Kapitel 03 - Moritz von Sachsen - nach Vehse.

Kurfürst Moritz war der Sohn Herzog Heinrichs des Frommen und am 21. März 1521 geboren. Er war ein kräftiger Mann, geschmeidigen Körperbaus; sein braunes Gesicht verkündete den Helden. Seine Augen waren so glänzend, daß sie funkelten und wie von Flammen sprühten; schaute er unversehens jemand an, so mußte dieser den Blick niederschlagen. Seltsam waren in seiner Erziehung die Elemente gemischt. Sein Vater, den die Untertanen wegen seiner Gutmütigkeit liebten, war bei aller Frömmigkeit ein Mann ganz eigenen Schlages. Er hatte einen sonderbaren Geschmack am Bunten und eine sonderbare Vorliebe für Kanonen. Er ließ anstößige Bilder auf die Kanonen malen, und Lukas Cranach mußte ihm dazu die Zeichnungen machen. Er kaufte alle schönen Gemälde für seine Kanonen, die er nur auftreiben konnte, und obgleich er das Geschütz nie brauchte, konnte man ihm doch keine größere Freude bereiten, als wenn man ihm sagte, Kaiser Karl habe von seinen Kanonen gesprochen. Vom Hof seines Vaters kam Moritz an den des Kurfürsten von Mainz und sah hier das üppig schwelgerische Treiben eines katholischen Kirchenfürsten. Und dann weilte er bei seinem Vetter Johann Friedrich von Sachsen, wo er die traurige Einförmigkeit eines protestantischen Hofes der damaligen Zeit kennen lernte. Johann Friedrich hatte große Schwächen, der kluge Moritz durchschaute sie, er fasste einen Widerwillen gegen den Vetter, er konnte ihn nicht leiden, den dicken Hoffart, wie er ihn zu nennen pflegte.

Noch ehe er zwanzig Jahre alt war, vermählte er sich mit Agnes, der Tochter Friedrichs des Großmütigen von Hessen. Sein Vater war über die verfrühte Ehe so unglücklich, daß der Kummer sein Leben verkürzte; er starb wenige Monate nach der Hochzeit, und Moritz folgte ihm in der Regierung. Trotz seiner Heiratsungeduld mußte aber seine Frau später über ihn klagen, daß er die Wildschweinsjagd ihrer Gesellschaft vorziehe.


Moritz bekannte sich zur evangelischen Lehre wie sein Vater, aber er trat nicht in den schmalkaldischen Bund, so oft ihn auch sein Vetter, der Kurfürst, und sein Schwiegervater, der Landgraf, darum mahnten. Er vermochte in der neuen Lehre nicht die Summe alles Heils zu sehen. Er weigerte sich, eine Verbindung gegen den Kaiser abzuschließen, im Gegenteil, er näherte sich dem Kaiser, je mehr sich die Bundesgenossen von ihm entfernten. Er wollte nicht der Trabant – dieser - Bundesgenossen sein, er fand seinen nächsten und unmittelbaren Vorteil beim Kaiser. Deshalb ließ er durch seinen Vertrauten Christoph Carlowitz mit Granvella unterhandeln und kam dann im Mai 1546 persönlich zum Kaiser nach Regensburg; hier trat er in den Dienst des Kaisers ein. Karl ernannte ihn nicht nur zum Exekutor, Konservator und Schirmer von Magdeburg und Halberstadt, nach deren Besitz Moritz schon lange getrachtet hatte, sondern er versprach ihm auch die Kur Sachsen. Der Tag von Mühlberg verschaffte ihm den Kurhut wirklich, und es schien ihn nicht zu beirren, daß durch diese Schlacht sein Vetter in das bitterste Unglück geriet. Luther hatte wohl recht gehabt, als er einmal bei der Tafel den Kurfürsten davor gewarnt hatte, in Moritz einen jungen Löwen aufzuziehen.

Ende April 1547 rückten das kaiserliche Heer und die Scharen Herzog Moritz’ gegen Mühlberg. Der Kaiser Karl war ritterlich anzusehen, er saß auf einem andalusischen Ross, das mit einer rotseidenen, goldbefransten Decke behangen war; er war ganz in blanken Waffen, sein Helm und Panzer vergoldet, mit dem roten burgundischen Feldzeichen geschmückt; in der Rechten hielt er eine Lanze. Die Gicht hatte ihn grau und müde gemacht, sein Gesicht war leichenblass, die Glieder wie gelähmt, die Stimme so schwach, daß man sie kaum vernahm. Zu früh aber hatten die Protestanten ihn wie einen Verstorbenen betrachtet. Karl zitterte jedes Mal, bevor er die Waffenrüstung anlegte, aber dann erfüllte ihn plötzlich der Mut. So war es auch am Tag von Mühlberg.

