Abschnitt. 9 - Waldfrüchte und Fremdenverkehr.

„Es ist anscheinend seltsam, in Wahrheit wohl begreiflich“, hat ein bekannter englischer Romandichter vor einigen Jahren nach zweitägigem Aufenthalt in Berlin an die „Times“ berichtet, „daß die Berliner Droschkenkutscher zweiter Klasse dünne, die erster dicke Männer sind; diese verdienen eben mehr.“ Ich würde vermutlich einen Ausspruch von derselben Richtigkeit leisten, wenn ich behaupten würde: „Die Beerenleserinnen im Schwarzatal sind jung, die Schwämmeleserinnen alt, denn dazu gehört mehr Erfahrung.“ Die Wahrheit ist, daß die Frauen, die ich Schwämme sammeln sah, zufällig sämtlich alt waren. Die Ausbeute war groß, denn so reich an eßbaren Pilzen aller Art sind wenige Wälder Deutschlands; es ist eben der richtige Boden: sandig, mit Moos bedeckt, mit Nadelholz bestanden. Ganze Butten voll Morcheln, wilden Champignons, Steinpilzen und Pfefferlingen schleppten die alten Weiblein zu Tal. Ob sie so viel brauchen könne, fragte ich eine besonders eifrige Sammlerin. Du lieber Himmel, wenn's nur so viel wäre, das wäre schlimm! Jetzt, im Hochsommer, komme sie täglich dreimal. Was sie damit anfinge, fragte ich. Nun wollte sie sich gar ausschütten vor Lachen. „Man machet Feuer dadermit an“, neckte sie, „und stopfet's in die Bettpfühl, oh, da lieget man gut und drocken!“ Dann aber, ob ich nicht wüßte, daß das „zum Fräßen“ wäre, „zum Äßen“ verbesserte sie sich manierlich, aber auch nicht ohne Ironie. Einiges verkaufe man an die Fremden, einiges esse man selber, das andere werde gedörrt oder eingemacht, das verkaufe man an die Händler oder bewahre es zum eigenen Gebrauch auf; das sei ein rechtes Labsal beim „äwigen Kartoffelfräßen; da därf man schon Fräßen sachen, das därfen Se glauben.“ Ich glaubte es gern; die Schwämme sind den armen Leuten die einzige Würze ihrer dürftigen Alltagskost; von Kartoffeln allein werden sie ja satt, und das kann einem so ein langes Leben durch wirklich zuviel werden, auch wenn man's – und das ist freilich das Beste dran – nicht anders gewohnt ist und trotz aller Künste der Zubereitung. Die Kartoffeln werden abwechselnd gebraten, gekocht und geschmort, dann wieder gibt's Kartoffelbrei, zuweilen auch Zämpe (geschnittene, in Schweinefett gekochte Kartoffelstückchen) oder gar Pfannkuchen aus Kartoffeln (Scharbs), aber Kartoffel bleibt schließlich Kartoffel. Abwechselung in diese Alltagskost kommt nur am Sonntag, da gibt's bei den Wohlhabenden Bratwurst oder Hering, bei den Ärmeren zum mindesten Heringslake; auch bringt der Sonntag immer frisches Kornbrot, zumeist mit Fenchel oder Würze wie in Tirol, aber wie dort so geht es auch hier in der Woche häufig genug aus. „Fleisch mag ech nech“, sagte die muntere Alte auf meine Frage, „denn wenn ech's mächt, hätt ech's do nech!“ Rindfleisch habe sie zuletzt vor zwei Jahren bei einer Hochzeit gegessen, Lammfleisch in den letzten Ostern bei einer Taufe, aber Schweinefleisch habe sie zu den höchsten Festtagen auch im eigenen Hause; ihr Sohn sei in der Fabrik und ein guter Mensch, und sie selbst verdiene durch das Schwämmelesen auch was. Sei's damit nichts, so sammle sie die „geele Blume“, die gebe, mit Branntwein aufgesetzt, das beste Heilmittel für Wunden. Sie meinte – ich ersah's dann aus Regels „Thüringen“, nebenbei bemerkt, einem so trefflichen Buche, wie wir es über wenige deutsche Landschaften haben – die Arnica montana, die der Älpler Mutterwurz nennt und ebenso verwendet. Auch für Tannensamen gäbe es ab und zu einen Groschen, freilich fielen selten brauchbare Zapfen herab, und wie ein Zapfensteiger könne sie's nicht machen; die kletterten auf die Tannen. Ich meinte, obwohl ich Widerspruch voraussah, das Leben müsse doch jetzt leichter sein als in ihrer Jugend; die Fabriken gäben guten Lohn, aber auch die Fremden brächten etwas Geld ins Land. Da kam ich aber schön an. Wer denn was von den paar Fremden hätte? Die Wirte und die Fleischer, und die wären auch früher schon in ihrem Fett erstickt. Und die Fabrikanten? Man schinde sich für sie das Mark aus den Knochen, und da sollten sie nicht zahlen? Sie wolle nicht so weit gehen wie ihr Sohn, der sage geradezu, das wären – mit Verlaub zu sagen – „Borschiss“, aber gute Menschen wären die Fabrikanten gewiß nicht. Nach einigen Hin- und Herreden wurde mir klar, daß sie „Bourgeois“ meinte und damit allerdings einen üblen Begriff verband; ihr war's ein deutsches Wort und das entschuldigende „mit Verlaub“ nicht überflüssig. Im Gegenteil, fuhr sie fort, in früheren Zeiten sei das Leben leichter und schöner gewesen, man habe vielleicht weniger verdient, aber das Geld sei mehr wert gewesen, ein Groschen soviel wie heut eine Mark. Und wieviel leichter, schöner Verdienst habe in dieser neuen, harten Zeit ganz und gar aufgehört. Ihre Mutter habe noch manchen guten Groschen für Zündschwamm eingenommen, jetzt sei er alle geworden, und wenn er noch aufzutreiben wäre, so gebrauche doch jeder die verdammten Zündhölzchen. Und dann der Handel mit Haaren! Sie selbst habe ihr Haar einem wandernden Friseur um zwei Taler verkauft, allerdings sei es „geel g'wesen wie Gold und lang wie drei Kuhschwänz“ – die Frau erzählte davon, als wäre dieser Handel der Glanzpunkt ihres Lebens. Jetzt aber, seufzte sie, böte sich armen Mädchen kein solches Glück mehr. „Warum nicht?“ fragte ich. Weil die Welt immer schlechter werde, war die Antwort; früher hätten die Stadtfrauen doch mindestens falsches Menschenhaar getragen, jetzt aber Wolle und Werg, und darüber zögen sie ihre eigenen „armseliche Ratteschwänzchen“. Zum Schluß aber bewies das scharfzüngige Weiblein doch sein gutes Gemüt. Wenn ich mich irgendwo im Wald setzte, möge ich ja darauf achten, daß mich keine Otter beiße, deren gebe es hier gar viele. Ich fragte, ob sie nie gebissen worden sei. „Nee“, sagte sie, „ech hab doch den Spruch!“ Und weil sie gutherzig war, teilte sie ihn auch mir mit. Wenn man an eine Stelle kommt, wo man Ottern vermutet, so sagt man vor sich hin:
Otter, Otter, beiß mech nech,
Ech breng der o viel Beeren met.

Das muß man dann aber auch tun und einige Beeren für sie hinlegen. Ich dankte und fragte dann möglichst ernst, ob die Ottern diese Beeren auch äßen, denn meines Wissens seien sie sonst mehr für Mäuse und ähnliches Getier. Worauf das Weiblein mit schlauem Augenzwinkern: „Aber 's is ja o (auch) nur so 'n Zooberspruch!“
Ob ich auch einem Zapfensteiger begegnet bin oder nicht, weiß ich nicht; ein junger Mensch, mit dem ich vor einigen Tagen einen Waldweg ging, sagte es von sich, aber ich glaubte ihm nur anfangs. Da erzählte er anschaulich, auch in fast dialektfreiem Deutsch, was das für ein lustiges Handwerk sei, man schwinge sich, den Sack für die Tannenzapfen auf dem Rücken, von einem Baum zum andern, Stunde um Stunde, und dünke sich in der luftigen Höhe wie ein Vogel. Nun kam uns aber ein Forstwart entgegen, und mir fiel der finstere Blick auf, mit dem er meinen Begleiter maß; der wieder vergalt's redlich, während eine dunkle Röte über sein hübsches, keckes, scharfgeschnittenes Gesicht flog – recht wie Todfeinde sahen sich die beiden an, und ich dachte mir mein Teil. Er sagte aber nichts darüber, sondern erzählte nur von seiner Dienstzeit als Soldat; das sei er gern, herzlich gern gewesen. Dabei kamen wir an eine Stelle, wo sich im Moos die Fährte eines Wildes zeigte. Der junge Mensch fragte, ob ich wüßte, was das wäre. So weit reichte noch von den Karpaten her mein Wissen; es war eine Hirschfährte. „Ja, aber was für ein Hirsch?“ examinierte er weiter, und das wußte ich nicht. „So ein Siebenender“, sagte er dann, „ein feistes Stück, und ganz gemächlich ist's hier spaziert!“ – „Das wissen Sie so genau?“ – „Freilich, wie jeder im Wald.“ Nun fragte ich harmlos, ob es hier Wilderer gebe. „Ja“, sagte er lächelnd, „die gibt's hier. Diese dummen Leute glauben nämlich, daß der liebe Gott zuerst die Hirsche und die Rehe erschaffen hat und dann erst bedeutend später das hochfürstliche Oberforstamt. Und darum meinen sie, man weiß nicht ganz genau, ob der liebe Gott bei der Erschaffung der Welt schon ans Oberforstamt gedacht hat oder nicht. Wenn nicht, so wäre ja das Wildern keine Sünde.“ – „Aber jedenfalls“, meinte ich, „verboten und darum gefährlich.