Abschnitt. 3 - Von den falschen Cranachs, Holbeins, Dürers, Breughels, Grünewalds...

Freigebiger war Herzog Franz, und er kaufte nicht bloß Bilder und Statuen; auch die Möbel, die Gobelins, die Vasen, die Nippes, mit denen jedes Eckchen des Gotischen Hauses gefüllt ist, sind zumeist schön, nicht minder die Waffen und Rüstungen; das meistbewunderte Stück freilich, die Rüstung Bernhards von Weimar, hat Herzog Karl August seinem Dessauer Nachbar verehrt. Auch wenn man weiß, daß Goethes trefflicher Freund auf derlei Dinge wenig gab, berührt doch dies Geschenk, die Rüstung eines tapferen Ahns für die Kuriositätensammlung eines fremden Fürsten, etwas eigentümlich. In ihrer Art einzig aber ist die Sammlung von Glasmalereien; sie umfaßt fast lückenlos die beiden Jahrhunderte der Blütezeit dieses Kunstzweigs, des 16. und 17. Jahrhunderts, und gibt, wenn man die Stunde daran wendet, ein lehrreiches Bild seines Entwicklungsganges, vom Kirchlichen zum Weltlichen, von der rohen Technik zur Kabinettsmalerei auf Glas bis zu deren Verfall. Die meisten Stücke hat Lavater in der Schweiz, dem gelobten Lande der Glasmalerei, für den Herzog angekauft, und von dem wackeren Züricher rührt auch die Inschrift („Wörlitz, 15. Juli 1786“) auf einer der Scheiben her:
Ihr, Denkmal alter Kunst und gottvertrauter Zeiten,
Bewundrung, Wehmut, Mut und Hoffnung sehn mich an.
Zwar Kunst und Zeiten hin, doch zeugt ihr uns in Weiten,
Was frommer Menschheit Fleiß und ernste Tugend kann.

Mein Gefährte, der Kunsthistoriker, war anderwärts beschäftigt, sonst hätte ich ihn vor die schönsten dieser Glasmalereien, zum Beispiel die „Verkündigung Mariä“, geführt und ihm dort etwa folgende Rede gehalten: „Die Zeit des ›Aufklärichts‹, verehrter Herr Doktor, die Sie so sehr mißachten, hat wirklich neben manchem Herrlichen, das wir vielleicht erst im 21. Jahrhundert, vielleicht auch später, und dann gewiß in ganz anderer Art wieder erreichen, auch manche Geschmacklosigkeit mit sich gebracht. In dem Bestreben zum Beispiel, auch in die Kirchen möglichst viel klares Licht einfließen zu lassen – und über die Berechtigung dieses Bestrebens an sich kann man verschiedener Meinung sein, Herr Doktor –, waren die Leute so pietätlos, die schönen bemalten Glasfenster zu beseitigen. Aber just in der Zeit, da solcher Unfug am schlimmsten wütete, hat dieser Fürst mit unsäglicher Geduld und beträchtlichen Kosten diese herrliche Sammlung zusammengebracht. Was folgt daraus? Daß er nicht etwa bloß, wie Sie glauben, der Typus einer von Ihnen mißachteten Zeit war, sondern eine Individualität, ein warmherziger Mensch voll Schönheitsdurst. Und darum, schon dieser Sammlung bunter Glasscherben wegen, ›lobhudle‹ auch ich diesen Herzog Franz!“
Aber, wie gesagt, die Rede blieb ungesprochen. Wenn der Gelehrte und ich einander begegneten, so machte er mich auf ein Kuriosum haarsträubend falscher Bestimmung aufmerksam, und ich konnte ihm mit Gleichem dienen, denn um diese Böcke nicht zu merken, müßte man blind sein. Da gibt es einige gefälschte Albrecht Dürers, einschließlich seines Zeichens gefälscht; unter Schule Cranachs laufen Bilder, die schwerlich vor 1700 das Licht der Welt erblickten; da gibt es Breughels, die nicht von Breughel, Matthias Grünewalds, die weder von dem Colmarer Meister noch von einem seiner Zeitgenossen, Hans Holbeins, abermals mit Dürers Zeichen signiert, die weder von Holbein noch von Dürer sind usw. Auch die Namen der Porträtierten sind vielfach irrig angegeben, was, nebenbei bemerkt, den wackeren Lavater samt all seiner Physiognomik aufs Eis geführt hat. Teils aus innerem Drang – denn einige Dutzend Distichen täglich waren ihm Bedürfnis –, teils seinem erlauchten Freunde zu Ehren widmete er einer Reihe dieser Porträts physiognomische Charakteristiken in Versen; die Zettelchen in Lavaters eigensinniger Schrift hängen noch heute an den Rahmen. So auch zum Beispiel an Nr. 1512, Cranach des Älteren „Kurfürst Friedrich der Weise“ – „Frommes, treues Gemüt, so derbdeutsch, fest und so mannhaft“ usw. singt Lavater, gewiß im besten Glauben, daß er dies aus den Zügen des Porträts lese – und in Wahrheit las er's doch nur aus dem historischen Charakter des Beschützers der Reformation heraus! Denn das Bild stellt gar nicht diesen großen, sondern einen weit kleineren Wettiner dar, auf den all das wenig paßt... Ich erzähl's, weil der Lapsus lustig ist und bisher von niemand bemerkt wurde; arg ist's für Lavater nicht, und den meisten Beschauern kann's gleichgültig sein, welchen Wettiner, Askanier oder Oranier sie da vor sich haben. Aber störend sind die falschen Künstlernamen, für den Laien, weil sie ihn verwirren, für den Kunstfreund, weil sie ihn stören, und das Schlimmste ist die Unzahl schlechter Bilder. Kein Raum, der nicht auch erbärmliche Sudeleien enthielte; ärgerliche Kopien guter Werke, wertlose Pinselübungen obskurer Hofmaler, albernen Krimskrams aus weiß Gott welchen Trödelbuden. Man sage nicht, derlei komme auch anderwärts vor; es kommt heutzutage in diesem Grad nicht mehr vor; es ist die unharmonischste Sammlung, die ich je gesehen habe.
