Dritte Fortsetzung

Die Gegner Metternichs, der durch die Preisgebung der Donau und der Südgrenze Österreichs wahrlich Hochverrat verübt hat, behaupteten, er sei im Solde Russlands. Ich konnte mich nie mit diesem Urteil einigen. Metternich erkannte die russische Gefahr für Österreich sehr gut. Schon im Jahre 1813 sagte er: „Wir fürchten nicht mehr Frankreich, sondern Russland.“ Die Anstrengungen, die er 1828 machte, um den Siegeslauf der Russen vor Konstantinopel zu hemmen, sind offiziell bekannt worden. Die Ursache der unglücklichen Politik Metternichs war seine Furcht vor der Freiheit der Völker, sein träges Festhalten am hergebrachten Schlendrian, sein gänzlicher Mangel an positiver Tatkraft. Er fürchtete Russland, aber er bewunderte und beneidete es zugleich, während ihm das geistig aufgeregte Deutschland ein Gegenstand der ängstlichsten Besorgnis war. So klammerte er sich dann, obwohl seine bessere Einsicht dagegen war, immer fester an Russland an, dort sah er die einzige und letzte Stütze des Absolutismus und hoffte zugleich, dass die Gleichheit des Staatssystems den Widerstreit der Interessen beider Staaten ausgleichen würde. Allein es war wohl das System beider Staaten gleich, nicht aber die Art und Weise der Durch- und Ausführung des Systems. Der Despotismus Metternichs war gedankenlos, träg und feig, während der russische Despotismus erfinderisch, rastlos, tätig und kühn ist. Überdies war Metternich so kindisch, sich auch damit zu trösten, dass Nesselrode sein Schüler und Freund war! So sank Österreich in der Tat, noch mehr aber in der Meinung der Welt zum von Russland abhängigen Staat herab. Mächtig wirkte dies auf das Gemüt der österreichischen Völker; es trug wesentlich dazu bei, dass sich endlich der Volksgeist gegen das alte System empörte.

Mit dem Sturze Metternichs schien der alte böse Zauberbann, der auf Österreich gelastet, gebrochen. Nach langer Verirrung schien Österreich den rechten Pfad wieder zu finden, der es in das Mutterland heimführte. Leider blieb diese freudige Erscheinung bloßer Schein.


Die Irrtümer und Fehler, welche aus der langen Entfremdung Österreichs von Deutschland und aus dem oft beklagten Mangel eines österreichischen Staatsbewusstseins entsprangen, waren Ursache, dass die deutsche Bewegung in und für Österreich verderblich wurde.

In Deutschland „draußen“ — wie wir Österreicher bis dahin zu sagen pflegten — jubelte man zwar über die Erhebung und Befreiung Österreichs, man empfing die zum Fünfziger-Ausschuss kommenden Österreicher mit rührender Zärtlichkeit; aber man hatte zu sehr verlernt, das ganze Österreich als durch die wichtigsten politischen Interessen mit Deutschland verbundenen Teil Deutschlands zu betrachten; man jubelte über das neue freie Österreich, sympathisierte aber noch weit mehr mit allen Bestrebungen, welche auf die Vernichtung Österreichs hinarbeiteten. Man vergaß gänzlich, dass ein bloß aus den alten Erbländern bestehendes Österreich nicht Österreich an und für sich und noch weniger jenes Österreich wäre, welches Deutschland für seinen politischen Bestand zwischen Frankreich und Russland und für seine künftige Entwicklung, notwendig braucht. Das Urteil Deutschlands über seine Beziehungen zu Österreich war sehr kurzsichtig und geradezu unpolitisch. Kein anderes Volk der Erde würde so geurteilt, seine Interessen so sehr verkannt haben; nicht die konstitutionellen Engländer, nicht die republikanischen Franzosen, ja nicht einmal die praktisch-demokratischen Nordamerikaner. Selbst diese würden in einem ähnlichen Falle vor aller Welt erklärt haben: diese Ländergebiete brauchen wir zur Bewahrung und Rundung unserer Grenzen, zur Erweiterung unsers Handels u. s. w., wir müssen sie behaupten. Den Bewohnern geben wir alle Freiheit, die wir selber genießen; aber sie müssen bei uns bleiben. So würde jedes politische Volk sprechen und handeln. Wären Frankreich, England oder Nordamerika an der Stelle Deutschlands im Verhältnis zu Österreich gestanden, sie würden Armeen aufgeboten haben, um Österreich in der Behauptung seines Gebietes zu unterstützen. Deutschland dagegen schien nichts angelegentlicheres zu haben, als Österreich zu zertrümmern. Früher, als Österreich das Bleigewicht am Vorschritt Deutschlands war, konnte die Vernichtung dieser Monarchie als Recht und Pflicht erscheinen; nun aber war Österreich frei, freier als das übrige Deutschland, und man jubelte auch darüber, nichtsdestoweniger aber sollte Österreich — gleichsam zur Belohnung für seine Erhebung — aus der Reihe der Staaten verschwinden. Die vom Augenblick beherrschte Politik Deutschlands war so schwachsinnig sentimental, dass man mit wahrer Verschwendungswut Länder wegwerfen wollte, die man im natürlichen Entwicklungsgang um jeden Preis wieder erobern müsste, wenn Deutschland seinen östlichen Beruf erfüllen und nicht gänzlich von Russland überflügelt werden soll. Man ging in Deutschland mit romantischer Vorliebe in die alte Kaiserzeit zurück; trat aber zu gleicher Zeit gerade das deutsche Kaiserland mit Füßen, und was man von dem kleinsten Duodezstaate nicht verlangte, das mutete man dem Kaisertum Österreich zu, — dass es mit verbundenen Augen und gefesselten Armen demütig erwarten sollte, was die norddeutschen Professoren und Büreaukraten über dasselbe verfügen würden! — Eine solche Politik konnte nur zur Entzweiung führen.

