Abschnitt 3
Die Gärtnerfrau hatte mir ihr Töchterchen, ein nettes Backfischchen, mitgegeben, das mir nun die Glastür aufschloss, die unter einem abgestumpften Bogen ins Haus führt. Man kannte mich, und das Kind ließ mich alsbald allein.
Wie schreitet sie nun so vernehmbar neben mir her, die stumme und doch so beredte Erinnerung, die in diesem stillen, alten Hause wohnt. Mit großen, fragenden Augen scheint sie mich anzublicken, als flüstere sie leise: ,,Weißt du wohl?“ - Licht und hell ist der weite Flur, von dem aus eine breite, weiße Treppe in das obere Stockwerk führt. Die schwerkranke Königin ist hier aus der oberen Etage, in der es sehr heiß war, hinabgetragen und in das Zimmer ihres Vaters gebracht worden. Ein Herr vom Hofe hat meiner Mntter erzählt, wie freundlich sie ihn, der auf dem Flur stand, noch gegrüßt und ihm zugelächelt habe. Durch die weit geöffneten Flügeltüren links sah man bis in das Sterbezimmer. Ich durchschritt zunächst die beiden Vorzimmer. Sie sind fast leer, die Wände noch bekleidet mit den musterlosen, alten hellfarbigen, glatten Tapeten, von breiten, abstechenden Bordüren eingefasst. Im ersten, zweifenstrigen Raume steht eine einfache, weiß gestrichene Bank, in deren Lehne die Königin ein L eingeschnitten hat. Es ist die Bank, auf der sie zuletzt draußen im Garten gesessen und sich der schönen Aussicht erfreut hat. Alte Kachelöfen, Porträts des Königs und der Königin, das gedruckte und eingerahmte Testament des ersteren und das bekannte Bild seines Sterbelagers im Jahre 1840 bilden den einzigen Schmuck. und nun stehe ich an dem niedrigen Eisengitter, das, in der Flügeltür angebracht, das Sterbezimmer abschließt.
Der Raum ist leider ganz verändert. In dem Bestreben, ihn in eine Art Kapelle umzuwandeln, hat man alles herausgenommen, was die Stunde mit erlebt hat. Sogar die Dielen sind durch einen Mettlacher Fliesenfußboden, weiß mit schwarzem Muster, ersetzt. Die Wände, die früher mit einer grünlich blauen Tapete, ähnlich der in den Vorzimmern, bekleidet waren, sind grau gemalt, oben mit einer Bordüre von Engelsköpfen, unten mit einem Holzpaneel versehen. Auch in die Fenster hat man bunte Glasscheiben eingefügt. In der Mitte der hinteren Wand steht unter Glas auf einem Sockel die liegende Büste der Königin nach dem Rauchschen Monument in Charlottenburg. Nicht weit davon, in der Ecke rechts, auf der Stelle, wo das Bett gestanden haben soll, der Sarkophag in Gips, einer Arbeit desselben Künstlers nachgebildet, die der Charlottenburger zwar sehr ähnlich, aber nicht ganz gleich ist. Große welke Kränze liegen auf dem Fußboden, unter ihnen einer von dem Offizierkorps des Kürassierregiments Königin, dessen Chef Luise seit dem Frühjahr 1806 war, da es noch Königindragoner hieß.
Ich habe das Zimmer noch gesehen, als es anders dekoriert war. Die Wände bedeckten damals weiße Mullvorhänge, mit schwarzen Sternen besäumt, den Fußboden ein weißer, ebenfalls schwarz besternter Tuchteppich. Auch die sehr einfache, gebeizte Bettstelle stand noch darin. Dass jene Bekleidung noch von der Aufbahrung der Leiche herstammte, möchte ich indessen bezweifeln.
