in der Zeit des Pietismus des 18. Jahrhunderts beherrscht das religiöse Moment die gesamte Erziehung

In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte der Pietismus gerade in den Kreisen der Aristokraten treue Anhänger und eifrige Förderer gefunden. In jenen Dezennien des vorherrschenden Pietismus war das ganze Gepräge der adeligen Familienerziehung religiös: die Pflege des religiösen Gefühls war nicht nur ein Moment der Erziehung, vielmehr beherrschte sie dieselbe in einzigartiger Weise innerlich und äußerlich. Die Furcht Gottes war Richtschnur und Beweggrund für alles Tun und Lassen; die Furcht Gottes galt zugleich als Endziel des fürstlichen Handelns: „Die Leute zu guten Christen zu machen“ 3) mahnt Friedrich Wilhelm I. von Preußen seinen Sohn und der gleiche König ruft aus „Wenn ich bauere und verbessere das Land und mache keine Christen, so hilft mir alles nichts“. 4) Alle „weltlichen Eitelkeiten“ wurden vom Kinde möglichst ferngehalten, ihm aber reichliche Gebetsübungen vorgeschrieben, auf deren Durchführung man mit Ernst und Sorgfalt bedacht war.

3) R. Thoiuck „Geschichte des Rationalismus“65.
4) Ebendort 63.


Ein markantes Beispiel, welch überragende Stelle das Religiöse in der Fürstenerziehung der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts einnahm, bieten die Erziehungsvorschriften, die König Friedrich Wilhelm I. von Preußen in der Instruktion für die Erziehung des Kronprinzen vom 13. August 1710 niederlegte: „....Vor allem wird dahin zu sehen sein, dass das Gemüt, woraus alle menschlichen Handlungen herfließen, dergestalt formieret werde, dass es von der ersten Jugend an eine Lust und Hochachtung zur Tugend, hingegen einen Abscheu und Ekel vor den Lastern bekomme.

Hierzu kann nichts mehr helfen, als dass die wahre Gottesfurcht beizeiten in das junge Herz dergestalten eingeprägt werde, dass sie Wurzel fasse und im ganzen Leben, auch zu der Zeit, wo keine Direktion oder Aufsicht mehr statthat, ihre Früchte trage.

Gleichwie andere Menschen durch Belohnungen und Strafen der höchsten Obrigkeit vom Bösen ab und zum Guten angeführt werden, also muss solches allein die Furcht Gottes bei großen Fürsten, welche kein menschliches Gericht, Strafe und Belohnung erkennen, auswirken.

Was sonst zum Unterricht im Christentum und zur Übung der Gottheit erfordert wird, solches wird der Oberhofmeister ebenmäßig zu besorgen und zu erhalten wissen, als dass

Mein Sohn nebst allen seinen Bedienten morgens und abends das Gebet auf den Knien verrichte,

nach beendigtem Gebet ein Kapitel aus der Bibel lese, und das nicht obenhin, sondern dass allemal nach der Vorlesung der vornehmste Inhalt kürzlich wiederholet, und dahero einige schöne Sprüche, welche sich auf Meines Sohnes Zustand schicken, wenn darinnen zu finden, selbige extrahiert werden, damit er dieselben wiederholen und auswendig lernen könne, wie deren solches auch mit den nützlichsten Liedern und kurzen Gebeten gehalten werden kann; ......

von den Opern, Komödien und anderen weltlichen Eitelkeiten abzuhalten und Ihm soviel möglich Degout davor zu machen ............“ 5)

Und der Stundenplan, ,,wie der Prinz seine Stunden in Wusterhausen halten soll“, schreibt vor:

,,Des Morgens um 6 Uhr wird er geweckt und sobald solches geschehen, sollen sie ihn anhalten, sogleich, ohne sich noch einmal umzuwenden, aufzustehen. Alsdann soll er niederknien und ein kleines Gebet sprechen. Sobald er solches getan, soll er geschwind die Schuhe und Stiefeletten anziehen, auch das Gesicht und die Hände waschen, das Haar kämmen und schwänzen, aber nicht pudern lassen. Indem er sich den Zopf machen lässt, soll er das Frühstück einnehmen und muss dies alles bis ½ 7Uhr fertig sein. Alsdann Duhan und die Domestiken hereinkommen sollen und wird dann das große Gebet gehalten, ein Kapitel gelesen und ein Lied gesungen.“ 6)

Im Elternhause der 1731 geborenen Sophie de la Roche wurde „alle Tage“ eine Betrachtung aus Arndts „Wahrem Christentum“ gelesen. Jeden Sonntag musste der Gottesdienst besucht werden und noch nicht gesättigt durch die Predigt, welche man dort gehört, las man außerdem in der Familie noch eine von Francke vor. Eine andere Lektüre, welche die Mutter ihren Töchtern gab, war Brockes „Irdisches Vergnügen in Gott,“ 7) *)

[i]5) Aus Ferdinand Feldigl „Sonnenblicke ins Jugendland“. Freiburg i, Br. (Herder) 1912. S. 90/91.
6) Ferd. Feldigl a. a. O. 93/94.
7) 17. 8) I 34. 9) I 42.[(i]