Kapitel 12 - Karl August von Weimar – nach Briefen Eckermanns Gesprächen mit Goethe - nach Vehse.

Die siebzehnjährige Vormundschaft der Herzogin-Mutter Amalia bedeutet ein unvergängliches Ruhmesblatt in der deutschen Geschichte, denn unter ihr wurde Weimar der Sammelpunkt jener Genien, denen die Unsterblichkeit sicher ist und durch die der Hof von Weimar einen stillen, aber hohen Glanz erhielt, wie er von keinem andern deutschen Hof jemals ausgegangen ist.

Amalie von Braunschweig war, als sie die Regierung antrat, erst achtzehn Jahre alt; fünf Jahre des siebenjährigen Krieges fielen noch unter ihre Herrschaft. Die Männer, die sie im Hof- und Zivildienst vorfand, waren alle noch aus der alten Schule; desto neuer war ihre Persönlichkeit, und mit dieser setzte sie es durch, daß man sie ihre eigenen Wege gehen ließ. Die Erziehung, die sie ihrem Sohne, dem künftigen Herzog, gab, machte Epoche in der deutschen Prinzenerziehung; sie wagte es, ihn sich in voller Freiheit entwickeln zu lassen, ja sie berief sogar einen Poeten zu seinem Erzieher, den heitern Wieland, der damals Professor in Erfurt war und eben den goldenen Spiegel geschrieben hatte, einen Fürstenspiegel, der auf den jungen Kaiser Josef gerichtet war.


Ein ungenannter Turist des achtzehnten Jahrhunderts, der in Weimar zum Hofball geladen war, schildert die Herzogin wie folgt: „Sie ist klein von Statur, sieht wohl aus, hat eine spirituelle Physiognomie, eine braunschweigische Nase, schöne Hände und Füße, einen leichten und doch majestätischen Gang, spricht sehr schön, aber geschwind, und ihr ganzes Wesen ist angenehm. Es war auch ein Pharaotisch da, der geringste Einsatz war ein halber Gulden. Die Herzogin spielte sehr generös und verlor einige Louisdor; da sie aber gern tanzte, blieb sie nicht lange beim Spiel. Sie tanzte mit jeder Maske, die ihr entgegenkam, und ging nicht eher fort als bis um drei Uhr früh, da alles aus war.“

Gouverneur der Prinzen Karl August und Konstantin war der Graf von Schlitz-Görtz, ein ernster, gravitätischer und formenstrenger Herr, der mit Nachdruck auf Etikette hielt, aber doch im privaten Kreis allerlei Kurzweil zuließ. Friedrich der Große hatte ihn während des bayrischen Erbfolgekrieges zu einer diplomatischen Mission in München verwendet, später war er Gesandter beim Reichstag zu Regensburg, wo er das deutsche Reich begraben sah. Daß er ein Mann von Geist war, bezeugt der Umstand, daß er Wieland an die Herzogin empfahl. Wieland zog wieder Knebel als Erzieher des Prinzen Konstantin nach Weimar, und Knebel war es, der dem jungen Karl August Goethe zuführte. Goethe berief Herder, und Herder wurde der Magnet für Schiller.

Karl Ludwig von Knebel war ein gebürtiger Franke; er war Major unter Friedrich dem Großen und stand in Potsdam in Garnison. Interessant durch seine barocke Genialität, war er zugleich ein tiefer Hypochonder. Durch eine krankhafte Empfänglichkeit für unangenehme äußere Eindrücke war er von ihnen abhängig und durch sie gestört. Wieland war sein Intimus, Lucrez, den er ins Deutsche übersetzte, sein langjähriges Studium. Herder nannte ihn seinen lieben alten Mönch und den menschenfreundlichen Timon. Es war am 11. Februar 1774, als Knebel seinem Herzog den Verfasser des Götz und des Werther vorstellte. Auf die Einladung des Grafen Görtz kam Goethe in das rote Haus in Frankfurt, und in seiner jugendlichen Schönheit und Liebenswürdigkeit schien er dem Herzog wie geschaffen, der Genosse bei einem lustigen Genieleben zu werden, wie es ihm damals im Sinne stand. 1775 wurde Goethe förmlich nach Weimar eingeladen. Der in Karlsruhe zurückgebliebene Kammerjunker von Kalb hatte den Befehl, Goethe in einem von Straßburg erwarteten Staatswagen nach Weimar zu bringen. Der Wagen blieb lange aus, Goethes fürstenfeindlicher Vater hatte ihm schon mit dem spottenden Zuruf: „Nah bei Hof, nah bei der Höll“ die Furcht in die Seele geworfen, er könne nur der Spielball einer fürstlichen Laune gewesen sein; er hatte bereits die Flucht angetreten und befand sich in Heidelberg, als er dort noch aufgehalten wurde. So hing es an einem Faden, daß Goethe nicht nach Weimar kam; noch in späten Jahren hat er sich des wahrhaft Dämonischen dieser Situation erinnert.

„Goethe ging wie ein Stern in Weimar auf, der sich eine Zeitlang in Wolken und Nebel verhüllte,“ schreibt Knebel; „jeder hing an ihm, sonderlich die Damen. Er hatte noch die Werthersche Montierung an, und viele kleideten sich danach. Er hatte noch von dem Geist und Sitten des Romans an sich, und dieses zog an. Sonderlich den jungen Herzog, der sich dadurch in Geistesverwandtschaft seines Helden zu setzen glaubte. Manche Exzentrizitäten gingen zur selbigen Zeit vor, die ich nicht zu beschreiben Lust habe, die uns aber auswärts nicht in den besten Ruf setzten. Goethes Geist wusste ihnen indessen einen Schimmer von Genie zu geben.“

Die Gerüchte über die Zustände in Weimar mußten von recht schlimmer Art gewesen sein, da sogar Klopstock den auffallenden Schritt tat, sich als Mentor und Warner einzumischen. Goethe wies ihn mit Entschiedenheit zurück, und es kam zum Bruch zwischen beiden.

Einen besondern Hof neben dem des Herzogs, dem regierenden Hof, wie er hieß, bildete der sogenannte verwitwete Hof der Herzogin Amalie. Wieland nennt die Herzogin eines der liebenswürdigsten Gemische von Menschheit, Weiblichkeit und Fürstlichkeit; sie hatte nicht wenig Gefallen an dem Leben, das ihr Sohn mit Goethe führte, und nahm selbst daran teil. Schon als Regentin hatte sie wie ein halber Student gelebt; einmal war sie auf einem Heuwagen mit acht Personen von Tieffurt nach Tennstädt gefahren, es kam ein Gewitter mit einem heftigen Regenguß, und die Herzogin, die wie die andern Damen in ganz leichtem Kleide war, zog Wielands Oberrock an. Sie fasste alles mit Enthusiasmus an und auf. So lernte sie Griechisch, und zwar so gut, daß sie nach kurzer Zeit den Aristophanes in der Ursprache lesen konnte. Am begeistertsten trieb sie Musik, malte auch und schwärmte für Italien und die italienische Literatur, in der ihr Führer der Rat Jagemann war, ein aus Konstanz entflohener Mönch. Die theatralischen Feste Amalies wurden entweder in der Stadt abgehalten oder in den Sommersitzen der Herzogin, in Tieffurt oder in Ettersburg. Namentlich im Park von Ettersburg wurden vor dem vertrauten Kreise der Fürstin viele lustige Gelegenheitsstücke gegeben, so 1778 Goethes Jahrmarkt in Plundersweilen, und 1779, zur Feier von Karl Augusts Geburtstag, eine derbe Parodie der Wielandschen Alceste. Die Arie: „Weine nicht, du Abgott meines Lebens“ wurde auf die lächerlichste Art mit dem Posthorn begleitet, und auf den Reim schnuppe ein unendlich langer Triller gesungen. Nach dem Stück folgte die sogenannte Kreuzerhöhungsgeschichte mit einem üblen Buch von Jacoby; Merck nagelte das Buch mit dem Einband an einen Baum, so daß die Blätter im Winde flatterten, Goethe stieg in den belaubten Wipfel und hielt von dort herab ein hochnotpeinliches Halsgericht über die Scharteke.

