Abschnitt 4

Mit einer gewissen Spannung betrat ich eines Tages diese prächtigen, neuen Räume, in denen moderne Dekorationskunst gewaltet und ohne Zweifel viel Schönes und Geschmackvolles geleistet hat.

Den Lichthof, der volles Tageslicht einfallen lässt, umgeben zum großen Teile lange, weite Galerien. Zahlreiche Hirschgeweihe, große Kamine, stilvoll eingepasste Möbel schmücken sie. Eine davon ist mehr als Wohnraum in behaglicher Mannigfaltigkeit eingerichtet. Große Ölgemälde sind in die Boiserie der Wand eingelassen, was besonders warm und farbenreich wirkt. Hier sah ich manch altbekanntes Porträt wieder, so das der Königin Luise, die ja ein Kind dieses Fürstenhauses war. Es stellt sie in königlichem Schmucke dar und ist nach ihrem Tode von Professor Kannegießer unter den Augen und der Anleitung ihres großherzoglichen Bruders gemalt.


Prächtiger Stuck schmückt die Decken der Säle und weiten Gemächer, seidene Tapeten in geschmackvoll abgetönten Farben die Wände. Möbel in kostbarer Intarsiaarbeit, besonders wunderbar schöne Schränke, meist aus alter Zeit, bewunderte ich, und vieles, das sonst in kleinen Räumen verschwand, kommt hier erst voll zur Geltung. Teppiche und Parkett sind durchaus eingepasst, und das Ganze macht einen fürstlich vornehmen Eindruck, ohne jede Aufdringlichkeit.

Besonders gut gefiel mir der große weiße Saal. Sein durch mehrere Stockwerke reichender Hauptraum ist noch aus dem alten Bau geblieben, doch hat man ihn durch große Bogenöffnungen in einer Wand mit einem Nebensaale verbunden und so erheblich vergrößert.

Ich kannte ihn lange. Schon als Kind habe ich von der oberen Galerie, die damals nichts als eine einfache Loge war, in das bunte Gewühl eines Hofballes hinabgestaunt wie in eine fremde Märchenwelt, und später dort unten im mächtig bauschenden Ballkleide manchen raschen Walzer, manche Française getanzt, bei der es galt, genau im Takte zu bleiben und sich möglichst graziös zu bewegen. Die schönen alten Stuckornamente aus dem achtzehnten Jahrhundert, die damals unter großen Ölgemälden versteckt waren, sind nun wieder ans Licht und zur Geltung gekommen. Ein glänzendes Fest in diesem Saale muss ein malerischer Anblick, ein wahrer Genuss sein.

Freilich darf man, wenn man bewundernd diese Räume durchschreitet, nicht die Patina alter Schlösser erwarten. Kein geheimnisvoller Duft historischer Erinnerung umschwebt uns hier, wo sich noch keine Hofgeschichten in Renaissance-, Rokoko- oder Empirekostümen abgespielt haben. Wir dürfen nicht fürchten, irgendeiner weißen oder schwarzen Frau, einem Ritter oder Hauskobold zu begegnen, hier, wo alles in Glanz und Helle eben geschaffener Neuheit prangt.

Kaum vermochte ich, in den ganz umgebauten Gemächern die Stelle zu finden, wo einst das kleine grüne Vorzimmer und die rote Audienz lagen. In ersterer hing damals eine schöne Kopie des Raffaelschen Geigers, von der fleißigen Hand der Großherzogin Marie, und man erzählte, dass hier hinter einem Wandschirme der nachmals berühmte Bildhauer Rauch, der als Kammerdiener die Königin Luise begleitet hatte, seinen künstlerischen Trieb, während er seines Dienstes wartete, im Formen kleiner Wachsfiguren betätigt habe.