Die ersten, die das Ufer der Elbe erreichten, waren Moritz und Herzog Alba. Ein Bauer verriet ihnen, daß Johann Friedrich in der Stadtkirche zu Mühlberg den Sonntagsgottesdienst abwarte, daß er sein Fußvolk schon nach Wittenberg vorausgeschickt habe und nach der Predigt mit den Reitern folgen wolle. Die spanischen Hakenschützen erhielten sofort den Befehl, hinüber zu schwimmen; sie taten es, indem sie sich entkleideten und die Säbel zwischen die Zähne nahmen. So bemächtigten sie sich der Brücke, die die Kurfürstlichen vergebens anzuzünden versucht hatten, und die sie zerstörten. Der Kaiser hatte schon über den dichten Nebel geklagt, der über der ganzen Gegend lag, jetzt gegen Mittag erhob sich der Nebel langsam. Er erblickte die Elbe, die Sonne trat heraus, aber sie war rot wie glühendes Eisen und schien den ganzen Tag über still zu stehen. Als später der König von Frankreich den Herzog Alba fragte, ob sich denn wirklich bei dieser Schlacht die Geschichte Josuas erneuert habe, erwiderte dieser: „Sire, ich hatte zu viel auf Erden zu tun, um bemerken zu können, was am Himmel vorging.“ Gegen alles Erwarten wurde dem Kaiser durch einen Müller namens Strauch, dem die Kurfürstlichen zwei Pferde weggeführt hatten, eine Furt gezeigt; Moritz, sein Landesherr, versprach ihm dafür hundert Kronen, zwei andere Pferde und einen Herrenhof. Die Furt war von festem Boden, sieben Pferde konnten nebeneinander gehen, das Wasser reichte den Reitern bis an die Sättel. Einige Kavaliere des Kaisers hatten große Furcht, wenn der Kaiser selbst nicht vorangeritten wäre, hätten sie nicht gewagt, sich einer solchen Gefahr auszusetzen. Am jenseitigen Ufer angelangt, schickte Moritz einen seiner Offiziere mit einem Trompeter an den Kurfürsten und ließ ihn auffordern, sich dem Kaiser zu ergeben. Johann Friedrich schlug es ab. Er glaubte nicht an den Ernst der Dinge. Er konnte nicht glauben, daß ein ganzes Heer die Elbe durchwaten könne; er vermutete ganz und gar nicht, daß der Kaiser selbst gegen ihn anziehe; er zog sich vorsichtig zurück, und seinem bedächtigen Sinn wurde die Situation erst klar, als die Angriffe der kaiserlichen Armada immer ungestümer wurden. Jetzt empfand er mit einemmal die große Verantwortlichkeit, daß er sich gegen den ihm von Gott gesetzten Herrn, gegen das allerhöchste Reichsoberhaupt vergangen habe. Auf freiem Felde fiel er vor seinen Leuten auf die Knie, hob die Augen und Hände empor und betete: „Ach Gott im Himmel! Bin ich mit meinem Vornehmen gegen die Majestät ungerecht, so strafe mich, aber nicht mein Volk.“

Er stellte sein kleines Heer in Schlachtordnung auf und bestieg einen schweren friesischen Hengst; er trug einen schwarzen Harnisch mit weißen Streifen und darunter noch ein Panzerhemd mit kleinen Ringen.

Es war vier Uhr nachmittags. Der Vortrab der Kaiserlichen rückte zur Hauptattacke zusammen; es waren die Reiter von Herzog Moritz, die Neapolitaner und die Husaren. Mit dem Ruf „Hispania“ und „das Reich“ brachen sie los. Die Kurfürstlichen feuerten. Aber von der anderen Seite her rückten die vollen Gewalthaufen des Kaisers an. Die Haltung ihres Kriegsfürsten hatte der kleinen sächsischen Armee wenig Zuversicht und heldenmütiges Vertrauen eingeflößt. Da nun die Gefahr sich deutlich offenbarte, rief er sie an, getreu bei ihm zu stehen, wie er getreu bei ihnen stehen werde. Trotzdem kam allgemeine Verwirrung über die Leute. Aber es traf noch etwas weit schlimmeres ein. Der Patrizier Imhof aus Nürnberg, der unter Karls Fahnen diente, erzählt: „Es ist seltsam zu vernehmen, wie des Kurfürsten Räte und große Hansen, so er bei sich gehabt, mit ihm umgegangen sind. Wie die Schlacht angegangen, hat der Kurfürst seinem Volke zugeschrieen: ›er wolle auf diesen Tag Leib und Blut bei ihnen lassen, sie sollten auch ehrlich halten bei ihm.‹ Als nun das Treffen angegangen, haben seine Räte und großen Hansen, auf die er sich verlassen, zur Flucht geschrieen, auch unter sein eigenes Volk gehauen und gestochen und die Ordnung seiner Haufen getrennt. Das habe ich zu Torgau von etlichen von Karl gehört, auch habe ich an der Walstatt gesehen, daß alles durch Verräterei zugegangen.“

Das Heer stob auseinander, die Ritter zuerst, und als das Fußvolk die Ritter fliehen sah, warf es Gewehre und Piken weg und suchte sein Heil gleichfalls in der Flucht. Die Ritter entkamen, aber das Schicksal des Fußvolks war schrecklich; obwohl es die Waffen weggeworfen hatte und um Pardon bat, ward es samt und sonders niedergehauen. Karl, von Gottes Gnaden römischer Kaiser, allzeit Mehrer des Reiches, zu Hispanien König, hatte ausdrücklichen Befehl erteilt, alles über die Klinge springen zu lassen. Damals lernte man im Herzen von Deutschland das Haus Hispanien-Habsburg mit seinen Husaren kennen.