“ Er zuckte die Achseln und hieb mit der leichten Gerte, die er trug, durch die Luft. „Verboten? Es ist gar viel ohne Recht verboten und gar viel erlaubt, wofür Zuchthaus gebührt. Und gefährlich? – was ist nicht gefährlich? Da müßte man sein Leben lang fein im Bett liegen und stürbe schließlich doch.“ Kurz darauf empfahl er sich. Nach fünf Minuten hörte ich im Wald hastige Schritte, da kam er wieder, aber nicht auf dem Pfad, sondern seitab, so hundert Schritte von mir, daß ich die Gestalt zwischen den Stämmen kaum erkannte, aber daß er nun keine Gerte mehr trug, sondern einen auffallend dicken Stock, sah ich doch. Wieder nach einer Weile setzte ich mich hin und ruhte ein wenig aus; da fiel ein Schuß in der Richtung, wo er verschwunden war. Wildfrevel kommen alle Tage vor, und es ist auch hier wie überall im Waldland: zwischen dem Förster und dem Wilderer ist ewiger Krieg, und alle Strafen schaffen das Wildern nicht hinweg. Auch Menschenblut fließt zuweilen, aber der Krieg wird doch minder grausam und erbarmungslos geführt als anderwärts, zum Beispiel in Oberbayern. Der Volkscharakter ist eben, ich will nicht sagen gutmütiger, aber zahmer. Auch ist der Waldreichtum dieser Forste ein so enormer, daß der Wilderer weder dem Vergnügen noch dem Geldsack des Jagdherrn erheblich Abbruch tut. Zudem hört man von häßlichem Massenmord der Tiere aus Blutdurst oder Tücke, wie sie anderwärts vorkommen, hier niemals. Die Wildsau abgerechnet, liebt der Wäldler alles Lebende, namentlich Hirsche und Rehe, und wenn er von ihnen erzählt oder den Fremden auf ein solches Tier aufmerksam macht, klingt seine Stimme fast zärtlich. Genaue Kenner des Wildes haben mich versichert, daß der Hirsch nirgendwo so zahm ist wie im Schwarzatal; das wäre er nicht, wenn ihm die Menschen gar zu übel mitspielten. In strengen Wintern flüchtet das hungernde Wild bis hart an die Dörfer, und dann hilft der arme Wäldler seine Not stillen und denkt nicht daran, daß es fürstlich ist. Das mag ein wenig mit der Tatsache versöhnen, daß er zur Jagdzeit auch nicht daran denkt.
Bedenklicher als das Wildern und Wildfischen ist ein anderer Erwerbszweig in diesem Tal, der auch mit dem Wald zusammenhängt, wenngleich nur locker: das Laborantenwesen. Volksmedizin gibt's ja überall auf Erden, unter den Eskimos und den Kamerunern, den amerikanischen Rothäuten und den Rixdorfern; in abgelegenen Winkeln der Erde – wie dieser hier – wuchert sie nur eben stärker. Gegen alles Siechtum des Körpers, alle Grausamkeit der Natur, alle Tücken der Menschen versucht man's hier wie überall vor allem mit dem Besprechen. Die uralten Feuer- und Wassersegen gehen noch von Mund zu Mund; da in neuester Zeit auch freiwillige Feuerwehren gebildet und Dämme gebaut wurden, so ist dies unschädlich; auch die Schutzsprüche gegen den bösen Blick, gegen wütende Hunde oder die Sperlinge, welche die Saat aus der frischen Furche picken, haben noch niemand geschadet. Schlimmer ist es schon, wenn die Leute ihr bißchen Vieh, statt es bei der Viehassekuranz anzumelden und in Krankheitsfällen den Tierarzt zu rufen, dadurch geborgen glauben, daß sie ihm den Segen, auf Papier geschrieben, zu fressen geben. Die beliebteste Formel dieser Art, die vor Jahrhunderten in ganz Deutschland üblich war, jetzt aber nur noch abseits der großen Heerstraße der Kultur angewendet wird, ist bekanntlich: „Sator arepo teret opera rotas“, was von vorn und hinten gelesen denselben Unsinn gibt. Das Schlimmste aber ist natürlich, daß sie es bei Krankheiten der Menschen genau ebenso halten. Zuerst das Besprechen, dann, wenn dies nichts hilft, Purganzen, daß ein Ochse davon zusammenbräche, Blutegel oder ein Aderlaß, dazu allerlei zum Teil recht bedenkliche Pflanzensäfte aus dem Wald; die harmlosesten Mittel sind noch die für Wunden: Arnika und Fichtennadelöl. Wie's nun geht: „Bauernmagen kann viel vertragen“; die Leute werden alt dabei, und daß im Wald tiefgeheime Kräfte wirken, ist uralter deutscher Volksglaube. Darum mühten sich schon im Mittelalter die Leute des Flachlands um die Heilmittel des Schwarzatals, bis sich ein findiger Kopf fand, der den Handel organisierte. J. G. Mylius hieß er und stammte aus Oberweißbach; seine Boten, die Öle, Fichten- und Schwefelbalsam vertrieben, nannte er