In der roten Audienz pflegte sich die Gesellschaft, die zur Mittagstafel um 4 Uhr dagewesen war, des Abends um 19 Uhr wieder zu versammeln. Die roten Damasttapeten, das lodernde Feuer im weißen Marmorkamine mit dem blanken Messinggitter, die schwerfälligen, vergoldeten Möbel mit den tiefroten Seidenbezügen, die Marmorbüsten in den Ecken, die großen Ölgemälde an den Wänden, alles überstrahlt von dem sanften Lichte der Wachskerzen auf dem Kronleuchter, es war zugleich vornehm und behaglich.

Ich erinnere mich, dass ich mit einigem Grauen ein Malachittischchen mit Bronzefuß betrachtete, von dem man flüsterte, dass es einst in dem Zimmer des unglücklichen Kaisers Paul von Russland gestanden habe, der von seinen Generalen und Ministern, nach verzweifelter Gegenwehr, mit seiner eigenen Schärpe erwürgt wurde.

Manchmal saß die Gesellschaft an einer langen Tafel aus zusammengestellten Tischen, auf der große Moderateur-Öllampen brannten, die von Zeit zu Zeit aufgezogen werden mussten, dann wurde Lotto dauphin, ein altes französisches Hofspiel mit Figuren auf Brettchen, gespielt. Manchmal auch gruppierte sich die Gesellschaft an kleinen Tischen. Ich entsinne mich eines Abends, an dem Großherzog Georg, der geistreiche und lebhafte, aber ganz taub gewordene fast achtzigjährige Herr, von Napoleon sprach. Er erzählte, dass der Eroberer niemals die Person angesehen habe, mit der er redete, vielmehr stets den Nebenmann des eben vor ihm Stehenden. Seine Strümpfe (Escarpins) hätten stets „Wasser gezogen“, und auf seinem Gesicht habe gestanden, was Königin Luise von ihm sagte: ,,Anderer Unlust ist seine Lust.“ —

Menschen und Räume, alles ist spurlos untergegangen im Strom der Zeiten und wird bald ebenso vergessen sein wie der Hof, den ,,Durchläuchting“ einst hier hielt; das oben angeführte Wort des Psalmisten: „Und ihre Stätte kennet Sie nicht mehr“, wird auch in Fürstenhäusern wahr. Die Gegenwart verlangt überall ihr wohlbegründetes Recht.

Aber ehe ich das Schloss ganz verlasse, zieht es mich in den linken Flügel hinüber. Hier residiert Großherzogin Augusta, Witwe Großherzog Friedrich Wilhelms und Mutter des jetzt regierenden Herrn.

Neunundachtzig Jahre sind über dies greise Haupt dahingegangen und in und mit ihnen welch ein Wechsel der Zeiten. Sie ist eine Tochter des älteren, liebenswürdigen Herzogs von Cambridge, eine Enkelin König Georg III. von England. Ihre ehrwürdige Gestalt gehört zu den wenigen, die ich noch aus den Tagen meiner Jugend wiederfinde, so oft ich nach Neustrelitz komme.

Wem das treu bewährte Festhalten der hohen Frau an alten Erinnerungen und ihren Trägern oder sonst ein günstiges Geschick gestattet, in das scharf geschnittene, bedeutende Antlitz der Fürstin, der ältesten in Europa, zu schauen, wer ihrem lebhaften Auge begegnet, ihre geistig regsame Unterhaltungsgabe beobachtet, sie über Vergangenheit und Gegenwart oder Zukunft mit gleicher Klarheit ihre Ansichten entwickeln hört, muss staunen, dass alles, was über dies greise Haupt dahin gezogen ist an Sonnenglanz und Stürmen des Lebens, nicht vermocht hat, diesen festen und stolzen Geist zu schwächen oder zu beugen und zu verwirren. Das Welfenblut macht sich auch in diesem Sprosse geltend. Es hält fest, was es einmal ergriffen hat. Unbeirrt, ob der Weg leicht oder hart ist, wandert eine so stark geprägte Persönlichkeit ihre Straße.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche Erde - Wanderungen durch Mecklenburg