Abschnitt. 11 - Persönlichkeiten, die wert sind, daß man ihren Namen nenne:

Eine lange, lange Reihe. Alle in langem, dunklem Talar, die einen mit herabwallendem Haar, die anderen in der Allongeperücke, dazwischen Mönche und Männer im lutherischen Priestergewand, die einen das sichere Lächeln des Alleswissers um die Lippen, die anderen mit dem milden Blick und den feinen Runen um den Mund, die die schmerzvolle Erkenntnis des „Ignorabimus“ dem Antlitz des Forschers eingräbt. Weise und Toren, Gelehrte und Silbenstecher, kleine Lichtlein der Wissenschaft, die ausgeglommen waren, als sie noch lebten, und andere, die fortleuchten bis in unsere Tage hinein. Da wandeln Eobanus Hessus, der trinkfeste „König der Dichter“, und Konrad Celtes, der dann auch leibhaftig als Dichter gekrönt ward; da Crotus Rubianus, der große Begründer klassischer Studien an dieser Hochschule; da Luderus und Rufus, die welschen Dichter-Gelehrten, die hier eine Heimstätte gefunden; Justus Jonas und Joachim Camerarius; da Adam Riese, der 1525 hier sein berühmtes Rechenbuch herausgab, da, wie es sich für die Stadt der Blumen geziemt, zwei berühmte Vertreter der „scientia amabilis“, der Botanik, Valerius Cordus und Johannes Thal. Das sind Persönlichkeiten, die wert sind, daß man ihren Namen nenne. Andere wieder in diesem langen Zug haben nur als Schar Bedeutung; so die Erfurter Theologen, die einst neben ihren Kollegen zu Paris und Löwen gegen den edlen Reuchlin für die Kölner Dominikaner entschieden. Sie kniffen die Augen vor der aufleuchtenden Flamme des Humanismus zu, die anderen aber begrüßten sie freudig und halfen ihr Licht mehren; Erfurt war die beste und stärkste Stütze des Humanismus in Deutschland. Von hier aus ward der „verstaubte Kram“ ein Erwecker der Bildung und der geistigen Freiheit, des Sinns für Schönheit und für Menschlichkeit. Welche Bedeutung Homer und Horaz für unsere Zeit haben, darüber mag man verschiedener Meinung sein; ich meinerseits, meiner Zeit ein treuer Sohn, aber nicht ihr Knecht, glaube mit Jean Paul, daß die Menschheit unergründlich tief versänke, wenn unsere Jugend nicht mehr durch die Tempel der Alten den Weg auf den Markt des Lebens nähme; aber auch wer anders denkt, beuge doch sein Haupt vor dieser altersgrauen Burg des Humanismus auf deutschem Boden. Denn all unsere Kultur und alle Größe deutschen Namens in Wissenschaft und Dichtung erhebt sich auf dieser Grundlage. Berühmt waren die Lehrer, die einst durch dies Portal schritten, aber einen Ruf, wie sich zwei ihrer Schüler errungen, hat keiner von ihnen. Denn so unendlich verschieden diese beiden waren, gemeinsam ist ihnen, daß ihre Namen auf Erden nie ersterben werden: Martin Luther und Johannes Faust.
Man weiß, Erfurt darf sich mit Recht eine Lutherstadt nennen wie Eisleben, Wittenberg oder Worms. Er hat nur sieben Jahre seines Lebens hier verbracht (1501–1508), aber es waren die, wo er sich zu der „tapferen, frommen, ehrlichen Innerlichkeit“ durchrang, ohne die er vermutlich nur ein begabter Richter oder Advokat geworden wäre wie viele andere. Hier studierte er die Rechte und ward Magister der Jurisprudenz, hier erschloß sich ihm durch Crotus Rubianus und Johannes Lang die Welt der Alten, hier traf ihn durch ein Gewitter jener „Schrecken vom Himmel“, der ihn als Mönch zu den Augustinern trieb; in einer Erfurter Zelle durchlebte er jene Qualen des Zweifelns und Verzweifelns, aus denen ihn das Studium der Schrift emporhob. Dann ist er noch zweimal hier gewesen, 1521 auf der Reise nach Worms, dann das Jahr darauf, wo er in der Kaufmannskirche predigte.