Neunzehn Jahre war Karl August alt, als er die berühmte Erklärung gab, die den in sein Konseil einberufenen Dichter betrifft. Sie lautet: „Einsichtsvolle wünschen mir Glück, diesen Mann zu besitzen. Sein Kopf, sein Genie ist bekannt. Einen Mann von Genie an einem andern Orte gebrauchen, als wo er selbst seine außerordentlichen Gaben gebrauchen kann, heißt ihn missbrauchen. Was aber den Einwand betrifft, daß dadurch viele Leute sich für zurückgesetzt erachten würden, so kenne ich erstens niemand in meiner Dienerschaft, der meines Wissens auf dasselbe hoffte, und zweitens werde ich nie einen Platz, welcher in so genauer Verbindung mit mir, mit dem Wohl und Wehe meiner gesamten Untertanen steht, nach der Anciennität, sondern ich werde ihn immer nur nach Vertrauen geben. Das Urteil der Welt, welches vielleicht missbilligt, daß ich den Doktor Goethe in mein wichtigstes Kollegium setzte, ohne daß er zuvor Amtmann, Professor, Kammerrat und Regierungsrat war, ändert gar nichts. Die Welt urteilt nach Vorurteilen. Ich aber sorge und arbeite wie jeder andere, nicht um des Ruhmes, um des Beifalls der Welt willen, sondern um mich vor Gott und meinem Gewissen rechtfertigen zu können.“

Er war eher klein als groß von Gestalt, aber in seiner Erscheinung lag von der Jugend bis in das späteste Alter etwas Selbständiges und Energisches in sehr ungebundener und freier, fast studentischer Form; man pflegte ihn auch den Studenten von Jena zu nennen. Dem Major Knebel gegenüber legte der vierundzwanzigjährige Fürst einmal folgendes Selbstbekenntnis ab: „Ich muss erstaunlich wehren, meinem Herzen und den Leidenschaften nicht die Zügel schießen zu lassen; es ist gar zu schwer, sich wieder in den unnatürlichen Zustand zu fügen, in dem unsereiner leben muss und an den man so langsam sich gewöhnt zu haben glaubt.“

[Illustration: Karl August von Weimar, nach einem Steindruck von C. A. Schwerdgeburth; 1824.]

Merck, Goethes wunderbarer Freund, ließ sich, als alle Welt über die Streiche, die Karl August nach seiner Bekanntschaft mit Goethe machte, die Köpfe schüttelte, nicht beirren und vertrat nachdrücklich den Wert des seltenen Fürsten. Am 3. November 1777 schrieb er aus Darmstadt an den Buchhändler Nikolai in Berlin: „Ich hab Goethe neuerlich auf der Wartburg besucht, und wir haben zehn Tage zusammen wie die Kinder gelebt. Mich freuts, daß ich von Angesicht gesehen habe, was an seiner Situation ist. Das Beste von allem ist der Herzog, den die Esel zu einem schwachen Menschen gebrandmarkt haben und der ein eisenfester Charakter ist. Ich würde aus Liebe zu ihm eben das tun, was Goethe tut. Die Märchen kommen alle von Leuten, die ohngefähr so viel Auge haben, zu sehen, wie die Bedienten, die hinterm Stuhle stehen, von ihren Herrn und deren Gespräch beurteilen können. Dazu mischt sich die scheußliche Anekdotensucht unbedeutender, negligierter, intriganter Menschen, oder die Bosheit anderer, die noch mehr Vorteil haben, falsch zu sehen. Ich sage Ihnen aufrichtig, der Herzog ist einer der respektabelsten und gescheitesten Menschen, die ich gesehen habe.“

Wie Goethe, liebte es Karl August, sich nach den Aufregungen des Weltlebens in die Einsamkeit zu begeben. Er suchte dann die Borkenhütte im Park auf und konnte, während Goethe in seinem Gartenhaus am Stern weilte, mit dem Freund durch verabredete Zeichen eine telegraphische Konversation über das Tal der Ilm hinweg herstellen. Im Sommer 1780 schrieb er aus diesem Retiro an Knebel: „Es hat neun Uhr geschlagen, und ich sitze hier in meinem Kloster mit einem Licht am Fenster. Der Tag war außerordentlich schön, ich war so ganz in der Schöpfung, und so weit vom Erdentreiben. Der Mensch ist doch nicht zu der elenden Philisterei des Geschäftslebens bestimmt; es ist einem ja nicht größer zumute, als wenn man so die Sonne untergehen, die Sterne aufgehen, es kühl werden sieht und fühlt, und das alles so für sich, so wenig der Menschen halber; und doch genießen sie’s, und so hoch, daß sie glauben, es sei für sie. Ich will mich baden mit dem Abendstern und neu Leben schöpfen, der erste Augenblick darauf sei dein. Lebewohl solange.“ Nach dem Bad in der Ilm fährt er fort: „Das Wasser war kalt, denn die Nacht lag schon in seinem Schoß. Als ich den ersten Schritt hineintat, war’s so rein, so nächtlich dunkel; über den Berg hinter Oberweimar kam der volle rote Mond. Es war so ganz still. Wedels Waldhörner hörte man nur von weitem, und die stille Ferne machte mich reinere Töne hören, als vielleicht die Luft erreichten.“

In den achtziger und neunziger Jahren hatte sich der Charakter des Herzogs zu seiner Reife ausgebildet; der junge Wein hatte sich geklärt, er stand jetzt goldrein im Pokale. „Täglich wächst der Herzog und ist mein bester Trost,“ schrieb Goethe 1780 an Lavater. Aber in den Briefen an die Frau von Stein findet sich auch manches schärfere Urteil über Karl August, das freilich später immer wieder gemildert wurde. Einmal äußerte er sich: „Mich wundert nun gar nicht mehr, daß Fürsten meist so dumm, toll und albern sind, nicht leicht hat einer so gute Anlagen als der Herzog, nicht leicht hat einer so gute und verständige Menschen um sich und zu Freunden als er, und doch will’s nicht nach Proportion vom Flecke, und das Kind und der Fischschwanz gucken, eh man sich’s versieht, wieder hervor.“ Vielleicht beirrte es Goethe und machte ihn ein wenig bitter, daß der Herzog häufig sehr mutwillige Neckerei mit seiner Beziehung zu Frau von Stein trieb. Einmal enthielt er ihm einen ihrer Briefe vor und schickte ihn dann durch einen Husaren in zehn übereinander gesiegelten Kuwerten mit folgenden Verszeilen:

Es ist doch nichts so zart und klein
So wird’s doch jemand plagen.
Zum Beispiel macht dein Briefelein
Husaren sehr viel klagen.
Heut sagte der, der’s Goethen bracht
Und schwur’s bei seinem Barte,
Viel lieber ging ich in die Schlacht
Als trüg so Brieflein zarte.
Denn wie im Hui ist das Papier
Aus meiner weiten Tasche,
Und wer, wer stehet mir dafür,
Daß ich es wieder hasche.
Unheimlich sagt er, es ihm sei,
Wenn er so etwas trage,
Denn Billetdoux und Zauberei
Ist gleich, nach alter Sage.
Drum schreibe Du, nach altem Brauch,
Auf Groß-Royal-Papiere,
Damit der Träger künftig auch
Ja nichts vom Teufel spüre.“

Der Herzog hatte aber auch seine Herzensfreundin, und das war die Gräfin Werthern. Mit seiner Frau vertrug er sich schlecht. Die Herzogin Luise war eine formenstrenge Dame und hielt so stark auf Zeremoniell, daß es Mühe kostete, Goethe zur Spielpartie bei ihr einzuschmuggeln. Im September 1776, vor der Fahrt nach Ilmenau, schrieb Goethe an Charlotte von Stein: „Es ist mir lieb, daß wir wieder auf eine abenteuerliche Wirtschaft ausziehen, denn ich halt’s nicht aus. So viel Liebe, so viel Teilnahme, so viele treffliche Menschen, und so viel Herzensdruck.“

