Abschnitt 5

Und nun lockt mich der Schlossgarten, der sich von der oberen Terrasse hinter dem Schlosse in sanftem Abstiege bis zum Zierker See hinab zieht. Rasenflächen, Blumenpartien, Springbrunnenbassins führen zu einer breiten Avenue, die von prächtigen alten Linden gebildet wird. Sie sind seitwärts zu geraden Wänden geschoren, aber ihre stolzen Kronen überragen diese und haben sich frei entfaltet. Zwischen der grünen Umrahmung liegen Rasenflächen, und gerade, breite Wege führen zu einem Erdwalle, der die Allee abschließt und auf dem unter hohen Linden ein Tempelchen mit der Canovaschen Hebe steht. Diese Partie, die zu beiden Seiten von dichtem Gebüsch und hohen Bäumen umgeben ist, weiterhin eine geschorene Charmille (Hagebuchenhecke) und eine Reihe Sandsteingötter im Rokoko-Stile bezeugen die ursprüngliche Anlage des Gartens aus dem achtzehnten Jahrhundert; weite, samtgrüne Rasenflächen und herrliche Baumgruppen neuerer Teile bekunden, dass man an dem Gegebenen in verändertem Geschmack weiter arbeitete. Am Ende dieser neuen Partie erhebt sich auf einem kleinen Hügel ein helles Tempelchen aus schlesischem Sandstein, vier korinthische Säulen tragen den Giebel über einer geschlossenen Tür. Aber ich kenne das Sesam, das sie öffnet. Schlossdiener und Schlüssel sind zur Stelle, und ich trete in das Innere des kleinen Baues. Ein einziger, mit hell gelblichem Marmor bekleideter Raum nimmt mich auf, und in der Mitte sehe ich ein Kunstwerk, dessen edle Schönheit mich immer wieder anspricht: Königin Luise, wie schlafend auf ihrem Sarkophag liegend. Es mahnt an Charlottenburg, ist aber keine Wiederholung des dort aufgestellten Denkmals. Rauch war als echter Künstler von diesem seinen Werke nicht vollkommen befriedigt und arbeitete in Rom in aller Stille noch einmal an dieser Aufgabe.

König Friedrich Wilhelm III. fand doch die erste Ausführung mehr nach seinem Geschmack, kaufte zwar auch die zweite, brachte sie aber in einem kleinen Museum römischer Skulpturen nahe beim Neuen Palais unter, wo sie ganz unbekannt blieb. Nur zwei Gipsabgüsse wurden gestattet, deren einer ins Rauchmuseum wanderte, während Großherzog Georg den anderen erhielt. Nach letzterem ließ der zuletzt verstorbene Großherzog Friedrich Wilhelm von Professor Albert Wolff, dem talentvollsten Schüler Rauchs, das Denkmal in Marmor anfertigen und in dem für diesen Zweck erbauten Tempelchen aufstellen. Das Gipsmodell steht in Hohenzieritz auf der Stelle, wo der Königin Sterbelager sich befand.


Eine Inschrift lautet:

„Edle Frau aus edlem Stamme,
Ruhe sanft in ew'gem Frieden
Nach des Lebens wilden Stürmen.“ —

Der Besuch dieser Stätte erweckte mir die Erinnerung an den letzten Aufenthalt der Königin in Neustrelitz.

Es war am 25. Juni 1810 gegen Abend, als sie, von der Bevölkerung des Städtchens begeistert empfangen, an der Seite ihres Vaters, in Begleitung ihrer Schwester Friederike und der Brüder Georg und Karl, die ihr alle bis Fürstenberg entgegengefahren waren, im offenen Wagen einzog. Die greise Großmama, Landgräfin von Hessen, und der versammelte Hofstaat erwarteten sie im Schloss.

Eine Augenzeugin berichtet über die Tour, die zu Ehren des hohen Gastes an einem der nächsten Tage abgehalten wurde; sie fand die Königin doch verändert gegen früher. Sie trug als einzigen Schmuck eine Schnur schöner Perlen; als man diese bewunderte, sagte sie, dass sie ihre übrigen Kostbarkeiten geopfert, dies Halsband aber zurückbehalten habe. „Perlen bedeuten ja Tränen“, fügte sie hinzu, „und ich habe viel geweint."

