Abschnitt. 8 - „Kein Parkbild kann künstlerisch wirken, denn es ist stilisierte Natur“

Mit dem Gartenkünstler verglichen hat's jeder andere leicht; zwar nicht er allein gestaltet seine Werke aus lebendem Material, das zunächst den Gesetzen seiner eigenen Triebkraft folgen muß, das trifft auch vom Theaterregisseur zu – aber er allein kann nicht bloß während des Schaffens, sondern lange Jahre, nachdem er geschaffen, nur kraft seiner Phantasie, seines Wissens ahnen, wie sein Werk aussehen wird; zunächst sind ja die Bäume nur Setzlinge. Was alles muß er vorausberechnen: den Raum für jeden einzelnen Baum, die Höhe, die er erreichen, die Form, die er annehmen, die Farbenwirkung, die er erzielen wird – und jeder Baum ist ein lebendiges Wesen; der eine wächst so, der andere anders. Aber nun sind ja überall Gruppen zu pflanzen, zumeist Gruppen verschiedener Bäume; wie werden sich ihre Wurzeln unter der Erde miteinander vertragen, wie ihre Form, ihre Farbe, ihre Höhe über der Erde! Und wie eingeengt ist die künstlerische Freiheit seines Schaffens durch die Eigenart des Bodens und des Klimas und die tausend Zufälle, die den Untergang oder, was fast ebenso schlimm ist, das übermäßige Gedeihen eines Setzlings bewirken! Dazu zwei Besonderheiten von Wörlitz. Erstlich die starke Verwendung fremder, bis dahin in Europa oder doch auf dem Kontinent nicht kultivierter Baumarten (zum Beispiel von 117 Spezies Nadelhölzern etwa zwei Drittel fremde!); dies sichert den Gärten ihren breiten Platz in der Geschichte der Botanik, ihre ungemeine wirtschaftliche Bedeutung für die Entwickelung des Gartenbaus in Deutschland, aber auch die malerische Wirkung dieser Bilder, namentlich die überaus feine Nuancierung der Farben in Laub und Nadel, wird hauptsächlich dadurch bewirkt – und der Herzog konnte dies Material, als er es verwandte, nur aus Abbildungen kennen! Ferner aber: jeder Gartenkünstler, der über kupiertes Terrain verfügt oder sich ein solches künstlich schafft, strebt der doppelten Aufgabe nach, die einzelnen Teile an sich schön und von bestimmten Punkten schön zu gestalten, aber das sind dann eben einzelne Aussichtspunkte; hier ist's ein Aussichtsweg von zwei Kilometer Länge; das hat meines Wissens kein anderer versucht. Kurz, diese Bilder, nebenbei bemerkt wunderbar gepflegt und erhalten, sind zweifellos eine Lebensarbeit, und tatsächlich ist ein halbes Jahrhundert (1768–1817) unausgesetzt daran geschaffen worden.
Aber sind sie auch Kunstwerke? Ich will die Frage, ob sie es sein können, nicht erst des weiteren erörtern, nicht weil mir die Theorie zu tief, sondern weil sie mir zu seicht ist. Sagt mir jemand: „Mir ist ein Wald lieber als ein Park“, so verstehe ich ihn und muß sogar wahrheitsgemäß antworten: „Mir auch!“, sagt er mir aber: „Kein Parkbild kann künstlerisch wirken, denn es ist stilisierte Natur“, so muß ich erwidern: „Liebster, dann negierst du alle Kunst, denn alle Kunst ist mehr oder minder stilisierte Natur. Dann mußt du dir auch deine Konzerte nur von den lieben Vögelein vorpfeifen, dein Theater von den Leuten um dich her vormachen lassen.“ Widersinnig aber wäre auch der Grundsatz: unmoderne Landschaften auf Leinwand können Kunst und ewig jung, aber unmoderne Landschaften aus wirklichem Baum und Rasen müssen „veraltete Natur“ sein!... Nur so also liegt hier die Frage: Sind diese Wörlitzer Bilder von künstlerischem Wert? Und ich antworte: Ja, meines Erachtens viele von ihnen, mehrere wieder nicht.