Balsamträger; er starb um 1680 als schwerreicher Mann. An seine Stelle traten viele andere „Laboranten“, die dieselbe Ware erzeugten und bald durch Hunderte von Balsamträgern vertreiben ließen. Im 18. Jahrhundert florierte das Geschäft in kaum zu schildernder Weise; die Königsseer (so genannt, weil das Amt Königssee ihnen die Pässe ausstellte) überschwemmten ganz Mittel- und Osteuropa bis tief nach Polen hinein. Die harmlosen Pflanzenöle und die Kuriositäten, die sie feilboten (zum Beispiel Zigarren, die Harzwaldgeruch verbreiteten!), machten ihren Erfolg nicht; sie verkauften eben Mittel, die der Arzt nicht verschreiben wollte oder durfte: Aloe, Opium, Krotonöl, Arsenik, Quecksilber, Gummigutt usw. Die wachsende Fürsorge der Medizinalpolizei legte ihnen Hindernisse in den Weg; auch die heimische Regierung mußte schließlich, so ungern sie dies aus wirtschaftlichen Gründen in dem armen Lande tat, zum mindesten dem gröbsten Unwesen steuern, es blieb aber noch genug übrig. Um 1860 nahm der brave Keil in der „Gartenlaube“ den Kampf gegen die Laboranten auf; da griff auch die Regierung nochmals ein; nun deckt aber die Gewerbefreiheit das Unwesen. Aus eigener Anschauung weiß ich da nichts; in ein Laborantenhaus Zutritt zu erlangen ist mir nicht gelungen; die Balsamträger aber, die einem in den Weg laufen, beteuern, sie hätten nur harmlose Sachen: Tannenpomade, Wacholdersaft, daneben Kindertropfen, Flußtinktur, Morrisonpillen usw. „Das hat schon vielen lieben guten kranken Nebenmenschen genützt“, sagte mir so ein Händler scheinheilig, aber da die Flußtinktur Aloe, die Kindertropfen Opium und die Morrisonpillen Krotonöl enthalten, so hätte ich diesem lieben guten gesunden Nebenmenschen gern eine Tracht Berichtigungen a posteriori gegönnt. Mit alledem ist aber noch das Schlimmste nicht gesagt. „Jedes Laborantenhaus“, berichtet ein so unbedingt verläßlicher Gewährsmann wie Fritz Regel, „hat seinen Giftschrank, aus welchem Arsenik, rotes und weißes Quecksilberpräzipitat pfundweise, Strychnin lotweise in unbekannte Hände wandert.“ Ja, ja, der verwegene junge Mensch hatte nicht so unrecht: „Es ist gar viel erlaubt, wofür Zuchthaus gebührt.“
Auch eine andere, aber ehrliche und gesunde Industrie, die nun Brot ins Tal bringt, ist dem Wald zu danken: die Holzwarenfabrikation. Angefertigt werden Holzgeräte, Spielsachen für Kinder, als Wichtigstes aber Kisten und Schachteln. Die kleinsten Schächtelchen, die Safranschachteln, sind kaum einen Pfennig groß, die Pillenschachteln wie ein Zweipfennigstück, die Pomadeschachteln wie ein Zehnpfennigstück und größer, die Wichseschachteln wie ein Markstück usw. Das Sägen der Brettchen, das Ausmeißeln der Deckel besorgt die Maschine, das Zusammenfügen Knabenhand. Die Jungen sahen mit hellen Augen drein und förderten hurtig die Arbeit. Auch das Brot, das die Holzsägen ins Tal bringen, ist dem Wald zu danken. Zum guten Teil stammen die massiven Gebäude aus alter Zeit und waren einst Hüttenwerke. Als ich jüngst mit sinkender Sonne von Sitzendorf talaufwärts ging, die Station zu erreichen, überholte ich einen älteren Mann, der mich um Feuer bat; seines feierlichen schwarzen Rocks und seiner umständlichen Redeweise wegen hielt ich ihn für einen Küster; es war aber ein Schneider aus Oberrottenbach, der mit der Bahn heimkehren wollte, nachdem er in Sitzendorf Pate gestanden. „Gern ist's nimmer geschehen“, gestand er, „denn solches kostet zu Weihnachten ein Spielzeug oder ein Tüchlein, zu Ostern einen Wecken und zur Konfirmation gar ein Gewand, und es wäre eine falsche Philosophie zu glauben, daß der Schneider dieses umsonst hat.“ Er habe es aber nicht abschlagen können, weil er diese Ehe gestiftet habe. Der junge Mann sei ein sehr tüchtiger Arbeiter in der Sitzendorfer Porzellanfabrik, sie eines wohlhabenden Bauern Tochter aus Rottenbach. „Darum haben sie füreinander gepaßt, aber ich habe viel reden müssen, bis sie es eingesehen haben, denn junge Leute haben eine falsche Philosophie und glauben, daß man von der Liebe satt wird. Nun, jetzt haben sie das dritte Kind und sind aneinander gewöhnt.