Wenn man in diesen Raum blickt, kann man sich nur mühsam die ergreifenden Szenen vergegenwärtigen, die sich an dem Sterbebette der Königin nach allen uns erhaltenen Berichten abgespielt haben. Als ich jetzt wieder sinnend an der Schwelle stand, fiel mein Blick auf einen schlichten Holzrahmen. Er birgt unter Glas einen braun getrockneten, welken, kleinen Kranz, der das Totenbett geschmückt hat. Die Blumen, aus denen er geformt ist, pflückten der damals dreizehnjährige Kaiser Wilhelm und die anderen auwesenden Kinder im Garten bei dem Birnbaum, unter dem die Mutter zum letzten Mal draußen gesessen hatte. Um das Andenken an eine gemeinsame Erinnerungsfeier der fünf Geschwister der Königin im Jahre nach ihrem Tode zu bewahren, hat man später einen Zettel mit eingerahmt, der folgenden Vers enthält:
„den 19. Juli 1810,
Ein Todespfeil traf unser aller Herzen, Doch Eines nur führt er zu ew´ger Freude ein. Zu ew´ger Klage, ew´gem Weh´ und Schmerzen, Zu ew´gen Thränen ach! weiht er die Andern ein.
Am Tage der heilig schmerzlichen Feier vereinter Geschwister den 8. Febr. I8II.
Charlotte. Therese. Frederique. Georg. Carl."
Da ist es, als spüre man etwas von dem Schluchzen, das einst in diesen Räumen widerhallte, als durchzittere noch ein Sterbeseufzer den stillen Raum, und man empfindet, wie ein reiner, tiefer Schmerz die Menschenseelen noch über Jahrhunderte hinaus sympathisch berührt und zum Mit- fühlen anregt. –
Ich durchwanderte dann das ganze Hans. Es hat nichts von der dumpfigen, unheimlichen Düsterheit unbewohnter Schlösser. Es ist überall luftig und voll Licht. Alle Türen sind weit geöffnet, alle Fußböden weiß gescheuert. In der unteren Etage stehen noch eigentümliche alte Öfen, die nicht aus glasierten Kacheln erbaut, sondern nur abgeputzt, mit bunter Farbe gestrichen und mit Gipsmedaillons im Empirestil geschmückt sind. Überall weht noch der Odem jener fernen Zeit durch Zimmer und Säle. Alles, was etwa in späteren Tagen, wo die großherzogliche Familie häufig einige Sommerwochen hier zubrachte, an Möbeln und Gerät hineingetragen wurde, hat doch dies Gepräge nicht ver- wischen können.
Da ist zunächst der Gartensaal. Seine Wände und Decken sind unverkennbar geblieben, wie sie waren, als Königin Luise am 29. Juni I8I0 hier zum letzten Mal im Kreise ihrer Familie speiste. Die Tapeten zeigen große Blumenvasen auf weiten, hellen, blau umrahmten Feldern. Auf einem Seitentische steht der Aufsatz von dunkelblauem Glase mit Silber verziert; der mit seinen Urnen und Schleifen bei dieser letzten Mahlzeit auf der Tafel gestanden haben wird. Die Königin war „gesprächig und ließ sich von ihrer Unpässlichkeit nichts merken". Von dem letzten glücklichen Beisammensein im Familienkreise findet sich noch eine Spur im Saale, dessen breite Glastür sich wie die vier Fenster nach dem Garten hinaus öffnet. In der inneren, jetzt durch Glas geschützten, weiß gestrichenen Verkleidung dieser Tür sind viele Namen fürstlicher Personen über Strichen, die ihr Größenmaß bezeichnen, angeschrieben. Es ist gewisser- maßen das historische Fremdenbuch von Hohenzieritz. An der rechten Seite ziemlich oben steht: „Friedrich Wilhelm, König von Preußen 29. Juni I8I0." Des Königs Größe betrug danach 1 Meter 86 Zentimeter. Leider hat seine Gemahlin ihren Namen nicht mehr eingetragen.
Aus den Fenstern hat man einen wunderhübschen Blick auf die etwas abfallende weite Rasenfläche des Parkes, die rings von hohen Bäumen umgeben ist. Eine zweiteilige Treppe führt hinab in den Garten.
Rechts und links befinden sich je zwei kleinere und ein größeres Zimmer, in letzterem auf der rechten Seite hängen die Porträts der Eltern der Königin, kleine Kniestücke. Der Vater im roten Rocke, mit angenehmem Gesicht und großen, dunklen Augen. Die Mutter im blauen Rokokokleide, mit sehr hoher Puderfrisur; das Bild eines kleinen Kindes, vielleicht das Luisens, neben sich auf dem Tisch. Ohne besonders schön zu sein, ist die Prinzessin Carl dennoch eine sympathische Erscheinung gewesen. Auch Porträts der Großmama Landgräfin als anmutige junge Frau und ihres Gemahls sah ich dort.
