Emporblühen der deutschen Literatur

Das Emporblühen der deutschen Literatur unter Opitz, Flemming, Logau und Gryphius ist eine der besondersten Erscheinungen, insofern sie zu einer Zeit austauchte, als das gesamte deutsche Reich unter den eisernen Tritten des dreißigjährigen Krieges seufzte. Auch die Hofmannswaldau und Lohenstein nahmen glänzenden Aufschwung.

Hatte die Minnedichtung zur Blütezeit des Rittertums, die persische und arabische Poesie während der höchsten Machtentwickelung des Kalifats, die römische Dichtkunst unter Augustus glorreichem Friedenszepter, die griechische Poesie unter dem Lorbeer der Perserkriege, die indische zur Blütezeit der Brahminenherrschaft, die hebräische unter Davids und Salomos Machtregiment am schönsten und vollkommensten sich entfaltet im Einklange mit dem nationalen Wohlbehagen und politischen Kraftbewusstsein, aus dem sie hervorgingen, so finden wir in der Erscheinung der schlesischen Schule das treffendste Gegenstück, ein Charakterbild Deutschlands. Damals erblühten in England, Portugal, Spanien, Holland, Frankreich und Italien Literatur und Künste, die Shakespeare, Cervantes, Lope de Vega, Camoes, von dem Geiste Dantes und Petrarkas erweckt, die Ariosto und Tasso, die Spagnaletto, Velasquez, Michel Angelo, Raphael, Correggio, Guido Rem, Titian, Rembrandt, Rubens, Poussin, Lorrain und andere berühmte Männer schufen, von den Zeitumständen und dem Volks-Wohlstande getragen und gefördert, unerreichbare Meisterwerke, deren Ruf die ganze gebildete Welt erfüllte. In Deutschland nahm die neue literarische Entwickelung, unabhängig von den politisch-nationalen Hemmnissen im Vaterlande, in ideellem Anschluss an die gleichzeitige Blüte der Nachbarvölker und vielleicht als Ausbau der früheren Kunstschöpfungen eines Dürer, Cranach, Holbein, Vischer ihren Ursprung. In diesen neben den ausländischen Leistungen freilich kleinen Anfängen gewahren wir den ersten Keim der modernen klassischen Literaturperiode Deutschlands. Deutschland ist das Volk der Literatur, Kunst, Wissenschaft, in der Politik zu gebieten blieb ihm versagt.


Einen der Hauptvertreter jener schlesischen Schule, Paul Flemming, sehen wir nach Russland versetzt, wo er — namentlich auf seiner Rückkehr aus Persien — in Estland einen anregenden fruchtbringenden Aufenthalt unter gebildeten, strebsamen Menschen fand.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche Dichter in Russland