Die Herzogin war im höchsten Grade schwerblütig und schwerlebig, einsam in der Welt, ohne Freund, sogar Frau von Stein und Herder waren ihr zu leicht. Bei der Gräfin Werthern war der unruhige Herzog noch am ehesten festzuhalten. 1782 schreibt er an Knebel: „Auf Ostern besuche ich die Gräfin, welche doch die beste aller Gräfinnen ist, die ich kenne.“ Um dieselbe Zeit schreibt Goethe: „Der Herzog ist vergnügt, doch macht ihn die Liebe nicht glücklich, sein armer Schatz ist gar zu übel dran, an den leidigsten Narren geschmiedet, krank und für dies Leben verloren. Sie sieht aus und ist wie eine schöne Seele, die aus den letzten Flammenspitzen eines nicht verdienten Fegefeuers scheidet und sich nach dem Himmel sehnend erhebt.“ Der Graf Werthern war nämlich ein hocharistokratischer Sonderling, zuzeiten verschwenderisch, zuzeiten geizig wie ein Filz. Er hatte eine seltsame, spanisch zeremonielle Hausordnung eingeführt; kamen vornehme Gäste, so ließ er Bauernjungen, die als Neger geschwärzt und kostümiert waren, bei Tisch aufwarten. Die Gräfin war zwar eine kleine Dame, hatte aber die größten Manieren, und Goethe gestand, daß er alles, was er von Welt besaß, von ihr gelernt hatte.

Der Herzog gab sehr viel Geld für Jagd und Tafelfreuden aus, und oft finden sich unwillige Äußerungen Goethes über die Schmarotzer bei Hof und ihre Unersättlichkeit. In einem Brief an Knebel heißt es: „Selbst der Bauersmann, der der Erde das Notdürftige abfordert, hätte ein behaglich Auskommen, wenn er nur für sich schwitzte. Du weißt aber, wenn die Blattläuse auf den Rosen sitzen und sich hübsch dick und grün gesogen haben, dann kommen die Ameisen und saugen ihnen den filtrierten Saft aus den Leibern, und so geht’s weiter, und wir haben’s so weit gebracht, daß oben immer an einem Tage mehr verzehrt wird, als unten in einem beigebracht werden kann.“

So großmütig und freigebig der Herzog sein konnte, so fehlten ihm doch häufig die Mittel, um diejenigen, die der Hilfe würdig waren, in würdiger Weise von Not zu befreien; deshalb mußte auch Schiller am Hof zu Weimar ein gar trauriges und bedrücktes Leben führen. Es war nicht so viel Geld für ihn da wie für irgendeinen Kammerjunker, und wie Beethoven durch englisches, wurde Schiller schließlich durch dänisches Geld der schlimmsten Sorgen überhoben. Um Charlotte Lengefeld heiraten zu können mußte er sich um die Professur in Jena bewerben, die zweihundert Taler trug, aber Schiller war von so edler und vornehmer Art, daß er dem Herzog selbst für das Wenige, das er für ihn tat oder tun konnte, Dankbarkeit bewahrte. Karl Augusts Finanzen waren eben zeit seines Lebens in Unordnung. Fast unmöglich hielt es, ihn zu gewöhnen, daß er seine Ausgaben in das richtige Verhältnis zu seinen Einnahmen setzte. In späteren Jahren machte er alle seine Geschäfte mit Rothschild; wenn er in Geldverlegenheit war, ließ er seinen Wagen anspannen und fuhr nach Frankfurt.

Sonderbar waren in ihm die Eigenschaften gemischt, leichter Sinn und burschikose Laune, und dann wieder sittlicher Ernst und Tiefe des Gemüts. Von diesem Ernst und dieser Tiefe legt ein überaus herrlicher Brief Zeugnis ab, den er am 4. Oktober 1781 an Knebel schrieb. Als der Prinz Konstantin mit dem Mathematiker und Physiker Albrecht auf Reisen ging, war Knebel, der bisher der Erzieher des Prinzen gewesen war, pensioniert worden. Im Unmut darüber hatte er den Plan gefaßt, wieder in preußische Dienste zu treten; von diesem Entschluss brachte ihn der Herzog durch folgenden Brief ab.

„Sind denn die, die sich Deiner Freundschaft, Deines Umgangs freuen, so sklavisch, so sinnlicher Bedürfnisse voll, daß Du nur durch Graben, Hacken, Ausmisten und Aktenverschmieren ihnen nützen kannst? Ist denn das Rezeptakulum ihrer Seelen so gering, daß Du nirgends ein Plätzchen findest, wo Du irgend etwas von dem, was die Deine Schönes, Gutes und Großes, die innere Existenz der Edlen bessernd und veredelnd, gesammelt hat, ausfüllen kannst? Sind wir denn so hungrig, daß Du für unser Brot, so furchtsam und unstet, daß Du für unsere Sicherheit arbeiten musst? Sind wir nicht mehrerer Freuden als der des Tisches und der der Ruhe fähig, können wir keinen Genuss finden, wenn Du, von dem Schmutz und dem Gestank des Weltgetriebes Reiner, Deine volle Zeit zur Schmückung des Geistes anwendend, uns, die wir nicht Zeit zum Sammeln haben, den Strauß von den Blumen des Lebens gebunden vorhältst? Sind unsre Klüfte so quellenlos, daß wir nicht eines schönen Brunnens brauchen, uns selbst unsrer Ausflüsse freuend, wenn sie schön in demselben aufgefasst sind? Sind wir bloß zu Ambossen der Zeit und des Schicksals gut genug, und können wir nichts neben uns leiden als Klötze, die uns gleichen und nur von harter, anhaltender Masse sind? Ist’s denn ein so geringes Los, die Hebamme guter Gedanken und in der Mutter zusammengelegter Begriffe zu sein? Ist das Kind dieser Wohltäterin fast nicht ebenso sehr sein Dasein schuldig als der Mutter, die es gebar? Die Seelen der Menschen sind wie immer gepflügtes Land; ist’s erniedrigend, der vorsichtige Gärtner zu sein, der seine Zeit damit zubringt, aus fremden Landen Sämereien holen zu lassen, sie auszulesen und zu säen? Muss er nicht etwa daneben auch das Schmiedehandwerk treiben, um seine Existenz recht auszufüllen? Bist Du nun so im Bösen, so über Dich selbst erblindet, daß Du Dir einbilden könntest, Du habest uns nie dergleichen Nutzen verschafft, und achtest Du uns gering genug, daß Du glauben könntest, wir würden Dich so lieben wie wir tun, wärest Du uns hierin unnütz und überflüssig oder entbehrlich gewesen? Willst Du nun dieses schöne Geschäft, diese würdige Laufbahn aufgeben, alle eingewachsenen Bande ausreißen, gleich einem Anfänger eine neue Existenz ergreifen und Dich, Gott weiß wohin, unter Menschen, die Dich nichts mehr angehen und mit denen Du kein reines und Dir gewohntes Verhältnis hast, hinwerfen? Neuen Anteil ergreifen oder Dir machen, mehr Gute, mehr Böse kennen lernen, sehen, wie die Abscheulichkeiten so überall zu Hause, das Gute überall so befleckt ist? Und warum? Um etwa einigen Kanzlistenseelen aus dem Wege zu gehen, die Dir Deine Semmel, die Du mehr hast als sie, beneiden, weil Du nicht gleich ihnen Maultierhandwerk treibst? Und wohin willst Du Dich flüchten? Nimmst Du nicht überall Deine paar Semmeln mit, die Du mehr und leichter hast als andere? Sind nicht überall Knechte, die es entbehren und Dich darum beneiden werden? Wirst Du deren Neid besser aushalten? Dich, weil Du dort ein paar Monate fremd bist, von ihnen mehr geachtet halten, als Du es hier sein möchtest? Siehst Du etwas Erreichbares vor Dir, das Dir das, was Du entbehrst, ersetze? Ist dieses Erreichbare so gewiss? Schlägt’s fehl, kann es Deine Existenz dann ertragen, immer neue Zwecke zu machen, oft abgeschlagen zu werden und so herumzuirren? Willst Du also das Beständige für das Unbeständige hingeben? Lass uns die Sache nicht so feierlich nehmen und das Übel nicht für so unheilbar halten. Ist’s Deiner Natur gut, sich zu verändern, so reise. Warum sich immer ersäufen wollen, wenn’s mit einem schönen Bade getan ist?“