“ Da ich bereits gehört hatte, daß Schuster und Schneider im Tal die Heiratsvermittler seien, so war es pure Heuchelei von mir, als ich fragte, warum er so eifrig zugeredet habe. Er aber war kein Heuchler, denn wohl begann er: „Weil solches Gott wohlgefällig ist“, fuhr dann aber fort: „und weil man von der Schneiderei alleine schwer leben dhun dhäte. Auch ist dieses nur ein Geschäft für feine Hände, die den Zwirn einzufädeln verstehen; die Schuster pfuschen freilich drein, aber bei denen ist immer Pech dabei.“ Nachdem er seinen Witz genügend belacht, kam jene Äußerung, um derentwillen ich die Begegnung an dieser Stelle erwähne: „Auch dhue ich es jetzunder als Agent für Versicherungen versuchen, denn so ist es in diesem Tale: immerzu muß sich der Mensch drehen und wenden, sein Leben zu fristen, und solches müssen hier sogar die Häuser dhun, wenn sie lebig bleiben wollen, also, zum Beispiele und Exempel, wofür halten Sie das Haus dort?“ Er deutete auf einen großen grauen Kasten, auf den wir zuschritten. „Eine Fabrik?“ riet ich. – „Nee“, lachte er. „Erst war's ein Blechhammer und dann eine Mühle und jetzt eine ›Bansionk‹ (Pension); da werden nun die Fremden gehämmert und gemahlen, aber alles in Ehren. Und Blechhammer heißt's noch heute. Ja, so ist es hier im Tale!“
Es wäre aber eine falsche Philosophie, zu glauben, daß es anderwärts nicht so ist, nur sieht man's hier deutlicher. Als Gold und Eisen versagten, schufen sie eben alle diejenigen Industrien, die Wald, Boden und Fluß ermöglichten. Im Quarz der Felsen war neben den winzigen Goldäderchen ein anderer größerer Reichtum verborgen: er gab gutes Material für feines, kalkreiches Glas; nun sind einige Glashütten im Tal. Noch Besseres barg die Tonerde; vortreffliches Kaolin; die Schwarza aber gab die Wasserkraft zum Reinigen und Zerkleinern. So entstand hier eine Reihe von Porzellanfabriken; die älteste von ihnen, die von Sitzendorf, ist noch heute die berühmteste. Ihr Begründer war ein seltsamer Mensch; Macheleidt hieß er, wie so viele im Tal. Er war ein Laborantensohn und sollte selber Laborant werden. Das aber mißfiel ihm; sein Sinn stand nach einem höheren, vor allem jedoch nach einem reineren Leben, er wurde Theolog. Daneben trieb er, wie er's von Kindesbeinen gewohnt war, allerlei chemische Allotria, studierte auch Chemie. Theologie und Naturwissenschaften vertragen sich selten; über den Mann kamen schwere Stunden; er predigte wohl zuweilen, konnte sich aber zum Pfarramt nicht entschließen und wurde so ein armer alter Kandidat. Bei der Heimkehr von einer Probepredigt, wo er recht erkannt hatte, daß ihm der Glaube fehle, warf er sich verzweifelt am Wege nieder und starrte das Erdreich an. Dann prüfte er es mit Augen, Hand und Zunge und schnellte plötzlich trunken vor Freude empor, ein neuer Mensch, der ein neues Lebensziel hatte. So wenigstens pflegte er selbst die Art zu erzählen, wie er den Reichtum dieses Bodens an Kaolin entdeckt habe. Nun baute er 1760 einen kleinen Brennofen in Sitzendorf und machte seine Versuche; sie gelangen über alle Erwartung; so glückte es ihm leicht, Teilhaber mit reichen Mitteln zu finden. Damals gab's ja noch keine Patente; so suchte er sich dadurch zu schützen, daß er das Geheimnis der Fabrikation auch vor seinen Teilhabern hehlte. Sein Mißtrauen war nicht grundlos, denn nach einigen Jahren erkundeten die feinen Herren Sozien durch Bestechung der Arbeiter das Verfahren und setzten ihn vor die Türe. Die Fabrik aber blühte nun ohne ihn empor, und was sie heute leistet, beweist ein Blick in ihre pompösen Schaufenster zu Sitzendorf, die sich von den ärmlichen Häusern ringsum seltsam abheben. Auch in Katzhütte und Scheibe wie in anderen Orten Thüringens entstanden bald Porzellanfabriken, die Macheleidts Entdeckung ausnutzten; heute wird weit über die Hälfte allen deutschen Porzellans in Thüringen erzeugt. Man sieht, die Schicksalsstunde im Leben des armen Kandidaten ist Hunderttausenden zum Segen geworden. Übrigens hat Macheleidt das traurige Los der meisten Erfinder nicht geteilt; ihm blieb so viel, daß er in Schwarzburg bequem leben konnte. Dort errichtete er das erste Aussichtshäuschen auf dem Trippstein, „um den Menschen den Tempel der Natur zu erschließen“.
