Abschnitt 1

Die Archivakten sprechen von dem regen Interesse des neuen Besitzers an dem Stück Heimaterde, das er fortab sein eigen nennen durfte. Wahrscheinlich hatte Herzog Adolf Friedrich das Herrenhaus schon vorher umbauen lassen, da sein Namenszug am Frontispiz steht. Aber Prinz Carl ließ sich nicht nur sehr genau durch seinen Verwalter Christoph Beu Rechnung legen, sondern baute außer allerlei Stallungen auch die beiden großen Treppen an der Hof- und an der Gartenseite des Schlosses. Er ließ Maler und Bildhauer am Schmucke der Zimmer arbeiten, vergrößerte den Park und legte Gärten an. Schon 1769 wurde ein Kostenanschlag für den Bau der beiden Pavillons gemacht, der aber erst später ausgeführt werden konnte. Kurz, das Hohenzieritz, wie wir es heute noch sehen, dankt hauptsächlich dem Herzog Carl seine Gestaltung, denn auch der Neubau der Kirche ist sein Werk. Nach dem Tode seiner zweiten Gemahlin nahm er seinen Abschied als Feldmarschall und siedelte endlich, nachdem er 1794 zur Regierung gekommen war, ganz nach Neustrelitz über. Fortab brachte er fast regelmäßig einige Sommerwochen in Hohenzieritz zu. Seine bejahrte Schwiegermutter, Landgräfin Luise von Hessen, die treue Hüterin seiner mutterlosen Kinder, die ganz bei ihm wohnte, begleitete ihn, ebenso die anderen etwa anwesenden Familienmitglieder. Von der Großmama erzählt man die drollige Geschichte, dass sie, der deutschen Orthographie nicht recht mächtig, einst einen Tapezierer nach Hohenzieritz heraus bestellte und schrieb: „Bringe er auch ja Seine Chère mit." Nicht wenig erstaunt aber war sie, als der gute Mann mit seiner Frau erschien. Ob er seine Schere auch mit hatte, kann ich nicht sagen.

Man gewinnt den Eindruck, dass Herzog Carl ganz besonders gern hier weilte. Dazu mag eine Freundschaft nicht unwesentlich beigetragen haben, die einen schönen menschlichen Zug in das Charakterbild des Vaters der Königin Luise zeichnet, von dem wir sonst nicht sehr viel wissen. Der Pastor loci, Erdmann Christoph Schmidt, der in Prilwitz wohnte, hatte dem Herzog im Jahre 1795 den Ankauf der Güter Prilwitz, Ehrendorf, Wendfeld und Zippelow, die dem Landrat von Bredow gehörten, für 110 000 Taler Gold vermittelt. Aus den so angeknüpften Beziehungen entstand ein Herzensbund zwischen dem Landpastor und dem Landesherrn, wie er selbst in jener Zeit der Freundschaften schwerlich wieder vorgekommen ist.


Noch heute führt ein Pförtchen, das vom Hohenzieritzer Park auf den Weg nach Prilwitz mündet, den Namen „de Preisterpuri". Täglich konnte man, wenn der Herzog anwesend war, die stattliche Gestalt des Pastors, der ein großer, schöner Mann war, durch diese Pforte schreiten sehen. Es ist der kürzeste Weg zum Schloss. Gemeinsame Spaziergänge, häufig nur zu zweien, wurden unternommen. Den Pfarrer beseelte durchaus eine christlich-religiöse Gesinnung, aber schwerlich blieb er frei von dem Rationalismus seiner Zeit. Sein Wandel war vollkommen sittenrein, und er hing mit unverbrüchlicher Treue an seinem fürstlichen Freunde. Er hat aber diese vertraute Stellung niemals für sich und seine Kinder ausgenutzt, während er oft und erfolgreich für andere bat. Der Herzog, der manches Schwere erlebt hatte, unterredete sich gern mit dem ernsten Manne und übersah die Lücken in seinem Wissen um des Wertes der Persönlichkeit willen. Denn Schmidt war ziemlich wild auf der Scholle in Prilwitz aufgewachsen, wo sein Vater vor ihm im Amte stand. Die Universität bezog er, wie damals üblich, ohne Abiturientenexamen und schlecht vorbereitet. Er konnte weder alte noch neue Sprachen und stand selbst mit dem Deutschen auf gespanntem Fuße. Doch beherrschte er die gesellschaftlichen Formen vollständig und trug durch seine reichen historischen und antiquarischen Kenntnisse zur Unterhaltung bei, so oft er zur Tafel gezogen ward. Dass dies häufig geschah, ist anzunehmen. Keinesfalls wird er in die Klage eines seiner Amtsvorgänger aus dem Siebzehnten Jahrhundert haben einstimmen können, der sich bitter beschwerte, dass die Hohenzieritzer ihn, „wenn er drei Predigten an einem Sonntag getan, nach verrichteter letzter", erbärmlich hungern und dursten ließen, und dass ihm nicht einmal ein Stück Brot und ein Schluck Covent (Dünnbier) vergönnt wurde.