Es ging damals eine wohltätige Umwandlung mit dem Herzog vor; gleich Goethe gab er sich mehr und mehr dem Studium der Natur hin, um 1784 schrieb er an Knebel: „Die Naturwissenschaft ist so menschlich, so wahr, daß ich jedem Glück wünsche, der sich ihr auch nur etwas ergibt ... Sie beweist und lehrt so bündig, daß das Größte, das Geheimnisvollste, das Zauberhafteste so ordentlich, einfach, öffentlich, unmagisch zugeht; sie muss doch endlich die armen unwissenden Menschen von dem Durst nach dem Außerordentlichen heilen, da sie ihnen zeigt, daß das Außerordentliche so nahe, so deutlich, so unaußerordentlich, so bestimmt nahe ist.“

Das Jahr 1789 brachte auch für den Weimarer Hof Veränderungen mit sich, besonders im Hinblick auf sparsamere Wirtschaft. Herder schreibt an Knebel: „Der Hof ist wieder hier und die Tafel an demselben abgeschafft. Die Herren Mitesser bekommen Kostgeld, die Damen speisen mit dem fürstlichen Ehepaar auf des Herzogs Zimmer, und jedesmal wird ein Fremder dazu gebeten. Sie können denken, was die Hofdamen dazu sagen, und es ist unbegreiflich, daß sie nicht schon aus Furcht vor zukünftiger langen Weile zum voraus verschmachten.“

Über die französische Revolution äußerte sich der Herzog am 13. Januar 1793, eine Woche vor der Hinrichtung Ludwigs XVI., wie folgt: „Wer die Franzosen in der Nähe sieht, muss einen wahren Ekel für sie fassen; sie sind alle sehr unterrichtet, aber jede Spur eines moralischen Gefühls ist bei ihnen ausgelöscht ... Der Mensch war nie, die Zone, unter der er lebte, mag sein wie sie wolle, er war nie, sage ich, zur Treibhauspflanze bestimmt. Sobald er diese Kultur erhält, geht er zugrunde; auch beurteilt man die Franzosen falsch, wenn man glaubt, ihre Reife habe sie auf den jetzigen Punkt gebracht. Eines unterdrückte das andere im Reich, und nun unterdrücken die Unterdrücker selbst ihre alten Beherrscher, weil diese nachlässig und stupid waren. Nicht das mindeste Moralische liegt dabei zum Grunde, sondern man hat jetzt eine Art Moralität oder eine philosophische Zunft zum Werkzeug gebraucht.“

Die Abneigung Karl Augusts gegen die Franzosen hatte ihre Ursache darin, daß er sich ihnen gegenüber ganz und gar als Deutscher fühlte. Karoline von Wolzogen schrieb darüber einmal an Schiller: „Ich dankte auch dem Himmel beim Lesen des Mirabeau, daß alles, was mir lieb ist, nichts mit der Politik zu tun hat. An wie armseligen Fäden hängen diese Weltbegebenheiten! Es muss ein unsichtbares Gewebe das Menschengeschlecht umstricken und so zusammenhalten wie es hält; was diese Menschen dabei zu tun wähnen, kann nicht viel sein. So klein und eng sind sie, keine Spur eines bessern Wesens, das sich selbst an die allgemeine Glückseligkeit hingäbe, jeder denkt nur an einen bequemen Platz für sich, um darauf zuzusehen; sie haben nicht einmal die Energie, um herrschen zu wollen. Des Mirabeau Nationalstolz ist kindisch und ärgerlich, man könnte aus Depit deutsch sein wollen, wie der Tempelherr im Nathan Christ sein wollte, wenn man anders mit ihm zu tun hätte, glaub ich. Ich will dem Herzog von Weimar wohl darum, daß er Mirabeau übel begegnet hat.“

Im übrigen wurde das stille Weimar durch die großen Weltereignisse wenig berührt. Der Herzog, der zu Goethes Missvergnügen eine wachsende Kriegslust an den Tag gelegt hatte, nahm 1794 an dem Feldzug in der Champagne teil; Goethe begleitete ihn, und wie man weiß, hat er dieses kriegerische Zwischenspiel wahr und meisterlich beschrieben. Es war in Karl August ein unstillbarer Drang, sich zu betätigen und auszuleben. So liebte er auch in seinen Herzensbeziehungen die Abwechslung. Als die Leidenschaft zur Gräfin Werthern vorüber war, wurde die reizende Sängerin und Schauspielerin Caroline Jagemann seine Favoritin. Für sie schrieb Goethe die Eugenie in der natürlichen Tochter. Sie war sehr schön und sehr ehrgeizig und stand den Werbungen Karl Augusts anfangs kühl gegenüber, denn eben ihres künstlerischen Ehrgeizes wegen hatte es nichts Verlockendes für sie, in einer kleinen Stadt und an einer kleinen Bühne die Mätresse eines Herzogs zu sein. Ihr Widerstreben steigerte die Leidenschaft Karl Augusts bis zur Verzweiflung. Endlich gab sie nach; sie blieb beim Theater, wurde aber zur Frau von Heygendorff erhoben. Es wird berichtet, daß sie noch in ihrem hohen Alter, als schon graue Locken das Gesicht umrahmten, von bezauberndem Reiz gewesen sei, besonders habe ihre Stimme etwas unvergleichlich Angenehmes gehabt. Frisch an Körper und Geist, war sie dem Herzog wie zugeschaffen, seinem innersten Bedürfnis entsprechend, selbst ihre Art sich auszudrücken war der seinen gemäß. Ihr Einfluss war groß und dauerte bis zum Tode des Herzogs. Ihre Hauptfeindin am Hof war die Gemahlin des Erbprinzen, die russische Großfürstin Marie, und es kam wohl vor, daß sie im Gefühl ihrer Überlegenheit diese der Zarentochter zu fühlen gab. Einmal hatte die Erbprinzessin bei einem Gang durch den Park ihre Freude an einer schönen Baumpartie ausgesprochen; als sie nach ein paar Tagen wieder vorüber kam, waren die schönen Bäume abgehauen. Frau von Heygendorff hatte den Herzog bestimmt, hierzu den Befehl zu geben. Weil Karl August fürchtete, daß seiner geliebten Freundin nach seinem Tod ein übles Schicksal widerfahren könnte, hatte er seinen Adjutanten unterwiesen, für den Fall, daß er außerhalb Weimars sterben sollte, den Kurier mit der Todesnachricht zuallererst zu Frau von Heygendorff zu schicken. Dieser Fall trat auch ein, und dem Befehl wurde buchstäblich Folge geleistet. Als die fürstliche Familie die Kunde von dem Tod des Herzogs bekam, hatte Frau von Heygendorff bereits ihren Wagen anspannen lassen und befand sich auf der Fahrt nach Mannheim, wo sie vordem, bei Iffland, ihre Ausbildung genossen hatte.

Karl August hatte auch für die Literatur der „Ars amandi“ viel übrig und legte sich eine „Bibliotheca erotica“ an, welche die seltensten Exemplare der Gattung enthielt. Er schenkte sie später seiner guten Freundin, der Gräfin Henckel, die sich sehr für das geheime Fach interessierte.