Johann Friedrich, den seine Ritter verlassen hatten, sah sich plötzlich ganz allein im Wald, wo alles voller Leichen lag, von Husaren vorn und hinten umgeben. Der schwerbeleibte Herr mußte sich zur Wehr setzen, er tat es ritterlich. Ein Ungar hatte ihn in die linke Backe gehauen, das Blut rann ihm über das Gesicht auf den schwarz und weißen Harnisch herab. Dennoch wollte er sich diesen Husaren und auch den neapolitanischen Reitern, die ihn umdrängten, nicht ergeben. Endlich sprengte ein Herr vom Hofgesinde des Herzogs Moritz heran, Thilo von Trotha; dieser rief ihn auf deutsch an, Pardon zu nehmen. Johann Friedrich ergab sich an diesen Deutschen; er zog einen Ring unter seinem Panzerhandschuh hervor. Die Waffen des sächsischen Kurfürsten, Schwert und Dolch, fielen den Ungarn zur Beute zu.

Thilo von Trotha brachte den gefangenen Kurfürsten unter einer Bedeckung von neapolitanischen Reitern zum Herzog von Alba. Dieser erstattete dem Kaiser Meldung. Karl wollte den edlen Fang sogleich sehen, aber dreimal weigerte sich der sonst so pflichtbewußte Alba, denn aus politischen Gründen fürchtete er mit Recht, daß Karl in der ersten Hitze den Kurfürsten allzu ungnädig behandeln werde. Der Kaiser bestand aber auf seinem Willen. Er hielt in der Heide zu Pferd.

Als der noch aus seinen Wunden blutende Johann Friedrich des Kaisers ansichtig wurde, den er in seinen Absagebriefen als „Karl von Gent, der sich römischer Kaiser heißt“ betitelt hatte, seufzte er tief und rief aus:

“Miserere miserere mei domine, nos sumus jam hic!“

Der Kaiser erkannte den friesischen Hengst wieder; es war derselbe, den Johann Friedrich vor drei Jahren auf dem Reichstag zu Speier geritten hatte. Von Alba unterstützt stieg der Kurfürst vom Pferd, wollte nach spanischer Sitte vor dem Kaiser aufs Knie fallen und zog auch wieder nach deutscher Sitte seinen Blechhandschuh aus, um als Kurfürst dem Kaiser die Hand zu reichen. Karl lehnte sowohl die spanische Devotions- als die deutsche Vertraulichkeitsbezeigung ab. Er war sehr finster; er wendete sich zur Seite. Endlich brach der Kurfürst das Stillschweigen mit der Titulatur, mit der ihm die Kurfürsten schrieben. Er sprach:

„Großmächtigster, allergnädigster Kaiser.“

Karl erwiderte: „Ja, ja, nun bin ich Euer gnädiger Kaiser; Ihr habt mich lange nicht so geheißen.“

Der Kurfürst fuhr fort: „Ich bin auf diesen Tag Euer Gefangener und bitte um ein fürstlich Gefängnis. Kaiserliche Majestät wolle sich gegen mich als einen geborenen Fürsten halten.“ Darauf sagte der Kaiser zornig:

„Ja, wie Ihr verdient habt. Ich will mich so gegen Euch halten, wie Ihr Euch gegen mich gehalten habt. Führt ihn hin! Wir wissen uns wohl zu halten.“

[Illustration: Moritz von Sachsen, nach einem Holzschnitt aus der
Werkstatt Cranachs.]

Erst spät in der Nacht kam Herzog Moritz von der Verfolgung der Ritter und Reiter zurück, bei der ihm heller Mondschein geleuchtet hatte. Mehr als zwanzig Stunden hatte er an diesem Tag zu Pferde gesessen, war mehr als einmal dem Tod entgangen, und nun fand er den Stammvetter in Gefangenschaft. Die Kur Sachsen war auf seinem Haupte fest.

Karl zog nun vor Wittenberg und belagerte die Stadt. Die Bürger wollten sich bis auf den letzten Mann wehren, und Johann Friedrich weigerte sich, sie zur Übergabe aufzufordern. Da ließ der Kaiser durch ein spanisches Kriegsgericht das Todesurteil über ihn aussprechen, welches lautete:

„ ... daß bemeldeter Hans Friedrich, der Ächter, ihm zur Bestrafung und andern zum Exempel durch das Schwert vom Leben zum natürlichen Gericht fürgebracht und solch Urteil auf der im Feld aufgerichteten Walstatt vollzogen werden solle.“

Der Kurfürst, dem es im Glück so sehr an der nötigen Energie gemangelt hatte, bewies im Unglück den ganzen Heldenmut des Glaubens, der sein einfaches Gemüt durchdrang. Er vernahm das Todesurteil, als er eben mit seinem Leidensgenossen Franz von Grubenhagen beim Schachbrett saß. Er erwiderte gelassen:

„Ich kann nicht glauben, daß der Kaiser also mit mir handeln werde, ist es aber bei der kaiserlichen Majestät gänzlich beschlossen, so begehre ich, man soll es mir fest zu wissen tun, damit ich bestellen kann, was meine Frau und meine Kinder angeht.“

Neun Tage lang ließ Karl seinen Gefangenen in der Todesfurcht schweben. Dem Kurfürsten von Brandenburg und dem Herzog von Cleve gelang es aber, das Unheil abzuwenden: die Wittenberger kapitulierten. Johann Friedrich blieb Gefangener des Kaisers so lange als es diesem gefallen würde; selbst nach Spanien sollte er ihn schicken dürfen. Zum Unterhalt für ihn und sein Haus wurde ein Teil von Thüringen mit einem Jahreseinkommen von fünfzigtausend Gulden bestimmt. Es war ein Artikel in der Kapitulation, demzufolge Johann Friedrich alles annehmen sollte, was das Konzil zu Trident oder die kaiserliche Machtvollkommenheit in Sachen der Religion beschließen werde; diesen Artikel anzunehmen weigerte sich der Kurfürst beharrlich; Karl strich ihn mit eigener Hand wieder aus.