Wie schreitet sie nun so vernehmbar neben mir her, die stumme und doch so beredte Erinnerung, die in diesem stillen, alten Hause wohnt. Mit großen, fragenden Augen scheint sie mich anzublicken, als flüstere sie leise: ,,Weißt du wohl?“ - Licht und hell ist der weite Flur, von dem aus eine breite, weiße Treppe in das obere Stockwerk führt. Die schwerkranke Königin ist hier aus der oberen Etage, in der es sehr heiß war, hinabgetragen und in das Zimmer ihres Vaters gebracht worden. Ein Herr vom Hofe hat meiner Mntter erzählt, wie freundlich sie ihn, der auf dem Flur stand, noch gegrüßt und ihm zugelächelt habe. Durch die weit geöffneten Flügeltüren links sah man bis in das Sterbezimmer. Ich durchschritt zunächst die beiden Vorzimmer. Sie sind fast leer, die Wände noch bekleidet mit den musterlosen, alten hellfarbigen, glatten Tapeten, von breiten, abstechenden Bordüren eingefasst. Im ersten, zweifenstrigen Raume steht eine einfache, weiß gestrichene Bank, in deren Lehne die Königin ein L eingeschnitten hat. Es ist die Bank, auf der sie zuletzt draußen im Garten gesessen und sich der schönen Aussicht erfreut hat. Alte Kachelöfen, Porträts des Königs und der Königin, das gedruckte und eingerahmte Testament des ersteren und das bekannte Bild seines Sterbelagers im Jahre 1840 bilden den einzigen Schmuck. und nun stehe ich an dem niedrigen Eisengitter, das, in der Flügeltür angebracht, das Sterbezimmer abschließt.
Der Raum ist leider ganz verändert. In dem Bestreben, ihn in eine Art Kapelle umzuwandeln, hat man alles herausgenommen, was die Stunde mit erlebt hat. Sogar die Dielen sind durch einen Mettlacher Fliesenfußboden, weiß mit schwarzem Muster, ersetzt. Die Wände, die früher mit einer grünlich blauen Tapete, ähnlich der in den Vorzimmern, bekleidet waren, sind grau gemalt, oben mit einer Bordüre von Engelsköpfen, unten mit einem Holzpaneel versehen. Auch in die Fenster hat man bunte Glasscheiben eingefügt. In der Mitte der hinteren Wand steht unter Glas auf einem Sockel die liegende Büste der Königin nach dem Rauchschen Monument in Charlottenburg. Nicht weit davon, in der Ecke rechts, auf der Stelle, wo das Bett gestanden haben soll, der Sarkophag in Gips, einer Arbeit desselben Künstlers nachgebildet, die der Charlottenburger zwar sehr ähnlich, aber nicht ganz gleich ist. Große welke Kränze liegen auf dem Fußboden, unter ihnen einer von dem Offizierkorps des Kürassierregiments Königin, dessen Chef Luise seit dem Frühjahr 1806 war, da es noch Königindragoner hieß.
Ich habe das Zimmer noch gesehen, als es anders dekoriert war. Die Wände bedeckten damals weiße Mullvorhänge, mit schwarzen Sternen besäumt, den Fußboden ein weißer, ebenfalls schwarz besternter Tuchteppich. Auch die sehr einfache, gebeizte Bettstelle stand noch darin. Dass jene Bekleidung noch von der Aufbahrung der Leiche herstammte, möchte ich indessen bezweifeln.
Wenn man in diesen Raum blickt, kann man sich nur mühsam die ergreifenden Szenen vergegenwärtigen, die sich an dem Sterbebette der Königin nach allen uns erhaltenen Berichten abgespielt haben. Als ich jetzt wieder sinnend an der Schwelle stand, fiel mein Blick auf einen schlichten Holzrahmen. Er birgt unter Glas einen braun getrockneten, welken, kleinen Kranz, der das Totenbett geschmückt hat. Die Blumen, aus denen er geformt ist, pflückten der damals dreizehnjährige Kaiser Wilhelm und die anderen auwesenden Kinder im Garten bei dem Birnbaum, unter dem die Mutter zum letzten Mal draußen gesessen hatte. Um das Andenken an eine gemeinsame Erinnerungsfeier der fünf Geschwister der Königin im Jahre nach ihrem Tode zu bewahren, hat man später einen Zettel mit eingerahmt, der folgenden Vers enthält:
„den 19. Juli 1810,
Ein Todespfeil traf unser aller Herzen, Doch Eines nur führt er zu ew´ger Freude ein. Zu ew´ger Klage, ew´gem Weh´ und Schmerzen, Zu ew´gen Thränen ach! weiht er die Andern ein.