Die Verheiratung des Erbprinzen mit der Großfürstin veränderte alle Lebensverhältnisse in Weimar. „Sie können kaum einen Begriff haben von dem Glanz, der uns neuerlich umgibt,“ schreibt Fräulein von Göchhausen im September 1804, „der Herzog ist mit drei russischen ganz von Juwelen strahlenden Orden geziert. Meine gute Fürstin strahlt nicht weniger ... Überhaupt reden wir jetzt von Gold, Silber und Edelsteinen wie sonst von Quarz, Gneis und Glimmer. Die wilden Völker, die noch mehr dergleichen bringen sollen, werden in diesen Tagen erwartet.“ Die wilden Völker, das waren die Russen. Zwei Monate später schreibt das Fräulein: „Der Einzug war prächtig durch die unglaubliche Volksmenge, die in geordneten Wagen, zu Pferd und zu Fuß festlich entgegenwallten ... Es erschien alles ruhig und würdig, ich möchte es die frohe Teilnahme eines gebildeten Volks nennen. Am Montag kam die Großfürstin zum erstenmal ins Theater. Sie können sich den klatschenden Jubel kaum denken. Ein Vorspiel von Schiller wurde gegeben, hierauf folgte Mitridat. Diese Prinzessin ist ein Engel an Geist, Güte und Liebenswürdigkeit; auch habe ich noch nie in Weimar einen solchen Einklang aus allen Herzen über alle Zungen ergehen hören, als seit sie der Gegenstand aller Gespräche geworden. Sie tut wirklich Wunder; auch unser Vater Wieland ist begeistert und macht wieder Verse.“

Ein Jahr später kam der Kaiser Alexander nach Weimar zum Besuch seiner Schwester. Er wurde sehr gefeiert und bezauberte jedermann. Nach seiner Abreise schrieb Fräulein von Göchhausen an Böttiger: „Nächst demAndenken im Herzen an den liebenswürdigen Kaiser hinterließ er auch blitzende Andenken in edlen Steinen. Sogar alle Hofdamen, worunter meine Wenigkeit sich auch befindet, erhielten reiche Geschenke an blitzenden Halsbändern, Kämmen und Gürtelschnallen. Der Kaiser, „le comte du Nord,“ schickte Visitenkarten an die Damen vom ersten Rang und auch an Wieland. Künftigen Donnerstag kommt das erste preußische Regiment hier an; bald wird es wie in Wallensteins Lager hier aussehen. Unser Ländchen fühlt die schützende Nachbarschaft schwer. Die aufzubringenden Getreidelieferungen und die ins Land kommenden sechs- bis achttausend Mann lassen uns ängstliche Blicke in die Zukunft tun.“

Während der Einquartierung unterhielten sich einmal einige preußische Offiziere in einem Weinhaus über die Wohnungen, die sie gefunden hatten. Ein alter, dickbäuchiger Major sagte: „Ich stehe da bei einem gewissen Gothe oder Goethe, weiß der Teufel, wie der Kerl heißt.“ Man machte ihn aufmerksam, es sei der berühmte Dichter Goethe, wo er stehe, da antwortete er: „Kann sein, ja ja, nu nu, das kann wohl sein, ich habe dem Kerl auf den Zahn gefühlt, und er scheint mir Mucken im Kopfe zu haben.“

Es kam nun die furchtbare Katastrophe der Schlacht von Jena und Auerstädt. Am 4. Oktober fuhren der König und die Königin von Preußen auf dem Wege nach Erfurt durch Weimar. Der Herzog befand sich bei dem preußischen Heere, das sein Oheim, der Herzog von Braunschweig, kommandierte. Die Herzogin-Mutter Amalie war nach Eutin geflohen, und in Weimar blieb nur die Herzogin Luise. Schon am Abend des Schlachttags trafen die gefürchteten Chasseurs ein, in der Nacht brach Feuer in der Nähe des Schlosses aus. Die Stadt wurde von den Franzosen drei Tage lang geplündert, manche Familie verlor Hab und Gut. Da sich Napoleon sehr ungehalten darüber zeigte, daß der Herzog von seiner Residenz abwesend und bei der preußischen Armee war, wurden zwei seiner treuesten Diener, der Oberforstmeister von Stein und der Leutnant von Seebach, abgeschickt, ihn zu suchen und zu eiliger Rückkehr aufzufordern. Ihr Unternehmen blieb ohne Erfolg, und in der Not verfiel man auf den jungen Regierungsrat Müller und betraute ihn mit der schwierigen Aufgabe, den Herzog vom Heeresdienst abzurufen und heimzuholen. Nach vielen Abenteuern und Irrfahrten traf Müller den Herzog in Berlin, aber Karl August war durchaus nicht geneigt, den gewünschten Fußfall vor dem Kaiser zu tun. Napoleon, obwohl höchst ungnädig gegen den Herzog gestimmt, ließ ihn doch nicht fallen und verwirklichte keine seiner Drohungen, denn er brauchte ihn zur Vermittlung beim Kaiser Alexander. Das kleine Land aber wurde durch die Kriegskontributionen in schwere Drangsale gestürzt, und nicht immer gelang es dem klugen und diplomatisch geschickten Friedrich von Müller, das größte Elend abzuwenden. Die Unnachgiebigkeit Karl Augusts, der es immer wieder verweigerte, vor Napoleon in Audienz zu erscheinen, trug auch nicht dazu bei, den Kaiser milder zu stimmen, wenngleich er der Herzogin Luise gegenüber eine große, vielleicht empfundene Hochschätzung an den Tag legte.

An den Festlichkeiten des Kongresses zu Erfurt nahm auch Weimar seinen Anteil. Napoleon hatte gewünscht, dem Kaiser Alexander das Schlachtfeld von Jena zu zeigen; dazu sollte eine große Jagd am Ettersberg und auf den Hügeln gegen Jena hin dienen. Friedrich von Müller berichtet darüber in seinen Memoiren:

