der politische Gesichtspunkt

der ins Auge zu fassen ist, und hier kommt sowohl die innere als die äußere Politik in Betracht. Zunächst sei die Wichtigkeit der Frage für

die innere Politik


angedeutet.

Wenn der Staat als solcher das höchste Interesse daran hat, seinen Bestand zu befestigen, seine Mitglieder glücklich und zufrieden zu sehen, und auflösende oder aufregende Elemente in die richtigen Bahnen zurückzuführen, so muss man gestehen, dass das Auswanderungs-Wesen, wie es bis jetzt Statt findet, gerade geeignet ist, diesen höchsten Zwecken der Selbsterhaltung des Staates auf eine sehr bedenkliche Weise entgegen zu wirken.

Es ist bereits oben anerkannt worden, dass Unzufriedenheit mit den politischen Zuständen des Vaterlandes für einen großen Teil der Auswanderer das Motiv ihres Schrittes ist.

Wenige von ihnen folgen dabei einem selbstständigen Urteil. In den meisten Fällen gibt auch hier materielles Unbehagen den ersten Anstoß, und erst durch die Presse und einzelne lokale Auswanderungs-Vereine, wo die angebliche Trostlosigkeit der politischen Zustände des Vaterlandes ein stehendes Thema bildet, und diese als einziger Grund aller sozialen Übel verkündet werden, lassen sich die Meisten unvermerkt dahin bringen, selbst zu glauben, dass die politischen Zustände des Vaterlandes sie nicht länger hier weilen ließen.

In dieser Beziehung sind gerade die kleineren, nur einen beschränkten Standpunkt einnehmenden Auswanderungsvereine in den Provinzen zu beachten. Schon von vorn herein meistenteils von Solchen hervorgerufen, denen die gegenwärtigen Zustände unerträglich sind, liegt es in der Natur der Sache, dass sie die unzufriedenen Elemente in ihrem Umkreise an sich ziehen, und eine Richtung verfolgen, die um so einseitiger sein muss, je niedriger der Bildungsgrad der Beteiligten oder je feiner die Berechnung der Leiter ist.

Das Gefährliche solcher Vereine liegt nun darin, dass bei Weitem die geringere Zahl der Beteiligten wirklich zur Auswanderung gelangt, dass aber die Zurückgebliebenen die empfangenen Eindrücke bewahren, bei ihnen der Same der politischen Unzufriedenheit fortwuchert, dass ihnen die in den Vereinsvorträgen oder durch die Auswanderungsschriften und Auswanderungs-Agenten gelehrten Ansichten, sowie die angeflogene oberflächliche und einseitige Kenntnis anderer, angeblich glücklicherer Länder sehr bald das Gefühl politischer Bildung und Überlegenheit gegenüber ihrer sonst mit ihnen gleichstehenden Umgebung gewährt, und sie so vorzüglich geschickt macht, wenn auch unbewusst, zersetzend in ihren Umgangskreisen zu Wirken, oder gar unlauteren Parteileidenschaften zu dienen.

Die in dieser Beziehung gemachten Erfahrungen sind von solcher Erheblichkeit, dass der Verein es für eine seiner Hauptaufgaben erachten muss, diesem wunden Flecke des Auswanderungswesens seine besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Es kann natürlich nicht davon die Rede sein, irgend wie eine politische Richtung vertreten zu wollen, vielmehr wird das Bestreben dahin gerichtet sein müssen, überhaupt der beschränkten Auffassung der Frage von dem rein politischen Standpunkte aus entgegen zu treten, die Ansichten aufzuklären, den höheren national-ökonomischen Gesichtspunkt zur Geltung zu bringen, und in diesem Sinne auf die Presse und die einzelnen Auswanderungsvereine zu wirken. Aber auch für

die äußere Politik

ist eine richtige Auffassung der Auswanderungsfrage von der größten Bedeutung.

So lange Deutschland noch nicht zu einem organischen Ganzen verbunden ist, sind wir leider gezwungen, auch unsere Beziehungen zu andern deutschen Ländern, namentlich diejenige Preußens zum südlichen Deutschland, unter dieser Rubrik abzuhandeln.

