der Festung Lüttich

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1-020 Die Umwallung eines Forts von Lüttich nach der Einnahme

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1-021 Die Zitadelle von Namur von der Beschießung

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1-022 Aus dem zerstörten Teil der Stadt Löwen

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1-023 Wilhelm, Kronprinz des deutschen Reiches

1-023 Wilhelm, Kronprinz des deutschen Reiches

1-024 Kronprinz Rupprecht von Bayern

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1-025 Generaloberst Karl v. Bülow

1-025 Generaloberst Karl v. Bülow

1-026 Generaloberst Alexander v. Kluck

1-026 Generaloberst Alexander v. Kluck

1-027 Generaloberst Josias v. Heeringen

1-027 Generaloberst Josias v. Heeringen

1-028 Generaloberst Max Freiherr v. Hausen

1-028 Generaloberst Max Freiherr v. Hausen

1-029 Aus Longwy. - Das französische Tor

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12-017 Philipp Scheidemann, Redakteur und Mitglied des deutschen Reichstag

12-017 Philipp Scheidemann, Redakteur und Mitglied des deutschen Reichstag

B001 Delcassés neuer Ritt. Karikatur von Olaf Gulbransson. Simplicissimus. 1911

B001 Delcassés neuer Ritt. Karikatur von Olaf Gulbransson. Simplicissimus. 1911

B002 Karikatur von Th. Th. Heine. Simplizissimus

B002 Karikatur von Th. Th. Heine. Simplizissimus

B003 Die Lage Italiens. Französische Karikatur von Honoré Daumier auf die Oberherrschaft Österreichs über Italien. 1859

B003 Die Lage Italiens. Französische Karikatur von Honoré Daumier auf die Oberherrschaft Österreichs über Italien. 1859

B004 Französische Karikatur auf den König von Preußen. 1870

B004 Französische Karikatur auf den König von Preußen. 1870

B005 Die Beiden Könige des Schreckens. Napoleon I. und der Tod. Farbiger Kupferstich von Thomas Rowlandson auf die Volkerschlacht bei Leipzig 1814

B005 Die Beiden Könige des Schreckens. Napoleon I. und der Tod. Farbiger Kupferstich von Thomas Rowlandson auf die Volkerschlacht bei Leipzig 1814

B006 Der Nordische Koloss. Französiche Karikatur von Honoré Daumier auf Kaiser Nikolaus I. und den Krimkrieg. 1854

B006 Der Nordische Koloss. Französiche Karikatur von Honoré Daumier auf Kaiser Nikolaus I. und den Krimkrieg. 1854

B007 Die englische Klaue. Französische Karikatur von J. Laurian. 1899

B007 Die englische Klaue. Französische Karikatur von J. Laurian. 1899

B008 Der Korse und seine Bluthunde schauen von einem Balkon der Tuilerien auf Paris hinab. Symbolische Karikatur von Thomas Rowlandson auf Napoleon I. 1815

B008 Der Korse und seine Bluthunde schauen von einem Balkon der Tuilerien auf Paris hinab. Symbolische Karikatur von Thomas Rowlandson auf Napoleon I. 1815

B009 Die Bluternte von 1870. Französische Karikatur von Faustin. 1871

B009 Die Bluternte von 1870. Französische Karikatur von Faustin. 1871

B010 Der Totenwagen. Aus dem Burenkrieg. Kohlezeichnung von Max Slevogt

B010 Der Totenwagen. Aus dem Burenkrieg. Kohlezeichnung von Max Slevogt

B011 Die Vertreter der Zivilisation auf dem Weg nach Paris. Französische Karikatur auf den Einzug der Russen in Paris. 1815

B011 Die Vertreter der Zivilisation auf dem Weg nach Paris. Französische Karikatur auf den Einzug der Russen in Paris. 1815

B012 Preußischer General. Französische Militärkarikatur von Draner. 1862

B012 Preußischer General. Französische Militärkarikatur von Draner. 1862

B013 Münchner Scheibenbild auf Napoleon III. 1870

B013 Münchner Scheibenbild auf Napoleon III. 1870

B014 Feiglinge. Das besiegte Griechenland. Fränzösische Karikatur von Pupett auf den griechisch-türkischen Krieg. 1897

B014 Feiglinge. Das besiegte Griechenland. Fränzösische Karikatur von Pupett auf den griechisch-türkischen Krieg. 1897

B015 Die Macht. Symbolisch-satirische Steinzeichnung von Alfred Kubin

B015 Die Macht. Symbolisch-satirische Steinzeichnung von Alfred Kubin

B016 Die Fastenmahlzeit des Mars. Französische Karikatur von Honoré Daumier auf die allgemeine Kriegsrüstungen. 1869

B016 Die Fastenmahlzeit des Mars. Französische Karikatur von Honoré Daumier auf die allgemeine Kriegsrüstungen. 1869

B017 Die apokalyptischen Reiter. Symbolisch-satirischer Holzschnitt auf den Krieg von Albrecht Dürer

B017 Die apokalyptischen Reiter. Symbolisch-satirischer Holzschnitt auf den Krieg von Albrecht Dürer

B018 Preußischer Infantrist. Felddienstausrüstung. Französische Militärkarikatur von Draner. 1862

B018 Preußischer Infantrist. Felddienstausrüstung. Französische Militärkarikatur von Draner. 1862

B019 Der großmütige Verbündete. Englische Karikatur von James Gillray auf den Kaiser Paul von Russland und seinen Vertragsbruch gegenüber England.

B019 Der großmütige Verbündete. Englische Karikatur von James Gillray auf den Kaiser Paul von Russland und seinen Vertragsbruch gegenüber England.

B020 Menelik II., König der Könige Äthiopiens und Besieger Italiens. Französische Karikatur von C. Leandre. Le Rire

B020 Menelik II., König der Könige Äthiopiens und Besieger Italiens. Französische Karikatur von C. Leandre. Le Rire

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