„Am 6. Oktober war der Weg von Erfurt nach dem Ettersberg von früh an mit unzähligen Wagen, Reitern und Fußgängern bedeckt. Es war der schönste, klarste Herbsttag, kein Wölkchen am ganzen Himmel. In der Nacht vorher waren mehrere hundert Hirsche und Rehe aus dem Ettersburger Walde gegen einen großen freien Rasenplatz zusammengetrieben und umzäunt worden. In der Mitte dieses freien Platzes hatte man einen ungeheuren Jagdpavillon errichtet, 450 Schritte lang und 50 Schritte breit, mit drei Abteilungen, wovon die mittlere für die beiden Kaiser und für die Könige bestimmt war. Der Pavillon ruhte auf mit Blumen und Zweigen umschmückten Säulen. Dicht dabei sah man große, freistehende Balkone, von denen bequem das Ganze überschaut werden konnte. Ringsumher liefen Buden und Zelte mit Erfrischungen. An der Waldgrenze gruppierten sich um große Feuer zur Bereitung von warmen Speisen und Getränken eine Unzahl von Landleuten, die das Zusammentreiben des Wildes die ganze Nacht hindurch ermüdet hatte. Dazwischen ertönten muntere Jagdhörner und Gesänge. Die Monarchen, an der Landesgrenze von dem Herzog und der ganzen Jägerei zu Pferde empfangen, langten mit ihrem Gefolge unter dem Schalle der Jagdfanfaren gegen ein Uhr mittags an. Nun wurde in einzelnen Abteilungen das Wild aus dem umzäunten Walde heraus und so getrieben, daß es am großen Pavillon in Schussweite vorüber mußte. Napoleon ergötzte sich ungemein an diesem Schauspiel und schien überhaupt sehr vergnügt. Um vier Uhr endigte die Jagd; nicht der geringste Unfall hatte sie getrübt. Ich war in Erfurt zurückgeblieben und beauftragt, dem Kaiser Napoleon noch vor seiner Abfahrt aufzuwarten, worauf ich mich eiligst nach Weimar verfügen sollte. Es war fünf Uhr, als die Monarchen unter dem Geläute aller Glocken in Weimar einzogen.
Wie Napoleon sich in die für ihn bereiteten Zimmer begab, war ich zufällig der erste, auf den seine Blicke im Vorzimmer trafen. Er ging sehr freundlich auf mich zu, tat mir mehrere Fragen, und ich mußte ihm einige umstehende, ihm noch nicht bekannte Personen vorstellen. Eine Stunde darauf ging es zur kaiserlichen Tafel. Unfern davon war in einer großen Galerie die Marschallstafel von mehr als hundertfünfzig Personen bereitet. Ich hatte dem Minister, Staatssekretär Maret und dem Marschall Soult die Honneurs zu machen, bei denen ich saß. Aber wir waren noch kaum bis zur Hälfte des Diners gekommen, als gemeldet wurde, daß die Monarchen im Begriff seien, sich von ihrer Tafel zu erheben. Nun strömte alles dahin. Napoleon liebte bekanntlich sehr rasch zu speisen, doch hatte er sich dabei lebhaft mit seiner Nachbarin, der Herzogin von Weimar unterhalten. Nach kurzer Pause fuhr man in das Theater, wohin der Wagen der beiden Kaiser von weimarischen Husaren eskortiert wurde. Vor dem Schlosse stand ein sechzig Fuß hoher Obelisk, geschmackvoll erleuchtet, auf dessen Spitze eine helle Flamme loderte. Das ganze Schloß und seine Umgebungen sowie alle Straßen bis zum Schauspielhause waren illuminiert, die innere Einrichtung und Verteilung der Sitze im Theater ganz wie die zu Erfurt. Die französischen Schauspieler führten, wie ich schon oben erwähnt, „La mort de César“ von Voltaire auf. Unbeschreiblich war der Eindruck. Talma als Brutus übertraf sich selbst. Bei der Stelle am Schlusse des ersten Aktes, wo Cäsar dem Antonius, der ihn vor den Senatoren warnt, antwortet:

“Je les aurais punis, si je les pouvais craindre;
Ne me conseillez point de me faire hair.
Je sais combattre, vaincre et ne sais point punir,
Allons, n’écoutons point ni soupçons ni vengeance,
Sur l’univers soumis régnons sans violence,“

war es, als ob ein elektrischer Funke mächtig alle Zuschauer durchzuckte.

„Hatte die Aufführung des Trauerspiels „La mort de César“ immerhin etwas seltsam Ominöses gehabt, so mußte es auf diejenigen, die diesen Abend miterlebt hatten, noch lange nachher einen erschütternden Eindruck machen, als sie erfuhren, wie wenig gefehlt hatte, daß diese Aufführung wirklich zum größten Trauerspiel der neueren Weltgeschichte geworden wäre. Es hatte sich nämlich eine kleine Anzahl verwegener preußischer Offiziere, das Unglück und den trostlosen Zustand ihres Vaterlandes tief empfindend und von glühendem Hass gegen dessen Unterdrücker erfüllt, verschworen, den Kaiser Napoleon bei seinem Heraustreten aus dem Theater zu erschießen. Sie hatten die Lokalität aufs genaueste erkundet, Voranstalten zu ihrer eiligen Flucht nach vollbrachter Tat getroffen und sich zum größten Teil in Weimar unbemerkt versammelt, als noch im letzten Moment einer der Mitverschworenen ausblieb. Sei es, daß dieser Umstand die übrigen abschreckte, oder daß sie Reue empfanden, genug, das Vorhaben unterblieb. Welche Verwirrung, welche Greuel das Gelingen so grausiger Tat unmittelbar und zunächst für Weimar nach sich gezogen hätte, ist kaum zu ermessen.“

Die Befreiung Deutschlands wäre durch einen Pistolenschuss erfolgt; die Hunderttausende von Opfern der nächsten Kriegsjahre hätten nicht geblutet, aber es hätte auch kein 1813, keine Erhebung des ganzen Volks gegeben, und so sehen wir wieder das Schicksal abseits von dem Willen der Menschen seinen ehernen Weg gehen.

Karl August trat mit den übrigen Fürsten des ernestinischen Hauses dem Rheinbund bei. 1815 besuchte er den Wiener Kongreß persönlich. Graf Nostiz notiert über ihn in seinem Tagebuch: „Der alte Herzog von Weimar lebt so burschikos fort, wie er es immer getrieben. Die Welt gefällt ihm, und er ist ihr immer durch Lebenslust verbunden, wenn auch die Jahre seine Beweglichkeit schwächen.“

Er trat als erster Großherzog zum deutschen Bund. 1825 feierte er sein fünfzigjähriges Regierungsjubiläum und seine goldene Hochzeit. Im Mai 1827 hatte sich seine Enkelin mit dem Prinzen Karl von Preußen verheiratet, im Frühjahr darauf reiste Karl August zum Besuche des jungen Paares nach Berlin, und auf der Rückreise starb er auf dem Gestüt zu Graditz bei Torgau am 14. Juli 1828, 71 Jahre alt. Er ward beigesetzt in der Fürstengruft auf dem Friedhof der Jakobskirche zu Weimar, wohin er wenige Monate früher Schillers sterbliche Reste hatte bringen lassen und wo vier Jahre später auch Goethe begraben wurde.

Die letzten Tage vor seinem Tode hatte er in fast beständiger Gesellschaft Alexanders von Humboldt verbracht, und Humboldt beschrieb diese Tage in einem Brief an den Kanzler Müller, der seinerseits wieder Goethe davon Mitteilung machte. In dem unvergleichlich schönen Gespräch, das Eckermann unterm 23. Oktober 1828 aufzeichnet, ist darüber eingehend zu lesen, und es möge, auch wegen des profunden und ewig gültigen Urteils, das Goethe über seinen Herzog fällt, zum Abschluß hier folgen.

„Es war nicht ohne höhere günstige Einwirkung,“ sagt Goethe, „daß einer der größten Fürsten, die Deutschland je besessen, einen Mann wie Humboldt zum Zeugen seiner letzten Tage und Stunden hatte. Ich habe mir von seinem Brief eine Abschrift nehmen lassen und will Ihnen doch einiges daraus mitteilen.“

Goethe stand auf und ging zu seinem Pult, wo er den Brief nahm und sich wieder zu mir an den Tisch setzte. Er las eine Weile im stillen. Ich sah Tränen in seinen Augen. „Lesen Sie es für sich,“ sagte er dann, indem er mir den Brief zureichte. Er stand auf und ging im Zimmer auf und ab, während ich las.

„Wer konnte mehr durch das schnelle Hinscheiden des Verewigten erschüttert werden,“ schreibt Humboldt, „als ich, den er seit dreißig Jahren mit so wohlwollender Auszeichnung, ich darf sagen, mit so aufrichtiger Vorliebe behandelt hatte. Auch hier wollte er mich fast zu jeder Stunde um sich haben; und, als sei eine solche Luzidität wie bei den erhabenen schneebedeckten Alpen der Vorbote des scheidenden Lichtes, nie habe ich den großen, menschlichen Fürsten lebendiger, geistreicher, milder und an aller ferneren Entwicklung des Volkslebens teilnehmender gesehen als in den letzten Tagen, die wir ihn hier besaßen.

Ich sagte mehrmals zu meinen Freunden ahnungsvoll und beängstigt, daß diese Lebendigkeit, diese geheimnisvolle Klarheit des Geistes, bei so viel körperlicher Schwäche, mir ein schreckhaftes Phänomen sei. Er selbst oszillierte sichtbar zwischen Hoffnung der Genesung und Erwartung der großen Katastrophe.