Erfahrungsmäßig ist der Drang nach Auswanderung im Südwesten Deutschlands unverhältnismäßig stärker, als im Norden.

Der Norden, einerseits mit seinen Häfen und über seeischen Verbindungen, andererseits mit seinen noch spärlich bebauten und doch kulturfähigen Flächen, müsste deshalb naturgemäß vielfache Gelegenheit für Kolonisationsgesellschaften gewähren, und so Central-Punkte auch für Arbeits- und Kapitalkräfte des Südens hervorrufen, in denen sich süddeutsche Lebendigkeit und Tatkraft mit norddeutscher Vorsicht und praktischer Erfahrung ausgleichen.

Wird die Idee der Kolonisation vernünftig und mit Umsicht ausgeführt, so kann es nicht ausbleiben, dass dieser Erfolg in der Tat erreicht wird. Dass damit aber nicht bloß ein materieller Vorteil für den Norden erzielt, sondern auch seine politische Bedeutung gehoben würde, ohne dass dem Süden dabei irgend Eintrag geschähe, bedarf wohl nur einer Andeutung.

Hiermit hängt ein anderes Verhältnis zusammen.

Bekanntlich ist, bis jetzt wenigstens, die Handelspolitik Norddeutschlands nicht dieselbe mit derjenigen Süddeutschlands; in einigen Punkten, namentlich in der Frage über Freihandel oder Schutzzölle, stehen sich Beide sogar gewissermaßen feindlich gegenüber.

Nichts würde aber mehr geeignet sein, die Richtigkeit der gegenseitigen Grundsätze zu prüfen und die praktischen Proben an theoretischen Sätzen zu machen, als die Ausführung eines ausgedehnteren Kolonisations-Systems in dem Sinne, wie der Begriff oben entwickelt worden ist.

Es ist dabei im Auge zu behalten, dass der Norden Deutschlands durch seine Lage am Meer vorzugsweise geeignet sein wird, in Bezug auf den überseeischen Handel sein Gewicht geltend zu machen, und dass er deshalb um so mehr auf eine objektive Prüfung der Prinzipien eingehen kann, ohne dem Süden Raum für den Vorwurf eines Sonderinteresses zu geben.

Wir können uns nicht versagen, in Bezug auf den Einfluss, den eine umsichtige Behandlung der Auswanderungsfrage auf die gesamte politische Gestaltung Deutschlands ausüben könnte, hier die Worte mitzuteilen, welche gerade aus Süd-Deutschland (Stuttgart) eine hochgeachtete Persönlichkeit in diesen Tagen an ein Mitglied des Verwaltungsrats geschrieben hat.

„Glauben Sie mir,“ schreibt er, „so lächerlich es klingen mag, hätte die Preußische Regierung die Deutsche Auswanderungs- und Kolonisations-Angelegenheit vor zwei Jahren ergriffen, die Wenigen, die mit der Sache vertraut sind, zur Ausführung gezogen, das Vaterland nicht in die engen Grenzen gezwängt; die Einigung Deutschlands wäre schon weiter vorgeschritten. Naturgemäß hätte sich ein Deutschland aus Preußen entwickelt, und die Antipathien, welche in einigen Gegenden Deutschlands gegen Preußen herrschen, wären von selbst neutralisiert worden. Hat denn dort keiner Ihrer Staats-Männer solch diplomatischen Scharfblick, die scheinbar dem Gesamtvaterlande schadende Neigung zum Wohle des Vaterlandes zu benutzen?“

Endlich aber wird denn doch auch Niemand in Abrede stellen können, dass eine wohl organisierte deutsche Kolonisation in überseeischen Ländern die politische Macht des Vaterlandes auch dem wirklichen Auslande gegenüber entschieden heben müsste.

Zunächst wird dieselbe die beste Schule für eine achtungsgebietende Deutsche Marine bilden, indem sie dieser Gelegenheit zu einer stätigen und für das Vaterland fruchtbaren Tätigkeit gewährt. Daran knüpfen sich aber noch weitere politische Rücksichten von der höchsten Bedeutung.