Auf einer großen Wiese bei Blesern übertrug der Kaiser dem Herzog Moritz das Kurfürstentum, und Moritz legte darauf sein Heer als Besatzung in die Stadt Wittenberg. Das Volk nahm sie mit tiefem Herzeleid auf. Moritz ritt zornig gerade aufs Schloss und sah keinem Menschen ins Gesicht. Zu den Ratsmännern, die ihm die Aufwartung machten, sagte er: „Ihr seid eurem Fürsten, meinem Vetter, so getreu gewesen, das will ich euch ewig im guten gedenken.“

Von Wittenberg aus zog der Kaiser gegen den Landgrafen von Hessen. Der war schon längst kleinmütig geworden, und als er das Schicksal Johann Friedrichs erfuhr, begann er mit Karl zu unterhandeln. Der Kaiser forderte, daß er sich auf Gnade und Ungnade ergeben, hundertfünfzigtausend Goldgulden Buße zahlen, seine Festungen schleifen und seine Kanonen ausliefern solle. Dagegen wurde ihm schriftlich versichert, daß er Land und Leben behalten, auch mit „einigem“ Gefängnis verschont werden würde. Die beiden Vermittler, Joachim von Brandenburg und Moritz von Sachsen, verbürgten sich in dieser Verschreibung mit ihrem Ehrenwort gegen den Landgrafen. Im Vertrauen auf die Kurfürsten nahm der Landgraf die Bedingungen an. Moritzens Gemahlin, die Tochter des Landgrafen, tat vor dem Kaiser einen Fußfall für ihren Vater. Der Kaiser war zu keiner andern Erklärung zu vermögen, als daß der Landgraf sich auf Gnade oder Ungnade zu ergeben habe. Nun kam der Landgraf nach Halle; er speiste mit den beiden Kurfürsten zu Abend; am andern Morgen nahmen die drei Herren ihr Frühstück bei Granvella, und hier unterzeichneten sie das verhängnisvolle Schriftstück, in welchem, ohne daß sie es merkten, der Ausdruck „einiges“ Gefängnis verändert war in „ewiges“ Gefängnis. Am Nachmittag fand die Abbitte vor dem Kaiser statt. Der Kaiser saß auf dem Thron unter einem vergoldeten Himmel, umgeben von seinen spanischen, italienischen, niederländischen und deutschen Großen. Der Landgraf Philipp kniete in schwarzsamtenem Kleid mit roter Binde kleinmütig und traurig auf dem Teppich vor dem Throne, und hinter ihm las sein getreuer Kanzler Tielemann von Günterode die Abbitte vor. Er las mit kläglichen Gebärden und in kläglichem Ton; auf dem Gesicht des Landgrafen zeigte sich ein Lächeln; es war vielleicht die unbewusste Hilfe seiner leichten Natur gegen das Gefühl der Schmach. Aber der gravitätische Kaiser hob langsam den Finger auf und sagte in seiner brabantischen Mundart:

„Wart, ik wöll dir laken lehr.“

Nachdem der Reichsvizekanzler die Antwort des Kaisers verlesen, Günterode sich dann höflich bedankt hatte, erwartete der Landgraf des Kaisers Wink, um sich zu erheben. Dieser Wink erfolgte nicht. Nun stand der Landgraf von selber auf und wollte dem Kaiser die Hand reichen. Die kaiserliche Majestät jedoch sah sauer und hielt ihre Hand zurück. Dafür ergriff Alba die Hand des Landgrafen und lud ihn und die andern Fürsten zum Nachtmahl bei sich ein. Alba hatte sein Losament im Schloss. Als die Tafel aufgehoben war, spielte der Landgraf Brett mit einem der sächsischen Räte, es war zehn Uhr vorüber; da kündigte ihm Alba auf einmal an, daß er sein Gefangener sei. Zugleich traten hundert spanische Arkebusiere in den Saal. Die beiden Kurfürsten, die sich für die Freiheit des Landgrafen verbürgt hatten, waren außer sich; Joachim von Brandenburg rief, das sei ein Bösewichtsstück, zog den Degen, um Alba den Schädel zu zerspalten, Moritz aber zeigte sich tief betroffen und blieb bei seinem Schwiegervater die ganze Nacht hindurch. Er versicherte ihm, daß da ein Missverständnis vorliegen müsse, und er werde mit dem Kaiser sprechen. Dies geschah. Der Kaiser sagte, daß sich ihm der Landgraf auf Gnade und Ungnade ergeben habe; es sei weder Rede noch Schrift davon gewesen, daß man ihn mit „einiger“ Gefangenschaft verschonen wolle, nur mit „ewiger“ Gefangenschaft habe man ihn verschonen wollen. Und so fand sich auch die Fassung in der Notel, die die Kurfürsten am Morgen unterschrieben hatten, ohne sie näher zu besehen.