Als ich ihn vierundzwanzig Stunden vor dieser sah, beim Frühstück, krank und ohne Neigung, etwas zu genießen, fragte er noch lebendig nach den von Schweden herübergekommenen Granitgeschieben baltischer Länder, nach Kometschweifen, welche sich unsrer Atmosphäre trübend einmischen könnten, nach der Ursache der großen Winterkälte an allen östlichen Küsten.

Als ich ihn zuletzt sah, drückte er mir zum Abschied die Hand mit den heiteren Worten: ›Sie glauben, Humboldt, Töplitz und alle warmen Quellen seien wie Wasser, die man künstlich erwärmt? Das ist nicht Küchenfeuer! Darüber streiten wir in Töplitz, wenn Sie mit dem Könige kommen. Sie sollen sehen, Ihr altes Küchenfeuer wird mich doch noch einmal zusammenhalten.‹ Sonderbar! Denn alles wird bedeutend bei so einem Manne.

In Potsdam saß ich mehrere Stunden allein mit ihm auf dem Kanapee; er trank und schlief abwechselnd, trank wieder, stand auf, um an seine Gemahlin zu schreiben, dann schlief er wieder. Er war heiter, aber sehr erschöpft. In den Intervallen bedrängte er mich mit den schwierigsten Fragen: über Physik, Astronomie, Meteorologie und Geognosie, über Durchsichtigkeit eines Kometenkerns, über Mondatmosphäre, über die farbigen Doppelsterne, über Einfluss der Sonnenflecke auf Temperatur, Erscheinen der organischen Formen in der Urwelt, innere Erdwärme. Er schlief mitten in seiner und meiner Rede ein, wurde oft unruhig und sagte dann, über seine scheinbare Unaufmerksamkeit milde und freundlich um Verzeihung bittend: ›Sie sehen, Humboldt, es ist aus mit mir!‹

Auf einmal ging er desultorisch in religiöse Gespräche über. Er klagte über den einreißenden Pietismus und den Zusammenhang dieser Schwärmerei mit politischen Tendenzen nach Absolutismus und Niederschlagen aller freieren Geistesregungen. ›Dazu sind es unwahre, Bursche,‹ rief er aus, ›die sich dadurch den Fürsten angenehm zu machen glauben, um Stellen und Bänder zu erhalten! – Mit der poetischen Vorliebe zum Mittelalter haben sie sich eingeschlichen.‹

Bald legte sich sein Zorn und er sagte, wie er jetzt viel Tröstliches in der christlichen Religion finde. ›Das ist eine menschenfreundliche Lehre,‹ sagte er, ›aber von Anfang an hat man sie verunstaltet. Die ersten Christen waren die Freigesinnten unter den Ultras.‹“

Ich gab Goethe über diesen herrlichen Brief meine innige Freude zu erkennen. „Sie sehen,“ sagte Goethe, „was für ein bedeutender Mensch er war. Aber wie gut ist es von Humboldt, daß er diese wenigen letzten Züge aufgefasst, die wirklich als Symbol gelten können, worin die ganze Natur des vorzüglichen Fürsten sich spiegelt. Ja, so war er! – Ich kann es am besten sagen, denn es kannte ihn im Grunde niemand so durch und durch wie ich selber. Ist es aber nicht ein Jammer, daß kein Unterschied ist und daß auch ein solcher Mensch so früh dahin muss! – Nur ein lumpiges Jahrhundert länger, und wie würde er an so hoher Stelle seine Zeit vorwärts gebracht haben! – Aber wissen Sie was? Die Welt soll nicht so rasch zum Ziele, als wir denken und wünschen. Immer sind die retardierenden Dämonen da, die überall dazwischen und überall entgegentreten, so daß es zwar im ganzen vorwärts geht, aber sehr langsam. Leben Sie nur fort und Sie werden schon finden, daß ich recht habe.“

Die Entwicklung der Menschheit scheint auf Jahrtausende angelegt, sagte ich.

„Wer weiß,“ erwiderte Goethe, „– vielleicht auf Millionen! Aber lass die Menschheit dauern, so lange sie will, es wird ihr nie an Hindernissen fehlen, die ihr zu schaffen machen, und nie an allerlei Not, damit sie ihre Kräfte entwickle. Klüger und einsichtiger wird sie werden, aber besser, glücklicher und tatkräftiger nicht, oder doch nur auf Epochen. Ich sehe die Zeit kommen, wo Gott keine Freude mehr an ihr hat und er abermals alles zusammenschlagen muss zu einer verjüngten Schöpfung. Ich bin gewiss, es ist alles danach angelegt und es steht in der fernen Zukunft schon Zeit und Stunde fest, wann die Verjüngungsepoche eintritt. Aber bis dahin hat es sicher noch gute Weile, und wir können noch Jahrtausende und aber Jahrtausende auf dieser lieben, alten Fläche, wie sie ist, allerlei Spaß haben.“

Goethe war in besonders guter erhöhter Stimmung. Er ließ eine Flasche Wein kommen, wovon er sich und mir einschenkte. Unser Gespräch ging wieder auf den Großherzog Karl August zurück.

„Sie sehen,“ sagte Goethe, „wie sein außerordentlicher Geist das ganze Reich der Natur umfasste. Physik, Astronomie, Geognosie, Meteorologie, Pflanzen- und Tierformen der Umwelt und was sonst dazu gehört, er hatte für alles Sinn und für alles Interesse. Er war achtzehn Jahre alt, als ich nach Weimar kam; aber schon damals zeigten seine Keime und Knospen, was einst der Baum sein würde. Er schloss sich bald auf das innigste an mich an und nahm an allem, was ich trieb, gründlichen Anteil. Dass ich fast zehn Jahre älter war als er, kam unserm Verhältnis zugute. Er saß ganze Abende bei mir in tiefen Gesprächen über Gegenstände der Kunst und Natur und was sonst allerlei Gutes vorkam. Wir saßen oft tief in die Nacht hinein, und es war nicht selten, daß wir nebeneinander auf meinem Sofa einschliefen. Fünfzig Jahre haben wir es miteinander fort getrieben, und es wäre kein Wunder, wenn wir es endlich zu etwas gebracht hätten.“

Eine so gründliche Bildung, sagte ich, wie sie der Großherzog gehabt zu haben scheint, mag bei fürstlichen Personen selten vorkommen.

„Sehr selten,“ erwiderte Goethe. „Es gibt zwar viele, die fähig sind, über alles sehr geschickt mitzureden; aber sie haben es nicht im Innern und krabbeln nur an den Oberflächen. Und es ist kein Wunder, wenn man die entsetzlichen Zerstreuungen und Zerstückelungen bedenkt, die das Hofleben mit sich führt und denen ein junger Fürst ausgesetzt ist. Von allem soll er Notiz nehmen. Er soll ein bisschen Das kennen und ein bisschen Das, und dann ein bisschen Das und wieder ein bisschen Das. Dabei kann sich aber nichts setzen und Wurzel schlagen, und es gehört der Fonds einer gewaltigen Natur dazu, um bei solchen Anforderungen nicht in Rauch aufzugehen. Der Großherzog war freilich ein geborener großer Mensch, womit alles gesagt und alles getan ist.“

Bei allen seinen höheren wissenschaftlichen und geistigen Richtungen, sagte ich, scheint er doch auch das Regieren verstanden zu haben.

„Es war ein Mensch aus dem Ganzen,“ erwiderte Goethe, „und es kam bei ihm alles aus einer einzigen großen Quelle. Und wie das Ganze gut war, so war das Einzelne gut, er mochte tun und treiben, was er wollte. Übrigens kamen ihm zur Führung des Regiments besonders drei Dinge zustatten. Er hatte die Gabe, Geister und Charaktere zu unterscheiden und jeden an seinen Platz zu stellen. Das war sehr viel. Dann hatte er noch etwas, was ebensoviel war, wo nicht noch mehr: Er war beseelt von dem edelsten Wohlwollen, von der reinsten Menschenliebe und wollte mit ganzer Seele nur das Beste. Er dachte immer zuerst an das Glück des Landes und ganz zuletzt erst ein wenig an sich selber. Edlen Menschen entgegenzukommen, gute Zwecke befördern zu helfen war seine Hand immer bereit und offen. Es war in ihm viel Göttliches. Er hätte die ganze Menschheit beglücken mögen. Liebe aber erzeugt Liebe. Wer aber geliebt ist, hat leicht regieren.