Wie sich dies erklärt? Nun, Herzog Franz war ein ehrlicher Kunstfreund, ein feiner Gartenkünstler, jedoch schon in der Beurteilung der Antike, trotz des engen Anschlusses an Winckelmann, nicht ganz sicher, und vollends nicht in der Malerei. Um gerecht zu sein, erwäge man aber, wie selten damals überhaupt solche Kennerschaft war, welches Tohuwabohu von Falsch und Echt, Gut und Schlecht bis tief ins 19. Jahrhundert hinein selbst in den berühmtesten Sammlungen zu finden war, wie jung überhaupt die Kunsthistorie als Wissenschaft ist. Nein, wir haben keinen Grund, über Herzog Franz und seinen getreuen Helfer A. von Rode zu lächeln; Hut ab vor ihnen trotz des falschen Holbein mit dem aufgeklecksten Dürer-Zeichen! Zudem zeigt der Herzog, in fast allem der treueste Sohn seiner Zeit, von ihr geformt, beschwingt und beschwert, auch den typischen Zug des Sammlers jener Tage: Die Kunst ist nicht Selbstzweck, sie „soll“ auch immer was; auch jede Kunstsammlung soll daneben einen moralischen oder wissenschaftlichen Zweck erfüllen. Herzog Franz wollte im Gotischen Haus nebenbei auch eine große, möglichst lückenlose historische Porträtgalerie schaffen, und darum hing er neben seine Van Dyck und Frans Hals auch einen anonymen, unglaublichen Rudolf von Habsburg, sogar samt Frau Gemahlin und Fräulein Tochter. Irrtümer, Geschmacklosigkeiten, ja, aber solche der Zeit, und – nur eben die Größten abgerechnet – stecken wir ja alle in unserer Zeit, wie etwa in unserer Haut, und können nicht aus ihr heraus...
Aber auch für das Allerschlimmste, was heute im Genuß dieser Schätze behindert, soll nicht „der würdigste aller Fürsten“, wie Winckelmann den Herzog genannt hat, verantwortlich gemacht sein. Das Gotische Haus taugt zur Bildergalerie wie ein Stall zum Speisesaal. Von außen ein häßlicher Bau von drollig wirkender Unregelmäßigkeit, ist es im Innern ein Gewirre mittlerer und winziger Stuben, in denen man wenig, enger Gänge und winkliger Kammern, in denen man überhaupt nichts sieht. Ursprünglich als Gärtnerswohnung erbaut, wurde es vom Herzog dann zu seinem Sommersitz erwählt und notdürftig durch Zubauten erweitert; hier, wo der schlichte, für seine Person rührend bedürfnislose Mann selbst am liebsten verweilte, vereinigte er darum auch seine geliebten Bilder und Nippes, Waffen und Glasmalereien, so viele ihrer irgend Platz hatten oder in Wahrheit weit mehr: es ist alles übereinander gehäuft, zuweilen so, daß ein Stück das andere ganz deckt, und da für bequeme Möbel kein Raum blieb, so behalf er sich eben mit dem dürftigsten Hausrat. Es muß ein unbehagliches Hausen in den engen, überstopften Räumen gewesen sein; ihm genügte es; nicht sich selber, nur seinen Kunstschätzen wünschte er ein würdiges Heim. Dem aber standen seine beschränkten Mittel entgegen; die Steuerkraft des damals winzigen Ländchens war noch gering und wurde zudem von ihm, der noch heute nicht umsonst von Bauer und Handwerksmann „Vater Franz“ genannt wird, gewissenhaft geschont – und das, was er hatte, zu wie vielem mußte es reichen! Vom Philanthropin und der Bibliothek der Gelehrten abgesehen – auch die Chalkographische Gesellschaft zu Dessau, die erste würdige Kunstanstalt Deutschlands, „vergeudete“ anscheinend vergeblich, in Wahrheit zu hundertfachem Nutzen für die Nachstrebenden, sein Kapital in einer nüchternen, für künstlerische Reproduktionen noch nicht reifen Zeit. Dazu die Unterstützungen für Dichter, Künstler und Gelehrte. Aber die größten Summen verschlang Wörlitz. Wenn er erst damit fertig sei, hoffte dieser rastlose „ewige Jüngling“, dann wollte er ein Museum bauen, aber mit dem bißchen Lebenskraft wird man immer früher fertig als mit derlei Aufgaben; als er am Vortag seines 77. Geburtstages starb, tröstete ihn nur das Vertrauen in die Pietät, den wachsenden Reichtum seiner Nachkommen. Nun, sie sind sehr reich, aber was am 9. August 1817 an den Wörlitzer Bauten und Anlagen unvollendet war, ist es noch heute, und das mag hingehen; daß jedoch das nun unbewohnte Gotische Haus noch immer als Museum dient, ist ein – hm, sagen wir eine unerfreuliche Erscheinung.