Der Herzog ließ vielmehr für seinen geistlichen Freund ein Zimmer im Schulhaus einrichten, damit er des mühsamen Hin- und Herwanderns von Prilwitz überhoben sei und so oft wie möglich um ihn sein könne. An den Abenden spielte der Fürst gern eine Partie Whist, woran Schmidt sicher teilgenommen hat. Seinen Amtsbrüdern gegenüber war er etwas steif und förmlich; was er sich am Hofe wohl angewöhnt hatte, und was ihm als Stolz ausgelegt wurde.

Wir dürfen uns vorstellen, dass die Hohenzieritzer Sommertage dem fürstlichen Besitzer in angenehmem ländlichen Stillleben verflossen. Dies wurde im Jahre 1796 durch einen unerwarteten Besuch freudig unterbrochen. Am 16. Juli nachmittags um 6 Uhr kam Kronprinz Friedrich Wilhelm von Preußen mit seiner jungen Gemahlin plötzlich in Hohenzieritz an. Die Oberhofmeisterin von Voß be- richtet in ihren Memoiren, dass der Herzog gerade ausgefahren war, aber „bei seiner Heimkehr natürlich große gegenseitige Freude". Man verlebte heitere Tage, und allerlei Ausflüge wurden unternommen. Am 1. August, um 5 Uhr früh, reisten die Gäste wieder ab und kamen „vermöge zahlloser Relais“ nachmittags um 4 Uhr in Berlin an. Dies ist das einzige Mal, dass Königin Luise, außer gelegentlich ihres letzten, so traurig endenden Besuchs, in Hohenzieritz gewesen ist.

Ob Herzog Carl auch in den trüben Jahren der unglücklichen Kriege in seinem Tuskulum weilte, wissen wir nicht. Doch hat es ihm sein Volk hoch angerechnet, dass er auch in den schwersten Tagen französischer Invasion, wo manche andere Fürsten ihr Land verließen, inmitten seiner Untertanen treu ausharrte und ihre Leiden, soviel in seiner Macht stand, zu erleichtern suchte. Bitter genug mag es ihm angekommen sein, französische Offiziere in seinem Schlosse zu Neustrelitz aufnehmen zu müssen und an seiner Tafel zu empfangen. Er wurde sogar durch die Verhältnisse genötigt, am Geburtstage Napoleons dessen Gesundheit auszubringen. Der Vater, der bis an die äußerste Grenze ihres Reiches verfolgten Königin zog sich mit Geschick aus dieser unvermeidlichen Lage, indem er, bei Tisch sein Glas erhebend, kurz sagte. „Au jour!“ –

Im Jahre 1810, als die Königin starb, entbehrte der Herzog schon seines Freundes, denn Pastor Schmidt war bereits 1809 von einem Schlagflusse getroffen und nicht mehr imstande, seines Amtes zu walten. Die Sterbeurkunde der Königin im Kirchenbuche zu Prilwitz ist von seinem, ihm vom Fürsten beigegebenen Adjunktus Heinrich Horn unterzeichnet.

Bald nach dem Heimgange der geliebten Tochter sollte der alternde Herzog den treuen Freund scheiden sehen. Schmidt starb am 30. Januar 1811.

In etwa dreißig eigenhändigen Briefen, die der Fürst an seinen Pfarrer schrieb, spricht sich die warme Freundschaft, die er für ihn hegte, am besten aus. Ein vom 7. April 1809 aus Strelitz datiertes Schreiben, dem ein Anker Rhein- wein beifolgte, schließt: ,,und füge diesem Wunsche noch den Ihrer völligen Genesung bei, versichernd, dass mit der aufrichtigsten und unwandelbaren Freundschaft ich lebe und sterbe

Liebster Freund

Ihr aufrichtigster, treu ergebener Freund und Diener Carl, Herzog zu Mecklenburg."

Nach dem Tode der Königin wurde Hohenzieritz eine Stätte pietätvoller Erinnerungen. Ihr Lieblingsbruder Großherzog Georg hat sich nie wieder entschließen können, eine Nacht dort zu zubringen, seine Familie aber kehrte öfter zur Sommerszeit in dem anmutigen Landsitz auf Tage oder Wochen ein.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche Erde - Wanderungen durch Mecklenburg