Deutsche Auswanderung und Kolonisation.

Erster Rechenschaftsbericht des Berliner Vereins zur Zentralisation Deutscher Auswanderung und Kolonisation
Autor: Gaebler Dr. Ober-Gerichts-Assessor, Erscheinungsjahr: 1850

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Auswanderer, Auswanderung, Vereinigte Staaten von Amerika, Deutsche, Pioniere, Kolonisten, Bauern, Farmer, Handwerker, Deutsch-Amerikaner, Heimat, Heimatvereine, Gesangsvereine, Bildungsvereine, Sängerbund, Pioniergeist, Historisches, Demokratie, Freiheit, Auswanderungslust, Lebensverhältnisse, Vaterland, Kultur, Sitten, Bräuche,
Nachdem der Berliner Verein zur Zentralisation deutscher Auswanderung und Kolonisation nunmehr sieben Monate bestanden hat, tritt mit dem Ablaufe des Kalenderjahres nach Artikel 6. des Statuts die Verpflichtung des Verwaltungsrats ein, über seine bisherige Tätigkeit der General-Versammlung Rechenschaft zu erstatten. Derselbe hat geglaubt, im Interesse der Sache zu handeln, wenn er bei dieser Gelegenheit auch dasjenige nicht unerwähnt lässt, was überhaupt geeignet ist, zum näheren Verständnisse des Zwecks und der Tendenz des Vereines beizutragen, indem gerade in dieser Beziehung noch Unklarheit und falsche Auffassung im größeren Publikum zu herrschen scheint.
Dem entsprechend soll hier zunächst

I. der Standpunkt, welchen der Verein in der Auswanderungsfrage einnimmt,

im Allgemeinen erörtert werden.

Im Jahre 1846/7 sind nach amtlichen Listen aus Preußen allein ca. 15.000 Personen mit einem Vermögen von 2.845.000 Thlr. ausgewandert *); aus ganz Deutschland betrug die Auswanderung in den letzten Jahren durchschnittlich gegen 80.000 Personen mit einem Vermögen, was man nach jenem Verhältnisse nicht unter 15 Millionen Thaler veranschlagen darf.

Alle die fortziehenden Kräfte und Kapitalien gehen Deutschland verloren.**) Teils finden die Auswanderer, nachdem ihre Hoffnungen sich als bittere Täuschung erwiesen, einen ruhmlosen Untergang in kalter, teilnahmsloser Umgebung, fern von der heimischen Erde, teils verschwinden sie in den fremden Nationalitäten und verstärken deren Arbeits- und Kapitalkraft in der Konkurrenz mit dem deutschen Mutterlande.

Dies sind die Tatsachen, welche uns vorliegen.

*) Nach den vom Geh.-Reg.-Rat Dieterici herausgegebenen „Mitteilungen des Statistischen Büros in Berlin“ pro 1849 Nro. 10., ist der genaue Stand der Zahlen folgender: Es wanderten aus vom 1. Oktober 1846 bis zum 1. Oktober 1847, 14.906 Personen; von diesen ist das Vermögen von 13.937 Pers. auf 2.659.930 Thlr. ermittelt worden. Rechnet man von den übrigen 969 Pers. die Durchschnittssumme von 191 Thlr. pro Kopf, so gibt dies 185.097 Thlr.; zusammen 2.845.009. – Für die Zeit vom 1. Oktober 1847 bis dahin 1848 sind allerdings nur 8.297 Pers. als Auswanderer verzeichnet, der Herausgeber sagt aber selbst, dass die Zahl der Auswanderer beträchtlich höher gewesen sein wird, weil wegen der herrschenden politischen Verhältnisse sehr Viele ohne obrigkeitlichen Konsens ausgewandert sind, und das Statistische Büro nur von denjenigen Kenntnis hat, welche diese Form erfüllt haben.

**) Im Jahre 1846/7 betrug das Kapital pro Kopf durchschnittlich 191 Thlr., im Jahre 1847/8 aber schon 309 Thlr. (Dieterici a. a. O.)

Sie sind wahrlich bedeutend genug, um jeden Vaterlandsfreund zur ernstesten Beachtung aufzufordern; denn dass es in dieser Weise nicht fortgehen darf, wenn dem Vaterlande nicht tiefe, vielleicht unheilbare Wunden geschlagen werden sollen, kann Niemand bezweifeln.

