Abschnitt 4

Im oberen Stock geht ein großer Saal durch die ganze Tiefe des Hauses. Seine Bemalung ahmt gelben Marmor und Freimaurer-Hieroglyphen im ägyptischen Stile nach. Wer sich Mühe gibt, kann hie und da etwas von der Rätselschrift entziffern. So steht an einer Seite der Decke: Honny soit, qui mal y pense. Das Ganze spiegelt den nachahmenden, unechten Papiermachègeschmack der Empirezeit wieder. Aber ein wunderschöner Blick bietet sich aus den drei Fenstern nach dem Garten zu. An diesem Märzmorgen war ja noch alles in die matten Farbentöne des Winters getaucht. Über das weiche Grau der kahlen Baumkronen hin zeichnete sich ganz zart, in die sonnige Luft wie auf Porzellan gemalt, der von dunklem Walde gekrönte ferne Hügelzug, der das Bild abschließt. Seitwärts schimmert der Liepssee und das Dorf Prilwitz, und den Vordergrund bildet der Park. In einem der geräumigen Zimmer hängt hier oben ein altes Ölbild. Es zeigt dunkle, lebensgroße Männergestalten, finstre Gesichter unter großen Schlapphüten, eine unheimliche Gruppe. Man erzählt, die Königin habe sich durch ein solches Bild, das an der Wand ihres Zimmers hing, in ihrem fieberhaften Zustande beunruhigt gefühlt, und auch dies sei eine Ursache zu ihrem Transport nach unten gewesen. Der betreffende Raum liegt gerade über ihrem Sterbezimmer.

Meine Tritte hallten in dem totenstillen Haus, in dem noch die kalte Luft des Winters zu wehen schien; es zog mich hinaus in den Garten.


Zunächst das Schloss umschreitend, weilte ich noch einen Augenblick an der Saaltreppe. Eine lieblich heitere Szene, von der König Friedrich Wilhelm III. berichtet, erstand in meiner Erinnerung. Am Nachmittage jenes letzten frohen Tages in Hohenzieritz erschien die Königin, nachdem sie geruht hatte, wieder bei den Ihrigen. Sie hatte einen lila Schlafrock und den letzten Charlottenburger Hut angetan und ging am Arme des Königs und in Begleitung ihres Vaters diese Treppe hinunter. Man wollte den Tee im Garten nehmen. Der König sprach sein Wohlgefallen an dem Aufenthalt in Hohenzieritz aus, und seine Gemahlin, da- durch ermutigt, bat, sich an ihn schmiegend und zugleich die Hand des Vaters fassend, dem Besuche noch einen Tag zuzugeben und statt für Montag, den 2. Juli, erst für Dienstag die Abreise zu bestimmen, weil es dem Vater und ihr so viel Freude machen würde.

„Abschlagen,“ so erzählte der König, „mochte ich es nicht, ich stellte mich jedoch scherzend so an, als ob ich nicht darein willigen könne und versteckte mich zu dem Ende unter der Gartentreppe, wo sie mich lachend herausholte und ich mich ergeben mußte."

Rechts vom Hause in einer anmutigen Rosenpartie trank man den Tee. Es war die letzte Mahlzeit, an der die Königin teilnehmen konnte. - -

Der Park zieht sich in weitem Kreise um die Anhöhe, auf der das Haus liegt. Dichte Bäume, schlanke, hohe Stämme, Buchen, Ellern, Linden und buschiges Unterholz bilden den Rahmen, der große Rasenflächen, weiterhin sogar ein Stück Kornfeld umschließt und hier und da durchschneidet. Überall drang warmer Sonnenschein durch das kahle Gezweig, unter dem man zur Sommerszeit wie in einer dunkeln, dichten, grünen Halle dahinschreitet. Heute war es, als habe der Frühling einen ersten Kuss auf die geschIossenen AugenIider der schlummernden Erde gedrückt. Noch raschelte welkes Laub unter meinen Füßen, noch blühten keine Blumen am Wege, noch war ein herber Ton in dem Luftzug, der mitunter vom Felde herüberwehte; aber der Fink schlug, und ein fröhliches Zwitschern und Flöten durchklang die blattlosen Bäume, an denen die braunen Knospen noch schliefen. Hie und da öffnen sich Ausblicke ins Land auf kleine Teiche und Baumgruppen bis nach Prilwitz und dem Liepssee hin. Pfeifend reitet ein Bursche auf seinen Ackergäulen am Parkrand entlang. Es ist Frühjahrsbestellzeit, die braunen Schollen strömen frischen Erdgeruch aus.