Mancherlei freilich wird man dabei berücksichtigen müssen. Vor allem das Allgemeine. Eine derartige plastische Landschaft wird nie so künstlerisch rein wirken wie die gemalte. Der Maler taucht seine Landschaft in ein bestimmtes Licht und malt den Himmel dazu; dem Gartenkünstler beschert das Wetter wechselvolle, auch ungünstige Beleuchtung. Der Maler kann störende Zufälligkeiten des Wachstums und der Farbe beseitigen, der Gartenkünstler nicht. Endlich aber: leicht ist für die Leinwand, schwer für das natürliche Parkbild der günstigste Standpunkt zu finden; der Gartenkünstler muß den Beschauer durch leise oder deutliche Winke auf diesen Punkt hinlenken. Nebenbei bemerkt, gerade in der Erfindung solcher leiser Mittel – scheinbar absichtslos verstreutes Buschwerk, eine auffallend geformte Baumgruppe, die das Auge bannen, eine zurückfliegende Laubwand, die es ins Weite verlocken soll usw. – war der Herzog bewunderungswürdig geschickt, und selbst gröbere Mittel, wie Ruhebänke, hat er angewendet, trotzdem kann der Beschauer oft nur suchend den richtigen Standpunkt finden.
Aber auch Besonderes ist hier zu erwägen, wenn man gerecht urteilen will. Das Terrain war für einen Park wenig geeignet. Auch mußte der Herzog sein eigener Pfadfinder sein; es gab, als er 1768 zu schaffen begann, noch keinen Park in Deutschland, dessen Schöpfer künstlerische Absichten verwirklicht hätte. Endlich aber: diese Bilder sind im Laufe eines halben Jahrhunderts entstanden, das Revolutionen im Gartenbau brachte, den Untergang des französischen, den Sieg des englischen Stils; einige hat ein ungestümer, schaffenskräftiger junger Mann ohne Erfahrung gestaltet, andere ein erfahrener Greis, dessen Schaffenskraft erlahmt war. Wie könnten sie gleichmäßig sein?
Auch wer dies alles nicht erwägt, wird schon auf dem Deichweg empfinden, daß hier ein Künstler zu ihm rede, aber selbst für den, der's voll anschlägt, bleibt noch genug des Rätselhaften übrig. Neben feinsten Bildern so viel Künstelei, ja kleinliche Tändelei! Was soll dies Kinderspielzeug von Felsen und Klippen? Und was selbst im Guten der Mangel an Maß? Die Natur darf alles; berauscht sie binnen einer Wegstunde unser Auge mit einer Welt voll wechselvoller Schönheit, so scheint's uns herrlich; die Häufung von Gartenbildern ermüdet; heute abend habe ich die Wörlitzer Rübenäcker gern angesehen; die waren wenigstens nicht malerisch... Woran fehlt es hier? An rechtem Einblick in das Wesen der Natur und dieser Kunst? Gewiß nicht! Ein besseres Programm hat nie ein Gartenkünstler aufgestellt, als das dieser Fürst aussprach: „Man soll die Natur in ihren idyllischen Bildungen nachahmen und sie sich zum Muster nehmen, wie sie die Wälder mit ihren stillen Schatten schafft, die Waldränder mit blühenden Gesträuchen ziert, ihre Bäume gruppiert, ihre Flächen und Wiesen in Blumenteppiche verwandelt und ihre Gewässer in Seen, Flüsse und Bäche verteilt.“ Und diesen Worten entspricht ja auch zumeist die Tat! Fast überall im einzelnen, häufig in dem Gesamtbilde redliche, tiefe Ehrfurcht vor der Natur. Von „Daumschrauben“ kann hier wahrlich keine Rede sein; die paar verschnittenen Taxushecken abgerechnet, die der Herzog zudem gar nicht schuf, sondern nur als Überbleibsel eines alten französischen Gartens beließ, ist nirgendwo auch nur ein Zweig verstümmelt; jeder Baum, jeder Strauch steht in dem Erdreich, in dem Licht, das für ihn am besten taugt. Und wenn Herzog Franz – um ein einziges, sein beliebtestes Kunstmittel zu nennen – den Kern einer Gruppe aus dunklen Farben und derben Formen gestaltet, gegen den Rand hin aber die Bäume immer feiner und heller wählt, so widerspricht dies der Natur nicht, es ist ihr vielmehr abgelauscht. Wie stimmen dazu die Felschen, die Effektchen, wie die Tempelchen und Ruinchen? Tribute an den Geschmack der Zeit? Ein wirklicher Künstler wird ihm sonst in solchem Maß nicht untertan. Hier muß, sagt man sich, noch ein anderes Element mitgewirkt haben, das die reine, künstlerische Intention immer wieder störend durchkreuzte.