Auswanderungen aus Deutschland haben allerdings von jeher Statt gefunden, niemals aber in so massenhaftem Umfange, wie in der letzten Zeit. Forscht man nach der

Ursache dieser Erscheinung,

so darf man sich nicht durch die in der Presse vielfach vertretene Ansicht irre machen lassen, welche politische oder religiöse Missstände in die erste Reihe zu setzen geneigt ist. Diese Momente wirken allerdings wesentlich mit; bei der Mehrzahl der Auswanderer aber treten sie zurück. Für diese stellt sich der Druck der äußeren Lebensverhältnisse, namentlich Mangel an hinlänglichem Auskommen als das treibende Motiv heraus. Die auf dem Bureau des Vereins gesammelten, sehr genauen statistischen Notizen bestätigen dies bis zur Evidenz.

Es ist hier nicht der Ort, die Gründe zu untersuchen, weshalb einem großen Teile der deutschen Bevölkerung die Gelegenheit zu lohnender Beschäftigung mangelt. Die Erscheinung selbst aber wird nicht abgeleugnet, und eben so wenig behauptet werden können, dass die Mittel bereits gefunden seien, dieselbe in nächster Zukunft zu beseitigen.

Es tritt indes noch ein anderes Moment hinzu, ohne welches, ungeachtet der sozialen Unbehaglichkeit Vieler, die Auswanderung dennoch nicht in der gegenwärtigen Ausdehnung Statt finden würde. Dies ist die im Charakter des Deutschen beruhende Leichtigkeit, sein Vaterland aufzugeben, und sich andern Nationalitäten unter zu ordnen, Verbunden mit dem ihm inne wohnenden Wandertrieb.

Man kann nicht leugnen, dass auch bei andern Nationen sich Arbeits- und Verdienstlosigkeit findet, allein eben nur die germanischen Stämme suchen derselben durch Auswanderung aus dem Wege zu gehen, während andere entweder, in Apathie versunken, mit Resignation eine trostlose Zukunft über sich herankommen sehen, oder aber, aufgestachelt durch soziale Theorien, ihren volkswirtschaftlichen Zustand durch Experimente zu reformieren streben, welche geeignet sind, zur Auflösung der gesellschaftlichen und staatlichen Verhältnisse zu führen.

Solchen Aussichten gegenüber möchte vielleicht die Auswanderung noch als das geringere Übel erscheinen; ja es gibt Viele, welche dieselbe überhaupt als einen ganz natürlichen und deshalb unschädlichen Scheidungs-Prozess überflüssiger Kräfte und Kapitalien ansehen, den man weder hindern noch befördern müsse. Während Andere so weit gehen, in ihr das von der Natur gebotene Heilmittel gegen die Verdienstlosigkeit und Übervölkerung zu erblicken, und deshalb ihre möglichste Begünstigung in jeder Weise zu verlangen.

Bei näherer Prüfung erweisen sich indes diese Ansichten als vollkommen irrig.

Es ist ein großer Irrtum, vorauszusetzen, Deutschland habe überhaupt irgend einen Überfluss an Kapital. Im Gegenteil, der Mangel desselben bewirkt es, dass eine große Zahl von Verbesserungen, namentlich in der Landeskultur, nicht ausgeführt werden: dass Industriezweige, zu denen ein großes Anlagekapital gehört, dessen Zinsen aber, wenn gleich reichlich, doch nicht sogleich zu erwarten sind, nicht betrieben werden: dass wir überhaupt andern, mit größeren Kapitalien ausgerüsteten Nationen, in der Konkurrenz des Welthandels nicht begegnen können.

Ein ebenso großer Irrtum ist es, anzunehmen, dass Deutschland Überfluss an Arbeitskräften besitze. So lange noch Gegenden vorhanden sind, wo es an Menschen-Armen fehlt, muss dies bestritten werden. Solche gibt es aber erfahrungsmäßig noch viele, und deren Zahl wird sich in demselben Verhältnisse vermehren, als das Kapital-Vermögen der Nation wächst, und dadurch die Mittel geboten werden, die Arbeitskräfte lohnend zu verwenden. Nur ungleich und unzweckmäßig verteilt sind diese Kräfte.

(Fortsetzung unter I.)

Auswanderer Familien auf dem Treck

Auswanderer Familien auf dem Treck

Immer weiter Richtung Westen

Immer weiter Richtung Westen

Hamburg Hafenpartie

Hamburg Hafenpartie

Hamburg 011 Segelschiffhafen

Hamburg 011 Segelschiffhafen

Hamburg 013 St. Pauli-Landungsbrücken

Hamburg 013 St. Pauli-Landungsbrücken

05. The „Kaiserin Auguste Victoria“.

05. The „Kaiserin Auguste Victoria“.

06. Hamburg freighter at a pier, discharging.

06. Hamburg freighter at a pier, discharging.

08. Church in the emigrant village at Hamburg.

08. Church in the emigrant village at Hamburg.

09. The „Deutschland“

09. The „Deutschland“

Original Titelblatt

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