Jetzt rauscht der Wind über meinem Haupte leise in den Wipfeln dunkler Tannen, durch die schlanken Stämme schimmert ein graues Sandsteindenkmal, von eisernem Gitter umschlossen. Herzog Carl hat es, wie die Inschrift besagt, seinen beiden verstorbenen Gemahlinnen und seinen fünf früh heimgegangenen Kindern errichtet. Über zwei großen und fünf kleinen Aschenurnen thront auf steinernen Wolken die Hoffnung mit dem Anker, der auf einem runden, kleinen Altar ihr zu Füßen ruht. Diese weibliche Gestalt deutet der Volksmund als Porträt der Mutter der Königin Luise. Zur Seite des Altars steht eine verschleierte, weib- liche Gestalt, die von der Hoffnung nach oben gewiesen wird. An dem Altar liest man:

„Voran gingt Ihr Geliebte Eurem Freund,
Bald flieht wie Schaum
Des Lebens Traum
Und ewig sind wir dort vereint."

Das Ganze ist im Stile der Zopfzeit, aber in seiner Art nicht übel ausgeführt. Das im Gebüsch im tiefen Schatten am Abhang verborgene bemooste Denkmal, über dem die ernsten Tannen ihr leises Lied rauschen, ist noch umweht von der gefühlvollen, tränenreichen Stimmung jener Zeit; uns berührt es wie das melancholische Verklingen einer fernen Trauermusik, und wir meinen die hohe, schlanke Gestalt der Königin neben dem greisen Vater und den Geschwistern hier auf ihren Promenaden verweilen zu sehen.

Nahe dem Hause steht auf einer kleinen Anhöhe ein rundes Tempelchen, dessen Kuppel, von acht Granitsäulen getragen, sich über einer Marmorbüste der Königin von Wolff wölbt. In dem Sockel ist das erste Eiserne Kreuz der Frei- heitskriege, das der König dort niederlegen ließ, eingemauert. Heute war der winterliche Bretterschutz noch nicht gefallen. Der Tempel wurde auf der Stelle errichtet, wo die Königin zuletzt mit den Ihrigen gesessen hat. Damals war ja Rosen- zeit und der Platz von Zentifolien umblüht. Ich fand in einem alten, I8I0 als Manuskript gedruckten Büchlein folgenden Bericht, der sich wohl auf diese Stätte bezieht und in Zusammenhang mit jenen eingerahmten Blumen im Sterbezimmer stehen wird.

"Nachmittags (des Sterbetages) ging der König mit seinen Kindern ( Von den sieben Kindern des Königspaares waren anwesend: der Kronprinz Friedrich Wilhelm, Prinz Wilhelm, Prinzessin Charlotte, nachmals Kaiserin von Rußland, und Prinz Carl. ) allein in den Garten. An einem Rosenhügel blieben die Kinder stehen. Wie natürlich musste sich ihnen der Gedanke aufdringen, ihre Mntter mit dem schönsten, zartesten und nie entweihten Schmucke der Natur zu bestreuen. Die Kinder pflückten; der König sah ihnen lange schweigend zu. Dann entfernte er sich in einen anderen Gang. Mit diesen Blumen wurde die Hülle der edelsten Mutter bestreut, und der König legte drei Knospen, die aus einem Stengel gewachsen waren, an ihr Herz, ein Zeichen der drei jüngsten Kinder unserer erhabenen Luise." –

Als ich mich dem Hause nun wieder näherte, erinnerte ich mich einer mächtigen, hochaufragenden italienischen Pappel, die ehedem links daneben stand. Eine weiße Fledermaus wohnte darin, die ich selbst im Dämmerlicht eines warmen Sommerabends einmal beobachtet habe, wie sie den alten, dunklen Baum umflatterte. Die Pappel ist verschwunden, was ich bedauere, weil ihre schlanke zypressen- artige Gestalt malerisch außerordentlich wirkungsvoll zu dem langgestreckten, weißen Gebäude stand.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche Erde - Wanderungen durch Mecklenburg