Sechste Fortsetzung

Österreich hat einen hohen Beruf. Als das Ostreich Europas soll es der starke Grenzhüter der Bildung und Freiheit und zugleich der Apostel sein, der das Evangelium der Freiheit den fremden Völkern verkündigt. Diesen Beruf hat es im Namen, zum Ruhme und durch den Geist Deutschlands. Oft hat es diesen Beruf vernachlässigt; er ist aber noch nicht von ihm genommen worden. Die Vorsehung liebt es, diejenigen, welche sie zu großen Zwecken auserkoren, mit langmütiger Milde zu betrachten. Wenn aber fortwährend gegen den innersten Beruf gefrevelt wird, dann wirft die Vorsehung das untaugliche Werkzeug weg und zertrümmert es. —'

Wie das deutsche, so widerstrebt auch das slawische Element Österreichs einem Bündnis mit Russland.


In Österreich leben über 16 Millionen Slawen. Es sind größtenteils diejenigen Stämme, von denen Hegel sagt, dass sie bereits für die westliche Vernunft gewonnen sind. Eben dadurch aber und nur dadurch sind sie auch für Österreich gewonnen. Sic halten zu demselben, weil sie der Güter der westlichen Vernunft teilhaft werden wollen. Die Liebe zur geistigen, politischen und religiösen Freiheit ist in diesen Slawen so groß, dass dadurch ihrem Nationalgefühl das Gleichgewicht gehalten wird. Sie wollen Österreicher bleiben um nicht Russen zu werden. Gibt sich nun Österreich selber gänzlich zu Russland hin, so zerreißt es das einzige Band, welches seine Slawen mit ihm zusammenhält. Wenn diese die hohen geistigen und politischen Güter, nach welchen sie sich sehnen, durch den österreichischen Staatsverein nicht garantiert, sondern sogar gefährdet sehen, so kommt zu ihrer nationalen Abneigung gegen diesen Staatsverein noch die politische Abneigung. Sie sehen sich dann durch zwei mächtige Beweggründe zu dem Versuche hingedrängt, sich von Österreich zu trennen und selbständige Staaten zu gründen; wodurch sie offenbar an der Vernichtung Österreichs und für die Vergrößerung Russlands arbeiten.

Es ist ferner eine erwiesene Tatsache, dass unter den Slaven Österreichs auch eine bedeutende Partei ist, welche mit Russland sympathisiert und lieber die „russische Knute als die deutsche Freiheit“ will. Durch diese Partei hatte Russland schon längst, bevor seine Truppen bei uns einrücken, seine Vorposten mitten in Österreich. Dieser Partei wird nun offenbar in die Hände gearbeitet, wenn sich Österreich bleibend und durchgreifend mit Russland verbündet. Dann könnte es geschehen, dass sich plötzlich mitten in Österreich ein förmliches Russland erhöbe, wozu ohne Zweifel die nationalen nicht nur, sondern, was sehr wichtig ist, auch die kirchlichen Elemente sich vorfinden, und was das Ministerium ohnehin schon bei seiner Schöpfung Rutheniens sehr zu fürchten hat.

Endlich kommt hier auch noch die vielbesprochene Idee des Panslavismus in Betrachtung. Ich meinesteils fürchte diese Idee nicht. Ich halte den Panslavismus für ebenso unmöglich, wie einen Pangermanismus, d. h. eine Vereinigung — nicht des in viele Staaten zerrissenen Einen deutschen Volkes, sondern eine Vereinigung aller germanischen Völker, der Deutschen, Schweden, Dänen, Holländer, Engländer zu einem einzigen germanischen Reich. Allein ganz müßig ist die Betrachtung des Panslavismus keineswegs. Denn während an einen Pangermanismus niemand denkt, beschäftigt der Panslavismus nicht nur die Gedanken vieler Köpfe, sondern es wird bereits an der Realisierung dieser Gedanken gearbeitet. Man hat allen Grund zu fürchten, dass der Versuch gemacht werden wird, den Panslavismus durchzuführen. Ich sage, man hat Grund dies zu fürchten, denn schon in dem Versuche dieses Unternehmens liegt für Österreich eine höchst gefährliche Bedrohung seiner Existenz.

Es ist kein Zweifel, dass das panslavistische Experiment bis zu einem gewissen Grade gelingen werde; ja durch das Dasein Russlands ist es zu einem großen Teile bereits gelungen. Da nun diese mächtige Autokratie an der Spitze des Slawismus steht, und die slawischen Völker ihrem Charakter nach sehr zu asiatischer Zentralisation und Einförmigkeit des politischen Lebens hinneigen, so hat der Panslavismus, wie gesagt, immer einige nicht unbedeutende Aussicht auf zeitweiligen und teilweisen Erfolg. Einer dieser teilweisen Erfolge aber könnte offenbar die Verschlingung der größeren Hälfte von Österreich sein. Schließt nun Österreich ein dauerndes Bündnis mit Russland, wodurch es diesem die Millionen der österreichischen Slawen geradezu in die Arme führt, so reiht sich dadurch der deutsche Kaiserstaat unter die tätigsten und eifrigsten Panslavisten ein! —

Zu einer besonderen Betrachtung bei unserer Frage fordert Polen auf.