Am Tage der heilig schmerzlichen Feier vereinter Geschwister den 8. Febr. I8II.
Charlotte. Therese. Frederique. Georg. Carl."
Da ist es, als spüre man etwas von dem Schluchzen, das einst in diesen Räumen widerhallte, als durchzittere noch ein Sterbeseufzer den stillen Raum, und man empfindet, wie ein reiner, tiefer Schmerz die Menschenseelen noch über Jahrhunderte hinaus sympathisch berührt und zum Mit- fühlen anregt. –
Ich durchwanderte dann das ganze Hans. Es hat nichts von der dumpfigen, unheimlichen Düsterheit unbewohnter Schlösser. Es ist überall luftig und voll Licht. Alle Türen sind weit geöffnet, alle Fußböden weiß gescheuert. In der unteren Etage stehen noch eigentümliche alte Öfen, die nicht aus glasierten Kacheln erbaut, sondern nur abgeputzt, mit bunter Farbe gestrichen und mit Gipsmedaillons im Empirestil geschmückt sind. Überall weht noch der Odem jener fernen Zeit durch Zimmer und Säle. Alles, was etwa in späteren Tagen, wo die großherzogliche Familie häufig einige Sommerwochen hier zubrachte, an Möbeln und Gerät hineingetragen wurde, hat doch dies Gepräge nicht ver- wischen können.
Da ist zunächst der Gartensaal. Seine Wände und Decken sind unverkennbar geblieben, wie sie waren, als Königin Luise am 29. Juni I8I0 hier zum letzten Mal im Kreise ihrer Familie speiste. Die Tapeten zeigen große Blumenvasen auf weiten, hellen, blau umrahmten Feldern. Auf einem Seitentische steht der Aufsatz von dunkelblauem Glase mit Silber verziert; der mit seinen Urnen und Schleifen bei dieser letzten Mahlzeit auf der Tafel gestanden haben wird. Die Königin war „gesprächig und ließ sich von ihrer Unpässlichkeit nichts merken". Von dem letzten glücklichen Beisammensein im Familienkreise findet sich noch eine Spur im Saale, dessen breite Glastür sich wie die vier Fenster nach dem Garten hinaus öffnet. In der inneren, jetzt durch Glas geschützten, weiß gestrichenen Verkleidung dieser Tür sind viele Namen fürstlicher Personen über Strichen, die ihr Größenmaß bezeichnen, angeschrieben. Es ist gewisser- maßen das historische Fremdenbuch von Hohenzieritz. An der rechten Seite ziemlich oben steht: „Friedrich Wilhelm, König von Preußen 29. Juni I8I0." Des Königs Größe betrug danach 1 Meter 86 Zentimeter. Leider hat seine Gemahlin ihren Namen nicht mehr eingetragen.
Aus den Fenstern hat man einen wunderhübschen Blick auf die etwas abfallende weite Rasenfläche des Parkes, die rings von hohen Bäumen umgeben ist. Eine zweiteilige Treppe führt hinab in den Garten.
Rechts und links befinden sich je zwei kleinere und ein größeres Zimmer, in letzterem auf der rechten Seite hängen die Porträts der Eltern der Königin, kleine Kniestücke. Der Vater im roten Rocke, mit angenehmem Gesicht und großen, dunklen Augen. Die Mutter im blauen Rokokokleide, mit sehr hoher Puderfrisur; das Bild eines kleinen Kindes, vielleicht das Luisens, neben sich auf dem Tisch. Ohne besonders schön zu sein, ist die Prinzessin Carl dennoch eine sympathische Erscheinung gewesen. Auch Porträts der Großmama Landgräfin als anmutige junge Frau und ihres Gemahls sah ich dort.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche Erde - Wanderungen durch Mecklenburg