Zweite Fortsetzung

Am folgenden Tage bezog ich die für mich im kaiserlichen Schloss eingerichteten Zimmer. Von da an begann meine Teilnahme an den Geschäften in all' den großen Angelegenheiten, welche Kaiser Alexanders Regierung verherrlicht haben. Schon begann in allen Gemütern die Macht des Napoleonischen Namens vor der Hoffnung zu weichen, sich von dem verhassten Joche befreien zu können. Dem Kaiser Alexander war es beschieden, diese Hoffnung zu verwirklichen. Am 1. Dezember überschritten die russischen Heere an mehreren Stellen die preußische Grenze. Das kaiserliche Hauptquartier folgte dem Armeekorps, welches in Altpreußen einrückte. Sobald wir das preußische Gebiet betraten, erschien der Freiherr von Stein bei uns, dem der Kaiser die Verwaltung des von uns besetzten Landes übertrug. Er begab sich in Folge dessen nach Königsberg und setzte dort eine provisorische Regierung unter dem Vorsitz des Geheimrats Schön ein. Wir waren noch nicht ins Herzogtum Warschau eingerückt, als Graf Wartenberg dem Kaiser ein Schreiben von dem König von Preußen überbrachte. Letzterer, noch von französischen Heeren umgeben, hatte seinem Gesandten aufgetragen, die peinliche Lage zu schildern, in der er sich befände, und zugleich ihm über die ferneren Unternehmungen des russischen Heeres zu berichten. Obgleich der König nicht ausdrücklich seine Absichten angab, so ließ er doch durchblicken, dass es sein Wunsch sei, sobald nur die Verhältnisse es gestatten würden, sich mit uns zu verbünden. Diese Eröffnungen konnten nicht anders, als den Kaiser in seinem Vorsatze vorzurücken bestärken. Wir hielten uns weder lange in Plotzk, noch in den andern auf dem Wege befindlichen Städten auf, sondern zogen, teilweise in Eilmärschen, nach Kalisch. Unterdes besetzte, zufolge eines mit dem Fürsten Schwarzenberg abgeschlossenen Vertrages, der ihm ungestörten Rückzug nach Galizien sicherte, unser linker Flügel Warschau. Somit war also das Herzogtum Warschau ohne hartnäckigen Kampf von uns besetzt worden; zur Schlacht war es nur einmal gekommen und in dieser wurde das Reyniersche Korps von Winzingerode geschlagen. Um diese Zeit verließ der König von Preußen in aller Stille Berlin und begab sich nach Breslau. Da wir schon Kalisch erreicht hatten, so befanden wir uns nur in ganz geringer Entfernung von ihm. Der Verkehr zwischen Kalisch und Breslau wurde sehr lebhaft. Bald erschien auch bei uns ein Abgesandter vom König von Preußen, General Knesebeck, der mit uns die Bedingungen des abzuschließenden Bündnisses vereinbaren sollte. Nach Beendigung der Unterhandlungen reiste der Kaiser Alexander in Begleitung Knesebecks mit Hintansetzung aller leeren Förmlichkeit der Etikette nach Breslau. Man empfing uns mit unbeschreiblichem Jubel. Bei dem großen, dem hohen Gast zu Ehren gegebenen Mittagsmahl sah ich zum ersten Mal die Prinzessin Charlotte (in der Folge Kaiserin von Russland, Gemahlin des Kaisers Nikolai), die die Wirtin machte. Ich saß den Majestäten gegenüber zwischen dem Feldmarschall Blücher und dem Fürsten Hardenberg und hatte eine lange Unterhaltung mit dem Feldmarschall, der von Kampfeslust erfüllt war und sich nur über das aus junger Mannschaft bestehende Heer beklagte. Wir verbrachten zwei Tage in Breslau und diese Zusammenkunft knüpfte zwischen beiden Herrschern ein enges bis zum Grabe bestehendes Freundschaftsband.