Diese spanische Arglist brachte eine große Wandlung in dem Herzen Moritzens hervor. Er sah jetzt wohl, daß der Kaiser Karl darauf ausging, Deutschland spanisch zu machen, aus dem von Schatzungen und fremdem Kriegsvolk erdrückten Reich alles Wasser auf eine Mühle zu leiten, und da erwachte in ihm der Deutsche. Ohne seinen kühn verborgenen und kühn ausgeführten Widerstand wäre die spätere freie Entwicklung Norddeutschlands unmöglich gewesen, und wenn heute nicht ganz Deutschland ein österreichisches Gesicht zeigt, so ist es vielleicht im letzten Grunde der Verwechslung jener Wörtchen „einig“ und „ewig“ zu danken.

Zunächst freilich mußte Moritz warten. Einerseits fürchtete er, der Kaiser könne seine Drohung wahr machen und den Landgrafen nach Spanien schicken. Anderseits mußte er gewärtigen, daß der allerdurchlauchtigste, großmächtigste und unüberwindlichste Kaiser, welchen Titel Karl jetzt mit einer furchtbaren Realität führte, dem Kurfürsten Johann Friedrich wieder die Freiheit schenke, wodurch im Lande selbst Hader und Krieg ausbrechen mußte. Er war jetzt in der Schlinge. Die Rache mußte aufgeschoben werden.

Er suchte von nun ab sein Heil in der Verstellung. Gerade weil er sich zumeist sehr offen und rücksichtslos auszusprechen pflegte, konnte niemand auf die Vermutung kommen, daß hinter dieser Derbheit eine Berechnung verborgen sei. Als auf dem Reichstag zu Augsburg sich ein protestantischer Fürst an den kaiserlichen Tisch setzen wollte, rief er:

„Hier ist kein Platz für Ketzer.“

Selbst der undurchdringliche Kaiser Karl konnte sich bisweilen verraten; er hatte sich in Regensburg durch ein Lächeln verraten, als ihm die Protestanten ihre Schrift gegen das Tridentiner Konzil überreichten. Moritz verriet sich niemals. Er pflegte zu sagen:

„Wenn ich wüsste, daß mein eigenes Hemd, das mir zunächst am Leibe liegt, meine Gedanken kennte, ich würde es austun und verbrennen.“

Kein Mensch in Deutschland, keiner von seinen Freunden und Vertrauten erfuhr etwas von dem, was er im Schilde führte. Er täuschte den Kaiser, der ihn einmal getäuscht hatte, so sicher und vollkommen, daß das Stück, das er vor dem spanischen Senjor aufführte, ohne Zweifel das größte Meisterstück war, das jemals ein Deutscher zustande gebracht hat.

Seiner gewöhnlichen Lebensweise nach mußte man glauben, daß nur das Vergnügen und die Lustbarkeiten Reiz für ihn hätten. In seinem Hoflager beschäftigte ihn unausgesetzt die Wildbahn im Dresdener Forst; er liebte Trinkgelage, Ritterspiele und die Freuden der Fastnacht; ebenso suchte er an fremden Höfen und auf Reichstagen das lustige Leben, und er machte Kundschaft mit schönen Frauen. So schildert ihn Sastrow während des Augsburger Reichstages:

„Herzog Moritz hatte seine Kurzweil in der Herberge eines Doktor Haus. Der hatte eine erwachsene Tochter, eine schöne Metze, hieß Jungfrau Jakobina, mit der badete er und spielte täglich Pharao mit ihr und dem wilden Markgrafen Albrecht. Sie lachte fein lieblich und freundlich zu der Fürsten Scherzen und hielten also Haus, daß der Teufel sich drüber freuen mochte und viel Sagens in der ganzen Stadt davon war.“

Die Befreiung seines Schwiegervaters schien ihm nicht besonders am Herzen zu liegen. Der Landgraf, der öfter geäußert hatte, Gefängnis fürchte er weit mehr als den Tod, wurde in Donauwörth, wohin er gebracht worden war, sehr hart behandelt. Seine spanische Wache lärmte Tag und Nacht in seinem Quartier; er beklagte sich bitter, daß sie ihn auch bei Nacht visitierten, ob er nicht durch einen Ritz oder durch ein Mäuseloch entwischt sei. Einmal schrieb er an Moritz:

„Wenn Euer Liebden so fleißig wären in meinen Sachen als im Bankettieren, Gastladen und Spielen, wäre meine Sach lang besser.“

Kein Wunder, daß der Kaiser glaubte, der vermöge am meisten bei Moritz, der ihm bei seinen Vergnügen Vorschub leiste. Aber der bedächtige und weitschauende Karl durchschaute den bedächtigeren und viel weiter schauenden, scheinbar so uninteressierten und doch so interessanten Moritz mit nichten. Auch die Venezianer, die größten Diplomaten der damaligen Zeit, durchschauten ihn nicht. Der Gesandte Mocenigo sagt von ihm:

„Moritz hat viel Mut, aber, wie man glaubt, nicht viel Urteil, und dazu ist er ein sehr leichter Herr. Von ihm hat Karl wenig zu fürchten.“

Und doch wurde Moritz der Verderber des Kaisers. Als er alles zu seinem großen Plan vorbereitet hatte, stürzte er wie ein Sturmwind über Karl her und vernichtete ihn im Wetter. Lange zuvor, ehe der Schlag ausgeführt wurde, hatte er sich mit dem nötigen Geld zu versehen gewusst. Bereits im Jahre 1547 hatte er die Kleinodien des Meißner Domkapitels einliefern lassen. Es waren darunter ausbündige Stücke: das silberne Bild des Bischofs Bruno, mit Edelsteinen geschmückt, in der einen Hand den Bischofsstab, in der andern ein Buch haltend, dreiundsiebzig Mark schwer; Donatis silbernes Bild, zweiundfünfzig Mark schwer; Briccii Haupt mit goldener Inful; dazu einhundertvierzig Kelche, alles zusammen im Wert von hundertfünfzigtausend Gulden. Wo diese Schätze hingekommen, wusste später niemand zu sagen, höchstwahrscheinlich hatte Moritz sie heimlich einschmelzen lassen. Außerdem hatte er nach und nach bedeutende Summen aufgenommen; nach seinem Tode hatte sein Bruder eine Schuldenlast von über zwei Millionen Gulden zu tilgen.

Im Sommer des Jahres 1550 finden sich die Spuren der ersten Annäherung an Frankreich, mit dessen Hilfe Moritz den Kaiser zu demütigen dachte. Im November darauf unternahm er, von Karl hierzu bestimmt, die Belagerung von Magdeburg. Im Frühjahr des nächsten Jahres hatte er Zusammenkünfte mit dem Bruder des Kurfürsten von Brandenburg und seinem Schwager Wilhelm von Hessen und mit dem Herzog von Mecklenburg. Einige Monate später verhandelte er mit Jean de Bresse, Bischof von Bayonne, und das Bündnis mit Frankreich kam zustande. Es ward als eine merkwürdige Vorbedeutung angesehen, daß ein Blitzstrahl durch das Zimmer fuhr, in welchem der Vertrag abgeschlossen wurde. Im Januar 1552 beschwor der König von Frankreich die Allianz mit Moritz und den Kurfürsten. In deren Namen beschwor den Eid der Markgraf Albrecht von Brandenburg-Kulmbach, der mit Schärtlin nach Chambord gegangen war. Der französische König erhielt die Aussicht auf die deutsche Kaiserkrone und unterdessen die drei Bistümer Metz, Toul und Verdun.

Moritz entließ die vor Magdeburg versammelte Armee nicht, er vermehrte sie im Gegenteil bis auf fünfundzwanzigtausend Mann. Er nahm Offiziere in Dienst, die im schmalkaldischen Krieg gegen den Kaiser gedient hatten. Er war so schlau, die Stärke seines anwachsenden Heeres dadurch zu verbergen, daß er es verteilte und die Quartiere in den Dörfern oftmals wechseln ließ. Wohl hatte der Kaiser seine Spione im Lager. Moritz aber hinterging alle. Der Kaiser besoldete zwei geheime Sekretäre am sächsischen Hof; Moritz wusste es, verstellte sich, zog sie zu allen Beratungen, rühmte immer seine Treue gegen den Kaiser, und so meldeten die bestochenen Leute lauter falsche Dinge.

Die Venezianer fassten Argwohn, und dieser Argwohn verstärkte sich. Karl erhielt Warnungsbriefe nach Innsbruck, und sein Bruder Ferdinand riet ihm, den Landgrafen freizulassen. Der Kaiser antwortete: „Es wäre seltsam, wenn Herzog Moritz alles vergessen sollte, was ich für ihn getan, wenngleich die rücksichtslose Verwendung von so vielen Rebellen in seinem Dienst mich auf einigen Verdacht bringt.“ Die drei geistlichen Kurfürsten wollten, erschreckt durch die Gerüchte, das Konzil zu Trident plötzlich verlassen. Beruhigend schrieb ihnen der Kaiser: „Moritz hat mir solche Zusicherungen gemacht, daß ich mir nur Gutes von ihm verspreche, wenn es noch Glauben gibt im menschlichen Leben.“ Seine ausgesprochene Überzeugung war: „Die tollen und vollen Deutschen besitzen kein Geschick zu derartigen Ränken.“

Im März 1552 verließ Moritz Dresden und ging nach Thüringen. Bei Erfurt und Mühlhausen stand seine Armee. Er zog mit großer Eile nach Augsburg, wo er am 1. April ankam und sich damit, nach seinem eigenen Ausdruck, „vor die Spelunke des Fuchses in Innsbruck setzte.“ Er hatte sich unterdessen mit dem Heer seines Schwagers vereinigt.