Die Bauwerke am Deich steigern diesen Eindruck; keines wirkt künstlerisch, einige komisch, andere lassen kalt. So gleich die erste Anlage, auf die man von Westen her trifft, die Einsiedelei, ein Grottchen, ein paar dunkle Gängchen. Hier brachten sich noch Lavater und Matthisson in feierliche Stimmung; wir können es nicht mehr: „Einsamkeit und Stille führen zu Gott, wie einiges Unglück zum Guten führt“ – die Inschrift am Rotundchen ist in ihrer nüchternen Bedächtigkeit für das Ganze bezeichnend: „einiges Unglück!“ Als Elisa von der Recke, die eine recht schwatzhafte und zerfahrene Dame war, hier zu Besuch bei ihrer Freundin, der Herzogin Luise, verweilte, schickte sie der Herzog – „Wenn doch die gute Elisa einmal bei sich einkehren und stiller werden wollte!“ klingt ein Stoßseufzer aus jener Zeit – oft zur Kur in die Einsiedelei; sie aber wandelte mit ihrem Tiedge lieber zum nahen Venustempel, was man ihr allerdings eigentlich nicht verübeln kann. Es ist eine offene Säulenhalle am Deich, die eine nun ganz kränklich aussehende Nachbildung der mediceischen Venus enthält. Dann folgen die Luisenklippen; sie sehen wie Morcheln aus, die eine Köchin phantastisch zerschnitten hat; eine Riesenköchin brauchte es nicht zu sein. Mit drei Schritten hatte ich die ganze schauerliche Romantik hinter mir, sah mir dann aber bald nicht ohne Bangen wieder ein Gebirge von etwa zehn Fuß Höhe entgegenwachsen. Doch erwies es sich, als ich davor stand, etwa doppelt so hoch: das Monument. „Meinen Vorfahren Franz“ lautet die Inschrift. Eine aus Granitsteinen geformte Höhle, durch Fenster in der Decke erleuchtet, enthält sie hübsche Hautreliefbüsten der Dessauer Fürsten, Vasen und Wandgemälde im pseudoantiken Stil. Daß die Nässe das „Freßgoh“ an der Decke, die Verschenkung der „allerscheensten Kabriele“, unkenntlich gemacht habe, konnte ich nun mit eigenen Augen sehen. Bedeutender ist der künstlerische Inhalt eines anderen Baus am Deich, des Pantheon, eines Rundbaus mit Säulenhalle. Es enthält die vom Herzog in Rom angekauften, durch Abgüsse und Abbildungen bekannten zehn Statuen: Apoll und die neun Musen, Arbeiten der Antike, eine (Urania, Melpomene, Kalliope) sehr schön, alle sorgsam und geschickt restauriert; am Apoll freilich ist nur – ein Stück der Leier alt. Sammler von heute werden mit Neid vernehmen, daß die zehn Statuen einschließlich der Restaurierung 1500 Scudi kosteten! Daneben andere spätrömische Büsten, zahllose Bruchstücke; es ist erstaunlich, wieviel der Herzog auch davon zusammengebracht hat.