Als Letztes, aber vielleicht auch als Geringstes ist unter den Erwerbszweigen des Gaus die Fremdenindustrie zu nennen. Sommergäste sitzen nun freilich in mehreren Orten des oberen Tals, in Blechhammer und Mellenbach, Katzhütte und Scheibe, aber allzuviel wird ihnen nicht geboten, und allzuviel Geld lassen sie nicht hier. Die meisten kommen her, weil ihnen der Luxus im unteren Tal verhaßt ist, was ins Deutsche übersetzt bedeutet, daß ihnen Schwarzburg oder Blankenburg zu teuer sind. Dagegen ist wahrlich nichts zu sagen; billige Sommerfrischen sind sehr nötig, denn der Ärmere ist einer Erholung erst recht bedürftig. Aber mir mißfiel das Geschimpfe auf den Wirt, das bei Tische der einzige Gesprächsstoff war; erkundigte man sich dann nach dem Pensionspreis, so wunderte man sich, daß er's überhaupt leisten konnte. Leute, die den Wald lieben und verstehen, habe ich freilich auch gefunden, aber die meisten klagten, die Spaziergänge seien zu einförmig, auch gehe man so ohne rechtes Ziel, denn Kaffeepunkte seien selten. Die heftigsten Anklägerinnen des Tals waren zwei Berliner Damen, Mutter und Tochter, die in Begleitung eines Herrn im „Wurzelberg“ zu Katzhütte, dem Dorf, in dessen Nähe ich einige Stunden zuvor meine Enquete über das Beerenlesen abgehalten hatte, Kaffee tranken. Er bat sich meine Zeitung aus; so kamen wir ins Gespräch. Ich meinte, den Wald abgerechnet, seien doch auch die Dörfer ganz hübsch und das Leben in ihnen lustig und interessant, worauf die junge, oder sagen wir lieber, die jüngere Dame spitz meinte, es käme darauf an, wieviel man sonst von der Welt gesehen habe; sie seien schon im Harz gewesen, an der Ostsee und im Riesengebirge. Sie sah dabei noch gelber aus als sonst, das konnte leicht die mit dem Erdbeerteig sein, und so hätte ich sie gern gefragt, ob ihre Köchin nicht Auguste heiße. Aber das hätte mich ja bei so gebildeten und weitgereisten Leuten in Mißkredit gebracht.
Ich bleibe aber dabei: die Dörfer sind an sich hübsch und das Leben in ihnen lustig und interessant. Die meisten liegen an der Mündung von Nebentälern; bei Sitzendorf fließt die Sorbitz, unweit Blechhammer die Lichte, bei Glasbach, Mellenbach und Oelze der gleichnamige Bach, bei Katzhütte die Katze in die Schwarza, also überall zwei Täler und zwei Gewässer, was das Bild belebt. Einen malerischen Anblick gewährt nur Glasbach, weil hier die Bergwände eng zusammenrücken, aber einen hübschen jedes Dorf. Merkwürdige Bauten darf man in Walddörfern nicht suchen; Katzhütte hat eine stattliche Kirche aus der Zopfzeit, Mellenbach eine moderne Fachwerkkirche in gotischem Stil, die hübsch und eigenartig aussieht. Nur in diesem Dorf sieht man auch einige alte Häuser, etwa um 1600 erbaut; sie sind die einzigen Überreste des stattlichen Fleckens, den die Schweden der Erde gleichmachten; auch das alte Franziskanerkloster zerstörten sie, obwohl es längst eine evangelische Kirche war. So die Verteidiger der Lutherlehre; milder waren, sagen die Chronisten, die katholischen Kroaten, die nach ihnen kamen. Die alten Mellenbacher Häuser abgerechnet, ist im Tal schwerlich ein Wohnhaus mehr als hundert Jahre alt; die älteren sind aus Schiefer erbaut, der mit Brettern verkleidet ist, die neueren sind Fachwerk mit Kalk überstrichen. Hinter dem Haus ist nicht immer ein Garten, aber vor demselben fast immer ein Düngerhaufen und ein Holzstoß; dafür fehlen auch die Blumen und das Vogelbauer am Fenster selten. Das einzige Geschoß enthält außer dem Flur meist eine Stube und Kammer; in der Kammer stehen die Schränke, in denen Kleider und Wäsche aufbewahrt werden – einen schönen alten Schrank habe ich nirgendwo gesehen –, die Stube wird durch den Kachelofen mit Bank und das Bette fast ganz ausgefüllt. Je wohlhabender der Bauer, desto höher der Bettenberg, der zuweilen bis an die Decke reicht, aber auch in der Hütte des Armen stattlicher ist als in einem großstädtischen Bürgerhaus. Sonst gibt's nur Tisch und Stühle, eine lange Bank und an der Wand das „Tresorchen“, wo