Hier wurde auch festgesetzt, dass Fürst Hardenberg zum Abschluss und zur Unterzeichnung des Bündnisses nach Kalisch kommen solle. Dem zufolge wurde bald darauf die betreffende Urkunde von ihm und dem Feldmarschall Kutusoff unterzeichnet. Nach dem gleichzeitig vereinbarten Feldzugsplan rückte das Heer durch Schlesien gegen Dresden vor. In Bunzlau erkrankte Fürst Kutusoff und musste zurückbleiben; die Nachricht von seinem Tode erhielten wir in Dresden. Der Kaiser erteilte hierauf das Kommando dem Fürsten Wittgenstein, der sich in der Schlacht von Polotzk gegen die Marschälle Oudinot und Macdonald ausgezeichnet hatte. Leider wurde diese Wahl nicht durch die darauf folgenden Unternehmungen gerechtfertigt.


Das vereinigte preußisch-russische Heer stand unter dem Feldmarschall Blücher, dessen Generalstabs-Chef der General Scharnhorst war, der Gründer der Landwehr, die Preußen in den Stand setzte, den Krieg mit einem Heere von 100.000 Mann zu beginnen, wahrend nach der mit Napoleon abgeschlossenen Konvention die Größe des Heeres nicht 40.000 Mann übersteigen durfte. Leider kamen wir bald in den Fall, den Verlust dieses ausgezeichneten Mannes beklagen zu müssen.

Unsere Anwesenheit in Dresden ist wegen der Verhandlungen, die mit England wegen eines Subsidienvertrags geführt wurden, von Bedeutung. Das englische Ministerium hatte dahin einen der ersten Kenner des Finanzwesens, Harris, gesandt, um unter dem Vorsitz des englischen Gesandten Lord Cathcart mit dem Fürsten Hardenberg und mir die Angelegenheit zu beraten. Die Anerbietungen Englands waren für uns so günstig, dass von einer Verwerfung nicht die Rede sein konnte und der Vertrag bald zum Abschluss kam.

Während wir mit dieser Angelegenheit beschäftigt waren, empfingen wir die Nachricht, dass Napoleon Paris verlassen habe und mit einem großen Heere, das er im Lauf des Winters formiert hatte, im Anzuge sei. Seine Absicht war, sich mit dem Vizekönig Eugen zu vereinigen, der noch Magdeburg besetzt hielt und außerdem aus den aus Russland entkommenen Resten ein Heer von ungefähr 30.000 Mann gesammelt hatte. Beide Monarchen verließen sogleich Dresden, um den Oberbefehl über die Heere zu übernehmen und Napoleon anzugreifen. Der Feldzugsplan war gut angelegt. Unterdes rückte Napoleon über Erfurt gegen Leipzig vor, wohin auch der Vizekönig Eugen seinen über Halle gehenden Zug richtete. Die Verbündeten bemühten sich, Napoleon noch vor seiner Vereinigung mit dem Vizekönig anzugreifen. Dies gelang ihnen auch in der Tat bei Lützen. Der Angriff war anfangs mit Erfolg gekrönt. Da aber die errungenen Vorteile aus Mangel an Truppen nicht behauptet und weiter verfolgt werden konnten, auch manche Fehler in der Ausführung des Schlachtplanes begangen wurden, so sahen sich die Verbündeten gegen Abend gezwungen, um nicht von dem unterdes herangerückten Vizekönig in die Flanke genommen zu werden, das Schlachtfeld zu räumen. Der Rückzug erfolgte in der vollkommensten Ordnung. Das Heer der Verbündeten räumte Dresden, zog sich hinter die Elbe zurück, und nahm bei Bautzen feste Stellung, um abermals eine Schlacht zu liefern. Auch diese hatte ein für uns unglückliches Ende und zwang uns zu weiterem Rückzug. Zwei Wege lagen vor: der erstere, der nach Kalisch führte, entfernte uns von unserer Operationslinie; der andere, längs der böhmischen Grenze nach Schlesien hinein, gewährte uns den Vorteil, unsere Verbindung mit Oestreich unterhalten zu können. Die erstere Richtung war in militärischer, die andere in politischer Hinsicht die vorteilhaftere. Man wählte die letztere, zumal schon Unterhandlungen mit Österreich im Gange waren.