Und drittens: Er war größer als seine Umgebung. Neben zehn Stimmen, die ihm über einen gewissen Fall zu Ohren kamen, vernahm er die elfte, bessere, in sich selber. Fremde Zuflüsterungen glitten an ihm ab, und er kam nicht leicht in den Fall, etwas Unfürstliches zu begehen, indem er das zweideutig gemachte Verdienst zurücksetzte und empfohlene Lumpe in Schutz nahm. Er sah überall selber, urteilte selber, und hatte in allen Fällen in sich selber die sicherste Basis. Dabei war er schweigsamer Natur, und seinen Worten folgte die Handlung.“

Wie leid tut es mir, sagte ich, daß ich nicht viel mehr von ihm gekannt habe als sein Äußeres; doch das hat sich mir tief eingeprägt. Ich sehe ihn noch immer auf seiner alten Droschke, im abgetragenen, grauen Mantel und Militärmütze und eine Zigarre rauchend, wie er auf die Jagd fuhr, seine Lieblingshunde nebenher. Ich habe ihn nie anders fahren sehen als auf dieser unansehnlichen alten Droschke. Auch nie anders als zweispännig. Ein Gepränge mit sechs Pferden und Röcke mit Ordenssternen scheint nicht sehr nach seinem Geschmack gewesen zu sein.

„Das ist,“ erwiderte Goethe, „bei Fürsten überhaupt kaum mehr an der Zeit. Es kommt jetzt darauf an, was einer auf der Wage der Menschheit wiegt; alles übrige ist eitel. Ein Rock mit dem Stern und ein Wagen mit sechs Pferden imponiert nur noch allenfalls der rohesten Masse und kaum dieser. Übrigens hing die alte Droschke des Großherzogs kaum in Federn. Wer mit ihm fuhr, hatte verzweifelte Stöße auszuhalten. Aber das war ihm eben recht. Er liebte das Derbe und Unbequeme und war ein Feind aller Verweichlichung.“

Spuren davon, sagte ich, sieht man schon in Ihrem Gedicht Ilmenau, wo sie ihn nach dem Leben gezeichnet zu haben scheinen.

„Er war damals sehr jung,“ erwiderte Goethe, „doch ging es mit uns freilich etwas toll her. Er war wie ein edler Wein, aber noch in gewaltiger Gärung. Er wusste mit seinen Kräften nicht wo hinaus, und wir waren oft sehr nahe am Halsbrechen. Auf Parforcepferden über Hecken, Gräben und durch Flüsse, und bergauf, bergein sich tagelang abarbeiten, und dann nachts unter freiem Himmel kampieren, etwa bei einem Feuer im Walde: das war nach seinem Sinne. Ein Herzogtum geerbt zu haben war ihm nichts, aber hätte er sich eines erringen, erjagen und erstürmen können, das wäre ihm etwas gewesen.

Das Ilmenauer Gedicht,“ fuhr Goethe fort, „enthält als Episode eine Epoche, die im Jahre 1783, als ich es schrieb, bereits mehrere Jahre hinter uns lag, so daß ich mich selber darin als eine historische Figur zeichnen und mit meinem eigenen Ich früherer Jahre eine Unterhaltung führen konnte. Es ist darin, wie Sie wissen, eine nächtliche Szene vorgeführt, etwa nach einer solchen halsbrecherischen Jagd im Gebirge. Wir hatten uns am Fuße eines Felsens kleine Hütten gebaut und mit Tannenreisern gedeckt, um darin auf trockenem Boden zu übernachten. Vor den Hütten brannten mehrere Feuer, und wir kochten und brieten, was die Jagd gegeben hatte. Knebel, dem schon damals die Tabakspfeife nicht kalt wurde, saß dem Feuer zunächst und ergötzte die Gesellschaft mit allerlei trockenen Späßen, während die Weinflasche von Hand zu Hand ging. Seckendorf, der schlanke, mit den langen, feinen Gliedern, hatte sich behaglich am Stamm eines Baumes hingestreckt und summte allerlei Poetisches. Abseits, in einer ähnlichen, kleinen Hütte, lag der Herzog im tiefen Schlaf. Ich selber saß davor, bei glimmenden Kohlen, in allerlei schweren Gedanken, auch in Anwandlungen von Bedauern über mancherlei Unheil, das meine Schriften angerichtet. Knebel und Seckendorf erscheinen mir noch jetzt gar nicht schlecht gezeichnet, und auch der junge Fürst nicht, in diesem düstern Ungestüm seines zwanzigsten Jahres.

Der Vorwitz lockt ihn in die Weite,
Kein Fels ist ihm zu schroff, kein Steg zu schmal;
Der Unfall lauert an der Seite
Und stürzt ihn in den Arm der Qual.
Dann treibt die schmerzlich überspannte Regung
Gewaltsam ihn bald da bald dort hinaus,
Und von unmutiger Bewegung
Ruht er unmutig wieder aus.
Und düster wild an heitern Tagen,
Unbändig, ohne froh zu sein,
Schläft er, an Seel und Leib verwundet und zerschlagen,
Auf einem harten Lager ein.

So war er ganz und gar. Es ist darin nicht der kleinste Zug übertrieben. Doch aus dieser Sturm- und Drangperiode hatte sich der Herzog bald zu wohltätiger Klarheit durchgearbeitet, so daß ich ihn zu seinem Geburtstage im Jahre 1783 an diese Gestalt seiner früheren Jahre sehr wohl erinnern mochte.

Ich leugne nicht, er hat mir anfänglich manche Not und Sorge gemacht. Doch seine tüchtige Natur reinigte sich bald und bildete sich bald zum besten, so daß es eine Freude wurde, mit ihm zu leben und zu wirken.“

Sie machten, bemerkte ich, in dieser ersten Zeit mit ihm eine einsame Reise durch die Schweiz.

„Er liebte überhaupt das Reisen,“ erwiderte Goethe, „doch war es nicht sowohl, um sich zu amüsieren und zu zerstreuen, als um überall die Augen und Ohren offen zu haben und auf allerlei Gutes und Nützliches zu achten, das er in seinem Lande einführen könnte. Ackerbau, Viehzucht und Industrie sind ihm auf diese Weise unendlich viel schuldig geworden. Überhaupt waren seine Tendenzen nicht persönlich egoistisch, sondern rein produktiver Art, und zwar produktiv für das allgemeine Beste. Dadurch hat er sich denn auch einen Namen gemacht, der über dieses kleine Land weit hinausgeht.“

Sein sorgloses einfaches Äußere, sagte ich, schien anzudeuten, daß er den Ruhm nicht suche und daß er sich wenig aus ihm mache. Es schien, als sei er berühmt geworden ohne sein weiteres Zutun, bloß wegen seiner stillen Tüchtigkeit.

„Es ist damit ein eigenes Ding,“ erwiderte Goethe. „Ein Holz brennt, weil es Stoff dazu in sich hat, und ein Mensch wird berühmt, weil der Stoff dazu in ihm vorhanden. Suchen lässt sich der Ruhm nicht, und alles Jagen danach ist eitel. Es kann sich wohl jemand durch kluges Benehmen und allerlei künstliche Mittel eine Art von Namen machen. Fehlt aber dabei das innere Juwel, so ist es eitel und hält nicht auf den andern Tag.

Ebenso ist es mit der Gunst des Volkes. Er suchte sie nicht und tat den Leuten keineswegs schön; aber das Volk liebte ihn, weil es fühlte, daß er ein Herz für sie habe.“

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche Charaktere und Begebenheiten