Porzellanteller, plumper Schmuck aus Halbedelsteinen, silberne Löffel und dergleichen aufbewahrt werden. Vom Flur führt eine Leiter zum Dachboden empor, wo Kinder und Gesinde schlafen. Viel Unterschied in der Einrichtung bedeutet es nicht, ob da ein Wald- oder Fabrikarbeiter haust; auch diese sind zum größten Teil Eingeborene, bestellen daneben ihr Kartoffelfeld und halten ein paar Tauben und eine Ziege oder gar eine Kuh. Richtige Bauern, die nur von ihrem Acker leben, gibt's hier wohl kaum; wichtiger als der Ackerbau ist die Viehzucht. Man sieht wenig Pferde, nie einen Esel, aber viel Schweine und Hornvieh. Die Rinder des Schwarzatals sind ein schwerer, kräftiger Schlag; das gute Futter auf den Bergmatten rundet ihnen die Flanken. Da sie hoch hinauf getrieben werden, so haben sie Schellen um, daß man sie weithin hört; gegen Abend aber vernimmt man in der Nähe der Herden ein anderes Getön: es klingt wie das Tuten einer Kindertrompete, nur etwas lauter. Es ist aber in der Regel eine ausrangierte Militärtrompete, auf der der Hirt seine Herde zusammenbläst, so gut er's eben gelernt hat.
Lustig ist das Leben in diesen Dörfern, weil es die Leute sind. Ein munterer, beweglicher, anstelliger, allzeit zum Scherzen und Necken bereiter Menschenschlag; das gilt von den beiden Typen, von denen ich schon gesprochen habe, den Blonden tiefer unten, den Schwarzen oben. Auch dies trifft bei beiden zu, daß die Männer, wie so oft auf dem Lande, dem flüchtigen Blick als die schönere Hälfte erscheinen. In Wahrheit sind sie's auch hier so wenig wie irgendwo; die Frauen haben immer den feineren Gesichtsschnitt, die besseren Farben; von den Formen zu schweigen, die auch der objektivste Mann doch immer nur mit Männeraugen sieht. Die Frauen im Schwarzatal erscheinen uns deshalb minder hübsch als die Männer, weil sie durch ihre hier allerdings nicht zu harte Arbeit doch mehr angegriffen werden als die Männer durch die härtere und die frühen Bündnisse sowie der durchschnittlich große Kinderreichtum die Blüte rascher zum Welken bringen. Ein gesunder Menschenschlag; wenig Fett, nicht viel Fleisch, aber kräftige Sehnen trotz der Kartoffelkost; Jammergestalten, wie zum Beispiel im Riesengebirge so oft, trifft man hier selten und dann eben nur in den ärmsten Dörfern. „Die Leut hier sind vor dem Ach und Pfui bewahrt“, meinte eine Gastwirtin, die in Erfurt, sogar in Berlin gedient hatte, also Vergleichungen anstellen konnte; die kluge Frau hatte recht; das „Ach, wie schön!“ nötigt dieser Menschenschlag einem ebenso selten ab wie das „Pfui, wie häßlich!“
Das Beste sind die hellen klaren Augen, der muntere, treuherzige Ausdruck der Züge, die ein getreues Spiegelbild des Innern sind. Selbst während der Arbeit zeigen die Gesichter nicht jenen dumpfen, stumpfen, traurigen Ausdruck des Zugtiers, der einen an Landarbeitern des norddeutschen Flachlands oder gar in slawischen Gegenden so betrübt; in den Pausen gar wird unablässig geschwatzt, geneckt und gelacht. Bei Tage ist die Dorfstraße natürlich wenig belebt; die Männer sind im Wald, auf dem Acker oder in der Fabrik, die Frauen schaffen im Hause; aber begegnen zwei Leute einander, so reicht ihre Zeit, auch wenn sie noch so eilig sind, zu einem Gruß und einem Spaß, und wenn's auch nur das Zurufen des Spitznamens wäre. Solche Namen wachsen ja naturgemäß in jedem Dorf wie die Brombeeren; beim Familiennamen ruft man sich da niemals, sondern bezeichnet einander nach dem Hof, dem Gewerbe oder hervorstechenden Eigenschaften. Die Spitznamen sind also anderwärts keineswegs zugleich immer Necknamen; hier oben, soweit ich's erkunden konnte, fast immer. Viele sind harmlos, wie zum Beispiel Scharbsheiner, Veigelemarie; der Heinrich liebt eben Pfannkuchen und die Marie Veilchen; auch Linsenschlingerfritz bedeutet keine ehrenrührige Gewohnheit. Noch weniger Stöckelmartin; der alte Mann, der so hieß, hatte sich eben einst im Stöckelnspiel (was die Schweizer Pflöcklispiel nennen) ausgezeichnet, und Schwatzmarthe vollends könnte jede Frau im