Graf Stadion, der österreichische Bevollmächtigte bei den im Hauptquartier der Verbündeten geführten Unterhandlungen, hatte sich während der Schlacht von Bautzen nach, Görlitz zurückgezogen. Am Abend nach der Schlacht beschied mich der Kaiser Alexander zu sich und befahl mir, mich zu Stadion zu begeben, um ihm den Entschluss des Kaisers und die Beweggründe dazu mitzuteilen. Er sei entschlossen, den Krieg ungeachtet des erlittenen Missgeschicks weiter fortzusetzen, wobei er auf den Anschluss Österreichs hoffe. Habe Napoleon auch Siege erfochten, so wären sie ihm doch teuer zu stehen gekommen und hätten seine Streitkräfte bedeutend geschwächt, — daher läge es jetzt in Österreichs Hand, durch seinen Beitritt zu dem zwischen Russland und Preußen bestehenden Bündnis Europa von der französischen Herrschaft zu befreien.

Unser Rückzug fand in größter Ordnung statt, ja Napoleon verlor in einem von ihm persönlich geleiteten Gefecht mit unserer Nachhut den Marschall Duroc und drei seiner besten Generale. Dies hielt die Verfolgung auf, so dass wir, ohne weiter belästigt zu werden, Schweidnitz in Mittelschlesien erreichten. Um diese Festung nahm das Heer der Verbündeten Stellung, während ein großer Teil Schlesiens und seine Hauptstadt Breslau allmählich von den Franzosen besetzt wurde. Gleich darauf begannen Unterhandlungen eines Waffenstillstandes wegen, der denn auch den 7. Juni abgeschlossen wurde.

Die Hauptangelegenheit, um die es sich jetzt handelte, war der Beitritt Österreichs. Um dem Schauplatz der Begebenheiten näher sein zu können, war der Kaiser Franz nach Gitschin gekommen, wo er in einem dem Fürsten Trautmannsdorff gehörigen Schloss Wohnung genommen hatte. Er war von dem Fürsten Metternich und dem General Duka begleitet. Letzterer, ein schon bejahrter Mann, der die Ruhe der Anstrengung und die Neutralität dem Kriege vorzog, war leider sein Hauptratgeber in militärischen Angelegenheiten. Ich wurde nach Gitschin gesandt. Den Kaiser Franz fand ich für das Bündnis im Grunde günstig gestimmt, nur ließ er sich von dem Gedanken nicht abbringen, dass noch viel Zeit erforderlich sei, um der wichtigen Unternehmung gemäß gerüstet zu sein. Kurz, wenn man auch nicht geradezu meine Anträge zurückwies, so wollte man doch noch Zeit gewinnen und zu dem Zweck mit Napoleon erst unterhandeln. Österreich war noch der Form nach Bundesgenosse Frankreichs; letzteres hatte Österreich keinen Grund zu einer Beschwerde gegeben, durch die eine Kriegserklärung gerechtfertigt gewesen wäre. Da war Fürst Metternich auf den Gedanken gekommen, Napoleon einen allgemeinen europäischen Frieden in Vorschlag zu bringen und billige Bedingungen anzugeben, die demselben zu Grunde gelegt werden sollten. Sollte der Vorschlag oder die angegebenen Bedingungen verworfen werden, so würde ein triftiger Grund zum Bruch gegeben sein. Fürst Metternich sollte selbst nach Dresden reisen, um Napoleon diese Vorschläge zu überbringen. Dadurch gelangte Fürst Metternich dazu, zwischen Napoleon und den Verbündeten die Stellung eines Vermittlers einzunehmen. Ich konnte also zu meinem Bedauern keine bestimmte Antwort erhalten und hatte den beiden Herrschern als Ergebnis meiner Sendung nur über die Pläne des Fürsten Metternich Bericht zu erstatten. Es war vorauszusehen, dass diese keinen Beifall finden würden. Der wenig günstige Eindruck, den mein Bericht machte, wurde übrigens durch die gleichzeitige Ankunft des Obristen Latour gemildert, der beauftragt war, mit den Verbündeten den für den Fall des Krieges zu befolgenden Feldzugsplan zu besprechen. Auch der General Duka erschien bei unserm Heere, angeblich, um seinen bei uns dienenden Bruder zu besuchen.