Die Frage: wie dem deutschen Mutterlande es möglich gemacht werde, deutsche, unter fremder Souveränität entstandene Kolonien zu schützen, ist bisher nur unvollkommen gelöst worden, weil man immer von dem beschränkten Gesichtspunkte auszugehen pflegte, dass dieser Schutz sich aus schließlich auf die einzelne Kolonie zu beziehen habe. In dieser engen Begrenzung wird freilich immer nur ein unvollkommenes Resultat zu erzielen sein, weil in den meisten Fällen sowohl der Rechtstitel als das politische Motiv mangeln wird, zu Gunsten dieser Kolonien der fremden, die Souveränität ausübenden Macht (dem Einwanderungs-Staate) entgegenzutreten.

Der Gegenstand muss aber von einem höheren Gesichtspunkte aufgefasst werden.

Der Schutz muss sich auf den gesamten Einwanderungs-Staat beziehen.

Es ist bereits oben angedeutet, dass die deutsche Kolonisation um so kräftiger gedeihen wird, je schwächer die nationalen Elemente und die politische Macht der Einwanderungsstaaten ist. Wir haben in dieser Beziehung auf die unabhängigen Staaten Mittel- und Süd-Amerikas hingewiesen.

Diese Staaten fühlen sehr wohl ihre politische Schwäche gegenüber den englischen und nordamerikanischen Kolossen, und sind mit ängstlicher Eifersucht bemüht, sich den politischen Einflüssen derselben zu entziehen.

Mit Freuden würden sie daher Schutz- und Trutzbündnisse mit Deutschland oder beziehungsweise mit Preußen eingehen, zumal bei ihnen mehr als irgendwo eine Vorliebe für den deutschen Charakter herrscht; vielleicht noch eine traditionelle Beziehung aus jenen Zeiten, wo ruhmvolle Herrscher die deutsche Kaiser Krone mit der Krone von Spanien auf ihrem Haupte vereinigten.

Dies ist keine Vermutung, sondern ein Gedanke, welchen man namentlich in Mittel-Amerika mit großer Vorliebe aussprechen hört. Findet aber ein solches Schutz- und Trutzbündnis einmal Statt, dann bedarf es wohl keiner weiteren Ausführung, in welches Verhältnis die deutsche Nacht zu diesen Staaten treten muss. Deutschlands Stellung unter den Europäischen Großmächten sichert ihm auch bei einer erst entstehenden Marine, diejenige Anerkennung, welche zum Amte einer Schutzmacht erforderlich ist. Zugleich aber wird ihm ein überwiegender Einfluss auf die politische Entwicklung der einzelnen geschützten Staaten nicht entgehen können, und in dieser Stellung wird es in direkt befähigt sein, alles für die deutsche Kolonisation in jenen Staaten zu tun, was irgend in seinem Interesse liegt.

Überhaupt fordert die Verbindung einer deutschen Marine mit dem deutschen Auswanderungswesen zu Kombinationen auf, deren Tragweite sich gar nicht berechnen lässt, und wo für schöpferische Geister ein Feld sich eröffnet, welches fruchtbar ist für reiche Ernten eines ewigen Nachruhms.

Wahrlich, der müsste wohl kein Herz haben für die Größe und den Ruhm seines deutschen Vaterlandes, der nicht, solchen Aussichten gegenüber, freudig die Hand bieten wollte, dieses hohe Ziel mit Eifer zu erstreben.

Auch für den Verein ist die Auffassung der Auswanderungsfrage in Beziehung auf die politische Stellung des Vaterlandes nach Außen ein Moment, dessen Wichtigkeit er im ganzen Umfange anerkennt.

Seine Wirksamkeit in dieser Beziehung wird freilich vorzugsweise nur in dem Einfluss bestehen, den er auf die Öffentliche Meinung auszuüben vermag. Diese aber ist ein gar mächtiges Element, sei es nun, dass die Lenker der politischen Geschicke unsers Vaterlandes dadurch getrieben oder getragen werden.

Es bleibt zuletzt noch übrig, einen Gesichtspunkt zu erwähnen, der bei der Erörterung der Auswanderungsfrage ebenfalls nicht außer Acht gelassen werden darf. Dies ist

c. der philanthropische Gesichtspunkt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsche Auswanderung und Kolonisation.