Siebente Fortsetzung

In ganz ähnlicher Weise wie bei Polen wird durch ein Bündnis mit Russland die Stellung Österreichs in Italien kompromittiert. Der wichtigste Rechtfertigungsgrund des österreichischen Regimentes und Einflusses in Italien ist die Notwendigkeit, die Halbinsel, namentlich den nördlichen für Österreich und Deutschland strategisch wichtigen Teil derselben der französischen Herrschaft zu entziehen. Kann nun Österreich bei den Italienern russischer Tendenzen auch nur verdächtigt werden, so wird ihr nationaler Hass gegen den Kaiserstaat noch durch politische Furcht gesteigert, und die Stellung Österreichs ist erschwert und gefährdet. Im höchsten Grade muss dies eintreten, wenn sich Österreich mit der russischen Politik verbündet. Dadurch vereitelt es sich selber die Möglichkeit, die Sympathien Italiens zu gewinnen, drängt dieselben neuerdings und stärker zu Frankreich hin, und setzt sich der Gefahr aus, endlich seine italienische Stellung doch zu verlieren, und zwar auf die allergefährlichste Art, nämlich an Frankreich.

Ganz klar ist es endlich, dass die Verhältnisse der Türkei und besonders der türkischen Donauländer Russland zum gefährlichen Nachbar und Gegner Österreichs machen. Der endliche Sturz des türkischen Reiches wird durch alle diplomatischen Künste nicht zu verhindern sein. Ich habe es schon an einem andern Orte gesagt und wiederhole es hier, dass diese diplomatischen Bemühungen, die Türkei aufrecht zu erhalten, jenen galvanischen Experimenten gleichen, durch die man einen Leichnam zu widerlichen Lebenszuckungen bringt. Gewiss ist es, dass diejenige Politik falsch ist, die auf den Bestand der Türkei spekuliert. Man muss auf den Zerfall derselben vorbereitet sein. Russland hat dies längst erkannt und vortrefflich benutzt. Es hat sich die Sympathie der griechischen Bevölkerung erworben und erscheint zugleich den Völkern der Türkei als die gewaltigste unwiderstehlichste Macht Europas. Die Götter werden dadurch mehr und mehr dahin gebracht, es für ihr Verhängnis zu halten, russisch zu werden. Österreich dagegen hat sich den Hass der Griechen und die Verachtung der Türken zugezogen. Es erscheint den türkischen Völkern als so schwach, dass man von ihm nichts zu hoffen und nichts zu fürchten hat. Das Schutzverhältnis, in welchem sich Österreich eben jetzt zu Russland befindet, vernichtet natürlich den letzten Rest seines Ansehens. Schließt nun Österreich ein bleibendes Bündnis mit Russland, so wird dies offenbar nur als eine Fortsetzung des Schutzverhältnisses erscheinen. Dann werden die türkischen Völker annehmen, Österreich selber sei schon an Russland gekommen, sie werden glauben, was ihnen die russischen Agenten sagen, dass der Zar der Herr der Welt sei, und in der Stande der Entscheidung wird Russland triumphierend ernten, was es schlau gesät, und was ihm Österreich gepflügt hat. Dann ist Österreich nicht im Stande, die Donauländer zu retten. Und es gab Zeiten, wo die Bewohner dieser Länder sich nach der Vereinigung mit Österreich sehnten, und Österreich hätte kraft ungarischen Kronrechtes diese Länder längst für sich in Anspruch nehmen sollen! Österreich bis an den Balkan! sollte der Wahlspruch der österreichischen Politik sein. Um ihn aber erfüllen zu können, müsste Österreich gerüstet sein, mit Russland den Entscheidungskampf zu kämpfen. Die Verhältnisse jener Länder lassen keine Freundschaft zwilchen Russland und Österreich zu. Wenn der Sohn des russischen Kaisers auf dem österreichischen Thron säße und umgekehrt, an der Donau müssten sie sich feindlich gegenüber stehen. Die Interessen aber, die in jenen Gegenden in Frage stehen, sind für Österreichs politische, militärische und kommerzielle Stellung Lebensinteressen.


Betrachten wir zum Schluss noch den kühnsten Gedanken der russischen Politik — die Stiftung eines Weltreiches. Dieser Gedanke bezieht sich nicht bloß auf ein allgemeines Slawenreich, sondern schwärmt von der Beherrschung Europas. Wir haben oben das Wort Peters des Großen angeführt, und es erhält seine Begründung durch den bekannten Ausspruch Napoleons, dass Europa entweder republikanisch oder kosakisch werden muss. Da eben jetzt die Republik überall in Europa, selbst in der Republik Frankreich kläglich Fiasko gemacht, und dagegen die Kosaken hereinströmen, um dem Weltteil Ruhe und Ordnung zu verschaffen, so scheint der Gedanke der russischen Weltherrschaft seiner Realisierung näher zu sein als je. Man zittert auch allenthalben vor dieser Herrschaft. Ich meines bescheidenen Teils erlaube mir, an der Möglichkeit einer russischen Suprematie über Europa zu zweifeln. Mir erscheint die russische Macht nicht so allmächtig, ich teile vielmehr die Meinung derjenigen, die da sagen, Russland sei ein Koloss, der auf tönernen Füßen steht. Ich unterschreibe wörtlich, was ein alter anonymer Pelitikus sagt: „Russland wird das immerzu bleiben, was es immerzu war: eine ephemerische Macht, Sein Schicksal muss, es wusste sich denn die bekannte Ordnung der Dinge ändern, genau jenes sein, welches die Natur allen zu weitschichtigen Staaten bestimmt, nämlich: eine Zeit lang eine gewisse Illusion zu machen und dann entweder unter seinem eigenen Gewichte oder unter der Faust seiner Nachbarn einzustürzen.“ — Allein ungeachtet dieser Überzeugung glaube ich, dass Russland sich selber die ehrgeizige Illusion machen wird, die Herrschaft in Europa anzustreben. Es wird in dieser Anmaßung zusammenstürzen, sowohl unter seinem eigenen Gewichte, als unter der Faust der empörten Völker Europas. Aber seine Bundesgenossen werden sein Schicksal teilen, und ist dann Österreich der Bundesgenosse Russlands, so wird es zuerst von dem Gewicht des Zarentums erdrückt und dann von der Faust der fremden und der eigenen Völker zertrümmert werden. —

In aller und jeder Beziehung sehen wir also, dass Österreich durch ein Bündnis mit Russland sich ins Verderben stürzen würde. Und doch zwingt eben die von Russland drohende Gefahr Österreich, sich einen starken Bundesgenossen zu suchen. Es braucht ihn aber nicht zu suchen, es hat ihn durch die Natur, durch die Geschichte, durch den Willen Gottes an Deutschland. Deutschland ist das Vaterland Österreichs, dort sind die starken Wurzeln seiner Kraft. Die Missverständnisse des Augenblicks können die ewige Notwendigkeit nicht aufheben. Die Form der Vereinigung wird sich finden, wenn man sie mit klarem Geiste und redlichem Herzen sucht. Auch für die nichtdeutschen Österreicher ist die Verbindung mit Deutschland das einzige Heil. Das germanische Föderativsystem Deutschlands garantiert namentlich den Vorderslawen ihre selbständige Entwicklung, während ihnen von Russland die nationale und kirchliche Universal-Despotie droht.

Wer dies alles verständig und herzlich erwägt, der wird die Wahrheit anerkennen, dass Österreich deutsch sein muss, wenn es nicht russisch werden und sich dadurch selber vernichten will.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsch oder Russisch?