Tal heißen. Andere Namen bezeichnen körperliche Eigenschaften; angenehm sind sie ja für die Träger nicht, aber doch auch dem Leumund nicht abträglich: Hinkehanne, Ohrenmatthes; zwei gleichnamige, aber sehr verschiedene Kusinen bei Oelze werden als Steckenliese und Schmalzliese unterschieden; letzteres nach dem im Tal geltenden Schönheitsideal entschieden ein epitheton ornans. Und nach den dort herrschenden Ansichten können auch Mädelkarle und Kußgrete nicht niederdrücken. Andere Spitznamen wieder sind ohne alle Spitze, nur eben Bezeichnungen, so zum Beispiel Löffelsimshannematthes, was, wie ich glaube, bedeutet: der Matthias, der Sohn der Hanne, welche die Tochter des Löffelsimon war; einen andern, Sauerteigsbalzer, lasse ich aus dem nicht untriftigen Grunde unerklärt, weil ich's selber nicht weiß. Viele Namen aber sind recht unangenehm, und wollte man nach ihnen schließen, so stünden zahlreiche Leute im Tale bei ihren Nebenmenschen in üblem Geruch, moralisch, aber auch körperlich. Solche Namen nehmen sich in Druckerschwärze schlecht aus, würden zudem leicht zu falschen Schlüssen verführen. Die Leute sind spottlustig und nicht eben fein, aber allzu böse gemeint ist derlei nie.
Das erkennt man auch während der Konversationsstunde im Dorfe, in der Dämmerung. Fast vor jedem Haus wird geplaudert; das Lachen hört selten auf und das Kosen schon gar nicht. Auch hier gehen die Mädchen anfangs untergefaßt in einer Reihe und hinter ihnen die Jünglinge, aber die Ketten lösen sich sehr bald in Einzelpaare auf. Wer deutsches Dorfleben näher kennt, wird die Großstadt nicht als sündhaft schelten, aber diesen Talleuten vergibt der Himmel gewiß besonders viel, denn hier wird sehr viel geliebt. Die sittlichen Anschauungen des Tals, über die ich mit mehreren Leuten sprach, faßte ein Hirte, der überhaupt ein verständiger, auch weltkundiger Mensch war, am klarsten zusammen. „Sehen Se“, sagte er, „das is nu so. Juchend is Juchend un Blut is Blut, un ob's ein Bursch oder ein Mädel is, is gleich, das is eben Naduhrsache. Darum wird das Mädel nech veracht' und der Bursch nech; sie sind frei un frei. Aber die Ehefrau und der Ehemann sind nech frei, un wenn die sich vergessen, so werden se veracht. Aber wie 'n Viech darf's auch der Unbeweibte nech treiben, un wenn's der Bursch mit mehreren Mädeln hält und das Mädel mit mehreren Burschen, so is das bei uns pfui Teufel.“ Ähnlich denkt der Bauer überall; die Schranken der Sitte sind anders gezogen als in den höheren Ständen, in einigem weiter, in anderem enger, aber sie bestehen. Und die Grenze, wo die Achtbarkeit des Mädchens aufhört, ist auch hier scharf bestimmt: einige Liebschaften mit Burschen ihres Standes werden verziehen, ja als selbstverständlich hingenommen; aber ein einziger Fehltritt mit einem Höherstehenden schleudert sie in den Schlamm, weil dabei dann immer niedrige Beweggründe vorausgesetzt werden. Ländlich, sittlich – zum Richten haben wir kein Recht. Zwei Umstände aber sind bedenklich. Erstlich der frühe Beginn der Beziehungen; „schon Schulmädchen befragen das Orakel des Gänseblümchens“, sagt der ehrliche Fritz Regel etwas euphemistisch. Unhübsch ist aber auch, daß Heiraten aus Neigung auch jetzt noch keineswegs die Regel sind; vor dreißig Jahren waren sie allerdings gar nur Ausnahmen. Noch haben der Schneider und der Schuster genug zu tun, aber das Handwerk des Ehestiftens hat nun keinen goldenen Boden mehr. Empfindsame Gemüter, die den Grund gern in der wachsenden Veredelung des Menschenherzens suchen wollten, wird der wahre Grund enttäuschen; die wirtschaftliche Entwicklung des Tals nivelliert die Vermögensunterschiede immer mehr. So arm wie einst ist niemand, weil die Fabriken jedem Brot geben, und so reich wie einst auch nicht, weil die größeren Höfe allmählich alle aufgeteilt worden sind. Sie waren einst Minorate; Erbe war der jüngste Sohn (war kein Sohn vorhanden, die älteste Tochter), aber die Auszahlung an die andern Geschwister belastete die Erben so, daß sie die Teilung vorzogen.