Neben diese Kirche, unter den Schatten ihrer alten Bäume, haben die Erfurter darum auch ihr Lutherdenkmal gesetzt. Es ist ein tüchtiges Werk von Fritz Schaper, 1889 errichtet; auf einem hohen Granitsockel steht ernst und ruhig die hochaufgerichtete Gestalt; die beiden Hände halten die aufgeschlagene, an die Brust gedrückte Bibel: „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werk verkündigen“; es hätte der Inschrift auf dem Sockel kaum bedurft, die Gestalt spricht es aus. Rietschels Lutherstandbild in Worms ist ja zweifellos ungleich gewaltiger; es hat in der leidenschaftlichen Bewegung, im kämpfenden Antlitz, in der geballten Faust, die auf der geschlossenen Bibel liegt, etwas Hinreißendes; aber auch Schapers Arbeit ist ein gutes Werk. Die vier Reliefs wirken gleichfalls erfreulich; der Magister der Rechte vergnügt sich zum letzten Mal mit den Freunden bei Sang und Saitenspiel; sein Eintritt ins Kloster, von dem die Freunde abmahnen; seine Tröstung durch den ehrwürdigen Staupitz; sein Empfang in Erfurt auf der Reise nach Worms. Besonders zu rühmen scheint mir das zweite Relief; ich zähle es den besten bei, die ich von modernen Meistern gesehen habe. Das gute Werk ist den Erfurtern zu gönnen; gar so viel Freude können sie, glaube ich, an ihren anderen Denkmälern nicht haben, auch nicht am Kaiser-Wilhelm-Denkmal, obwohl der Erfurter Herr, der mir sagte: „Alles ist gut, aber was gar das Pferd betrifft, so ist so was sonst selten zu sehen“, wenigstens teilweise recht hatte. So ein Pferd ist wirklich in der Natur nie und auch auf Denkmälern nicht oft zu sehen, aber Gestalt und Sockel sind nicht gut. Ich gebe zu, ein Denkmal dieses Fürsten ist eine schwere Aufgabe; es ist kein Zufall, daß fast alle Lutherdenkmäler gut, fast alle Kaiser-Wilhelm-Denkmäler mißlungen sind. Der Grund leuchtet ein: es ist ein natürlicher Gegensatz zwischen der ungemeinen Schlichtheit der Erscheinung und der Größe der Aufgabe, die das Schicksal den greisen Fürsten hat lösen lassen. Nur ein Genie könnte beides vereint zum Ausdruck bringen; die Talente, die sich bisher daran versucht haben, vermögen es nicht; entweder sie geben eine stilisierte oder gar posierende Imperatorengestalt, und das ist dann nicht der greise Fürst, wie er im deutschen Volksgemüt lebt, oder einen freundlichen alten General, und das ist nicht der Einiger Deutschlands. Nicht daß der Schöpfer des Erfurter Denkmals den Kaiser in „anspruchsloser Interimsuniform“ dargestellt hat, stört den Beschauer, wohl aber die ungemeine Nüchternheit der Auffassung. Auch daß der romanische Sockel aus rotem Granit so hoch und schmal ausgefallen ist, stört ernstlich; freilich tröstet es andererseits, daß man bei dem vierbeinigen Wesen, auf dem der Kaiser sitzt, nicht eben an ein wirkliches Pferd denkt, das ausschreiten könnte. Das Antlitz des Kaisers ist dem, das mir in der Erinnerung lebt, ähnlicher, als ich es auf anderen Denkmälern gesehen habe, aber das gilt nur von dem Schnitt der Züge, nicht von ihrem Ausdruck. Hier sehe ich nur eben einen freundlichen, alten General, aber in Kaiser Wilhelms Zügen war neben der Freundlichkeit das Bewußtsein, ein zu Größtem erlesenes Werkzeug der Vorsehung zu sein, und der stille Stolz großer und treu erfüllter Pflichten. Von den anderen Denkmälern der Stadt ist nicht viel zu sagen. In den Anlagen am Flutgraben nahe der Pförtchenbrücke steht das Sandsteindenkmal des braven Ratmeisters Christian Reichardt, im Kostüm der Zopfzeit, eine freundliche, mittelmäßige Arbeit. „Der hat schiene Baime und gude Flumen (Pflaumen) gepflanzt“, erwiderte mir ein ganz kleiner Erfurter auf die Frage, wer der Mann wäre; die Pflaumen abgerechnet, die sein Lieblingsobst sein mochten, wußte also der Junge Bescheid, denn Reichardt hat sich um den Gartenbau der Stadt große Verdienste erworben. Hingegen wußte mir von den Knaben, die sich am Hermannsbrunnen mit vieler Ausdauer bespritzten, nur einer zu sagen, wem der Brunnen gelte: „Das war ein General gegen die Römer“, und der sagte es falsch; der gotische Brunnen ist nicht Hermann dem Cherusker, sondern nur einem Stadtrat Hermann gewidmet, könnte aber deshalb doch hübscher sein. Erfreulicher ist das Kriegerdenkmal im Hirschgarten, eine hohe, von einem vergoldeten Adler gekrönte Steinsäule, nur ist das Beiwerk an Emblemen und Reliefs etwas zu reich und zu zierlich ausgefallen. Ringsum aber schlägt nicht Mars, sondern Amor seine Schlachten; ich habe selten auf einem bewohnten Flecken Erde so viele verliebte Pärchen gesehen wie in diesen Anlagen zur Dämmerstunde; das ist ja kein Hirschgarten mehr, sondern schon fast ein Hirschpark. Das relativ beste unter den kleinen Erfurter Werken ist Hoffmeisters Brunnen am Anger. Freilich eine Allegorie; die Dame ist, nach dem Blümchen in ihrer Hand zu schließen, eine Flora, hingegen habe ich nicht herausgebracht, wer der bärtige Herr ist; im Reisebuch steht, es sei der Herr Gewerbefleiß; das kann ich glauben oder nicht. Aber die Figuren sind hübsch modelliert, und das getriebene Kupfer hat im Sonnenschein einen warmen Ton.