Ich bin noch immer der festen Überzeugung, dass Österreich seinen Anteil von Polen nur insofern mit einiger Rechtfertigung besitzt, als dadurch verhindert wird, dass auch noch dieses Stück von Polen russisch werde. Solang dieses zu fürchten ist, muss Österreich Galizien mit aller Macht behaupten; sobald aber die Herstellung eines selbständigen Polens möglich ist, wird es für Österreich. — ganz abgesehen von der in politischen Dingen leider selten zählenden Gerechtigkeit — ein Gebot der Klugheit, Galizien (natürlich mit Einschluss Rutheniens) frei zu geben. Die Mehrzahl der Polen in Österreich teilt diese Überzeugung. Sie gestehen zwar offenherzig, dass sie nicht daran denken, für ewige Zeiten Österreicher zu bleiben, dass sie aber freiwillig so lange bei Österreich bleiben wollen, bis die Gefahr, russisch zu werden, beseitigt und die Möglichkeit der Wiedergeburt Polens eingetreten ist. Sie wollen bei Österreich bleiben, weil sie von ihm Gewährung staatsbürgerlicher Freiheit und Achtung ihrer Nationalität hoffen. Eine andere Zuneigung für Österreich wird wohl niemand von den Polen fordern. Diese Zuneigung nun muss natürlich in eben dem Grade schwächer werden, als die Hoffnung, welche die Polen auf ihre Verbindung mit Österreich setzen, illusorischer wird. Da die Polen nur deshalb österreichisch bleiben wollen, damit sie nicht russisch werden, so muss im Falle, als Österreich selber russisch würde, jede Sympathie der Polen für Österreich erlöschen. Dann werden immer mehr und mehr Polen von der Idee ergriffen werden, die schon jetzt eine sehr mächtige Propaganda bildet, nämlich die Idee, dass die Polen sich mit entschiedener Energie in die Arme Russlands werfen sollen, um dadurch, wenn auch nicht zur Herstellung des alten Polenreiches, so doch zur geistigen Herrschaft über Russland selbst zu gelangen. Diese Idee ist in der Tat keine phantastische.

Wenn die zwanzig Millionen Polen mit offener Entschiedenheit den Interessen Russlands hingeben, so unterliegt es keinem Zweifel, dass nach einigen Menschenaltern das polnische Element in Russland das vorherrschende wird, weil die Polen den Russen in jeder geistigen und sozialen Beziehung weit überlegen sind. Man bedenke nur, dass kaum eine Million Deutsche in Russland leben und dass dennoch das deutsche Element im Staats-, Kriegs-, Industrie, Wissenschafts- und Kunstleben Russlands eine maßgebende Rolle spielt. Wenn nun die Polen sehen, dass sie ungeachtet der Verbindung mit Österreich dennoch russischen Interessen dienen müssen, weil Österreich sich an Russland der, gibt, so werden sie um so geneigter werden, sich an Russland anzuschließen, als dorthin der Zug des Slawismus geht, und von Seite Russlands die glänzendsten Verheißungen nicht gespart werden, um die Polen zur freiwilligen Ergebung zu bewegen. Die Idee einer solchen Vereinigung hat, wie gesagt, schon sehr viele Proselyten unter den Polen gemacht. Ein begeisterter Apostel dieser Idee ist vor allen Mizkiewiez. Er verlangt mit fanatischem Eifer, dass die Polen sich mit den Russen vereinigen sollen, und zwar, was die Gefahr für Österreich und Deutschland ungemein steigert, durch Vermittlung der französischen Bildung und Freundschaft. Hören wir dazu – um von vielen Zeichen nur eins anzuf?hren, was ein polnischer Edelmann im Jahre 1846 an Metternich schrieb: „ . . . . . . .“ Betrachten wir neben diesem Geständnis eines Polen noch das stolze Wort, welches Peter der Große seinen Nachfolgern und den Slawen als Kampfruf hinterlassen und welches lautet: „. . . . . . .“ Man sieht hieraus, dass dem durch Russland vertretenen Panslavismus nicht bloß Bajonette und Kanonen, sondern auch begeisterte und begeisternde Ideen dienen. Trägt nun Österreich dadurch, dass es sich durch ein Bündnis den russischen Interessen und Projekten dienstbar macht, dazu bei, dass die Polen sich der russisch-panslawischen Propaganda, wenn auch für egoistische Zwecke hingeben, so vollendet es das, was niemals hätte begonnen werden sollen, nämlich die Verschmelzung Polens mit Russland, wodurch Österreich und Deutschland recht eigentlich bis ins Herz tödlich verwundet würden.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsch oder Russisch?