Der Kaiser ließ sich trotzig vernehmen, daß er den Leib des Landgrafen in zwei Teile zerlegen und jeder der Parteien, die ihn zwingen wollten, einen Teil entgegenschicken werde. In Wirklichkeit war die Lage Karls verzweifelt. Er hatte weder Truppen noch Geld. Sein Bruder hatte ihm geschrieben, er brauche seine ganze Macht in Ungarn. Die geistlichen Kurfürsten und der Herzog von Bayern wichen seiner Forderung um Hilfe aus. Die Wechselhäuser in Italien und in den Niederlanden, sowie die Fugger in Augsburg wollten keine Darlehen mehr geben. Karl hatte allen Kredit verloren, denn er verfolgte die übelste Politik, die man gegen Handels- und Geldleute treiben kann, nämlich die der Unehrlichkeit. So erblickte er zum Beispiel die größte Sicherheit für die Treue der Genuesen darin, daß er beschloß, ihnen die Kapitalien, die er ihnen schuldig war, nie wieder zu bezahlen; denn, so sagte er sich, sie würden sich hüten, mit einem Fürsten zu brechen, der ihnen so viel Geld schuldig war.

Der Kaiser wollte von Innsbruck aus nach London entfliehen, aber der zweimal unternommene Versuch missglückte. In einer Aprilnacht begab er sich im tiefsten Geheimnis auf den Weg, so schwach und von Gichtschmerzen geplagt er auch war. In seiner Begleitung befanden sich nur zwei Kammerherren, zwei Diener und sein getreuer Barbier Van der Fé. Sie ritten durch Wald und Gebirge und erreichten in der Frühe das Dorf Nassereit. Hier blieb der Kaiser bis Nachmittag, und dann ritten sie bis Paschelbach, eine Stunde von der Ehrenberger Klause. Van der Fé ward aufs Schloss geschickt, um den Befehlshaber um Kundschaft zu erfragen. Dieser berichtete, Moritz sei schon von Augsburg aufgebrochen und habe Füssen besetzt, der Weg über Kempten sei unsicher durch des Herzogs Reiter. Da entschloss sich Karl, wieder nach Innsbruck zurückzukehren. In demselben tiefen Geheimnis langte er an, kein Mensch erfuhr etwas von der Reise.

Beim zweitenmal verkleidete er sich als altes Weib. Der Plan war, in einem bedeckten Packwagen über Ehrwald und Hohenschwangau zu entkommen. Der alte Kammerdiener Karls mußte sich in dessen Bett legen, und in der Küche wurde gekocht, als ob der Kaiser noch im Schlosse wäre. Zwei kurze Tagereisen wurden zurückgelegt, der neugebahnte Fernpass überstiegen, und im Dorfe Lermos stieg Karl aus, um eine Mahlzeit zu nehmen. Ein Mädchen, das einmal sein Bildnis gesehen, rief bei seinem Anblick:

„Ei, wie sieht die alte Frau dem Kaiser so gleich.“

Da erschrak Karl und kehrte abermals um.

Inzwischen war es dem König Ferdinand gelungen, Moritz zu einem Waffenstillstand zu überreden, damit man zu Passau eine Versammlung einberufen könne, die zu beraten habe, wie die Gebrechen der deutschen Nation abzustellen seien. Diesen Stillstand benutzte Karl, und es gelang ihm, einiges Geld und Truppen zu sammeln. Das Heer stand bei Reitti, unfern der Ehrenberger Klause. Moritz zog zu Felde, schlug die Kaiserlichen und eroberte die Festung. Nun lag der Weg zum Kaiser offen. Die verbündeten Fürsten entschlossen sich, den Fuchs in seiner Spelunke zu suchen – da trat eine unerwartete Hilfe für den Kaiser ein: Moritz mußte erst einen Aufstand unterdrücken, der unter einem Teil des Fußvolks ausgebrochen war; die Leute forderten für den Sturm auf das Ehrenberger Schloss die doppelte Löhnung. Die Sache stand so schlimm, daß Moritz in Lebensgefahr war; er mußte fliehen und sich verbergen. So erhielt der Kaiser Zeit, Innsbruck zu verlassen. Der Herr zweier Welten mußte in einer kalten Frühlingsnacht, bei strömendem Regen und von heftigen Schmerzen geplagt, in einer Sänfte fliehen; fliehen beim Schein brennender Windlichter, mit denen die Diener die Engpässe der Tiroleralpen erhellten. Alle Brücken wurden hinter ihm abgebrochen. Dem Kaiser folgte der Kurfürst Johann Friedrich mit seinem alten Freund, dem Maler Lukas Cranach. Zum erstenmal seit fünf Jahren sah der Kurfürst sich nicht mehr von seiner spanischen Garde umgeben; er stimmte auf seinem Wagen ein Lob- und Danklied an.

Der Kaiser wandte sich nach Villach in Kärnten und blieb dort bis in die Mitte des Sommers. Moritz zog am vierten Tage nach Karls Flucht in Innsbruck ein. Alles was den Spaniern, dem Kaiser und dem Kardinalbischof von Augsburg gehörte, überließ er seinen Landsknechten als gute Beute; sie stolzierten in den prächtigsten Gewändern herum, auf ihren Hüten glänzten portugiesische Goldstücke, und einer nannte den andern „Don“. Moritz’ Verbündeter, der König Heinrich von Frankreich, zog ins Elsas und erließ Manifeste, in denen viel von deutscher Freiheit zu lesen war; auf einem sah man sogar einen Freiheitshut mit zwei Dolchen und das Wort „Libertas“ an der Spitze. Vor allem nahm der Befreier Deutschlands Metz, Toul und Verdun weg.