Ebenso groß waren die Fehler und Irrtümer der Deutschen in Österreich, die von den nicht deutschen Österreichern eifrig benützt wurden. Hier zeigte sich recht die schreckliche Wirkung des alten Systems, unter welchem Österreich nichts war als eine büreaukratisch und militärisch zusammengeknetete Ländermasse ohne jegliches politisches Bewusstsein. Früher halten diejenigen, welche den Geist Österreichs repräsentierten — und das waren die freisinnigen Deutschen — das absolute System gehasst und bekämpft; jetzt, nachdem eben die Deutschen dieses System gestürzt halten, wendeten sie den Hass und Kampf gegen Österreich, also in der Tat gegen sich selbst. Ich will dies Verfahren durch ein Gleichnis bezeichnen. Durch fremde Misshandlung, die er knechtisch feig erduldete, war jemand in lebensgefährliches Siechtum verfallen. Endlich erhob er sich mit physischer und moralischer Kraft, befreite sich von der Ursache des Übels und hätte nun ein gesundes, frohes und freies Leben beginnen können. Aber nun tötete er sich selbst, weil er denn doch einmal von jenem Siechtum befallen gewesen oder vielleicht wieder davon ergriffen weiden könnte. So ging es mit Österreich. Durch Despotismus und Servilismus war es tödlich siech geworden. Da erhob es sich mit physischer und moralischer Kraft, machte sich frei und hätte nun gesunden und seinen schonen Lebensberuf kräftig beginnen können. Allein nun sollte es zertrümmert werden, weil es denn doch einmal vom Siechtum des Despotismus befallen gewesen und von demselben vielleicht wieder ergriffen werden könnte. — Anstatt mit allen Kräften an der gänzlichen. Ausrottung des Despotismus zu arbeiten, wollte man Österreich selbst aus der Geschichte ausrotten, und arbeitete dadurch nicht für, sondern gegen die kaum errungene Freiheit. Ein merkwürdig bezeichnender Zug der damals herrschenden Gedankenverwirrung war es, dass die Wiener Demokraten mit Pathos verkündigten, Österreich werde fortan der starke Hort der Freiheit sein, dass sie aber zu gleicher Zeit mit wahrhaft tollem Eifer an der Zertrümmerung dieses Hortes der Freiheit arbeiteten! Für diese Demokraten war es genug, dass irgend jemand erklärte, er wolle nicht bei Österreich bleiben. Dann hatte er auch das heilige Recht, sich zu trennen, ja Österreich sollte ihn dabei noch unterstützen. Diese Demokraten hätten von Österreich so viel weggegeben, dass zuletzt nichts als Wien übrig geblieben wäre. Ja noch mehr, wenn es etwa den Altlerchenfeldern eingefallen wäre, es für eine unnatürliche politische Trennung zu erklären, dass zwischen Alt- und Neulerchenfeld der Liniengraben laufe, wenn sie erklärt hätten, das widerrechtlich zerstückelte Lerchenfelder Volk wolle sich vereinigen und eine nationale, demokratische, soziale Republik bilden, so würden sich in Wien Demokraten gefunden haben, die es für eine Verletzung des ewigen göttlichen Menschenrechtes erklärt hätten, das Verlangen der Lerchenfelder nicht zu erfüllen. Man wird dies bitter finden, aber es ist nicht bitterer, als was ich vor dem März 1848 gegen Metternich und seine Partei geschrieben. Ich habe ein Recht gegen jene Demokraten ebenso bitter zu sein, wie gegen die Absolutisten, denn diese haben keine eifrigeren Diener gehabt als jene Demokraten. Ich bin Demokrat in allem, was die bürgerliche und menschliche Freiheit, die Gleichheit vor dem Gesetz, die Souveränität des Volkes betrifft. Aber eben um diese demokratische Freiheit für die Völker Österreichs zu behaupten, die vereinzelt fremdem despotischen Einfluss preisgegeben wären, um ferner solche volksrechtliche Freiheit auch über die Grenzen Österreichs zu verbreiten, deshalb will ich ein großes mächtiges Österreich. So habe ich vor dem März, so habe ich im Mai und August öffentlich gesprochen. Und selbst im Oktober habe ich diese politische Überzeugung nie verleugnet. Ich fürchte mich persönlich weder vor den monarchistischen, noch vor den demokratischen Ultras — sondern ich Hasse beide gleich stark um der guten Sache willen.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Deutsch oder Russisch?