Am 28. kam der König nach; er berichtet über die letzten Stunden, die er mit seiner Gemahlin in Neustrelitz verlebte, wie folgt: „Etwa um 5 Uhr nachmittags kam ich in Neustrelitz an. Die ganze Familie und der Hof empfingen mich beim Aussteigen aus dem Wagen. Meine Frau, die mit dabei war, und recht innig vergnügt aussah, freute sich herzlich über den Gedanken, mich zum ersten Mal als Tochter des Hauses zu empfangen. Sie führte mich bald in ihre Zimmer und sorgte für alles, damit ich mich vom Staube reinigen und wegen der großen Hitze etwas erholen konnte. Ich fand sie äußerst glücklich und vergnügt, obgleich sie schon über Unwohlsein klagte; sie versicherte mir mit besonderer Innigkeit und Zärtlichkeit, dass sie froh und freudig über meine Ankunft sei, und zwar alles dieses in einem so ganz eigenen, halb frohen und halb wehmütigen Ton, der mir sonderbar auffiel. —

„Meine Frau, obgleich sie klagte, war sehr en beau in Haaren frisiert und in einem dunkelblauen seidenen Kleide. Ich fuhr in Gesellschaft des Herzogs, meine Frau aber mit ihrer Großmutter usw. im offenen Wagen nach der so genannten Schlosskoppel, wo auf einem geräumigen Rasenplatze unter einer Eiche ( Ist eine Buche gewesen, die noch lange unter dem Namen Luisenbuche in der Schlosskoppel bekannt war. ) Tee und Milch serviert wurde. Auch hier tat meine Frau alles, um es meiner Gewohnheit gemäß einzurichten. Hierauf wurde ein Spaziergang nach dem See und nach den vorzüglichen Partien des recht hübsch angelegten Lustwäldchens gemacht, wobei wiederum von ihr Sorge getragen wurde, dass die Promenade nicht zu weit ausgedehnt werden möchte, da sie wusste, dass in den heißen Tagen ich es nicht liebte.“ So weit der König. In offenem Wagen ging es dann durch die geschmückten Straßen der Stadt hinaus nach Hohenzieritz zum Sterben. — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — — —

Ich wanderte nun, den Schlossgarten verlassend, den wohl bekannten Weg durch eine lange Allee, ehedem hohe, rauschende Schwarzpappeln, jetzt neu gepflanzte junge Bäume, der Schlosskoppel zu, den Erinnerungen an jene ferne Zeit und meinen eigenen folgend.

Da waren die Stellen, wo ich einst im Frühling des Jahres und des Lebens Körbe voll Veilchen gepflückt hatte, die hier in großer Menge wuchsen, dort jener Platz, wo, damals noch sorgfältig gepflegt, die alte, von einer Bank umgebene Luisenbuche stand; jetzt ist sie verschwunden, den Stürmen der Zeit erlegen. Aber immer noch bietet der anmutige Park zu allen Jahreszeiten seine hübschen Spaziergänge, und noch fand ich am Ende des Hauptweges den mächtigen, weitverzweigten alten Haselbusch, der stets das Ziel der Winterpromenade bildete und noch bildet. Während ich umher streife und den alten Hobebrunnen aufsuche, dessen Steinaufbau über der Quelle das Denkmal für den Hofmarschall von Hobe, den Schöpfer dieser weitläufigen Anlagen, bildet, begegnet mir allerlei junges Volk; schwatzend und lachend freuen Sie sich des schönen Sommertages im Grünen. So wie jetzt ihre hellen Kleider durch die Büsche schimmern und ihre frohen Stimmen klingen, so schimmerte auch einst mein Gewand hier zwischen den Stämmen, und meine leichten Füße trugen mich über das raschelnde Laub und das sprießende Gras am Boden. Und als Königin Luise mit ihrem ernsten Gemahl hier wandelte, hat es auch heitere Jugend gegeben, die vielleicht neugierig durch die Büsche lugte, um ein wenig von dem Königspaare zu erspähen. Das ist der ewige Kreislauf des Lebens und der Welt. –

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche Erde - Wanderungen durch Mecklenburg