Moritz machte sich nun auf den Weg nach Passau, wo er mit dem König Ferdinand, dem Herzog von Bayern und den Bischöfen von Passau, Salzburg und Eichstädt den welthistorischen Vertrag abschloss, der den Protestanten ihre Religionsfreiheit wieder sicherte. Nachdem der Friede abgeschlossen war, führte er sein Heer dem König Ferdinand zu Hilfe gegen die Türken, der Kaiser wandte sich gegen die Franzosen nach Westen, und die gefangenen Herren von Hessen und Sachsen kehrten in ihre Länder zurück. Karl entließ Johann Friedrich nicht ohne Zeichen der Achtung, sogar der Rührung. Alle protestantischen Städte, durch die er auf seinem Weg kam, empfingen ihn wie einen Heiligen und Märtyrer. In Koburg traf er seine Gemahlin; sie hatte in den fünf Jahren ihre Trauerkleider nicht abgelegt und fiel in Ohnmacht, als sie ihn wiedersah. Die Ratsherren in Amtstracht und schwarzen Mänteln gingen ihm entgegen, die Bürger in ihren Rüstungen und Feiertagsgewändern bildeten Spalier, auf den Märkten standen die Geistlichen und die jungen Männer auf der einen Seite, die eisgrauen Leute und die jungen Mädchen mit dem Rautenkranz im fliegenden Haar auf der anderen, und die Knaben sangen das Tedeum. Der Fürst schritt mit entblößtem Haupt hindurch, seine Rückkehr ihrem Gebet zuschreibend, und hinter ihm ging sein lieber Lukas Cranach.

Auch der Landgraf von Hessen kehrte aus den Niederlanden nach Kassel zurück. Er hatte Moritzens Vorhaben gegen den Kaiser durchaus nicht glauben wollen und geäußert:

„Wie will ein Sperling den Geier angreifen?“

Das Wunderliche geschah jetzt, daß man Moritz von allen Seiten zu misstrauen anfing. Da er so viele getäuscht, wenn auch zum guten Zweck getäuscht, verdächtigte man sein Wesen ganz und gar. Wilhelm von Hessen nannte ihn in einem Wortwechsel einen Verräter. Als er nach den Passauer Tagen die Stadt Frankfurt am Main auffordern ließ, sich zu ergeben, wurde ihm geantwortet, er möge erst fromm werden und die Judasfarbe ablegen.

Als er aus dem Türkenkrieg zurückgekehrt war, hielt er zur Fastnacht in Dresden großes Rennen und Stechen, und dann mußte er in den Krieg gegen seinen ehemaligen Freund und Bundesgenossen, den wilden Markgrafen Albrecht. Dieser hatte die Friedenspakte nicht geachtet; es gefiel ihm, das alte Faustrecht noch ferner in Deutschland zu üben, und er war ein gefürchteter Mann, der seinen eigenen Weg ging. Er behauptete, der Passauer Vertrag tauge nichts, die Pfaffen müßten gedemütigt werden. Nebenbei suchte er auch die Pfeffersäcke zu rupfen, wie er die Kaufherren der Städte nannte. Er umgab sich mit ein paar Tausend Eisenfressern und zog im Namen des Evangeliums verheerend durch die fränkischen und sächsischen Lande.

Bei Sievershausen in der Lüneburgerheide traf Moritz seine plündernden Scharen. Es gab ein kurzes Gefecht; hoch zu Ross, die rote Feldbinde mit dem weißen Streifen um die Brust, kämpfte Moritz ritterlich. Eine silberne Kugel traf ihn von hinten, zerriss seinen Panzer und drang durch seinen ganzen Körper. Wilhelm von Grumbach, der fränkische Ritter, soll sein Mörder gewesen sein. In einem Zelte, das man neben einem Zaun aufgeschlagen hatte, empfing er die erbeuteten Fahnen und die Papiere des Markgrafen, die er eifrig durchspähte. Er diktierte sein Testament, und nach zwei Tagen starb er, zweiunddreißig Jahre alt. Sein letztes Wort war: „Gott wird kommen,“ das übrige verstand man nicht.

Kaiser Karl V. liebte Moritz so sehr, daß er, als man ihm zu Brüssel die Todesnachricht mitteilte, in die Worte ausbrach:

„O, Absalom, mein Sohn, mein Sohn!“

Der wilde Markgraf wurde in die Acht getan, scheinbar gegen den Willen des Kaisers.

„Es ist alles dahin gerichtet, Deutschland eine Kappe zu schneiden,“ schrieb der Herzog von Braunschweig, der bei Sievershausen seine zwei ältesten Söhne verloren hatte, an Philipp von Hessen, „der Kaiser will die Fürsten nur gegeneinander hetzen. Er hat zwar Albrecht als seiner Hetzhunde einen gebraucht, würde es aber gern sehen, wenn ihm ein Rad übers Bein ginge.“

Albrecht flüchtete nach Frankreich, kehrte später nach Deutschland zurück und starb elend in Pforzheim, erst fünfunddreißig Jahre alt.

So endete die Reformation, die als eine Angelegenheit des Volkes begonnen hatte, als ein Zusammenbruch der Fürsten.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche Charaktere und Begebenheiten